Kind vom Zirkus - kein Besuch des Gymnasiums!

vom 17.09.2010, 06:08 Uhr

Ich habe gerade bei n-tv eine kurze Dokumentation geschaut, in der das Leben einer kleinen Zirkusfamilie gezeigt wurde. Die Familie hat auch mehrere Kinder, die immer dabei sind, wenn der Wanderzirkus herumreist. Lediglich im Winter bleibt die Familie vier Monate an einem Ort.

Ich war regelrecht entsetzt, als über die Kinder berichtet wurde, speziell über einen Sohn der Familie. Es wurde gesagt, dass das Kind locker den Sprung von der Grundschule aufs Gymnasium geschafft hätte, da es sehr gute Noten hatte. Nun besucht der Sohn aber die Hauptschule (in verschiedenen Städten während der Reise). Die Mutter sagte, dass es nicht machbar wäre, dass der Sohn das Gymnasium besucht, da er dann viel mehr lernen müsste und dann den ganzen Nachmittag über den Büchern hocken müsste. Mit dem Zirkusleben ist das nicht zu vereinbaren. Das Kind sagte, dass es sehr gerne die Realschule oder das Gymnasium besucht hätte, dass es aber wohl nicht so schlimm ist, dass es nun nur die Hauptschule besucht, da es ohnehin später beim Zirkus bleiben wird.

Ich finde es schlimm, wenn Eltern ihren Kindern nicht die bestmögliche Bildung erreichen - und das beginnt schon mit dem Besuch einer geeigneten Schule. Was ist mit einem Kind aus einer Zirkusfamilie, wenn es sich später doch für ein "klassisches" Leben entscheidet und vielleicht studieren möchte? Ich denke, dass die Eltern alles daran setzen sollten, ihrem Kind das zu ermöglichen, was ihren Fähigkeiten wirklich entspricht. Ein Kind, das problemlos auf das Gymnasium hätte gehen können, auf eine Hauptschule zu schicken, finde ich unmöglich. Natürlich ist das Zirkusleben eine Welt für sich, ich denke jedoch, dass Kinder nicht darunter leiden dürfen, wenn sie aus einer Zirkusfamilie stammen.

Wie seht ihr die Situation? Findet ihr es in Ordnung, dass diese Zirkus-Eltern ihrem Kind den Besuch des Gymnasiums verwehren? Wie würdet ihr handeln?

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» Cologneboy2009 » Beiträge: 14210 » Talkpoints: -1,06 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Naja, ich denke im Gymnasium sind die Anforderungen schon hoch. Ich habe selbst Angst wenn mein Sohn Kai den Sprung locker schaffen sollte. Man kann immer abrutschen mit den Noten in der 5 Klasse. Es kann aber auch klappen. Natürlich werden die Zirkusfamilien wollen, dass das Kind den Zirkus später übernimmt und das ist vielleicht der Grund warum sie ein Besuch beim Gymnasium verwehren.

Das ist aus Angst das Kind könnte studieren und was anderes später machen. Aber ich denke ich würde auch wenn ich beim Zirkus wäre dem Kind trotzdem nicht im Wege stehen. Lieber würde ich riskieren, dass mein Zirkus irgendwann nicht mehr sein wird oder man verkauft weiter. Vielleicht mag das Kind auch ohne Besuch beim Gymnasium den Zirkus später trozdem nicht und geht seines Weges. Das steckt man sowieso nicht richtig drin.

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» MoneFö » Beiträge: 2938 » Talkpoints: -3,73 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Ich habe das selbst bei Bekannten mit bekommen; eines ihrer Kinder hatte auch die Gymnasial-Empfehlung und die Eltern entschieden sich trotzdem das Kind nur auf die Realschule zu schicken, weil dort eben der Druck nicht so groß wäre. Daran, dass das Kind noch viele Pflichten im Haushalt zu erledigen hätte, lag es in diesem Fall nicht. Außerdem könne das Kind ja immer noch auf das Gymnasium wechseln, wenn es in der Realschule unterfordert sei. Das Kind ist inzwischen Mitte 20 und hat nicht auf das Gymnasium gewechselt, macht aber inzwischen auch keinen betrübten Eindruck. Aber auch dieses Erlebnis sorgte im Freundes- und Bekanntenkreis für heftigste Diskussionen.

Ich selbst habe für mich entschieden, dass meine Kinder durchaus das Gymnasium besuchen dürfen und auch sollen, wenn sie die entsprechende Empfehlung erhalten. Bei der Großen sieht es derzeit eher nicht so aus. Aber das ist auch nicht weiter tragisch, wenn sie denn in der Realschule besser klar kommt, dann ist es auch völlig in Ordnung. Sollte sie aber doch die Empfehlung bekommen, dann werde ich sicher noch mal mit ihr reden und schauen, was sie möchte. Allerdings würde ich ihr das Gymnasium eher schmackhaft machen als ausreden.

Dieser Bericht zeigt ja scheinbar eine Familie, bei der der Familiensinn zwar schon sehr ausgeprägt ist, dass aber scheinbar auf Kosten der Individualität. Denn sicher muss man im Zirkus zusammen halten und da bedarf es der Hilfe aller. Nur frage ich mich, wie es denn generell um den Zirkus bestellt ist, wenn man nicht auf das Kind verzichten kann und möchte. Sollte man dann nicht erst recht dem Kind eine gute Schulbildung ermöglichen, die dem Kind dann auch ein Einkommen ohne Zirkus sichern?

Nicht zu vergessen ist aber, dass n-tv zur RTL-Gruppe gehört. Da ist dann auch zu beachten, wie glaubwürdig diese Reportagen denn nun wirklich sind.

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Was Du hier hinsichtlich der Zirkusfamilie beschreibst, findet man doch auch in den bürgerlichen Familien nur allzu oft.

    Da gibt es eben auch die Einstellung (noch nicht mal zu selten), dass man selbst schließlich auch nicht studiert hat, und die Kinder daher auch kein Abitur benötigen. Unabhängig davon, ob das Kind auf das Gymnasium gehört oder nicht.

    Ebenso wenn man das romantische Ziel hat, dass der eigene Nachwuchs das Familienunternehmen übernimmt. Dann ist das vorrangige Ziel jenes, dass das Kind einen Lehrberuf ergreift, der in Betrieb gebraucht wird. Dazu ist ein Abitur oftmals eben auch nicht nötig.

    Natürlich auch die wirtschaftliche Überlegung von Eltern, die wissen, dass sie dem Kind ein Studium nicht finanzieren können und daher bereits nach der Grundschule die Schulart entsprechend wählen.

    Ganz klischeehaft ist es auch denkbar, dass man z.B. die Töchter von weiterführenden Schulen fern halten will, weil diese eben sowieso später gut heiraten sollen und da ein längerer Bildungsweg eher hinderlich ist. Wobei diese Einstellung sicher immer weniger vorzufinden sein sollte.
Um so ein Verhalten zu beobachten bedarf es also keiner Zirkusfamilie. Rechtfertigungsgründe gibt es auch im Milieu der gesunden Mittelklasse zu genüge.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Ich habe selbst auch schon bemerkt, dass die Kinder der Zurschausteller die hier bei uns in die Stadt kommen, fast allesamt nur die Hauptschule besuchen. Einige wenige Ausnahmen besuchen die Realschule, aber das sind dann schon wirklich nur noch ganz wenige. Ich bin mir aber auch irgendwie sicher, dass es nur wenige sind, die aus eigenem Willen, auf das Gymnasium gehen wollen. Die meisten scheinen sich an den ständigen Schulwechsel gewöhnt zu haben und strengen sich gar nicht mehr groß an. Und das wundert mich an sich auch gar nicht.

In einem Schuljahr gibt es bestimmte Themen, die vorgegeben sind und bearbeitet werden müssen. Die Themen unterscheiden sich natürlich von Bundesland zu Bundesland und auch manchmal innerhalb der Schulen. Das wichtigste aber ist, dass in ganz wenigen Schulen zwei gleiche Themen zur selben Zeit unterrichtet werden. Denn die Lehrer können frei entscheiden, welches der Themen sie als erstes anfangen und welches danach kommen wird. Manchmal lassen sie das sogar die Schüler entscheiden. Angenommen das Kind aus der Kirmesfamilie kommt nun in eine Schule und macht in den einzelnen Fächern die gerade vorgegebenen Themen. Dann, nach ein oder zwei Wochen, kommt es wieder in die nächste Stadt und in die neue Schule. Dort wiederum ist das Thema, was das Kind gerade zu lernen begonnen hat bereits beendet und ein neues wurde angefangen, das aber auf dem alten aufbaut. In einem anderen Fach wiederum, liegen die Kinder aber noch zurück und das Kirmeskind kann sich einarbeiten. Nach zwei Wochen geht es dann schon wieder in eine andere Schule und das ganze Theater beginnt von vorne.

In der einen Schule lesen die Kinder gerade eine Lektüre, in der nächsten eine andere und dann kommen auch noch die ganzen Ansprüche der Lehrer hinzu. Es ist schon schwer genug, wenn man einen neuen Lehrer bekommt, wenn man sich schon jahrelang an den einen gewöhnt hat. Plötzlich verlangt der neue einen anderen Aufbau der Analysen oder die Matheformeln müssen genauer oder anders angegeben werden, als man es gewohnt ist. Wie soll man sich solchen Kriterien alle paar Wochen von neuem anpassen? Das ist meiner Meinung nach leider unmöglich. In einer Hauptschule wird das schon schwer genug sein und in einem Gymnasium sicher kaum zu schaffen.

Wenn man sich das so durchliest, Eltern wollen nicht, dass das eigene Kind auf eine gute Schule geht, dann kommen einem sicherlich erstmal Gedanken wie ''schreckliche Eltern'' und dergleichen. Aber wenn man die Situation genauer betrachtet, dann ist es eigentlich schon fast verständlich. Ich kann es mir absolut nicht vorstellen, wie die Lehrer einen Schüler benoten sollen, der nur ein paar Tage lang auf der Schule ist. Wie kommen solche Kinder eigentlich zu einem gescheiten Zeugnis? Wenn der Junge hingegen von sich aus wirklich auf das Gymnasium wollte, sehe ich keinen Grund, wieso die Eltern ihn unbedingt davon abhalten wollten. Wenn ein solches Wanderkind wirklich den Elan und den Ehrgeiz besitzt viel zu lernen, um voran zu kommen, sollte man stolz auf ihn sein und ihn fördern, anstatt ihn auch noch davon abzuhalten.

Auf mich wirken die Eltern einfach wie selbst sehr ungebildete Leute, die generell von Bildung nicht viel halten, weil sie einfach davon ausgehen, dass ihre Kinder später einmal den selben Weg einschlagen werden wie sie selbst auch. Eine andere Möglichkeit sehen sie gar nicht, es ist für sie selbstverständlich. Und so gewöhnen sie das Kind selbst dann auch daran, dass es später einmal genau so wird, wie die Eltern und keine Bildung benötigen wird. Das ist meiner Meinung nach absolut unverantwortlich und als Kind muss man da schon ein gewaltiges Selbstbewusstsein und viel Ehrgeiz haben, um sich dem zu widersetzten und trotzdem vor dem Schulbuch zu sitzen und zu büffeln, anstatt ständig zu helfen die Geräte von neuem an und ab zu bauen oder Zirkusnummern einzuüben.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


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