Das Leben auf der Straße

vom 17.10.2010, 20:17 Uhr

Ich war vorhin am Hauptbahnhof und irgendwie bin ich auf den Gedanken gekommen. wie das Leben auf der Straße, also ohne festem Dach über dem Kopf, wohl sein mag. Also ich persönlich kann mir das auf keinen Fall vorstellen, denn ich bin an mein warmes Bett gewohnt und das will ich ehrlich gesagt auch nicht aufgeben.

Wie denkt ihr über das Leben und was glaubt ihr ist dabei noch grundlegend anders als das "normale" Leben?

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» ich322 » Beiträge: 797 » Talkpoints: -1,81 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Also ich würde erst recht nich obdachlos werden, denn nach meinem Wissen bin ich wenn ich arbeitlos bin und keine Arbeit bekomme, auf Hartz IV angewiesen. Dadurch kann ich mir ein Heim finanzieren und bin dadurch nicht mehr obdachlos :D . Aber wenn es kein Hartz IV geben würde, würde ich es mir echt dreckig und kalt vorstellen, immer nachts im kalten und dreckigen Park zu liegen. Aber so weit würde ich es garnicht kommen lassen, ich würde mir ein Plätzen im Wald suchen und mir eine kleine Hütte bauen, denn dazu habe ich ja genug Zeit.

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» 2X Razr X2 » Beiträge: 384 » Talkpoints: 5,08 » Auszeichnung für 100 Beiträge


„Grundlegend anders“ ist vermutlich so ziemlich alles. Schließlich kann ein Obdachloser mal nicht eben an den Kühlschrank tappen wenn er Hunger hat und kochen ist natürlich auch nicht drin. Das morgendliche Ritual mit Zähneputzen, Duschen oder Waschen, Rasieren oder Schminken, Parfümieren und frische Kleider aus dem Schrank nehmen ist auch nicht drin. Ein Obdachloser kuschelt sich nicht in sein warmes Bettchen und freut sich am Wochenende länger schlafen zu können.

Weiter geht’s bei der Freizeitgestaltung. Bei Langeweile hilft kein Fernseher, Freunde kann man auch nicht anrufen und mal schnell den PC anwerfen um Infos einzuholen oder sich der Welt mitzuteilen ist in Ermangelung sämtlicher notwendiger Geräte auch ein Ding der Unmöglichkeit. „Freizeit“ ist für einen Obdachlosen wohl eher mit der Beschaffung von Geld verbunden; zum Bankautomaten kann er aber nicht gehen. Wenn er lange genug bei Wind und Wetter auf der Straße war und Vorbeigehende um Kleingeld gebeten hat kann er sich vermutlich im Discounter ein paar Lebensmittel oder (Achtung: Klischee) seine tägliche Alkoholration kaufen.

Wenn es kalt wird und die eigenen Habseligkeiten nicht mehr ausreichen um den Menschen warm zu halten gibt es weit und breit keinen Heizkörper der sich aufdrehen ließe (außer der Obdachlose hat das Glück ein Plätzchen in einem Obdachlosenheim ergattert zu haben); und wenn sich eine Erkältung anbahnt gibt es keine Wärmflasche und so schnell auch keinen Besuch beim Arzt. Der Weg zum Supermarkt ist weit? Geld für einen Busfahrschein ist wohl eher selten übrig.

All die kleinen Annehmlichkeiten des Alltags, die wir schon gar nicht mehr richtig wahrnehmen weil sie einfach da sind, hat ein Obdachloser nicht und ich vermute, dass er sie zumindest in der Anfangszeit schmerzlich vermisst wenn er sie einmal kannte. Auch später dürfte es alles andere als ein leichtes oder angenehmes Leben sein. Die „Lagerfeuerromantik“ à la „ ich würde mir eine Hütte im Wald bauen“ halte ich für recht weit hergeholt und in Ermangelung des Materials und Angesichts der Kontrollen durch Behörden auch nicht für Umsetzbar.

Traurig, rauh und anstregend stelle ich mir so ein Leben auf der Straße vor – ich möchte nicht tauschen müssen und kann nur hoffen, dass ich nie und nimmer in diese Situation gerate. Ich werde jedenfalls mein Bestes tun es zu verhindern.

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» ichwars » Beiträge: 562 » Talkpoints: 3,76 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Es gibt immer wieder Leute die so sehr abrutschen, daß sie auf der Straße sitzen. Manchmal greift auch einfach das System nicht, weil viele über die Möglichkeiten, die es gibt, nicht aufgeklärt werden. Und wenn man erstmal auf der Straße ist, kommt man da nur noch sehr schwer weg.

Ich habe vor einiger Zeit einmal eine Dokumentation gesehen. Ein Arzt hat das Experiment gewagt: 1 Monat obdachlos. Er wurde dann "ausgesetzt" mit den Klamotten, die er an hatte und noch ein paar anderen kleineren Dingen. Die ersten Tage ging es ihm noch ganz gut, doch dann wurde es immer schlimmer. Seine wirklich letzten Habseligkeiten wurden geklaut, es wurde immer kälter und regnerischer draussen. Die einzigen Leute mit denen er reden konnte, waren andere Obdachlose und was die den ganzen Tag über erzählen kann man sich vorstellen.

Nach circa 2 Wochen fing er an depressiv zu werden, aufgrund seiner schlechten Verfassung, dem negativen Denken der Anderen und der Kälte. Um sich zu wärmen begann er Alkohol zu trinken. Als er merkte, wie schlecht es ihm ging und der Alkoholkonsum von Tag zu Tag anstieg, brach er das Experiment ab. Mit den Nerven war er total am Ende.

Ein richtiger Obdachloser kann das Experiment nicht abbrechen. Diese Menschen werde schon nach kürzester Zeit gebrochen und können sich nicht mehr selbst helfen. Das ist erschreckend und ich wünsche es wirklich keinem. Man sollte froh sein, daß man hat, was man hat.

» blueberlin49 » Beiträge: 198 » Talkpoints: 0,18 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Man würde es sich zu einfach machen, wenn man aus seiner aktuellen (gut bürgerlichen) Sicht vorstellt, wie das Leben auf der Straße wohl wäre. Wenn z.B. jemand ernsthaft glaubt, in so einer Situation an das Bauen einer Hütte im Wald denken zu können, der überspringt wesentliches! Und damit meine ich noch nicht mal die Tatsache, dass das wilde Campieren nicht gestattet ist. ;)

Wer letztlich auf der Straße landet, hat sicher wesentlich gravierende Probleme. Die Obdachlosigkeit ist dann nur noch der Ausdruck dieser Situation - aber mit Sicherheit nicht Ursache oder gar Hauptproblem. Wenngleich man hier sicher einen akuten Handlungsbedarf sehen könnte. Denn leben bzw. wohnen und schlafen muss ja jeder Mensch und man könnte sich vorstellen, dass alle anderen Probleme leichter in den Griff zu bekommen sind, wenn man sich um die elementaren Dinge nicht kümmern muss.

Aber hier ist ja das Problem, dass für solche Menschen dann praktisch 1-2 Betreuer abgestellt werden müssen, die die betreffenden Personen durch den Tag bringen und eben helfen, wieder mit sich und der eigenen Lebenszeit zurecht zu kommen.

Mag zunächst so sein, dass die u.U. vorhandenen Abhängigkeiten gelöst werden müssen (Alkohol, Medikamente, Drogen). Aber leider ist das noch lange nicht die Lösung. So schwer der Weg dann auch sein mag - es gab ja Gründe, die so weit geführt haben. Und die sind ja nicht dadurch aus der Welt, dass man die Leute trocken bekommt.

Keiner der Obdachlosen wird über die eigene Situation froh sein. Und keiner wird sich nicht doch wünschen, wenigstens einen Fixpunkt für seine wenigen Habseligkeiten zu finden. Doch allein werden die wenigsten wohl einen Weg zurück ins bürgerliche Leben finden. Und um die Menschen zurück zu bringen, fehlt es einfach an Willen und Mittel (Reihenfolge beliebig).

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Das Leben auf der Straße ist einfach ein völlig anderes als das "normale" Leben mit festem Wohnsitz. Ich kannte mal jemanden, der seit seiner Jugend auf der Straße gelebt hat und er hat mir ein bisschen davon erzählt. Eigentlich haben solche Menschen ja gar keine richtige Jugend mehr, weil sie ab dem Zeitpunkt der Obdachlosigkeit auf sich selbst gestellt sind und dann ganz schnell erwachsen werden müssen. Ich bin auch der Meinung, dass ein solches Leben eigentlich fast nur mit viel Alkohol oder Drogen möglich ist. Die Menschen wissen ja oftmals nicht, wo sie in der nächsten Nacht schlafen sollen.

Mir ist aufgefallen, dass die obdachlosen Menschen viel selbstbewusster sind. Das müssen sie aber wahrscheinlich auch sein, weil sie es sonst noch schwerer hätten. Wenn man einmal ein paar Jahre auf der Straße gelebt hat, ist es enorm schwer wieder ins richtige Leben zu finden. Es ist den meisten Menschen unmöglich, dann wieder eine eigene Wohnung zu halten und zu pflegen. Sie haben es auf der Straße einfach verlernt, falls sie es überhaupt mal konnten.

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» Prinzessin_Erika » Beiträge: 2010 » Talkpoints: 6,28 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Ich frage mich eigentlich nur wie blöd man sein muss um sein Leben auf der Straße zu verbringen. Niemand in Deutschland muss auf der Straße leben, jeder Obdachlose hat die Möglichkeit in ein Wohnheim zu ziehen oder in eine Sozialwohnung. Sicherlich nichts tolles, aber eben eine Bleibe. Die Wohnheime sind sicherlich auch nicht gerade ein Hort der Gemütlichkeit und es herrschen dort raue Sitten, aber nach meinem Verständnis ist das besser als unter der Brücke zu schlafen.

Wenn ich das so richtig mitbekommen habe antworten viele Obdachlose auf die Frage warum sie denn lieber im Freien übernachten als in einer Unterkunft oder warum sie nicht zum Amt gehen um eine Sozialwohnung zu bekommen dass sie das freie Leben auf der Straße bevorzugen weil sie sich nicht mit Ämtern herumärgern und sie keine Regeln befolgen müssen. Das begreife ich zwar nicht denn auf der Straße gibt es auch Regeln. Am mangelnden Wissen über alle staatlichen Möglichkeiten glaube ich auch nicht so recht. Wer weiß dass man sich jeden Tag vom Amt sein Zehrgeld holen kann und ansonsten auch pfiffig genug ist um sich durch den Tag zu schnorren der kann auch mit ein bisschen guten Willen sich um eine eigene Wohnung kümmern. Allerdings kommen damit auch jede Menge an Verpflichtungen auf einen zu die wiederum nicht jeder erfüllen will oder kann.

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» hooker » Beiträge: 7217 » Talkpoints: 50,67 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



hooker hat geschrieben:Ich frage mich eigentlich nur wie blöd man sein muss um sein Leben auf der Straße zu verbringen.

Letztlich hat das nichts mit "blöd" oder nicht "blöd" zu tun. Es ist lediglich (in den meisten Fällen) ein äußerer und radikaler Ausdruck einer gescheiterten Existenz. Es ist naiv anzunehmen, dass sich hier Leute freiwillig dazu entscheiden, um der mutmaßlichen Freiheit Willen, ein solches Leben jenseits einer bürgerlichen Existenz zu führen. Hier sind schon massive Ursachen mit im Spiel, die den betreffenden so ein Leben aufzwingen! Und in der konkreten Situation werden sich wohl die wenigsten Obdachlosen selbst helfen können.

hooker hat geschrieben:Niemand in Deutschland muss auf der Straße leben, jeder Obdachlose hat die Möglichkeit in ein Wohnheim zu ziehen oder in eine Sozialwohnung.

Leider ist die romantische Vorstellung, dass man bloß zu (irgendeinem) Amt gehen muss, und schon eine "Sozialwohnung" - möglicher Weise auf Kosten der brav arbeitenden Bevölkerung voll eingerichtet - zugeteilt bekommt, in die man nur noch einziehen muss, so alt, dass sie nicht aus den Köpfen zu kriegen ist. Wenn ich jetzt mir mal die Reaktion vorstelle, die mich erwarten würde, wenn ich mit so was vorsprechen würde, muss ich schon selbst lächeln.

Niemand hat einen Anspruch auf Wohnraum und der wird nach Möglichkeit und Dringlichkeit zugewiesen. Da nun Wohnraum knapp ist (besonders der von öffentlichen Trägern), gibt es tatsächlich Entscheidungen, wonach Obdachlosen die Dringlichkeit abgesprochen wird, nachdem diese ja auch bewiesen haben, dass sie auf der Straße leben können. Aber das ist jetzt nicht das Thema.

Gäbe es genügend sog. Sozialwohnungen, dann wären Wohnheime (in die man nur zum Schlafen kommen darf!) sicher überflüssig. Aber die gibt es zweifelsfrei! Das nun Obdachlose diese nicht nutzen, liegt tatsächlich zum großen Teil an den "rauen" Sitten. Hier besteht die Gefahr, tatsächlich das wenige, was noch hat, zu verlieren. Von den hygienischen Zuständen mal ganz zu schweigen. Auch hier ist die Vorstellung vermutlich nicht ausreichend, wenn man das z.B. mit einer Jugendherberge vergleicht und dann verständnislos hinterfragt, wieso dann doch lieber draußen geschlafen wird.

hooker hat geschrieben:aber nach meinem Verständnis ist das besser als unter der Brücke zu schlafen.

Eben aber nicht nach dem Verständnis von denen, die das schon mal gemacht haben und nur noch in absoluten Ausnahmesituationen bereit sind, ihr Hab- und Gut sowie die körperliche Unversehrtheit der Gefahr einer Wohnheimnacht auszusetzen.

hooker hat geschrieben:Am mangelnden Wissen über alle staatlichen Möglichkeiten glaube ich auch nicht so recht.

Doch, da mangelt es natürlich am Wissen aber auch an der Durchsetzungsmöglichkeit. Es ist nicht immer der Fall, dass die zuständigen Sachverwalter hier hilfreich zur Seite stehen. Ich bin mir nicht sicher, aber manchmal glaube ich, dass man sich nicht vorstellen kann, dass auch die untersten Sachverwalter Ziele verfolgen, die dem Dienstherren dienen - nicht dem anfragenden Menschen. Und wenn man sich überlegt, wie viel Ermessensspielraum Fallmanager bei Hartz IV Empfängern haben und wie schwer man sich als Mensch und Bürger dagegen wehren kann, dann sollte doch klar sein, wie viel schwerer es ist, wenn man dies aus der Obdachlosigkeit heraus machen muss.

hooker hat geschrieben:der kann auch mit ein bisschen guten Willen sich um eine eigene Wohnung kümmern

Würde das wirklich gehen, dann stünde noch die Frage im Raum, wie viel vom guten Willen gefehlt hat, dass es überhaupt zur Obdachlosigkeit gekommen ist. Du siehst, mit dem Appell an den "guten Willen" des Obdachlosen ist es (leider) nicht getan. Der Spruch "jeder ist seines Glückes Schmied" passt hier einfach nicht, weil es Menschen gibt, die in Situationen geraten, in welchen sie eben nicht mehr in der Lage sind, richtige (oder wenigstens nicht falsche) Entscheidungen zu treffen.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Obdachlos zu sein bedeutet für mich, alles aufgegeben zu haben, was einem lieb und teuer war. Freiwillig würde ich nicht auf der Straße leben wollen. Und doch gibt es Menschen, für die dieses Leben einen besonderen Kick bedeutet. Frei von allen Zwängen der Zivilisation, tun und machen können, was einem gefällt. So wird das begründet. Obwohl schon nach kurzer Zeit diese Begründung nicht mehr zählt, weil man es satt hat, von jedem Vorbeikommenden herablassend oder mitleidig angesehen zu werden. Man hat es satt, sich um einen Schlafplatz mit anderen Obdachlosen herumzuschlagen und um das nötige Essen zu kämpfen. Ganz davon abgesehen möchte man mal wieder richtig gemütlich in einer Badewanne sitzen.

Aber es gibt nicht nur die Obdachlosen, die sich dieses Leben auf der Straße selbst so gewünscht haben, sondern auch diejenigen, die durch falsche Einteilung ihres vorherigen Daseins in diese mißliche Lage gerutscht sind. Jeder kann in eine solche Notlage geraten. Ist es aber mal so weit gekommen, fühlt sich der oft Hilflose wie der letzte Dreck - so wird er von den meisten Menschen behandelt - und resigniert. Er ist ohne Hilfe von anderen nicht mehr in der Lage, aus dieser Notsituation herauszufinden. Da er Sozialhilfe oftmals ablehnt bleibt die einzige Hilfe, die er annimmt, die städtische Unterkunft und die kostenlose Mahlzeit.

Was ich sehr gut finde ist, dass sich freiwillig Ärzte bereiterklären, diesen auf der Straße lebenden Menschen in gesundheitlichen Dingen zu helfen. Ich bin nicht informiert, ob eventuell die jeweilige Stadt Mitarbeiter auf die Straße schickt, die wenigstens über die Möglichkeit einer Abhilfe dieser miesen Lage mit den Obdachlosen sprechen. Ich weiß zwar, dass es Streetworker gibt, glaube aber, dass die nur für junge Menschen zuständig sind, Oder?

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge


Obdachlos zu sein, dass ist meiner Meinung nach irgendwie auch kein Leben mehr. Diese Menschen haben nun mal einfach alles aufgegeben, sie haben kein Heim mehr, sie haben keine Familie, sie haben auch keine Freunde, mal von den anderen Obdachlosen abgesehen, mit denen sie rumhängen. Sie haben keinen Besitz mehr, sie haben keinen Beruf und daher auch kein Geld, sie haben kein Lebensziel mehr. Das einzige, worauf ihr Leben letztendlich hinausläuft, ist der Tod an sich selbst. Sie saufen sich voll und nehmen Drogen und tun alles, um die Welt um sich herum nicht mehr mitzubekommen und warten darauf, dass sie sterben, vielleicht weil sie zu feige sind, dass selbst zu erledigen oder einfach weil sie es nicht besser können.

Mich würde manchmal sehr interessieren, wie diese Menschen zu diesem Schicksal überhaupt gekommen sind. Haben sie es sich selbst zuzuschreiben, weil sie ihren Job gekündigt haben und einfach zu faul waren. Haben sie sich in der Schule nicht angestrengt und nachher überhaupt keine Stelle gefunden, weil sie einfach einen zu niedrigen IQ haben oder zu faul sind, zu verhätschelt um selbst für ihr Geld was zu tun? Gab es vielleicht einen Schicksalsschlag in diesem Leben eines Obdachlosen, ein Schlag der ihm den Besitz genommen hat und Obdachlos hat werden lassen oder ein Schlag, der Lebensziel und Seele zerstört hat und diesen Menschen zu diesem Wrack gemacht hat, das er heute ist? Oder ist er vielleicht gar einfach von der Gesellschaft verstoßen worden, weil er gegen Dinge verbrochen hat, gegen moralische Werte und Normen, gegen die man nicht verbrechen sollte. Hat dieser Mensch vielleicht einfach kein Ziel im Leben und dämmert daher in einem solchen Zustand vor sich hin. Oder hat er Ziele und kann diese nicht verwirklichen und ist zu diesem Leben verdammt?

All diese Fragen muss ich mir manchmal stellen, wenn ich einen Obdachlosen sehe und vor all diese Fragen, stelle ich mir immer eine wichtige zentrale: will dieser Mensch dieses Leben oder nicht? Es gibt schließlich durchaus Jugendliche, die ohne ersichtlichen Grund von zu Hause abhauen und das Leben auf der Straße bevorzugen, weil sie nichts dagegen haben in schlechten Unterkünften zu wohnen und praktische keinen und den niedrigsten Lebensstandart zu haben, wenn dies die Alternative zu Schulbesuch und Arbeit ist. Sie wählen dieses Leben freiwillig, werden kriminell und fühlen sich damit wohl, denn so ist es einfacher und sie müssen für das was sie wollen, nicht viel tun. Das ist natürlich ein krasser Gegensatz zu den Menschen, die nicht freiwillig auf die Straße kommen, die vielleicht einen Verlust und Schicksalsschlag nicht verarbeiten konnten und dann in Alkohol oder andere Drogen geflüchtet sind und nicht mehr in den Alltag zurückfinden konnten. Wenn ich aber einen Obdachlosen sehe, dann finde ich, dass man ihnen meistens nicht ansehen kann, wie es ihnen wirklich geht. Für mich haben diese Menschen alle die gleichen ausdruckslosen und gleichgültigen Gesichter.

Früher war es öfter so bei mir, dass ich gegen Obdachlose praktisch einen gewissen Hass gehegt habe. Sie waren dreckig, sie sahen schlampig aus und sie das schlimmste - sie stanken. Obdachlose fand ich ekelerregend, besonders die, die noch eine Bierflasche oder sonstigen Alkohol tranken, während sie da um Geld bettelten. Straßenmusiker fand ich fast genauso erbärmlich, besonders wenn mir diese schiefen und einfallslosen Melodien in die Ohren drangen, die ich kaum ertragen konnte. Früher war ich der Meinung, dass sich alle Obdachlosen ihr Schicksal selbst zuzuschreiben hatten und habe sie für ihre Faulheit und Dummheit verachtet. Heute weiß ich, dass es nicht so ist und versuche ihnen möglichst neutral gegenüber zu treten, auch wenn mir das nicht immer gelingt.

Ich würde es niemals so weit kommen lassen, dass ich auf der Straße leben müsste. Und wenn es doch so weit kommen würde, dann wäre mein einziger Ausweg mir selbst ein Ende zu setzen, aber dann bitte auch wenn ich ein solches Ende schon kommen sehe und nicht, wenn es schon so weit ist. Ich könnte das alles nicht ertragen, dass ziellose Leben, die abwertenden Blicke und vor allen Dingen die unhygienischen Zustände. Kein warmes Wasser, irgendwie gar kein Wasser. Und wenn ich einen Tag mal wieder einen Obdachlosen gesehen habe und dieser mir dann irgendwie im Kopf hängen geblieben ist, dann denke ich abends manchmal auch noch daran, wenn ich ein heißes Bad mit Kneipp Öl nehme und mich dann in mein frisch bezogenes warmes und kuscheliges Bett lege und die Augen schließe zu den Klängen meines iPods. Die Alternative im kalten Nassen Regen auf dem Asphalt ist nicht gerade verlockend und ich bin froh das zu haben, was ich habe. Wenigstens eine gute Sache, die die Obdachlosen uns vor Augen führen können.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


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