Immer mehr Integrationskinder oder schneller diagnostiziert?

vom 30.09.2018, 10:37 Uhr

Bei uns ist es so, dass in einer "normalen" Kindergartengruppe bis zu 25 Kinder sein dürfen, die von mindestens zwei Personen betreut werden. Entweder zwei Pädagoginnen oder eine Pädagogin und eine Assistentin betreuen diese Gruppe. Wenn es sich um eine Integrationsgruppe handelt, dann müssen mindestens zwei Pädagoginnen in der Gruppe sein und die Gruppengröße darf 16 Kinder nicht übersteigen.

Nun kommt es mir so vor, dass es immer mehr Integrationskinder gibt. Mittlerweile haben wir schon zwei Integrationsgruppen in unserem Kindergarten und auch bei den "normalen" Gruppen kommen immer mehr Fälle hinzu, wo unter dem Jahr ein Integrationsstatus diagnostiziert wird. Nun meine Frage: Häufen sich die Integrationskinder heutzutage oder ist es einfach so, dass man es in unserem Zeitalter schneller diagnostiziert? Was könnten die Gründe für die steigende Zahl an Integrationskindern sein?

» nordseekrabbe » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Gio am 30.09.2018, 12:45, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen


Ich denke, es hat verschiedene Gründe. Einer ist recht traurig: Früher kamen solche behinderten Kinder einfach gar nicht in einen Kindergarten! Ich habe in meiner FSJ-Zeit in einem Behindertenheim noch erlebt, wie wir eine junge Frau als Neuzugang bekamen, die ihr ganzes Leben bisher bei den Eltern gelebt hatte, die sie allerdings nicht gefördert hatten, sondern das taubblinde Mädchen vor sich hinvegetieren ließen und vor allem darauf bedacht waren, dass die Nachbarn nichts mitbekommen.

Und solche Plätze sind einfach auch schwer zu bekommen, selbst mit einer Diagnose. Es ist erst wenige Jahre her, da konnte eine Nachbarin ihr Kind mit Diabetes und eine andere ihr Kind mit Neurodermitis nicht in den Kindergarten schicken, weil sich kein Kindergarten dem gewachsen fühlte! Und dieser Tage muss eine Nachbarin ihr Kind, das sich ein Bein gebrochen hat, für die Zeit des Gipses aus dem Kindergarten nehmen, weil der Kindergarten sich damit überfordert fühlt!

Dazu kommt dann natürlich, dass etwa ADS in meiner Kindheit noch nicht als Krankheit existierte. Da waren das Zappelphilips, die eben schwierig waren. Andererseits wird aber auch heutzutage immer noch schlecht diagnostiziert. Bei der Sendung "Ich - einfach unvermittelbar" auf Vox war letzte Woche gerade ein 18-jähriges Mädchen zu sehen, bei dem meiner Meinung nach der Autismus und die "Andersartigkeit" sehr auffällig waren. Trotzdem erzählte sie, dass sie die Diagnose Asperger-Autismus erst mit 17 bekam.

Und auch mein Cousin hat nun mit Mitte 30 erst die Diagnose bekommen, dass er eine leichte Form von Asperger hat. Wir waren der Meinung gewesen, dass er "nur" hochbegabt war und seine Probleme damit zusammenhingen. Es wird also nicht unbedingt schneller diagnostiziert, sondern meiner Meinung nach hängt das entscheidend vom Arzt und auch den Eltern ab, ob diese sich von einer falschen Diagnose einlullen lassen oder weiter nach der Ursache und der besten Fördermöglichkeit suchen.

Und dann ändert sich auch ein bisschen das Verhalten von Familien mit behinderten oder chronisch kranken Kindern. Früher stand vor allem im Vordergrund, dass niemand etwas davon mitbekommen sollte, dass das Kind "defekt" war. Oft wurden die Kinder dann auch in Heime gegeben. Das ändert sich nun endlich und die Eltern stehen dazu, machen es auch öffentlich, indem sie das Kind in einen Kindergarten geben.

» SonjaB » Beiträge: 2698 » Talkpoints: 0,98 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


SonjaB hat geschrieben:Und dann ändert sich auch ein bisschen das Verhalten von Familien mit behinderten oder chronisch kranken Kindern. Früher stand vor allem im Vordergrund, dass niemand etwas davon mitbekommen sollte, dass das Kind "defekt" war. Oft wurden die Kinder dann auch in Heime gegeben. Das ändert sich nun endlich und die Eltern stehen dazu, machen es auch öffentlich, indem sie das Kind in einen Kindergarten geben.

Wie kommst du denn darauf, dass nur behinderte Kinder Integrationskinder werden können? Auch ohne eine sichtbare körperliche oder geistige Behinderung kann ein Förderbedarf bestehen, beispielsweise, wenn Kinder Entwicklungsverzögerungen, Sprachentwicklungsverzögerungen, Lernschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten und/ oder sozial-emotionale Probleme haben. Oder meinst du, dass jedes Kind mit Entwicklungsverzögerungen direkt "behindert" ist? Das heißt nur, dass man etwas hinterher hinkt mit den Gleichaltrigen, nicht mehr und nicht weniger.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Mir war nicht bewusst, dass der Begriff der Integrationskinder von einigen so weit ausgelegt wird. Ich kenne diesen Begriff eben nur enger gefasst. Wenn man ihn allerdings so weit fasst wie Du, Täubchen, dürfte es kaum noch ein "normales" Kind geben, denn spätestens die sozialen-emotionalen Probleme dürfte fast jedes Kind haben - seien es die Einzelkinder, die kein teilen kennen und auch nicht wollen, oder die Kinder mit Geschwistern, die sich von den Eltern ungerecht behandelt und zurückgesetzt fühlen, seien es die Kinder, wo ein Elternteil zu Hause ist und sie überbehütet, seien es die Kinder von Berufstätigen.

Grundsätzlichen Förderbedarf sehe ich bei jedem Kind, eben nur auf seine eigene Weise. Auch ein Kind ohne Probleme und ohne Behinderungen oder Krankheiten sollte im Rahmen seiner Möglichkeiten gefördert und nicht immer nur 08/15 behandelt und mehr oder weniger vergessen werden. Ich denke, dass dies im Rahmen um die ganze Integration und Inklusion vergessen wird, weshalb auch die hochintelligenten Kinder meistens weder als solche erkannt noch gefördert werden, solange sie sich sozial angepasst verhalten.

» SonjaB » Beiträge: 2698 » Talkpoints: 0,98 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



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