Französische Insolvenz - Anerkennung in Deutschland

vom 19.03.2009, 00:31 Uhr

Letztens habe ich einen Bericht über die französische Insolvenz bzw. das Insolvenzverfahren in Frankreich gelesen da viele Deutsche ins Elsass abwandern, dort 3 Jahre aushalten, die französische Regelinsolvenz mitmachen und dann schuldenfrei sind - auch in Deutschland!

So wie ich das mit der Regelinsolvenz dort drüben verstanden habe ist das genau wie die Verbraucherinsolvenz hier, nur mit dem Unterschied, dass es nur 3 Jahre statt 7 Jahre dauert und um ein vielfaches bequemer und einfacher zu sein scheint. Das ganze scheint aufgrund der EU für jeden möglich zu sein, solang man einen Wohnsitz in Frankreich während der Insolvenz hat.

Aber wird diese Insolvenz überhaupt in Deutschland anerkannt? Ich kann mir das nicht so recht vorstellen, denn wenn es soviel einfacher und bequemer ist - warum macht dass dann nicht jeder der Schulden hat? So teuer und aufwändig ist das schließlich nicht.

» Gottzilla » Beiträge: 13 » Talkpoints: 0,00 »



Die französische Insolvenz per se gibt es nicht, auch in Frankreich wird zwischen der Privatinsolvenz und der Firmeninsolvenz unterschieden. Was Du meinst ist die Privatinsolvenz / "EU Insolvenz" bzw. richtig: Rétablissement personnel! Ich versuch Dir mal vorweg ein paar Fragen zu beantworten, denn irgendwie hast Du da einiges vermischt, ich fang für das ganze dann mal von vorn an, dass ist glaube ich leichter zu verstehen als hier den Gaul von hinten aufzuzäumen.

Warum nicht jeder diese Form Privatinsolvenz wählt? Weil es doch ziemlich kostspielig ist im Gegensatz zur deutschen Verbraucherinsolvenz, wobei hier gilt: Je besser man französisch kann, desto billiger wird es da alle Behördengänge auf französisch abgewickelt werden müssen auch wenn das Elsass größtenteils "deutschsprachig" dominiert ist. Deutschsprachig, weil das Deutsch dort eher ein deutscher Dialekt ist, das kannst Du Dir vorstellen wie ein Friese der nach Sachsen fährt - man versteht sich halt, aber mehr nicht :wink:. Trotzdem kommt man um Französisch nicht herum, da dies nun einmal Amtssprache ist und jeglicher Schriftverkehr usw. in Französisch abgewickelt werden muss. Als Beispiel: Ein Holländer kann in Norddeutschland auch nicht alles in Holländisch bei den Ämtern beantragen, auch wenn man es vielleicht verstehen würde.

Dazu kommt, dass bei der Rétablissement personnel ein französischer Anwalt Pflicht ist - ohne geht es nicht und der kostet nun einmal. Die Verfahrenskosten für die private Insolvenz kann man hier im schlechtesten Fall mit bis zu 15.000 Euro ansetzen - vor allem wenn alle Behördengänge mangels Französisch von einem Dritten erledigt werden müssen - nur um Dir mal einen Überblick zu geben, wie "billig" das ganze ist.

So, nun mal das ganze von vorn, wie das bei der Privatinsolvenz (Rétablissement personnel) in Frankreich abläuft:

Die Privatinsolvenz / Rétablissement personnel (Faillite personnelle) gliedert sich in 2 einzelne Verfahren:
1. Faillite civile - Das ist prinzipiell überall in Frankreich möglich. Problem hier: es gibt hier keinen rechtlichen Anspruch seitens Schuldners (und Antragsstellers) - über Ja und Nein entscheidet der französische Insolvenzrichter.
2. Faillite civile - Sonderverfahren - dieses ist im Grunde nur in den Kreisen (?) Moselle, Haut-Rhin und Bas-Rhin möglich, hierbei handelt es sich um eben dieses verkürzte Privatinsolvenzverfahren. Weil dies nur in Moselle, Haut-Rhin und Bas-Rhin möglich ist ist das für viele Deutsche (neben dem Sprachvorteil wenn man dort lebt) einer der Hauptgründe für die Insolvenz im Elsass.

Das Verfahren zur Privatinsolvenz wird beim Tribunal de Grande Instance und dort bei der Chambre civile entweder durch den Schuldner, das Gericht, die Staatsanwaltschaft oder gar durch die / den Gläubiger eröffnet. Warum man hierfür in eines der Départments ziehen muss? Weil der Wohnort über das zuständige Gericht entscheidet. Hierfür braucht man einen Anwalt, ohne geht es nicht! Zwingende Voraussetzungen für eine erfolgreiche Eröffnung durch den Anwalt sind hier, dass
- Zahlungsunfähigkeit (insolvabilité notoire) besteht,
- Angaben ehrlich und aufrichtig (bonne foi) gemacht werden und
- man auch seinen Wohnsitz und Lebensmittelpunkt ebenda hat.

Bis hierhin im Grunde fast wie in Deutschland, wobei ich gleich sage, dass in Frankreich als Zahlungsunfähigkeit gilt wenn diese aus einem Vermögensfall resultiert, der nicht rückgängig gemacht werden kann und nicht mehr mit einer Besserung (wie in Deutschland) gerechnet werden kann, also der Möglichkeit, sich alleine aus der Zahlungsunfähigkeit ohne entsprechendes Verfahren zu befreien (heißt dort: "hoffnungslose Insolvenz") und: Die Schulden dürfen nicht aus eigener Schuld gemacht worden sein (z. B. Verpflichtung eingegangen trotz des Wissens diese nicht begleichen zu können).

Der Lebensmittelpunkt ist insofern definiert, dass mehr als 51% der Zeit des Aufenthalts, also 183+ Tage, in Frankreich verbracht werden müssen. Außerdem kann man nicht einfach rüberziehen und die private Insolvenz beantragen, sondern man muss eben diese Zeit (halbes Jahr) bereits vorher dort gelebt haben (§ 1 (2) DO). Briefkastenadressen gelten nicht und es müssen auch sonstige Verpflichtungen (Konto, Telefonanschluss usw.) nachgewiesen werden sowie die Dèclaration d`Arriveè und das Certificat de Domicile beigebracht werden.

Alles wird vor Eröffnung durch einen französischen Gerichtsvollzieher geprüft, also wie die finanzielle und soziale Situation konkret aussieht (ob bei dem Schuldner z. B. noch was zu holen ist oder nicht). Auch in Frankreich gibt es Pfändungsgrenzen (Code de la Sécurité Sociale Art L. 355-2; Code du Travail Art L. 145-1 ff).

Wie in Deutschland gibt es auch hier Vorschriften, nach welchem Schlüssel wer vom Schuldner bedient werden muss, das ist im Code de commerce Art 625-7ff & 643-1f genau geregelt - im Grunde ist das eher nebensächlich, da die wenigsten überhaupt genug Geld haben werden, alle zu bedienen und die Rangfolge ist fast die gleiche wie in Deutschland. Wichtig ist nur, dass z. B. Gläubiger innerhalb einer 4 Monatsfrist nach Bekanntgabe der Verfahrenseröffnung ihre Ansprüche beim zuständigen Gericht anmelden müssen - das Problem ist für diese, dass die Veröffentlichung im BODACC (sozusagen das französische Amtsblättchen, welches nur regional veröffentlicht wird) geschieht. Es kann also sehr gut möglich sein, dass man als Gläubiger in Deutschland überhaupt keine Kenntnis davon erhält!

Dauer des Verfahrens
So, hier gibt es schon einmal große Unterschiede - denn es gibt nicht wie in Deutschland eine festgelegte Dauer, sondern die Dauer des Verfahrens wird individuell bemessen, heißt: Es kann 12 Monate und weniger dauern (damit wird hierzulande gern geworben) oder ein paar Jahre. 3 Jahre sind mehr oder weniger ein Mittelwert bzw. häufig in der Praxis anzutreffender Höchstwert (es geht aber auch länger!). Ist die Dauer festgelegt hat der Insolvenzverwalter einen Zeitraum von 2 Monaten zur Verfügung, die Anerkennung der Forderungen zu verhandeln.

Nach dem Abschluss des Verfahrens (wie gesagt, Dauer bestimmt das Gericht) wird die private Insolvenz im Verzeichnis über Verbraucherinsolvenzen für 8 Jahre eingetragen, es erfolgt kein Eintrag im Zentralregister (für viele wichtig).

Wohlverhaltensphase (?)
Tja, die gibt es in Frankreich nicht, heißt: Verfahren vorbei, die Schulden sind durch die automatische Restschuldbefreiung (siehe Code de commerce, Art 643-11) zum Verfahrensende weg (außer die, die auch in Deutschland nicht durch die Verbraucherinsolvenz verfallen, z. B. Steuerschulden, Unterhaltszahlungen), das war`s! Hier kann auch kein Gläubiger im Nachhinein kommen und noch Forderungen geltend machen auch wenn man gleich danach wieder nach Deutschland umzieht.

Zu den Kosten
Das Verfahren an sich ist übrigens kostenlos. Falls Du Dich fragst wie ich auf die Kosten komme, ganz einfach: Diese sind mehr oder weniger festgelegt da man bestimmte Dienste in Anspruch nehmen muss, genau aufgeschlüsselt heißt das:
- Der Gerichtsvollzieher kostet und Verfahrensveröffentlichung im BODACC (Code de commerce, Art 663-1), diese Kosten sind noch recht variabal, aber mindestens dreistellig!
- Der liquidateur judiciaire, der administrateur und der mandataire judiciaire, welche zwingend benötigt werden verlangen pauschal für ihre Dienste 2735,- € inkl. MwSt. sowie zusätzlich mindestens 8205,- €! Die Höher der variable Vergütung von mindestens 8205,- Euro richtet sich danach, wieviel Geld diese noch aus dem Schuldner "herausholen" können, rein theoretisch gibt es hier keine Grenze nach oben.
- Der Anwalt will ebenfalls bezahlt werden - diese richten sich teilweise aber nicht komplett nach der Gebührenordnung für Anwälte (gibt es auch in Frankreich :wink:). Diese können aber zum Teil noch durch Prozesskostenhilfe gedrückt werden, aber ich würde damit nicht rechnen.

Zur Anerkennung
Ja, das ganze ist rechtlich einwandfrei und auch ohne Ausnahme in Deutschland gültig, da die "EU Insolvenz" höchstrichterlich vom BGH in dem Urteil IX ZB 51 / 00 (18.09.2001) anerkannt wurde.

Fazit: Wenn der Schuldner nicht betrügerisch jede Menge Geld unter dem Bett oder bei Freunden gehortet hat ist die französische private Insolvenz nicht besser als die deutsche, im Grunde sogar noch schlechter da nach Verfahrensende ein neuer Schuldenberg winkt aufgrund des nicht gerade billigen Verfahrens. Die Komplexität der französischen Insolvenz und die sich daraus ergebenden finanziellen Verpflichtungen sollten Dir also Antwort genug sein, warum das eben kaum jemand macht - und wenn, warum es sich dann meist um ehemalige Selbstständige handelt, die "seltsamerweise" nach Verfahrensende auch plötzlich die 10.000 - 15.000 Euro zahlen können um wirklich schuldenfrei zu sein :wink:.

P.S.: Ausführlich ist das ganze noch komplizierter, nicht umsonst ist das teilweise Semesterthema, das ganze ist im Grunde nur ein "kurzer" Abriss - wenn Du noch Fragen hast, frag.

P. P.S.: Als kleine "Anekdote" - dass nur hier im Elsass hier eine besondere Form des französischen Privatinsolvenz besteht ist dem deutsch-französischem Krieg 1870 / 71 zu "verdanken" da hier bis zur Abtrennung Elsass-Lothringens deutsches Recht galt. Die Privatinsolvenz ist sozusagen ein Mischmasch aus französischem Recht und (altem) deutschem Recht.

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