Sollte es Strafzahlungen für unnötige Arztbesuche geben?

vom 02.11.2019, 11:23 Uhr

Das Problem ist doch, dass man wegen Banalitäten, die von selbst weggehen, zum Arzt gehen muss. Ich meine, jeder weiß, dass die Erkältung von allein weggeht, das tut auch ein einfacher Magen-Darm-Infekt. Aber zum Arzt muss man halt trotzdem, weil der Arbeitgeber eine Bescheinigung möchte.

Und es wird ja immer schlimmer. Als meine Kinder klein waren, brauchte man im Kindergarten nur eine Gesundschreibung für Kinderkrankheiten, Läuse und andere Infektionen wie Bindehautentzündungen. Eine Bekannte muss jetzt für banalen Schnupfen zur Gesunderklärung zum Kinderarzt.

In den Niederlanden und seit ich hier selbstständig bin, sehe ich einen Arzt eigentlich seit Jahren nur, weil ich zur Kontrolle chronischer Erkrankungen hin muss. Also weil der Arzt das anordnet, mit wären größere Intervalle recht. Aber wenn ich das mit früher vergleiche, ist es nichts. Eben weil ich nicht gesünder bin, sondern für diese Bagatellen keine Bescheinigung mehr brauche.

Das niederländische System könnte da glatt ein Vorbild sein. Da meldet man sich krank und der Hausarzt wäre verwirrt, wenn man mit einer Erkältung ankommt. Der Arbeitgeber glaubt einem erst einmal und schickt bei Zweifeln oder bei schweren Geschichten den entsprechenden Dienst vorbei. Dann fallen verdammt viele Besuche weg.

» cooper75 » Beiträge: 13330 » Talkpoints: 498,67 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



cooper75 hat geschrieben:Der Arbeitgeber glaubt einem erst einmal (...)

Ich frage mich eh schon lange, warum sich dieser Misstrauensvorschuss bei uns so etablieren konnte. Realistisch betrachtet würde ich doch überhaupt niemanden im Team haben wollen, dem ich zutrauen würde, dass er einfach aus Spaß an der Freude blau macht und den Rest von uns mit mehr Arbeit und eventuellen Terminproblemen hängen lässt. So wäre überhaupt kein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis möglich. Also vertraue ich ich jedem, der sich krank meldet, dass er auch tatsächlich krank ist.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Ja, es ist ein merkwürdiges Klima hierzulande. Ich hatte nur zwei Arbeitgeber, die eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach den gesetzlichen Regeln haben wollten. Alle anderen forderten das ab dem ersten Tag. Wobei es in Irland ähnlich ist. Da braucht man auch ab Tag drei einen Schein, mit Pech endet dann auch die Lohnfortzahlung und ab Tag sechs gibt es Krankengeld. Aber das hält dann wenigstens zwei Jahre bei entsprechender Vorversicherungszeit.

» cooper75 » Beiträge: 13330 » Talkpoints: 498,67 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



Es geht hier um die Frage, ob ein Patient für sich selber entscheiden kann, ob er krank ist oder nicht. Ob er zum Arzt gehen soll, oder nicht. Bei Arbeidsongeschiktheid wird ja vom Arbeitgeber eine Bescheinigung verlangt. Der Arbeitnehmer kann sich ja schlecht selbst krankschreiben. Das ist etwas anderes als die "unnötigen" Arztbesuche der Hypochonder, das ist vom Gesundheitssystem und von den Arbeitsverträgen so vorgeschrieben.

Gegen vermeintlich "eingebildete" Kranke half auch nicht die mittlerweile wieder abgeschaffte Praxisgebühr, die ich reichlich ungerecht fand, da sie vom überweisenden Hausarzt und vom Facharzt verlangt wurde, wenn Quartalsende nahte. Eine Rückerstattung doppelt bezahlter Praxisgebühren war nicht vorgesehen. Wen trifft also eine Strafzahlung? So wie ich die Situation jetzt beurteile, den Falschen.

» Gorgen_ » Beiträge: 1059 » Talkpoints: 374,29 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Wenn man die ganzen Pflichtarztbesuche wegen einem gelben Schein los wäre, wären viele Kosten gespart und die Ärzte hätten mehr Zeit für ernsthaft Kranke und zum Gespräch, "eingebildete" Kranke brauchen. Man kann Probleme schließlich auch von anderer Seite anpacken, Gorgen. Kostensenkung und Qualitätsverbesserung wären so auch erreicht, ohne Arme zu belasten und auszuschließen.

Gesetze kann man schließlich ändern. Ob man die Regelungen für eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ändert oder Strafzahlungen einführt, der Vorgang unterscheidet sich nicht.

» cooper75 » Beiträge: 13330 » Talkpoints: 498,67 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Gorgen_ hat geschrieben:Der Arbeitnehmer kann sich ja schlecht selbst krankschreiben.

Warum eigentlich nicht? Angenommen du hast dir den Magen-Darm Virus eingefangen, der in deinem Umfeld schon seit ein paar Tagen rumgeht und du weißt, dass sich das Problem mit zwei, drei Tagen in der Nähe einer Toilette ausruhen erledigt hat - warum ist es dann in Deutschland nicht möglich dem Arbeitgeber das genau so mitzuteilen? Warum sieht sich der dann außerstande dir das zu glauben und verlangt von dir, dass dir ein Arzt genau das bestätigt, was du eh schon selber weißt? Das ist doch die Definition eines völlig unnötigen Arztbesuchs.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Cloudy24 hat geschrieben:Warum eigentlich nicht? Angenommen du hast dir den Magen-Darm Virus eingefangen, der in deinem Umfeld schon seit ein paar Tagen rum geht und du weißt, dass sich das Problem mit zwei, drei Tagen in der Nähe einer Toilette ausruhen erledigt hat - warum ist es dann in Deutschland nicht möglich dem Arbeitgeber das genau so mitzuteilen?

Mitteilen muss man das so wie so telefonisch, wenn man nicht pünktlich am Arbeitsplatz erscheinen kann, sei es auch nur, dass man im Stau steckt.

Aber das reicht nicht, dass der Arbeitgeber auch Lohnfortzahlung hinterher von der Steuer oder sonstwie absetzen kann. Der Manipulation wären sonst Tür und Tor geöffnet. Wie sagte schon Genosse Lenin: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Die Revolution tritt in die Phase der bürokratischen Reorganisation ein."

» Gorgen_ » Beiträge: 1059 » Talkpoints: 374,29 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Und was ändert das am heutigen Zustand? Jede Stadt hat mindestens einen Doc Holiday und auch bei einem gründlichen Arzt gibt es immer einen gelben Schein, wenn man denn will. Dass das System nicht funktioniert, zeigen doch die Zahlen. Wir sind Vize-Weltmeister hinter Mexiko und fehlen fast doppelt so lange wie die Niederländer. Dänen fehlen seltener als wir, obwohl ein Krankenschein absolut unüblich ist und vom Arbeitgeber teuer bezahlt werden muss. Die Schweden fehlen auch nicht länger, obwohl der Schein erst nach einer Woche fällig wird.

» cooper75 » Beiträge: 13330 » Talkpoints: 498,67 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


cooper75 hat geschrieben:Wir sind Vize-Weltmeister hinter Mexiko und fehlen fast doppelt so lange wie die Niederländer. Dänen fehlen seltener als wir, obwohl ein Krankenschein absolut unüblich ist und vom Arbeitgeber teuer bezahlt werden muss. Die Schweden fehlen auch nicht länger, obwohl der Schein erst nach einer Woche fällig wird.

Zum einen sollte mal hier die Arbeitswelten vergleichen. Kann man wirklich die Arbeitsumstände skandinavischer Länder mit Deutschland vergleichen? Ich weiß es selber nicht konkret, aber zumindest gefühlt erzählen Auswanderer überall immer, dass das Arbeiten dort viel toller und angenehmer wäre. Von daher wäre ich mir jetzt nicht so sicher, ob man allein den Unterschied gelber Schein vom Arzt oder gelber Schein selber ausfüllen, dafür verantwortlich machen kann, ob Menschen mehr oder weniger fehlen.

Auch sollte man hier nicht so tun, als wären Krankenschein erst ab dem dritten Tag die absolute Ausnahme. Ich habe nun in mehreren Unternehmen gearbeitet sowohl vor meinem Studium, dann parallel dazu und nun eben auch als Akademiker. Und noch nie musste ich am ersten Tag einen Krankenschein abgeben. Und ehrlich gesagt, kenne ich das auch aus meinem Umfeld von niemandem. Es mag natürlich auch viele Arbeitgeber geben, die das anders handhaben, aber der Krankenschein ab dem dritten Tag ist in meinem Empfinden nicht eher die Ausnahme.

Aber mal ganz davon abgesehen. Ich sehe keinesfalls, dass die Krankenscheinabholer nun unser Gesundheitssystem sprengen. Das halte ich für Unsinn und ich glaube ich kann das schon ganz gut beurteilen. Wenn es um einen Krankenschein geht, dann hab ich den in 2 Minuten fertig und das war es. Das hält mich kaum auf. Da gibt es ganz andere Experten, die selbst wegen Bagatellerkrankungen extrem fordernd sind. Da gibt es Patienten, die wollen wegen jedem kleinen Rückenschmerz sofort ein MRT haben oder wegen Kopfschmerzen, weil sie den ganzen Tag bei 40 Grad draußen nichts getrunken haben ein CT, weil sie meinen eine Hirnblutung zu haben.

Wenn man solchen Leute erzählt, was medizinisch sinnvoll ist, dann ist man da nicht in 2 Minuten durch und wenn man denen dann doch das CT oder MRT aufschreibt, weil man die sonst nicht aus dem Sprechzimmer bekommt, dann kostet das für die Gemeinschaft mehr als 10 unnötige Krankenscheine. Und solche Patienten werden eher mehr.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


Häufig kann ich aber doch als Patient gar nicht beurteilen, ob ein Arztbesuch sinnvoll oder unnötig ist, oder? Wenn man unklare Beschwerden hat, wird doch auch häufig empfohlen, diese ärztlich abklären zu lassen, insbesondere, wenn sie schon länger bestehen. Und wenn sich dann herausstellt, dass keine ernsthafte Erkrankung dahintersteckt, soll ich dann noch eine Strafzahlung leisten? Ist es also sinnvoller, Arztbesuche so lange rauszuzögern, bis die Erkrankung so weit fortgeschritten ist, dass kein Irrtum mehr möglich ist?

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» lascar » Beiträge: 4414 » Talkpoints: 782,29 » Auszeichnung für 4000 Beiträge


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