Haben Nerds immer ein kindliches Gemüt?

vom 11.12.2013, 11:14 Uhr

Durch meine Söhne kenne ich so einige Jugendliche, die ich nach meinem Verständnis von Nerd als solche bezeichnen würde. Mir ist aufgefallen, dass sie alle in gewisser Hinsicht ihr kindliches Gemüt bewahrt haben. Sie schauen sich Sendungen an und spielen Computerspiele, die in die Märchen- und Sagenwelt passen und wo es zwischen gut und böse wenig Differenzierungen gibt. Einer schwärmt für "My little Pony", das ich eher kleinen Mädchen zuordnen würde. Diese Nerds sind nett und höflich und lachen über harmlose Dinge. Andererseits sind sie zum größten Teil überdurchschnittlich intelligent und interessieren sich durchaus für das reale Weltgeschehen.

Habt ihr auch die Erfahrung gemacht, dass Nerds in gewisser Weise ein kindliches Gemüt haben? Braucht man das vielleicht sogar als Mann, um in der heutigen, komplexen Welt zurecht zu kommen, um nicht zu verzweifeln - an den Kriegen, der Umweltverschmutzung, den Frauen?

» anlupa » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Die große Frage wäre erst einmal, wie man den Nerd-Begriff überhaupt genau definiert. Da gehen die Meinungen ja teilweise schon ziemlich auseinander. Für den einen Menschen ist ein Nerd lediglich ein überdurchschnittlich intelligenter Mensch mit Sonderinterressen, der mit vielen Mainstream-Hobbies und -Themen wenig anfangen kann, und bei dem daher ein wenig der soziale Anschluss fehlt. Für manche Menschen hingegen muss ein Nerd sich unbedingt mit technischen Dingen, gerade mit dem IT-Bereich, auskennen. Für manche gehört ein kindliches Auftreten dazu, für manche das Interesse an Comics, und wieder andere Leute finden, dass zum Nerd-Sein sogar ein bestimmter Kleidungsstil dazugehören würde. Welche dieser Definitionen sollte man nun gelten lassen?

Nehmen wir mal das Beispiel auf Wikipedia.de. Wikipedia ist nun zwar auch nicht der Weisheit letzter Schluss, aber vielleicht auch gar kein so schlechtes Mittel, die geläufige Definition mal nachzulesen. Dort steht, als ein Teil von einer Definition, wobei dort auch darauf eingegangen wird, dass es unterschiedlichste davon gibt:

Charakteristisch für Menschen, die gerne als Nerds bezeichnet werden oder die sich selbst gerne so bezeichnen, sind ein überdurchschnittlich ausgeprägtes Interesse an der Erlangung von Fach- oder Allgemeinwissen sowie auffällig rational geprägte Denk- und Verhaltensweisen. Dies lässt sie aus Sicht ihrer Altersgenossen oft unangepasst und eigenbrötlerisch erscheinen. Viele Nerds zeigen deutlich wenig Interesse an den vorherrschenden Jugend- oder gesellschaftlichen Trends. Im weiteren Sinn konzentrieren sich Nerds auf Spezielles, das anderen Menschen langweilig oder abstrus erscheinen kann, aber nicht muss.

Nach dieser Definition wäre ich wohl ein totaler Nerd. Ich habe mich nie für Alkohol und Partys interessiert, in meiner Jugend spielten Make-up und Mode keinerlei Rolle, und bei Popmusikern und Filmstars kannte ich mich nicht im Geringsten aus, weil mich das alles einfach nicht interessierte. Dafür habe ich unglaublich gerne aus meiner Sicht "bedeutsames" Wissen gesammelt. Ich habe, was die meisten anderen Jugendlichen in dem Alter nie getan hätten, in meiner Freizeit durch Lexika geblättert, habe sehr viel Fachliteratur zu verschiedensten Themen gelesen und besonders auch geschichtliches Wissen besaß ich für das Alter enorm viel. Wenn dann noch herauskam, dass ich in meiner Freizeit nie in die Disco oder auf Pop-Konzerte ging, sondern stattdessen in Steinbrüchen Fossilien und Mineralien sammelte, allein aus Spaß an der Freude auf historischen Daten basierende Gedichte in lateinischer Sprache schrieb, und zudem auch noch Briefmarken (und später auch Postkarten) sammelte, hielten mich sicher sehr viele für total bekloppt.

Rational war ich auch immer ziemlich, Logik ist mir bis heute sehr wichtig. Wenn Leute Meinungen vertreten, für die sie kein einziges plausibles Argument benennen können, finde ich das auch heute noch irgendwie ärgerlich. Als Jugendliche wurde ich von vielen Gleichaltrigen kritisiert, weil ich "so erwachsen tun" würde. Teilweise wurde ich auch als "altklug" beschimpft, weil ich mich für Philosophie interessierte und mir über verschiedenste Dinge tiefere Gedanken machte, als sie sich manche Leute auch nur vorstellen konnten. Da hieß es übrigens auch von Seiten einiger erwachsener Menschen immer: "Darüber kannst Du in Deinem Alter gar nicht urteilen!" oder aber "In Deinem Alter sollte man über solche Themen nicht nachdenken!" Ziemlich dämlich, wie ich finde. Schließlich sollte man frei entscheiden dürfen, womit man sich befassen möchte, und über mein Wissen und meinen geistigen Stand konnten irgendwelche Fremden doch sowieso nicht urteilen. Es steht einem schließlich nicht auf der Stirn geschrieben, was man weiß, oder was man kann.

Den Begriff "Nerd" kannte man in Deutschland damals noch nicht, ansonsten hätte ich vielleicht auch den regelmäßig zu hören bekommen, wer weiß?

Ich selbst würde mich aber irgendwie dennoch nicht als Nerd bezeichnen. Ich weiß auch gar nicht, ob andere Menschen mich heute noch als Nerd sehen würden. Meine "Eigenheiten" habe ich alle noch, aber ich bin entgegen der typischen Klischees in einer Beziehung, bin nicht "nerd-typisch" gekleidet, und auf die meisten Mitmenschen, gerade die, die ich nur flüchtig oder beruflich kenne, wirke ich eher sehr ernst denn kindlich. Einige Menschen würden meine Hobbys teilweise vermutlich als sonderbar und nicht altersgemäß bezeichnen, vielleicht würden sie sogar behaupten, ich sei der Typ "verschrobener Wissenschaftler", aber ein kindisches Image habe ich normalerweise eher nicht. Was aber nicht heißt, dass ich nicht vielleicht tatsächlich kindliche Attribute hätte. Nur wird es selten thematisiert.

Um ganz ehrlich zu sein: Ja, ich besitze noch Plüschtiere, ich mag Schaukeln auf Spielplätzen, ich spiele Computerspiele, wenn auch solche, die wohl eher nichts für Kinder sind. Aber ich meine nicht, dass das typisch für Nerds wäre. Im Gegenteil, viele Menschen haben oder hätten wohl noch etwas Kindliches in sich. Viele haben nur Angst, negativ aufzufallen, und verbergen diese Wünsche daher. Vielleicht sind viele Nerds da einfach ungehemmter? Vielleicht stehen sie eher zu ihren Vorlieben? Tatsächlich gibt es ja viele Gründe, ganz rational betrachtet, die dafür sprechen, seine kindliche Seite zu bewahren. Dafür, das Kindliche in sich zu leugnen, "spricht" höchstens die Angst, anzuecken. Und diese Angst ist aus Nerd-Sicht vermutlich ziemlich unrational. Wobei es natürlich auch Nerds gibt, die nicht kindlich sind.

Übrigens sehe ich das Interesse für einige Dinge, die eher Kindern zugeschrieben werden, nicht unbedingt als Weltflucht an. Sicher, Kriege, Terror, Naturkatastrophen und sonstige Dinge, die man über die Nachrichten immer wieder mitbekommt, können einen seelisch fertigmachen. Aber kindliche Interessen müssen nicht zwangsläufig eine Möglichkeit der Kompensation sein, sondern können auch einfach individuelle Vorlieben sein. Jeder hat doch so seine Vorlieben.

Ganz zum Schluss vielleicht noch: Um als Nerd durchzugehen, muss man kein Mann sein. Das ist geschlechtsunabhängig. Und ich glaube übrigens auch nicht, dass der Grund für kindliche Interessen unbedingt die Verzweiflung über das andere Geschlecht sei. Es gibt viele Nerds, die einen Partner haben.

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Es gibt verschiedene Definitionen von Nerds. Es gibt die ursprünglichen Nerds und die modernen.

Ich beginne mit den ursprünglichen Nerds. Diese kennt man als blass mit großer schwarzer Brille und Zahnspange. Diese Nerds beschäftigen sich den Großteil ihrer Freizeit damit Computerspiele zu spielen, Computer zu programmieren oder zu lernen. Denn diese Nerds sind trotz ihrem Spielinteresse überaus intelligent und meist besonders in Mathematik begabt. Leider sind diese Nerds meist alleine und haben nur wenige Freunde. Das liegt aber nicht daran, dass sie keinen guten Charakter o. Ä. haben, im Gegenteil, es sind meist sehr höfliche und nette Menschen. Aufgrund ihrer Vorliebe für Spiele, Rollenspiele und PC-Spiele werden sie oft als kindisch bezeichnet, was auch teilweise zutrifft.

Dann gibt es noch den modernen Nerd. Dieser nutzt den Stil eines Ursprünglichen Nerds aus, um dadurch hübsch und stylisch auszusehen. Er trägt eine große schwarze Brille und spielt ebenfalls viele Videospiele. Im Gegensatz zu den ursprünglichen Nerds haben diese jedoch noch andere Sachen in ihrer Freizeit zu tun, wie zum Beispiel Freunde treffen. Sind sind nicht unbedingt überdurchschnittlich intelligent und befassen sich auch eher weniger mit Computern und der Schule. Meistens nehmen ohnehin schon attraktive Menschen diesen Stil an, um anders und auffallend zu sein. Diese Nerds sind Charakter bedingt kindisch. Das heißt, dass man da keine allgemeine Aussage treffen kann. Es sind normale Menschen mit einem anderen Kleidungsstil.

Allgemein ist zu sagen, dass Nerds früher etwas kindisches an sich hatten, aber trotzdem sehr pflichtbewusst waren. Die Nerds von heute haben alle einen anderen Charakter, wie jeder andere Mensch.

» LeonTheKing2 » Beiträge: 5 » Talkpoints: 1,57 »



Die von Dir als "moderne Nerds" bezeichneten Personen sind eigentlich gar keine Nerds, würde ich mal sagen. Ich möchte hier sicherlich keine Debatte über "richtige" Nerds oder "Möchtegerns" vom Zaun brechen, aber wenn die von Dir beschriebene Gruppe nichts Besonderes an ihren Interessen und in ihrem Charakter hat, und von der "Normalbevölkerung" lediglich dadurch abweicht, dass sie bestimmte als nerdtypisch geltende Kleidungsstücke trägt, wie sollen es dann Nerds sein?

Das sind Leute, die ein Nerd-Kostüm tragen, höchstens so könnte man das bezeichnen. Ein Nerd wird schließlich durch sein Inneres, durch seine Denkweisen und Interessen, charakterisiert, nicht durch seine Kleidung. Analoges Beispiel: Ein Arzt behandelt Menschen medizinisch und trägt einen weißen Kittel. Er ist ein Arzt. Wenn jemand Anderes nun einen weißen Kittel trägt, kleidet er sich vielleicht wie ein Arzt, ist aber keiner. Und so ist ein "Normalo" auch kein Nerd, bloß, weil er eine Hornbrille anzieht oder ein Hemd mit Brusttasche, oder welche Klischees es zur Bekleidung von Nerds sonst noch so gibt.

Wobei ich die Nerd-Modewelle sowieso etwas seltsam finde. Ich jedenfalls finde diesen Stil, der heutzutage als für Nerds typisch vermarktet wird, nicht sonderlich hübsch. Gut, ich bin sowieso nicht entscheidend bei solchen Fragen, aber dieser Stil entspricht interessanterweise auch absolut nicht den üblichen Schönheitsidealen, weshalb ich es besonders ungewöhnlich finde, dass er nun plötzlich zur Mode erhoben wurde. Aber Moden sind sowieso seltsam, nicht immer logisch, und die Ästhetik zieht zugunsten des Wunsches, um jeden Preis aufzufallen, auch oftmals den Kürzeren.

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



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