Diskussionen um Kopftuch bei türkischer 'Heidi'

vom 17.11.2007, 02:39 Uhr

Das türkische Bildungsministerium, das von Minister Hüseyin Celik von der gemäßigt islamischen Partei AKP geleitet wird, veröffentlichte bereits vor zwei Jahren für den leseunlustigen Nachwuchs in der Türkei eine offizielle Liste der '100 grundlegenden Werke'. Die darin vorgeschlagenen Bücher sollen für die Pädagogen und Eltern als Leitfaden dienen, die Wahl des richtigen Werks für den Nachwuchs zu erleichtern. Neben 'Alice im Wunderland' und 'Pinocchio' beinhaltet die Liste unter Anderem auch Texte über 'Heidi', die von der Schweizer Autorin Johanna Spyri erfunden wurden, in der türkischen Fassung. Vom Ministerium wurde dieses Werk, das bereits in den Schulen verteilt wurde, ausdrücklich empfohlen.

Zwischen der Originalfassung und dem vom türkischen Verlag 'Karanfil' herausgebrachten 'Heidi'-Buch gibt es einen kleinen Unterschied: In der türkischen Fassung ist auf Seite 59 die Großmutter von 'Klara Sesemann', einer Freundin von 'Heidi', mit einem Kopftuch und einem langen Mantel dargestellt, wie sie es auch von frommen Musliminnen gerne getragen wird. Dies wird von der türkischen Tageszeitung 'Aksam' berichtet. Nun entflammte deswegen ein heftiger Streit zwischen islamischen und laizistischen Gruppen. Mit dem Vorwurf der islamistischen Propaganda sieht sich das Ministerium konfrontiert, liberale und konservative Zeitungen in der Türkei schlagen Alarm. Die bekannte Tageszeitung 'Hürriyet' vermeldet:'Jetzt werden schon Kinderbücher für die Kopftuch-Propaganda benutzt.'. Auf diese Weise werde den Kindern klargemacht, dass es auf der Welt keine anderen Lebensweisen als die islamische geben würde. Außerdem zeuge die Darstellung von einem mangelnden Respekt gegenüber anderen Religionen, wie türkische Medien kritisieren.

Von den Vorwürfen distanziert sich das Bildungsministerium und verteidigt sich gegen die Anschuldigungen, nicht jedes Buch Seite für Seite kontrollieren zu können. Lediglich verschiedene Werke wurden empfohlen, ohne sich dabei auf bestimmte Verlage festzulegen. Die meisten Autoren der Bücher sind seit über 70 Jahren gestorben und ihre Werke fallen nicht mehr unter das Urheberrecht. Genau dies lasse den Verlagen die Freiheit, die Bücher nach eigenen ideologisch motivierten Entscheidungen zu bearbeiten. Das 'Heidi-Kopftuch' liefert für die Gegner der türkischen Regierung unter Recep Tayyip Erdogan weiteren Stoff, um den Ministerpräsidenten in die Mangel zu nehmen. Seit seiner Amtseinführungen werfen diese ihm nämlich eine schleichende Islamisierung des öffentlichen Lebens in der Türkei vor.

» Tauraxx » Beiträge: 1156 » Talkpoints: -12,45 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Also ich denke, dass man sich schon an die Vorlagen von literarischen Werken halten sollte. Wäre doch schade, wenn jedes Werk der Ethnie angepasst würde, in der es veröffentlicht wird. Damit vermittelt man den türkischen Jungen und Mädchen tatsächlich ein falsches Weltbild. Zumal der eine oder andere vielleicht auf den Gedanken käme, wieso die Großmutter denn augenscheinlich islamisch gekleidet ist, deren Nachfahren dann aber nicht mehr?

Klar kann das Ministerium nicht jedes der 100 empfohlenen Bücher Seite für Seite kontrollieren, aber wieso konnte eigentlich eine Person, die mit der Auflage dieser Bücher vertraut war, solche eine Änderung vornehmen?
Alles in allem wirft auch diese Geschichte wieder kein sonderlich gutes Licht auf die Türkei.

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Die Großmutter von "Klara Sesemann" in der Heidi-Geschichte gewissermaßen in traditioneller türkischer Kleidung darzustellen, wäre durchaus merkwürdig. Es passt einfach nicht zum Inhalt der Geschichte, denn die Frau ist ja keine türkische Muslimin. Was diesen Punkt betrifft, kann ich der hier schon geäußerten Kritik auf jeden Fall zustimmen.

Etwas stutzig gemacht hat mich allerdings eine Angabe im Eingangs-Posting. Da heißt es nämlich, diese Figur der Großmutter von Klara Sesemann trage auf den Bildern einen langen Mantel und ein Kopftuch, wie es auch fromme Musliminnen oft tragen. Wie ist das genau gemeint? Ist es eindeutig eine türkische Tracht, oder ist das einfach nur ein langer Mantel und ein Kopftuch, wie es in Europa damals auch unter christlichen Frauen oft getragen wurde? Wäre es Letzteres, sehe ich keinerlei Problem bei dieser Darstellung. Schließlich wäre das keine wirkliche zum Islamischen veränderte Darstellung dieser Romanfigur, sondern eine durchaus zum Original passende, die in der Berichterstattung bloß in einen Kontext gerückt wird, durch den sie kritisiert werden kann.

Weil ich mir die Frage stellte, wie es nun tatsächlich aussieht, habe ich online recherchiert und dieses Bild hier gefunden: Abbildung aus besagtem Heidi-Buch. Ist dies nun die typische islamische Kleidung, oder kann man das auch als unreligiöse, damals übliche Kleidung einordnen? Ich bin mir da nicht wirklich sicher. Ich tendiere allerdings wirklich dazu, zu meinen, dass das nicht unbedingt eine muslimische Art von Kleidung auf dieser Abbildung sein muss.

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Was hier gemacht wurde, ist sehr befremdlich. Es darf nicht sein, dass ein Verlag einfach ein schon so altes Buch derart verändert, dass sich andere Gesichtspunkte ergeben. Inhalt und Kleidung sollten so übernommen werden, wie die Autorin das vorgesehen hatte. Es ist mir unbegreiflich, warum ein ausländisches Buch dazu missbraucht wird, den Kindern eine deutsche Romanfigur als Muslimin vorzustellen. Die Türkei mit ihrem Ministerpräsidenten scheint wirklich meilenweit von Europa entfernt zu sein. Ich halte das nicht für gut, was dort gemacht wird.

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge



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