Wieso sind sich bei Griechenland alle Medien so einig?

vom 07.07.2015, 19:27 Uhr

Bereits am Sonntag nach der Abstimmung in Griechenland war abzusehen, dass die überwiegende Mehrheit der Griechen mit "Nein" gestimmt haben und das Lager derjenigen verloren hat, welches immer noch auf einen rigiden Sparkurs zu Lasten der einfachen Bevölkerung setzen. Und schon was das Entsetzen in den Medien groß, wo doch in den Tagen vorher immer nur Griechen in Deutschland zu Wort gekommen sind, welche ein klares "Ja" gefordert hatten. Und immer wurde hier übrigens diese Abstimmung zu einer Abstimmung für oder gegen den Euro genannt, wobei so eine Frage nie zur Debatte stand.

Jetzt hat sich dann das heute-journal als Plattform für Martin Schulz angeboten. Und der SPD-Politiker hat tatsächlich davon gesprochen, dass trotz (!) der Abstimmung er sehr für "humanitäre Hilfe" für Griechenland ist. Wenn so was von der SPD kommt, wird einem wirklich mulmig, weil die "humanitäre Hilfe" z.B. in Libyen und Syrien immer mit Luftschlägen verbunden ist. Aber - nachdem Griechenland in der Nato ist - ist so was (vorerst) nicht zu befürchten.

Fakt ist aber doch - und darüber verlieren die Medien kein Wort - das in Griechenland die gleiche "Krise" wir heute herrschte, als die konservative Regierung am Ruder war und sich der "Troika" unterworfen hatte! Und dieser massive Sparkurs, der über fünf Jahre breite Teile der Bevölkerung in die Armut getrieben hat, hat bzgl. der Ziele (Land konsolidieren) NICHTS gebracht. Kein Ökonom hat festgestellt (auch nicht in der BRD), dass dieser Kurs einen positiven Effekt gebracht hatte. Es ist aber unbestritten, dass die Folgen für die Bevölkerung dramatisch waren. Allein die medizinische Versorgung ist um 50 Jahre zurückgefallen. Sogar die Lebenserwartung sinkt seit dieser Zeit.

Trotz allem lassen die Medien hier alles so aussehen, als wäre der Schäuble Kurs richtig und vor allem "Alternativlos". Jedenfalls sind keine Alternativen zugelassen bzw. werden hier nicht diskutiert. Stattdessen kommt heraus, dass sogar der IWF die Situation für so verfahren hält, dass schon aus betriebswirtschaftlicher Sicht das Festhalten an den Zahlungszielen Unfug ist. Wie kommt das einseitige Interesse der Medien, hier die (fragwürdigen) Positionen der Bundesregierung ohne zu hinterfragen so massiv zu propagieren?

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Natürlich ist es einfacher, wenn jemand hin gefallen ist, mit dem Finger auf den zu zeigen und den auszulachen. Das war schon damals auf dem Schulhof so. Auf dem Medienzirkus ist es natürlich auch leichter, jemanden anzuprangern.

Zumal kommt das eben bei der hiesigen Leserschaft einfach besser an, wenn man sagt, die bösen Griechen sein daran Schuld. Vor der eigenen Bevölkerung hier anzuerkennen, dass möglicherweise auch in unserem Verantwortungsbereich etwas suboptimal gelaufen sein könnte, das ist riskant. Und möglicherweise lässt man dann Federn bei den eigenen Leuten hier. So nach dem Motto "Was können wir dafür, wenn die es nicht schaffen".

Allerdings glaube ich nicht, dass alle Medien sich da einig sind. Die ersten Suchergebnisse bei Google, die eher konservativen sicher. Aber wenn man lange genug und bei den richtigen Organen sucht, wird man auch hier Medien finden, die Schäubles Position nicht teilen und auch das Geschehen rund um Griechenland schon langfristig kritisieren. Aber das sind eben nicht bei jedem die Publikationen, die er oder sie üblicherweise liest.

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» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge


Die Situation ist ja wirklich schwierig und kann sicherlich nicht durch eine einfache Maßnahme gelöst werden. Was aber sicherlich richtig ist, dass ein einfacher Schuldenerlass, wie ihn die derzeitige griechische Regierung fordert, keine Lösung ist. Das Geld wäre schneller weg, als die Leute "Grexit" sagen können.

Schließlich sind zumindest ein Teil der geforderten Reformen auf jeden Fall notwendig. Die griechische Regierung stützt sich aber auf Populismus, um an der Macht zu bleiben. Eine Hilfe für das griechische Volk ist das aber auch nicht. Von daher kann ich die Haltung der Medien durchaus nachvollziehen.

Letztendlich hilft Griechenland nur eines: Wirtschaftswachstum. Das könnte man vielleicht auch an der Regierung vorbei ankurbeln. Wahrscheinlich würde auch ein "Grexit" dabei helfen, auch wenn es für die Menschen kurzfristig erst einmal eine Katastrophe wäre. Aber langfristig wäre das eine Chance für die Wirtschaft im Lande.

Ich würde jedenfalls eher die Milliarden direkt in ein Konjunkturprogramm investieren als es der Regierung in die Hand zu drücken. Der Staat könnte indirekt durch höhere Steuereinnahmen profitieren, wenn sie ihre Reformen durchziehen.

Mich wundert es nur sehr, dass dieser Aspekt nicht in den Medien weiter diskutiert wird. Es dreht sich immer nur um die finanzpolitischen Themen, aber nur selten um die wirtschaftlichen Aspekte.

» Weasel_ » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Mit dem Journalismus gibt es seit Jahren ein Problem. Die meisten Journalisten werden mies bezahlt, sind nicht fest angestellt und arbeiten ein riesiges Pensum ab. Von der Arbeitszeit werden heute rein statistisch gesehen nur etwa anderthalb Stunden am Tag für Recherche und zur Verifizierung von Quellen aufgewendet. Das findet dann auch fast immer ausschließlich am Schreibtisch statt, denn Zeit und Geld, um das Glashaus zu verlassen, fehlt.

Also werden in den meisten Fällen Pressemeldungen verwendet. Aber Pressemeldungen einer Pressestelle sind keine unabhängigen Nachrichten. Mittlerweile kommt auf jeden Journalisten ein PR-Berater. Und meist werden eben genau die Verlautbarungen dieser Berater abgetippt. Die Einflussnahme von Anzeigenkunden ist auch nicht zu vernachlässigen.

Seien wir realistisch: Seit Jahren ist klar, dass Griechenland so nicht zu retten ist. Einerseits gab es Geld und Bürgschaften, andererseits wurden Maßnahmen erlassen, die das Land weiter in die Krise treiben. Aber Politiker können jetzt nicht sagen, dass die ganzen Maßnahmen, die auch für die eigenen Länder eine Belastung sind, ein Schuss in den Ofen waren, weil man gehofft hat, dass es klappt. Das wäre für die Wiederwahl nicht so sinnig.

Also zeigt man sich überrascht vom Starrsinn der "faulen" Griechen und droht mit harten Maßnahmen. Das kommt bei den Wählern jetzt an, das kann man gut verkaufen. Und diese Pressemeldungen und Verlautbarungen der Pressestellen werden dann übern brav übernommen. Wenn der Leser die Artikel seiner Zeitung nicht mag, liest er etwas anderes.

Der Hinweis auf die mögliche "humanitäre Hilfe" ist doch auch so eine Nummer. Das hat nichts mit Krieg zu tun und eigentlich wäre es schon seit einigen Jahren nötig. Aber es kommt eben besser an, wenn man sagt, dass so ein verstocktes Volk keine finanziellen Hilfen mehr bekommt. Schließlich signalisiert man Bereitschaft Lebensmittel und Decken zu verteilen, medizinische Versorgung zu bieten und Obdachlos unterzubringen. Da fühlt sich der Leser dann gleich ganz beruhigt. Schließlich sind "die" selber Schuld und "wir" helfen immer noch. :whistle:

» cooper75 » Beiträge: 13325 » Talkpoints: 497,57 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



Weil Griechenland hier gerade versucht, die ganze EU mit in den Abgrund zu reißen. Ich bin auch für für höhere Besteuerung der Reichen aber warum Tsipras dies nicht gemacht? Wieso der Flirt mit Russland? Warum überhaupt ein Referendum über etwas, dass Geschichte ist? Diese Abstimmung hätte übrigens auch in den 17 anderen EU-Staaten stattfinden müssen und hier in Deutschland bekäme sicher jedes Referendum gegen Griechenland eine Mehrheit.

Griechenland hat unter Angabe falscher Zahlen den Euroeintritt erschwindelt und will nun, dass die restliche EU seine Schulden übernimmt. Wenn dies klappen würde, würden die Nachahmer weltweit Schlange stehen. Es geht eben nicht nur um Griechenland, sondern um wesentlich mehr.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Die meisten Staaten haben bei den Zahlen geschummelt und tun es auch heute noch. Und die treffen keine Sanktionen. Griechenland allein die Schuld zu geben, das kommt auch nicht hin. Denn es geht tatsächlich um mehr, aber das betrifft mehr als nur die Griechen.

» cooper75 » Beiträge: 13325 » Talkpoints: 497,57 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Wenn es nur um Griechenland gehen würde, wären sie schon längst pleite und lange aus dem Euro ausgeschieden. Das Land wäre dann wahrscheinlich ärmer als Rumänien und schön länger auf humanitäre Hilfe angewiesen. So wie es ja bei Rumänien auch ist.

Der Grund, wieso sie noch dabei sind, ist, dass man lange einen Ansteckungseffekt befürchtete. Inzwischen haben sich aber die meisten südeuropäischen Staaten soweit erholt, dass die Gefahr nicht mehr ganz so groß eingeschätzt wird.

Dass wohl 99% der Griechen keine Schuld an der jetzigen Situation haben, steht außer Frage. Aber das gilt auch für viele Entwicklungsländer. Und man kann nicht jedem dieser Länder mit vielen Milliarden helfen.

» Weasel_ » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Hätte Griechenland richtige Zahlen angegeben, wäre es überhaupt nicht soweit gekommen. Dann hätte es auch keine solche Reformvorschläge gegeben. Und wenn Griechenland mit dieser Hilfe nicht zufrieden ist, soll es aus dem Euro austreten und seinen eigenen Weg gehen. Es ist schön, dass in Griechenland abgestimmt wurde, ob man ein Hilfsangebot ablehnt oder nicht. Dann hätten aber auch in allen 17 anderen Geberländern darüber abgestimmt werden müssen, ob man man das Hilfsangebot überhaupt macht und dann bekäme sicher auch die eine oder andere Regierung gesagt, dass sie sogar die bisher gemachten Zusagen zurückziehen müsste. Aber soweit denken unsere Volksabstimmungsbefürworter natürlich nicht.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Entwicklungsländer sind aber nicht in der EU. Man hat jedes Jahr geschönte Zahlen durchgehen lassen und man hat verfehlte Ziele nicht geahndet. Das gilt für viele EU-Länder, nicht nur für Griechenland. Je nachdem wie mit Griechenland umgegangen wird, könnten andere Länder Forderungen stellen. Und das wäre üble, weil es eben EU-Mitgliedsstaaten sind und keine Entwicklungsländer.

Dazu kommt, dass viele Länder deutliche Bestrebungen haben, aus der EU auszusteigen. Da könnte das Ausscheiden Griechenlands eine Welle lostreten, die die EU vor große Probleme stellt. Es ist ja nicht nur Großbritannien, dass über einen Ausstieg nachdenkt. Irland denkt darüber nach dann nachzuziehen. In Österreich ist man auch nicht so glücklich.

Dann haben wir noch die ganzen Regionen, die gerne unabhängig wären. Vom Baskenland über Korsika und Katalonien bis Flandern. Diese Bemühungen sind auch problematisch für die EU.

Juri1877, warum hätte Griechenland korrekte Zahlen angeben sollen? Das haben die anderen doch auch nicht gemacht. Man kann wohl kaum einem Land etwas vorwerfen, dass alle anderen Länder ebenfalls getan haben. Zumal die verschiedenen Kommissionen das auch wussten, damals nicht eingegriffen haben und es heute auch noch nicht tun! Dazu war es zu wichtig, die EU und den Euro zu basteln.

» cooper75 » Beiträge: 13325 » Talkpoints: 497,57 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Länder wie Rumänien und Bulgarien sind schon in der EU. Trotzdem sind sie nicht wirklich weit von einem Entwicklungsland entfernt. Immerhin liegt das BIP pro Einwohner noch etwa bei der Hälfte von Griechenland. Die Menschen dort sind also sicherlich immer noch viel ärmer als die Griechen.

Ein Grund dafür ist sicherlich der Euro. Ohne den Euro wäre nicht so viel Geld in Griechenland geflossen. Zumindest nicht über den Finanzmarkt. Womöglich hätte es direkte Hilfen gegeben, wie es bei den ärmeren EU-Staaten üblich ist. Das hilft der Bevölkerung aber viel mehr als das, was in den letzten Jahren in Griechenland gelaufen ist.

» Weasel_ » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


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