Esssucht aus Trauer?

vom 15.12.2011, 22:29 Uhr

Eine Mitschülerin hat im Sommer ihren Vater durch eine schwere Krankheit verloren. Der Vater war alles für sie und sie war alles für ihren Vater. Wenn man sich mit ihr unterhält, dann denkt man nicht, dass ihr der Tod des Vaters sehr nahe gegangen ist. Sie ist auch relativ schnell wieder in der Schule gewesen und hat sich ganz normal verhalten. Aber seitdem der Vater tot ist, hat sie unheimlich zugenommen und man sieht sie immer etwas essen.

Ist es möglich, dass sie mit Essen ihre Trauer bewältigt, die sie sich so nicht anmerken lässt? Ich habe nicht sehr viel Kontakt mit ihr und möchte sie auch nicht darauf ansprechen. Aber eine Freundin von mir ist mit ihr befreundet und würde ihr auch gerne helfen wollen. Kann es wirklich sein, dass man auf Trauer (fr)isst?

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» MissMarple » Beiträge: 6786 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Das hört sich nach Kummerspeck an. Möglicherweise hat sie sich weder von ihrem Vater verabschiedet, noch seinen Tod verarbeitet. Das wäre auch zu viel verlangt. Ich nehme an, dass sie auch disziplinarischen Gründen so zeitig zur Schule gegangen ist. Sie hat sich keine Chance gegeben, wirklich zu trauern. Wahrscheinlich sind da auch jede Menge ungeweinte Tränen, weil man sich einfach nicht erlaubt unglücklich zu sein, weil Verpflichtungen wichtiger zu sein scheinen.

Ich vermute, dass deine Mitschülerin wenig Beistand und Anteilnahme erfahren hat. Es ist sicher niemand zu ihr gegangen um ihr zu sagen “Du darfst trauern, du darfst weinen !” So frisst sie die Trauer in sich hinein.

Ich denke, man kann mit aufrichtiger Freundschaft helfen. Dabei kommt es nicht darauf an, sie von der Trauer abzulenken, sondern sie darauf aufmerksam zu machen, das man in Würde trauern kann. Wenn sie sich die Trauer nicht erlaubt und unterdrückt ist damit zu rechnen, das sie noch mehr Erkrankungen bekommt.

» Friedmann » Beiträge: 561 » Talkpoints: -1,05 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Das denke ich schon, dass dieses Mädchen ein Fall von Frustfressen oder Trauerfressen ist. Das ist doch auch ganz nachvollziehbar: Die meisten Kinder bekommen, wenn sie traurig sind oder heulen Essen oder Süßigkeiten als Tröster (dazu hatten wir hier schon einen Beitrag, nach dem viele Kinder nach dem Arztbesuch statt getröstet zu werden mit Süßigkeiten vollgestopft werden) und das hilft bei Kindern ja auch im ersten Moment durch die Ablenkung und weil Essen auch beruhigt. Und das macht man dann, wenn man älter ist, wieder so, weil man es ja als Kind gelernt hat, dass man, wenn man traurig ist, etwas in den Mund gesteckt bekommt. Ich denke also, dass dieses Mädchen sicherlich aus Trauer viel isst, gerade wenn sie scheinbar ihre Trauer auch nicht wirklich zeigt.

Dass sie sich dir gegenüber ganz normal verhalten hat, finde ich keinesfalls komisch! Du schreibst selbst, dass ihr nicht viel Kontakt habt und nicht wirklich befreundet seid. Und jemand, der mir auch praktisch "fremd" wäre und nur ein Schulkamerad wäre, dem würde ich sicherlich auch keine Trauergefühle offenbaren, da man dazu schon eine gewisse Vertrauensbasis braucht, die da sein muss. Dass sie sich nichts hat anmerken lassen, kann ja trotzdem heißen, dass sie einfach nicht mit euch darüber sprechen wollte.

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» pepsi-light » Beiträge: 6018 » Talkpoints: 2,14 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Ich denke auch, dass es Kummerspeck ist, denn sich deine Mitschülerin sozusagen angefuttert hat. Ich kenne das auch von einer guten Freundin von mir. Ihr Vater ist ebenfalls gestorben, als sie 16 Jahre alt war und sie ist danach auch immer dicker geworden. Jeder trauert eben auf eine andere Art und Weise. Es gibt Leute, die dann tagelang gar nichts mehr essen können, weil die Trauer einfach zu stark ist und sie nichts mehr herunter bekommen. So ging es mir beispielsweise nach dem Tod meiner Oma, der mich sehr mitgenommen hat. Andere essen dann eben im Übermaß - das ist auch eine Art zu trauern. Das ist ja auch gar nicht mal so selten, sonst würde es die spezielle Bezeichnung Kummerspeck auch überhaupt nicht geben.

Dass sie sich relativ normal verhalten hat, liegt wahrscheinlich daran, dass sie einfach nach außen hin stark sein wollte. Sie ist wahrscheinlich innerlich daran zerbrochen, wollte sich aber nichts anmerken lassen. Vielleicht hat sie diesen Schmerz mit dem Essen unterdrücken wollen. Es gibt wirklich viele Leute, die den Schmerz nach dem Tod einer geliebten Person einfach nicht zulassen wollen. Das berühmte ihn sich hinein fressen wurde ja schon genannt, und in dem Fall kann man es auch wörtlich nehmen. Ist echt schlimm, was deiner Mitschülerin passiert ist. Ihr könnt einfach nur für sie da sein und ein Signal gegen, dass sie immer zu euch kommen kann, wenn sie jemanden zum Reden braucht. Vielleicht hilft ihr das ja auch und sie kommt dann auf euch zu. Damit man die Trauer überwinden kann, muss man sie aber erst einmal zulassen, sonst wird es echt schwer!

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» MeL.G » Beiträge: 4918 » Talkpoints: 16,81 » Auszeichnung für 4000 Beiträge



Das kann durchaus eine Möglichkeit der Verarbeitung sein. Jeder Mensch hat seine eigene Art mit der Trauer zurecht zu kommen und diese zu bewältigen und einige Menschen tun sich damit dann auch reichlich schwer und das ganze endet weniger in einer Verarbeitung, als mehr in einem kläglichen Versuch der Verdrängung, in Frustessen. Solch Essstörungen können durchaus ihren Ursprung in der Kindheit haben, wenn beispielsweise Kleinkinder öfters davon abgehalten werden, Dinge in den Mund zu nehmen. In dieser oralen Phase kann man durchaus fixiert werden, dies hat schließlich zur Folge, dass man im späteren Leben Essstörungen entwickelt, sogar Rauchen kann eine Folge davon sein.

Völlig normal ist das aber definitiv nicht, denn es gibt gesündere Arten der Trauerverarbeitung. Ich würde schon sagen, dass man da eine Therapie in Betracht ziehen könnte und die Mutter darauf ansprechen sollte. Die Freundin allein wird ihr da wohl eher wenig helfen können, auch wenn man sie natürlich eventuell dazu bewegen könnte ein bisschen Sport zu machen oder so, was durchaus auch sehr gut wirken kann, wenn man Trauer verarbeiten muss, aber ich schätze gefragt ist hier in erster Linie wirklich eher ein Therapeut, der auf solche Fälle spezialisiert ist und ihr daher gezielt helfen kann.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Gerade, weil sich die Mitschülerin "normal" verhalten hat und sich relativ schnell wieder in der Schule hat blicken lassen, kann das Essverhalten sich durchaus aufgrund des Trauerfalls zum Negativen entwickeln. Jeder verarbeitet seine Trauer anders und manche neigen dazu, vor Kummer und Trauer gar nichts mehr zu essen und andere greifen dann erst recht zu Essen und betäuben damit vielleicht die Schmerzen, die sie haben. Unter Umständen haben sie keine andere Möglichkeit oder trauen sich nicht, den schmerzvollen Verlust zu verarbeiten, können die Trauer nicht zulassen oder wollen nach außen hin einfach nur stark wirken. Da gibt es so viele Möglichkeiten, die zutreffen könnten, aber die wir hier nicht wissen und kennen.

Deine Freundin sollte doch aber wissen, ob dieses Mädchen in der Lage ist, darüber zu sprechen und auch, ob das Mädchen den Tod schon mit ihren Freunden besprochen hat beziehungsweise sich einfach mal hat ausweinen können. Im Grunde sollte dieses Zeichen von Seiten der Freunde schon ohne große Worte kommen, aber ich weiß auch, wie schwer es ist, diese Signale auszusenden. Ich war damals nur wenige Jahre älter als innerhalb von wenigen Wochen zwei Familienangehörige verstorben sind und reden tat gut! Vielleicht fehlt das Deiner Mitschülerin einfach.

Dennoch, muss ich gestehen, gab es einen Abend, an dem ich einfach nur gefressen habe und ganz in mich gekehrt war. Das war wie gesagt einmal der Fall und dann war die Sache auch schon gegessen, sprich, solche Essanfälle habe ich dann nicht mehr gehabt, wenn es darum ging, Trauer oder andere negative Gefühle zu verarbeiten.

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» *steph* » Beiträge: 18439 » Talkpoints: 38,79 » Auszeichnung für 18000 Beiträge


Ja, natürlich kann das eine Art sein mit so einem Verlust umzugehen. Öfters hört man auch von Leuten.die fülliger sind, dass Sie versuchen eine innere Leere damit zu füllen. Ich denke also schon, dass es durchaus dadurch zustande kommen kann. Vielleicht sollte deine Freundin sie mal ansprechen, und auch nachfragen, ob Sie überhaupt eine Therapie deswegen macht oder eine Trauerbewältigungsgruppe besucht.

» ygil » Beiträge: 2551 » Talkpoints: 37,52 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



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