Mit psychischer Krankheit anderen Menschen pflegen?

vom 15.05.2018, 08:39 Uhr

Aus der Familie meiner Freundin ist nun jemand erkrankt und zum Pflegefall geworden. Die Person wünscht sich aber, zu Hause gepflegt zu werden. Nun gestaltet sich das schwierig, da diese Person keinen Partner mehr hat und sich dann die Kinder und auch Enkel um sie kümmern müssten.

Nun wurde meine Freundin gefragt, ob sie sich nicht der Pflege annehmen könnte. Sie hat auf dem Gebiet absolut keine Erfahrungen und leidet selbst unter schweren Depressionen. Aktuell ist sie recht labil, da sie die Krankheit des Familienmitglieds doch zusätzlich noch sehr belastet. Außerdem müsste sie sehr weit fahren und könnte dann vielleicht nur noch an den Wochenenden nach Hause. Sie hat mir gesagt, dass sie sich damit total überfordert fühlt. Es wären sicherlich noch andere da, um zu helfen. Aber hauptsächlich sollte sie dann wohl bei dem Familienmitglied wohnen und sich kümmern.

Sie meint, dass sie sich schuldig fühlen würde, wenn sie das nun nicht machen würde. Aber sie meint selbst, dass es sie sicherlich überfordern würde und ihrer Psyche noch mehr schadet. Sie möchte nun auch mit ihrem Psychologen darüber sprechen. Aber selbst ihr Partner meint, dass er nicht so begeistert ist, weil er Angst hat, dass es ihre psychische Gesundheit noch mehr belastet. Er würde sie aber unterstützen, wenn sie es machen möchte.

Haltet ihr es für sinnvoll, wenn man selbst recht labil ist, einen anderen Menschen zu pflegen? Meint ihr, dass man das durchaus schaffen kann? Ist es verständlich, dass meine Freundin da Druck empfindet und niemandem im Stich lassen möchte? Habt ihr schon ähnliche Situationen erlebt?

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



Hast du dich schon einmal ansatzweise mit der Situation von pflegenden Angehörigen beschäftigt? ich finde die Annahme, dass die alle gesund und belastbar sind, extrem weltfremd. Viele pflegende Angehörige haben körperliche und seelische Schwierigkeiten und das durchaus, bevor es mit der Pflege losgeht.

Da pflegen etwas Demente total Bettlägerige, Menschen mit Bandscheibenvorfällen wuchten ihre Liebsten von A und nach B und die wenigsten haben zu Beginn Erfahrung. Die meisten müssen ihr Leben komplett umkrempeln und die Situation nimmt auch keine Rücksicht auf Depressionen oder ähnliche Befindlichkeiten.

Ob man pflegt oder nicht, das ist eine ganz persönliche Entscheidung. Und wahrscheinlich kommt man irgendwann an den Punkt, an dem man es nicht komplett ohne Unterstützung schafft. Aber Entfernung oder geistige Befindlichkeiten und Schuldgefühle vorzubringen, das ist einfach feige. Das zeigt nur, dass man eigentlich nicht möchte, aber die Schuldgefühle und die Reaktion der anderen führen zum Herumlavieren. Das empfinde ich als unreif und um Verständnis heischend.

Es ist ok, nicht zu pflegen. Aber dann steht man dazu und macht nicht so ein Drama draus. Das hilft dem Betroffenen und den anderen Angehörigen nicht und belastet nur zusätzlich. Manchmal muss man sich eben zurücknehmen und zu seiner Entscheidung stehen. Die anderen haben genug damit zu tun, eine Lösung zu finden und haben sicher nicht den Nerv, sich jetzt auch noch um die Empfindlichkeiten von jemandem zu kümmern, der nicht pflegen möchte, aber ganz viel Aufmerksamkeit braucht! Man kann es natürlich auch tun, dann bitte aber auch ohne Drama, die Situation ist so schon wer genug.

» cooper75 » Beiträge: 13330 » Talkpoints: 498,67 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Ich bin auch der Meinung, dass die Situation, wenn ein Angehöriger pflegebedürftig wird, schon schlimm genug ist und dass niemandem gedient ist, wenn man noch zusätzlich Drama darum macht. Es mag herzlos klingen, aber für mich gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder es findet sich jemand im Familienkreis, der die körperlichen, psychischen und logistischen Möglichkeiten hat, diesen knallharten Knochenjob zu übernehmen, oder man zieht die Profis hinzu.

Es ist niemandem gedient, wenn sich jemand abarbeitet, der es aus welchen Gründen auch immer schlicht nicht schafft, und die betroffene Person dann aus Unwissenheit oder Überforderung schlecht gepflegt oder gar misshandelt wird. Auf gut deutsch: Da können sich Oma und Opa noch so sehr "wünschen", nicht ins "Heim" zu müssen, wenn die Alternative darin besteht, daheim mangels Manpower oder Erfahrung vernachlässigt oder noch kränker zu werden, muss man eben in den sauren Apfel beißen oder sonst eine Alternative finden wie etwa eine bezahlte Betreuungsperson, die bei dem Pflegebedürftigen einzieht.

Es gibt bestimmt viele Leute, die ihre Angehörigen pflegen, obwohl sie selber nicht fit sind, aber ich persönlich sehe keinen Sinn darin, die Gesundheit von mehr als einem Betroffenen vollends zu ruinieren, nur damit jemand daheim vor sich hin vegetieren kann. Tatsache ist eben, dass nicht bei jedem Pflegefall ein gesundes, fittes, psychisch stabiles und williges Familienmitglied bereitsteht und sich viele Betroffene über Jahre hinweg mühsam durchimprovisieren müssen.

» Gerbera » Beiträge: 11292 » Talkpoints: 42,29 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Natürlich sind nicht alle Menschen fit, die einen anderen pflegen. Ich denke, dass es auch einfach mit Können zu tun hat. Manchen Menschen bereitet es weniger Schwierigkeiten als anderen. So kann ja auch nicht jeder in einem Pflegeberuf arbeiten. Ich denke nur, dass solche Erkrankungen wie bei meiner Freundin dies dann noch erschweren und es sicher nichts bringt, wenn sie dann auch da hängt und nichts mehr geht und die Familie dann am Ende zwei Personen hat, um die sich gekümmert werden muss.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



Nelchen hat geschrieben:Ich denke nur, dass solche Erkrankungen wie bei meiner Freundin dies dann noch erschweren und es sicher nichts bringt, wenn sie dann auch da hängt und nichts mehr geht und die Familie dann am Ende zwei Personen hat, um die sich gekümmert werden muss.

Du hast offensichtlich nicht begriffen, worum es hier geht. Es spielt nicht die geringste Rolle, warum jemand eine Pflege übernimmt oder nicht übernimmt. Einzig relevant ist nur, dass man sich entscheidet, darum kein Aufhebens macht und diese Entscheidung auch konsequent durchzieht. Sich hinzustellen und darüber zu jammern und sich zu rechtfertigen, warum man es doch nicht tun möchte und dann gleichzeitig den Segen und das Verständnis der Angehörigen durch die Jammerei einzuholen ist doch unterstes Niveau, mal ehrlich.

Die Angehörigen der zu pflegenden Person werden jetzt andere Sorgen haben als so einer Kombination aus Jammerlappen und Dramaqueen zuzuhören. Das sollte man respektieren und sich nicht durch sein Verhalten permanent in den Vordergrund drängen.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge


Wenn deine Freundin in einem Rollstuhl säße oder mit schwerem Rheuma teilweise an Krücken ginge und sie so eine Bitte aus ihrer Sicht berechtigt ablehnen würde, hätte sie dann eben solche Schuldgefühle wie jetzt? Oder könnte es nicht vielleicht daran liegen, dass Leute, die aufgrund einer psychischen Erkrankung berentet sind, immer wieder selbst dem Glauben unterliegen, dass es doch schon irgendwie gehen könnte? Nur weil man von außen nichts sieht, heißt das ja nicht, dass man halbwegs fit und belastbar ist.

Ob sie das schafft, können wir von hier nicht beurteilen, eigentlich kann das außer ihr keiner und nicht mal sie selbst bis ins Letzte. Es gibt Menschen, die wachsen da völlig über sich hinaus, sogar solche, denen man das gar nicht zugetraut hätte und die plötzlich trotz einer eigenen Krankheit tolle Arbeit leisten. Und dann gibt es Menschen, die ein ganzes langes Leben sehr taff und leistungsstark wirkten, unter der Pflege aber einknickten und ihr Leben nur noch mit Benzodiazepinen überstehen konnten.

Man muss sich nicht schämen oder schuldig fühlen, wenn man ehrlich gesteht, sich selbst das überhaupt nicht zuzutrauen. Insgesamt habe ich aber auch das Gefühl, dass die Freundin ihre Entscheidung innerlich schon längst getroffen hat, aber sich jetzt von außen Absolution holen will und Rat, wie es der Familie verkauft werden soll.

» Verbena » Beiträge: 4789 » Talkpoints: 3,77 » Auszeichnung für 4000 Beiträge


Meiner Meinung nach belastet die Pflege eines Menschen schon immer die Psyche, es muss sich meiner Meinung nach nicht einmal um einen Angehörigen handeln. Aber ich denke auch, dass man selbst mit schwersten Depressionen diese Aufgabe meistern kann. Man darf sich selbst jedoch niemals aus den Augen verlieren und sollte Pausen einbauen, in denen man sich um seine Seele kümmert. Selbstfürsorge halt.

Was mich stutzig macht, ist dass sie dann hauptsächlich bei dem kranken Angehörigen wohnen soll? Scheinbar hat sie ja einen Partner und eine Familie. Also möchte sie das überhaupt? Sie kann die Pflege schon schaffen, aber bleibt sie dann nicht komplett auf der Strecke. Ich finde, sie sollte sich die Pflege mit den anderen Angehörigen teilen, so kann sie sich auch noch um ihre Belange kümmern und kann auch mal auf sich aufpassen.

Sie muss sich weder schuldig fühlen, noch Schamgefühle hegen. Sie kann es einfach nicht in der Art wie sie es gerne möchte und mal ganz ehrlich, was bringen der Familie zwei kaputte Menschen, weil der eine Mensch sich aufgeopfert hat? Ich würde die Arbeit aufteilen.

Ich leide selbst unter einer psychischen Erkrankung und würde mir die Arbeit schon zutrauen. Besonders da ich aus der Pflege komme. Aber ich denke auch, dass ich auf Dauer ausbrennen würde, wie es bei vielen Angehörigen die pflegen passieren kann. Daher würde ich mir die Arbeit wirklich aufteilen, damit es mir und auch den Anderen gut gehen kann.

» Wibbeldribbel » Beiträge: 12546 » Talkpoints: 0,94 » Auszeichnung für 12000 Beiträge



Wibbeldribbel hat geschrieben:Was mich stutzig macht, ist dass sie dann hauptsächlich bei dem kranken Angehörigen wohnen soll? Scheinbar hat sie ja einen Partner und eine Familie.

Ich lese aus dem Text nicht heraus, dass sie eigene Kinder hat. Ich weiß nicht, wie du darauf kommst. Wenn sie Kinder hätte, hätte das da doch gestanden. Manche Menschen definieren "Familie" eben so, dass damit die Geschwister und Eltern gemeint sind und nicht eigene Kinder oder ein (falls vorhanden) Partner. Ich gehe davon aus, dass die Freundin gar keine Kinder und auch gar keinen Job hat, sonst würde man ja gar nicht auf die Idee kommen, dass sie dazu in der Lage wäre, die Pflege weitab von ihrem Heim zu übernehmen.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge


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