Jeder zweite in Deutschland ein Fall für den Psychologen?

vom 23.11.2011, 16:06 Uhr

Ja Cid, ich bin immer noch der Meinung wie in meinem Eingangsposting. Ich denke immer noch, dass die Leute heutzutage nicht mehr belastbar sind. Früher hatte man einfach mal das "heulende Elend", wie meine Oma manchmal sagte, wenn sie schlecht drauf war. Aber das ging einfach vorbei ohne dass man zum Seelendoktor musste. Heute sind es Depressionen und wie SuperGrobi auch schreibt, war es früher einfach ein unruhiges Kind und heute sind es ADS und ADHS Symptome. Nicht nur der Seelendoktor ist da gefragt, sondern es werden auch viel zu schnell starke Medikamente verschrieben.

Schon Kinder sind heute einfach nicht mehr ausgeglichen. Früher konnten die Kinder sich austoben und waren dann zu hause auch ruhiger. Heute gehen sie im Haus über Tisch und Bänke und haben ADHS. Ich denke heute, dass die Eltern schon viel daran Schuld sind, dass sich psychische Erkrankungen häufen. Welches Kind kann sich denn heute noch draußen so austoben, dass sie müde ins Bett fallen, weil sie sich einfach verausgabt haben? Und da fängt es doch schon an, dass die Kinder nicht belastbar sind.

Und ja, ich finde, dass man das mit dem Krieg schon vergleichen kann. Heute kommen die Soldaten von Auslandseinsätzen und sind psychisch fertig, während man früher sich auf zu hause gefreut hat und das Beste draus gemacht hat.

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge



Ich sehe das genau so, wie du. Die Kinder von früher und später die Jugendlichen hatten mehr Freizeit und konnten sich in dieser austoben. Heute wollen alle Eltern ihre Kinder zu kleinen Alleswissern machen. Auf den Spieltrieb wird keine Rücksicht genommen. Ist die Schule vorbei, wird das Essen verschlungen und dann geht’s wieder los, in irgendeinen Verein, zum Ballett, zur Nachhilfe oder zum Musikunterricht. Solche Kinder müssen krank werden, weil sie überfordert sind. Bleibt ihnen etwas Freizeit, sitzen sie am Computer. Wen wundert es da, wenn die Psychologen überlastet sind.

Diese Kinder machen dann als Jugendliche noch die Bekanntschaft mit Alkohol und Drogen. Diejenigen, die noch nicht in Behandlung waren, versuchen es nun mit psychologischer Betreuung. Viele sind es auch von den Eltern gewohnt, dass diese psychologisch behandelt werden und sehen das als normal an.

Es ist in meinen Augen die Generation der Eltern, die ihre Kinder überfordert. Viele Eltern arbeiten beide und die Kinder sind sich selbst überlassen. Auch das war früher nicht normal, aber heute nötig. Hinzu kommen die ganzen elektronischen Geräte, die es früher auch nicht gab. So wird sich die Situation von Jahr zu Jahr verschlechtern. Aber einen positiven Ausblick sehe ich nicht.

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge


Zunächst ist es einmal so, dass inzwischen viel mehr Diagnosen gestellt werden, weil heute einfach viel mehr Möglichkeiten und mehr Bewusstsein dafür besteht. Früher wurde jemand einfach als sonderbar abgetan, heutzutage wird das als psychologisches Problem diagnostiziert. Von daher muss man schon etwas aufpassen, wie man genau diese Zahlen interpretiert.

Ich glaube aber dennoch, dass die Belastbarkeit der Leute im generellen abgenommen hat. Psychische Probleme entstehen ja nicht zwingend durch die äußere Situation, sondern auch durch die Interpretation der eigenen Situation. Die Leute hatten während des Krieges ihre schwierige Situation größtenteils akzeptiert und versucht, das Beste daraus zu machen. Heutzutage ist es eher so, dass jede kleine Schwierigkeit im Leben gleich als persönliche Katastrophe angesehen wird, obwohl diese Schwierigkeiten im Verhältnis zu der Situation im Krieg wesentlich weniger schlimm sind.

Es ist also die Einstellung, die psychische Probleme verursacht. Und an dieser Stelle könnte man ansetzen. Indem man das Bewusstsein für diese Probleme schafft und mögliche Gegenmaßnahmen fest in das Bildungssystem integriert, könnte man jedem jungen Menschen ein gewisses Grundwissen zur Bekämpfung von psychischen Problemen mitgeben. In vielen leichten Fällen würde dies wahrscheinlich reichen, damit jemand, der normalerweise ein Fall für den Psychologen ist, sich selbst helfen kann.

» Weasel_ » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Ich denke auch, dass früher das Wissen über psychische Erkrankungen noch nicht genügend fortgeschritten war und ich weiß außerdem, dass die älteren Herrschaften in der Altersklasse meiner eigenen Großeltern, die noch einen oder gar zwei Kriege miterlebt haben, auch deutlich härter waren, sowohl zu anderen als auch zu sich selbst. Es wäre damals sicherlich reichlich verpönt gewesen, zu einem Psychologen zu gehen und ich weiß, dass viele ihr Schicksal mit sich selbst ausgemacht haben. Dennoch gab es ja wohl schon damals auch genügend Selbstmorde und ich würde nun auch nicht davon ausgehen, dass diejenigen, die Kriege miterlebt und Schlimmes gesehen haben oder die anderen, die auf ihre Männer gewartet haben, die dann im Krieg gefallen sind, ganz einfach mit ihrem Schicksal klargekommen sind.

Wenn man an seine eigenen Großeltern denkt, fällt einem häufig genug auf, wie auffallend häufig manche von ihnen über ihre Kriegserlebnisse sprechen, während andere diese tot zu schweigen scheinen. Ich denke, dass beides deutlich macht, dass diese Erinnerungen nicht gut verarbeitet wurden. Allein, dass ein Mensch mit diesen Erfahrungen lebt, ist jedoch noch kein Anhaltspunkt darauf, dass er das gut und glücklich schafft und eine gesunde Seele hat.

Ich kenne wiederum genügend Menschen, die meinen, durchaus ohne psychologische Hilfe klarzukommen, es aber genaugenommen doch nicht tun und ihr Leben regelmäßig in irgendwelche Sackgassen steuern und von Ängsten gezeichnet sind, die sie durchaus einschränken. Dass jemand doch den Gang zu einem Psychologen für sich selbst als wichtig erachtet, konnte ich in meinem Umfeld jedenfalls noch nicht wirklich häufig feststellen, aber ich kenne wiederum einige, die das für sich absolut ablehnen.

Warum nun gerade in Deutschland so viele Fälle in der Statistik erscheinen, kann ich mir auf verschiedene Weise erklären, aber im Endeffekt ist das alles reine Spekulation. Wenn hierauf in dem Bericht, den Du gesehen hast, offenbar also nicht hinreichend eingegangen wurde, würde ich meinen, dass dieser Bericht schlecht recherchiert war. Eigentlich gehören die Gründe für solche Entwicklungen nämlich durchaus zu einer sauberen Recherche und vor allem einer gründlichen Aufklärung. Insofern wären also vielleicht auch noch andere Quellen interessant, die diese Frage nach den Gründen beantworten, gleichzeitig aber vielleicht noch etwas detaillierte Aussagen zu den Hintergründen der betroffenen Personen machen, sodass das Gesamtbild etwas strukturierter wird.

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» moin! » Beiträge: 7218 » Talkpoints: 22,73 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Das jeder Zweite ein Fall für den Psychiater ist halte ich für übertrieben, aber dass es da viele Auffälligkeiten gibt kann ich nicht bestreiten. Die wenigsten haben aber einen gewissen Krankheitswert, die meisten sind harmlose Spinner. Ich denke es fällt einem heute deutlich leichter dort hin zu gehen weil man sich in bester Gesellschaft befindet.

Wenn ich bei mir auf Arbeit meine Kollegen durchgehe dann muss ich sogar sagen dass fast jeder in irgendeiner Form ein paar Besonderheiten zeigt, mich sogar eingeschlossen. Ob das nun alles auf psychische Ursachen zurück zu führen ist vermag ich natürlich nicht zu sagen. Da hätten wir die spindeldürre Kollegin mit Essstörungen und das Pendant dazu, eine kugelrunde Frau.

Etliche die krankhaft alles kontrollieren und anweisen müssen und eine die euphorisch und voller Elan ist und in der nächsten Sekunde total niedergeschlagen und krank geschrieben wird. Eine hat sogar eine Schneephobie, sobald es anfängt zu schneien ist sie für die nächsten Wochen zu Hause. Wenn ich es mir recht überlege sind es fast nur Frauen die ein bisschen aus der Rolle fallen.

Woran das letztendlich liegt vermag ich nicht zu sagen. Möglich dass die weibliche Psyche etwas anfälliger gegenüber solchen Umwelteinflüsse ist, Frauen nehmen sich meines Erachtens schneller etwas zu Herzen als Männer und sie machen sich auch mehr Gedanken über alles Mögliche. Warum aber so viele Menschen überhaupt dazu neigen ein paar Auffälligkeiten zu zeigen liegt für mich völlig als zweite Ursache auf der Hand.

Ich denke es hat mit unserem Zeitgeist und der Oberflächlichkeit aller Informationen zu tun. Wir werden alle dermaßen mit Informationen zugeschüttet so dass wir nur noch das wahr nehmen was wir hören und sehen wollen ohne kritisch alles zu hinterfragen. Das Internet macht es ja auch jedem leicht an Informationen zu kommen die wir uns dann ungefiltert zu Gemüte ziehen können an die dann mehr oder weniger auch geglaubt werden.

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» hooker » Beiträge: 7217 » Talkpoints: 50,67 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Ich kenne durchaus auch ältere Leute, die aufgrund der Erfahrungen im Krieg durchaus einen Gang zum Psychologen nötig gehabt hätte. Das hat viele Leute sehr starkt mitgenommen, aber man redete halt nicht darüber. Man hat das versucht zu verdrängen und mit Disziplin dagegen angekämpft. Weg waren die seelischen Verletzungen dadurch aber nicht.

Damals war man aber eben anders erzogen. Wer eine psychologische Behandlung gebraucht hätte, hatte eine viel höhere Hemmschwelle, als wir damals. Schließlich wurde den Leuten das "Stark sein" über Propapganda über Jahrzehnte regelrecht eingebläut. Und wenn es dazu, wie im Krieg noch ums nackte Überleben geht, dann beißen halt die meisten die Zähne zusammen und kämpfen, ohne auf Gefühle mehr als vermeidbar zu achten.

Das heute viele einen Psychologen brauchen, hat meiner Ansicht nach sogar direkt etwas damit zutun, dass man damals einfach seelische Probleme verdrängt hat. Wenn eine psychisch verletzte Elterngeneration Kinder aufzieht, wird eben auch unterbewusst viel von den eigenen Schäden an die nächste Generation weiter gereicht, auch wenn man den eigenen Kindern nicht schaden will. Das soll kein Vorwurf sein, aber wenn man selbst eigentlich Hilfe bräuchte, dann kann man dem Kind auch keine gesunde Psychohygiene vorleben.

Ich würde die Umweltbedingungen heute nicht mit dem Krieg vergleichen wollen, denn Belastungen empfindet jeder irgendwie anders stark. Das was einen umhaut, erträgt ein anderer noch. Aber trotzdem würde ich sagen, dass man auch heute enormen psychischen Belastungen ausgesetzt ist.

Die Gesellschaft und die Arbeitswelt ist nicht überall dazu geeignet, die seelische Gesundheit der Menschen nicht zu gefährden. Und oft hat man eben auch nicht die Wahl, dass man sich aus einer seelisch aufreibenden Umgebung entfernt, weil man so schnell keinen neuen Job findet. Dass das Gift für den Menschen ist, zweifelt vermutlich keiner an.

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» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge


Was man nicht vergessen sollte, in früheren Zeiten musste man zwar stark sein, aber man wurde auch aufgefangen. Ein einfaches Beispiel ist ein Trauerfall. Heute gelten mehr als zwei Wochen tiefe Trauer als behandlungsbedürftig, früher gab es ein Jahr Trauerzeit.

In den ersten Wochen nach dem Todesfall war immer jemand aus der Familie oder ein Nachbar da. Jeder sah, dass getrauert wird und die engen Hinterbliebenen konnten Schritt für Schritt wieder ins Leben finden. Früher verlor man seinen Job selten und wenn fand man einen neuen.

Früher hat man härter und länger gearbeitet, aber zum Feierabend waren Familie und Freunde da. Die Arbeitszeiten waren kompakter, Schichtkollegen wohnten in einer Siedlung. Heute kommt der eine gegen 16 Uhr zurück, der Partner arbeitet bis 22 Uhr. Einer hat das Wochenende frei, der andere dafür in der Woche. Die verschiedenen Generationen wohnen quer durchs Land verstreut. Das belastet enorm.

» cooper75 » Beiträge: 13336 » Talkpoints: 500,20 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



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