Wisst ihr, was alte Rechtssätze bedeuten?

vom 01.10.2013, 16:19 Uhr

Ich mache gerade mein Abitur und habe heute eine Arbeit über Sozialkunde geschrieben. Das Thema waren die deutschen Gerichte, die Gesetze und weitere Punkte, die in dieses Thema gehören. Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich Sozialkunde mag, allerdings verabscheue ich es auch nicht. Es ist manchmal ein echt interessantes Thema und Vieles muss man ja auch nur auswendig lernen. Ein paar Sachen sind logisches Denken, aber diese Kapazität habe ich noch.

Heute in der Prüfung wurde bei einer Frage gefragt, was drei alte Rechtssätze bedeuten. Es waren folgende drei Sätze: Keine Strafe ohne Gesetz, Auch die Gegenseite muss angehört werden und Im Zweifel für den Angeklagten. Daneben standen noch die griechischen oder lateinischen Varianten, allerdings konnte ich mir diese nicht merken. Die letzten zwei Sätze konnte ich sehr ausführlich beantworten und war mir auch sehr sicher. Den ersten Satz habe ich davor noch nicht gehört, allerdings kann man das ja mit ein bisschen nachdenken auch herausfinden. Ich war also mit der Aufgabe recht zufrieden und hatte auch keine Probleme damit. Der Rest der Prüfung viel mir auch relativ leicht, hoffentlich werde ich auch eine gute Note bekommen :D.

Ich habe dann meiner Stiefmutter von der Frage erzählt und sie hat am Anfang erstmal gesagt, dass sie nicht wissen würde, wie sie diese Sätze interpretieren soll. Ich habe ihr die Sätze dann aufgeschrieben und als sie sich ein bisschen damit beschäftigt hat, hat sie die Sätze auch verstanden. Allerdings meinte sie, dass nicht jeder die Sätze verstehen würde. Was sagt ihr zu dieser aussage? Versteht ihr die Bedeutung der oben genannten Sätze?

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» turkeyboii » Beiträge: 601 » Talkpoints: 3,94 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Das sind die wichtigsten Grundlagen unseres Rechtsstaates. Der erste Satz ist die Kernaussage des Rechtsstaates, nämlich dass die Gerichte nur auf der Grundlage von Gesetzen entscheiden dürfen. Sonst hätten wir ja einen Willkürstaat.

Der zweite Satz stellt sicher, dass jeder Angeklagte einen Verteidiger bekommt, unter Umständen einen Pflichtverteidiger und der dritte Satz ist ja wohl jedem klar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand die drei Sätze nicht versteht.

» anlupa » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Ich finde diese Rechtsgrundlagen auch nicht schwierig zu verstehen. Sie sind natürlich etwas seltsam formuliert, aber es sind ja keine Rätsel.

Ich finde es aber immer ganz schwierig, sich in die Gehirne von anderen hineinzuversetzen. Man kann nicht einfach von sich auf andere schließen. Natürlich kann ich mir nicht vorstellen, dass man diese Sätze nicht versteht, weil ich sie verstehe ohne mich anstrengen zu müssen. Aber es gibt durchaus auch Sachen, die ich nicht verstehe. Bei Physik oder Chemie bräuchte ich lange oder es wäre für mich unmöglich. Andere finden das ganz leicht und die können dann auch nicht wirklich nachvollziehen, warum ich das nicht kann.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Na gut, auf Grund meiner Ausbildung kenne ich die Sätze natürlich, finde sie aber unabhängig davon auch für Laien nicht sehr schwer zu verstehen, wenngleich ich schon nachvollziehen kann, dass man darüber erst einmal nachdenken muss. Aber dass jemand die Sätze gar nicht verstehen kann, kann ich mir eigentlich kaum vorstellen.

Keine Strafe ohne Gesetz - Nulla poena sine lege
Der Satz bezeichnet eine der wohl wichtigsten rechtsstaatlichen Garantiefunktionen und ist sowohl im Grundgesetz (Art. 103 II), als auch im StGB (Par. 1) sowie in der europäischen Menschenrechts-konvention (Art. 7) verankert. Der Satz steht nicht nur dafür, dass etwas, das gesetzlich nicht verboten ist, auch nicht bestraft werden kann, sondern beinhaltet gleichzeitig das Bestimmtheitsgebot sowie ein Rückwirkungsverbot.

Das Bestimmtheitsgebot bedeutet, dass eine strafrechtliche Norm hinreichend bestimmt sein muss, um eine Folge entfalten zu dürfen. Im Bezug auf Diebstahl wäre eine Norm mit einem Wortlaut wie "Wer jemandem etwas wegnimmt, wird mit bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe bestraft" nicht hinreichend bestimmt, weil es ausschließlich auf das Wegnehmen abstellt, aber nichts darüber aussagt, unter welchen Umständen die Wegnahme strafbar sein soll. Deswegen besagt der Par. 242 StGB ganz deutlich, dass nur das Wegnehmen einer fremden Sache in Kombination mit einer Zueignungsabsicht strafbar sein soll.

Das Rückwirkungsverbot bedeutet, dass man nicht eine neue Strafnorm aus dem Boden stampfen und dann rückwirkend bestrafen darf. Zum Zeitpunkt eines Sachverhalts muss eine Handlung ausdrücklich mit Strafe bedroht sein, ansonsten ist eine Bestrafung nicht rechtmäßig.

Der Satz "Keine Strafe ohne Gesetz" ist für einen Rechtsstaat, der seinen Bürgern eine Rechtssicherheit bieten will und muss, unerlässlich.

Auch die Gegenseite ist zu hören - Audiatur et altera pars
Der Satz bezeichnet das im Grundgesetz, Art. 103 I, verankerte Recht auf rechtliches Gehör. Dieser Satz hat nicht nur Auswirkungen auf das Strafrecht, wo er dafür steht, dass ein Beschuldigter anzuhören ist und sich verteidigen (lassen) darf, sondern auch auf alle anderen Rechtsgebiete. In jedem Zivilprozess, bei jeder verwaltungsrechtlichen Handlung ist dem betroffenen Bürger ein Anhörungsrecht eingeräumt.

Der Satz findet sich beispielsweise auch in der EMRK, Art 6 III, wieder, die jedem ein Recht auf einen fairen Prozess einräumt.

Im Zweifel für den Angeklagten - In dubio pro reo
Der Satz besagt, dass bei begründeten Zweifeln des Gerichts niemand zu einer Strafe verurteilt werden darf. Bestehen beim Gericht Zweifel an der Schuld des Angeklagten, wird es einen Freispruch erlassen müssen.

Dabei bedeutet der Satz nicht, dass eine Tat objektiv absolut bewiesen sein muss, um jemanden verurteilen zu können. Es kommt dabei ausschließlich auf die Haltung des Gerichts an, das heißt, selbst wenn jemand Zweifel an der ihm vorgeworfenen Tat streut, kann das Gericht nach Abwägung aller Umstände zu dem Schluss kommen, dass es von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist.

Der Satz ist wohl einer, der insbesondere in der Öffentlichkeit zu manchem Aufruhr sorgt. Wie oft ist die Allgemeinheit schon von der Schuld eines Angeklagten ausgegangen, der dann aber auf Grund der Zweifel des Richters freigesprochen wurde. Dann ist das Geschrei immer groß.

Aber auch dieser Grundsatz gehört zu unserem Rechtsstraat, der einem Strafrichter oder einem Strafgericht die freie Beweiswürdigung und entsprechende Entscheidung (Par. 261 StPO) einräumt.

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» CCB86 » Beiträge: 2025 » Talkpoints: 2,88 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



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