Sind Krankenhausschließungen wirklich notwendig?

vom 17.07.2019, 11:39 Uhr

Klehmchen, jetzt tust du aber so, als ob in den anderen Ländern mit weniger Krankenhäusern und Betten das System funktionieren würde. Die Wartelisten in Großbritannien sind legendär. In Irland muss jeder für einen größeren Eingriff nach Dublin und die Wartelisten sind lang. Dänemark schickt seine Patienten wegen der Wartezeiten regelmäßig ins Ausland und in Schweden dauert es auch ewig, bis man versorgt ist.

Wir in NRW haben z. B. im bundesweiten Vergleich gar nicht so viele Krankenhausbetten, sondern liegen eher im Mittelfeld, wenn man den Bundesdurchschnitt ansieht. Und trotzdem haben wir schon massive Engpässe. Und da rede ich eben nicht von Eingriffen, die warten können oder sollten.

Einen alten Menschen mit Oberschenkelhalsbruch 76 Stunden liegen zu lassen, weil vorher kein OP frei ist, hat halt auch Nachteile. Die Mobilisation wird nicht leichter, das Risiko für eine Hüftkopfnekrose steigt. Aber trotz der hohen Dichte gab es eben kein Krankenhaus im Umreis, das schneller konnte. Jemanden mit Riss in der Aorta aus der zuständigen Klinik in eine andere zu fliegen, weil man theoretisch die Versorgung übernehmen könnte, aber eben alles voll ist, ist auch keine Billiglösung. Die Katheterlabore sind offensichtlich ziemlich ausgelastet, wenn so ein Notfall eben keinen Platz findet. Und das geht ja an jeder Ecke so weiter. Überbelegte Zimmer haben wir ich andauernd. Es geht ja nicht darum, dass alle rumstehen und Däumchen drehen.

» cooper75 » Beiträge: 13325 » Talkpoints: 497,57 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



cooper75 hat geschrieben:Einen alten Menschen mit Oberschenkelhalsbruch 76 Stunden liegen zu lassen, weil vorher kein OP frei ist, hat halt auch Nachteile.

Kommt aber so gut wie kaum in Deutschland aus diesem Grund vor. Es gibt hier eine Qualitätssicherung bei der sich Ärzte erklären müssen, wenn sie solche Brüche länger als 24 Stunden beziehungsweise 48 Stunden nicht operieren. Hier braucht es dann gute Gründe um das zügig abarbeiten zu können. Wer da nur argumentieren kann, er hatte halt keine Kapazität, darf sich auf das nächste Peer-Review freuen mit Vor-Ort-Überprüfung und Behandlung als kleiner Junge, der zu doof ist sein Krankenhaus zu organisieren. Natürlich kommen solche Fälle vereinzelt vor. Wenn du bei plötzlichem Glatteis plötzlich vier oder fünfmal so viele Verletzte wie sonst hast, dann stößt wohl jedes Krankenhaus an seine Grenzen.

Aber im Normalbetrieb schafft es fast jedes Krankenhaus solche Brüche innerhalb von maximal 48 Stunden irgendwie in sein OP-Programm zu schieben. Problematisch sind da eher Nebenerkrankung mit Blutverdünnern, wo man abwartet. Aber auch hier gibt es einen Trendwandel. Was viel eher ein Hinderungsgrund ist, sind Versorgungen am Wochenende. Wenn da prothetisch versorgt werden muss, haben nur wenige Krankenhäuser entsprechende personelle Ressourcen am Samstag oder Sonntag eine Hüftprothese zu implantieren und lassen diese Patienten dann im blödesten Fall auch mal von Freitag bis Montag liegen. Genau das aber unterstützt ja diese Studie. Rein pragmatisch einfach aus zwei Krankenhäusern eins machen und du hast am Wochenende doppelt soviel Personal.

Natürlich ist das sehr idealistisch und in gewisser Weise eine Milchmädchenrechnung. Aber so funktioniert es nun einmal. Die Zahlen, die ich oben schrieb sind ja nicht aus der Luft gegriffen. Die stammen sogar von Ärztevertretern. Ich saß schon einmal bei einer Fortbildung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Da sah ich auch nur einen Haufen verwunderte Blicke als es hieß, im Schnitt kommen nur 2 Patienten pro Stunde in eine Notaufnahme. Aber die Zahlen lügen eben nicht. Hier in meiner Stadt gibt es auch 3 Krankenhäuser, die offiziell an der Notfallversorgung teilnehmen. Da ist aber auch eines darunter, was vom Rettungsdienst fast nie angefahren wird, da es am Stadtrand liegt und viele Menschen in der Bevölkerung wissen gar nicht, dass es dort eine Notaufnahme gibt. Die beiden anderen Versorger platzen dafür aus allen Nähten. Und so sieht es eben vielerorts aus.

Da kann man sich dann natürlich schon fragen ob gerade unter der Prämisse, dass sowohl ärztliches Personal als auch pflegerisches Personal endlich ist und nicht von jetzt auf gleich massiv mehr ausgebildet werden kann, ob es da sinnvoll ist, diese Leute in einem Krankenhaus förmlich zu verheizen und im anderen fürs Nichtstun zu bezahlen. Das sind natürlich jetzt Extrembeispiele. Aber es gibt eben Ecken in Deutschland da gibt es Überversorgungen und es gibt eben Ecken da gibt es die nicht.

Und ein ausgelastetes Katheterlabor sagt nichts über einen Versorgungsmangel aus. Es sagt nur, dass da jemand sein Labor effizient und ökonomisch betreibt. Keinem privaten Betreiber wird daran gelegen sein teure Ausstattung und Personal vorzuhalten, wenn die kein Geld einspielen. Also muss man entweder eine sehr kranke Bevölkerung für so ein Gerät haben oder man muss die Indikation zur Untersuchung so stellen, dass es voll wird. Ohne das jetzt werten zu wollen, muss man dabei schon feststellen, dass gerechnet auf die Einwohner in Deutschland drei- bis viermal so viele Herzkatheteruntersuchungen gemacht werden wie in anderen europäischen Ländern. Und trotzdem gelten wir nicht als wirklich gesünder oder leben deutlich länger. Von daher kann man zumindest Zweifel daran hegen, dass ein Ausbau der Versorgung in jedem Fall zur Verbesserung der Versorgung führt.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


Wann macht eigentlich eine Katheteruntersuchung Sinn? Ich war vor einigen Jahren nach einem länger zurückliegenden Herzinfarkt mit Kreislaufbeschwerden ins Krankenhaus gekommen. EKG war unregelmäßig, Echo und Bluttest waren normal. Beim Herzkatheter am nächsten Tag wurden mehrere Engstellen festgestellt und ich durfte mich innerhalb von 5 Minuten entscheiden, ob ich Bypass oder Stents haben wollte. Wäre die Untersuchung erfolglos gewesen, wenn nichts festgestellt worden wäre?

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Gio am 23.07.2019, 18:14, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen


Juri1877 hat geschrieben:Wann macht eigentlich eine Katheteruntersuchung Sinn? Ich war vor einigen Jahren nach einem länger zurückliegenden Herzinfarkt mit Kreislaufbeschwerden ins Krankenhaus gekommen. EKG war unregelmäßig, Echo und Bluttest waren normal.

In dem Fall eigentlich nicht, wenn man sich an Leitlinien hält. Zumindest nicht in dieser abrupten Reihenfolge. Grundsätzlich steht die Indikation, wenn es sich um Brustschmerzpatienten handelt, vor allem wenn diese auf eine medikamentöse Therapie nicht ansprechen. Auch sollte man nach Möglichkeit vorher Belastungstests durchführen und gegebenenfalls eine CT oder auch MRT Untersuchung vom Herzen oder Brustkorb. Sofern also für die anderen bildgebenden Verfahren und Belastungsuntersuchung, also zum Beispiel am EKG Fahrrad fahren, möglich sind und sich keine akute Verschlechterung des Brustschmerzbefundes zeigt, steht die Katheteruntersuchung eigentlich nicht an erster Stelle der diagnostischen Verfahren.

Und hier sieht man dann schon, dass man da durchaus Spielraum beim Befunden und Indikationsstellen hat. Die Brustschmerzsymptomatik auch Angina pectoris genannt kann man in verschiedene Schweregrade einteilen und da kann man Patienten schon schlechter einteilen als sie eigentlich sind. Ich will jetzt gar nicht sagen, dass das überall gemacht wird. Aber ich würde eben meine Hand auch nicht dafür ins Feuer legen, dass sich überall streng an die Leitlinien gehalten wird. Das muss man ja grundsätzlich auch nicht machen. Leitlinien sind ja keine Gesetze an die sich jeder Arzt zu halten hat. Sie geben aber den aktuellen Stand der Wissenschaft wieder und sagen, wie man eigentlich im Normalfall therapieren sollte. Weicht man davon ab, muss man das gut begründen können.

Und seien wir mal ehrlich, wenn da ein Arzt vor einem steht und einem erklärt, dass die Untersuchung jetzt ganz wichtig ist und man sonst vielleicht einen Herzinfarkt bekommt oder eben einen zweiten. Wer sagt denn dann schon nein beziehungsweise hat das nötige Fachwissen um die Aussage wirklich nachvollziehen zu können, ob das notwendig ist? Erst recht wenn am Ende der Untersuchung sogar noch ein Befund herauskommt? Ob die Engstellen wirklich Probleme gemacht hätten kann ja eh keiner nachweisen, da sie therapiert wurden. Mitunter hat man als Arzt ja auch einfach schon eine gewisse Intuition, die jenseits aller Leitlinien einen schon an einen krankhaften Befund denken lässt, obwohl der anfangs objektiv noch nicht abzusehen ist.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge



Nur beim Herzkatheter sieht man wirklich, wie es aussieht. Ein Belastungs-EKG ist nur zu 70 Prozent sicher. Der Bluttest funktioniert auch erst, wenn die Gefäße schon komplett verschlossen sind. Und sobald dies der Fall ist, zählt jede Minute. Deshalb finde ich den Ruf nach weniger Krankenhäusern lebensfremd. Es geht auch um die Besuche von Verwandeten und Bekannten. Die ländliche Gegend würde so noch unattraktiver werden.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Auch hier verknüpfst du wie leider viele Menschen bei diesem Thema falsch. Zum einen soll kein Mensch mit einem akuten Herzinfarkt ein Belastungs-EKG bekommen. Wird bereits im EKG ein Infarkt erkannt, gehören diese Patienten sofort ins Katheterlabor. Aber das ist ja nur ein Bruchteil der Katheterpatienten.

Und ja was erst einmal richtig ist, dass bei ansteigenden Herzenzymen in der Regel schon ein Herzinfarkt in Gange ist. Und was auch richtig ist, dass dann jede Minute schnellere Therapie die Wahrscheinlichkeit erhöht, den Infarkt mit weniger abgestorbenen Herzzellen zu überstehen.

Was aber eine völlig falsche Verknüpfung ist, ist die pauschale Aussage, dass ein Krankenhaus, was dichter an deinem Wohnort liegt, dadurch die Wahrscheinlichkeit der schnelleren Therapie erhöht. Denn in dem konkreten Fall würde das bedeuten, dass jedes Krankenhaus in der Notfallversorgung auch ein Herzkatheterlabor haben müsste. Haben sie aber nicht. Und weißt du was? Trotzdem steht außer in der Uckermark, flächendeckend ein Katheterlabor in weniger als einer halben Stunde Fahrzeit zur Verfügung. Was aber wenn man nun erst in ein Krankenhaus ohne Katheter geht? Dann wartest du dort bereits unnötig bis alle Befunde zusammengetragen sind, dann muss die Verlegung organisiert werden und dann muss noch die Verlegung gefahren werden. Da geht bei extrem geschultem Personal und perfektem Netzwerk mindestens eine halbe Stunde Zeit zusätzlich drauf und wenn das nicht so perfekt läuft mindestens 1 bis 2 Stunden. Und nun sag noch einmal, dass jede Minute zählt.

Zudem stellt sich dann auch die Frage, ob dann auch sofort in den Katheter kommst. Es gibt ja durchaus Krankenhäuser, die betreiben so eine Abteilung mit 2 Kardiologen. Glaubst du da ernsthaft, dass dort jeder Fall dann auch um Mitternacht noch versorgt wird und nicht bis zum nächsten morgen liegen gelassen wird, wenn man zum Beispiel in der Urlaubszeit weiß, dass der eine Arzt der da ist 14 Tage am Stück durchgängig Bereitschaft hat? Und genau so sieht in vielen kleinen Krankenhäusern die Realität aus.

Da kann man schon hinterfragen, ob es da am Ende des Tages nicht sinnvoller ist, solche Miniabteilungen oder eben Minikrankenhäuser mit 50 Betten zu schließen und gewisse Mindestanforderungen an Personal und Ausstattung vorzugeben, die nötig sind um auch in der Realität 24 Stunden am Tag eine Notfallversorgung auf ähnlich konstantem Niveau durchzuführen.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


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