Dankbarkeit - eine Plage?

vom 06.04.2010, 17:50 Uhr

Ich lese ja gerne die Leserbriefe meiner regionalen Tageszeitung, weil die so herrlich das aktuelle Befinden in meiner und angrenzenden Regionen widerspiegeln. In der letzten Zeit fällt mir häufig auf, dass viele Leserbriefschreiber von anderen Mitmenschen Dankbarkeit fordern. Erst heute las ich wieder davon, dass eine junge Mutter ohne Arbeit dankbar dafür sein sollte, dass sie ihr Kind überhaupt in eine Kita geben könne, in anderen Bundesländern sei das noch lange nicht so. Ein anderes mal sind es die Bezieher von ALG II, die froh und natürlich dankbar sein dürften, dass sie überhaupt so großzügig unterstützt würden. Die Reihe ließe sich unendlich fortsetzen.

Selbstverständlich bin ich (und sicher auch viele andere Eltern, die in Sachsen-Anhalt leben) froh darüber, dass es hier eine gut ausgebaute Kinderbetreuung gibt. Und sicher sind auch die Bezieher staatlicher Transfer-Leistungen glücklich, dass sie nicht um das nackte Überleben kämpfen müssen. Aber muss man sich deswegen auch immer gleich bescheiden und mit dem vorhandenen zufrieden geben? Wo wären denn bestimmte Errungenschaften, wenn unsere Vorfahren oder auch nur die Generationen vor uns immer nur dankbar für das gewesen wären, was sie schon nutzen durften?

Stehe ich denn so allein da, sehe ich da vielleicht grundsätzlich etwas verkehrt oder wie seht Ihr die Sache mit der Dankbarkeit allgemein. Es soll hier nicht um die oben genannten Beispiele gehen. Seht Ihr das auch so, dass Dankbarkeit teilweise eine echte Plage ist? Und wie reagiert Ihr, wenn man von Euch fordert, für etwas dankbar zu sein?

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Ich sehe es genauso wie du und frage mich wieso man für das Mindeste ständig dankbar sein soll?. Natürlich geht es immer schlechter, aber wenn man sich nach unten oriertiert wird es auch nur weiter Berg ab gehen. Deswegen finde ich das eine Buckelhaltung der falsche Weg ist.

Viele sagen in Zeiten der Weltwirtschaftskrise muss man für jenes und dieses dankbar sein. Nur niemand merkt, dass wenn man schon für das Mindeste dankbar ist, wird es nie besser werden kann. Man muss Ansprüche haben um einen qualitativ hochwertigen Lebensstil führen zu können.

Wohin die Buckelhaltung führen kann, sehen wir sehr schön an den 3. Welt Ländern.

» JeanSmith » Beiträge: 422 » Talkpoints: 4,88 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Oft wird die Forderung von Dankbarkeit ja nicht von denjenigen ausgesprochen, die uns bestimmte Leistungen zur Verfügung stellen, etwa das Bundesland, sondern von denjenigen Leuten, die dieselben Leistungen nicht erhalten. Sie fordern diese unsere Dankbarkeit vielleicht nicht offen und direkt, aber, so geht es zumindest mir, oft hat man dann selbst das Gefühl, den Gebern zur Dankbarkeit verpflichtet zu sein, weil es andere ja nicht so gut erwischt haben wie man selbst.

Darin sehe ich aber ein großes Problem, denn so wie ihr es schon geschrieben habt, darf man sich nicht nach unten orientieren, man soll immer ein Ziel vor Augen haben, auf das man hinarbeitet. Wenn man jetzt manche Leistungen sowieso "geschenkt" bekommt (sonst müsste man sich ja nicht bedanken), braucht man natürlich selber weniger Leistung erbringen. Das sehe ich als den falschen Weg an.

Allein schon, wenn es um die Persönlichkeitsentwicklung geht, ist es wichtig, dass man nicht für alles, was einem durch äußere Umstände zufällig in den Schoß fällt, dankbar zu sein, sondern man sollte sich selbst gratulieren, denn fast immer hat man selbst schließlich auch einen Beitrag dazu geleistet! Die angesprochene Arbeitslose, die ALG II bezieht, darf man nicht vorschnell zur Dankbarkeit verpflichten, weil man nicht weiß, ob ihre Arbeitslosigkeit selbst verschuldet ist, inwieweit sie sich darum bemüht, eine neue Anstellung zu bekommen usw.

Ich selbst bin nur Menschen dankbar, die tatsächlich etwas für mich getan haben, nicht aber etwa dem Staat oder den Ländern für irgendwelche Leistungen. Wenn es nämlich so wäre, würde ich mich selbst als hilfsbedürftig ansehen, und das möchte ich im Sinne einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung nicht.

» annalivia » Beiträge: 14 » Talkpoints: 6,45 »



Manchmal wird Dankbarkeit wirklich überwertet und solche Art von Dankbarkeit ist nicht gerade schön. Man müsste demnach für alles dankbar sein. Soll ich jeden Tag dankbar sein, dass ich etwas zu essen hatte, dass ich in die Schule gehen durfte und das ich ein Dach über dem Kopf habe? Manche Dinge sollten eigentlich selbstverständlich sein und man sollte nicht schon das Gefühl haben für die bloße Existenz dankbar sein müssen. Es ist ja auch keine echte Dankbarkeit, wenn einem durch die Gesellschaft vermittelt wird, was man für ein Glück hat und das man dankbar zu sein hat.

Eigens entwickelte Dankbarkeit ist viel schöner und weniger nervig. So bin ich wirklich dankbar, dass ich liebevolle Eltern hatte, die sich immer sehr um mich bemüht haben. Sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, ist es aber nicht und ich finde für so etwas kann man gerne dankbar sein. Wenn ich in er Türkei bin, dann ich auch froh in Deutschland geboren zu sein, aber das sind Dinge die ich mir nur für mich selbst denke, da sie mir aufgefallen sind. Ich würde auch keine Dankbarkeit fühlen wollen, die irgendwie von mir erwartet würde, zum Beispiel wie die Sache mit dem Kitaplatz.

Ich denke auch, dass man für diese finanziellen Unterstützungen nicht nur dankbar sein sollte, denn dann entsteht schnell eine Zufriedenheit mit der Situation. Es ist ein Glück, dass es solche Finanzstützen gibt und man kann froh darüber sein, aber nicht unbedingt dankbar. Man kann ruhig mehr fordern, an sich selbst und versuchen die Situation zu verbessern. Dankbarkeit ist für mich eher etwas anderes und sollte auch nicht ständig erwartet und schon gar nicht in eine Zeitung projeziert werden, denn das wirkt das ganze irgendwie falsch und aufgesetzt.

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» pichimaus » Beiträge: 2016 » Talkpoints: 6,99 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Ein bischen Dankbarkeit ist ja nicht schlecht und in unserem Bewusstsein sollte es oft einen größeren Raum einnehmen. Allerdings trifft das wirklich nicht auf Aufgaben zu die selbstverständlich in unseren Breiten sind wie zum Beispiel die Müllabfuhr, die Polizei oder eben die Betreuung der Kinder.

Solche Institutionen werden ausschließlich von den Leuten selbst durch ihr Steueraufkommen und ihre persönlichen Beiträge bezahlt. Es handelt sich nicht um Geschenke des Staates sondern um Leistungen die im Interesse des Staates liegen.

Dankbarkeit gegenüber der dort beschäftigten Personen halte ich dagegen wieder für angebracht. Diese werden zwar auch von mir dafür bezahlt, aber das persönliche Engagement ist für mich keine Selbstverständlichkeit.

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» hooker » Beiträge: 7217 » Talkpoints: 50,67 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Ich denke, dass die Art und Weise, wie das Wort "Dankbarkeit" gerade in den von dir zitierten und ja weithin bekannten Argumentationen oft benutzt wird, nicht viel mit der eigentlichen Bedeutung zu tun hat. Denn es geht ja hier nicht darum, dass sich jemand über das freuen soll, was er hat, sondern darum, dass er gefälligst die Klappe halten soll und kein Recht hat sich über irgendwelche Missstände zu beschweren.

Deshalb denke ich auch nicht, dass Dankbarkeit im eigentlichen Sinne des Wortes einem Fortschritt im Wege stehen muss, denn man kann doch glücklich über das sein, was man erreicht hat, und trotzdem nach Fortschritt und Verbesserung streben. Ich denke sogar, dass eine Lebenssituation, mit der man zufrieden ist, förderlich für den Fortschritt ist. Aus dieser gesicherten Position heraus kann man doch ganz andere Wagnisse und Risiken eingehen, weil man weis, dass man im Falle eines Misserfolgs immer noch das hat, mit man eigentlich zufrieden ist.

Ich muss auch sagen, dass mich diese permanente deutsche Unzufriedenheit teilweise schon nervt und, dass mir in fast keinem anderen Land so viele Leute begegnen, die immer irgendwas zu meckern oder zu jammern haben und die dabei vergessen, was für ein privilegiertes Leben wir hier alle führen. Aber von solchen Leuten "Dankbarkeit" zu fordern ist natürlich ziemlich sinnlos, denn Gefühle kann man nicht auf Knopfdruck einfordern.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Leider sind in der Praxis Dankbarkeit und Dankbarkeit zwei grundlegend verschiedene Dinge, denn es kommt dabei immer auf die spezielle Situation an. Für mich ist eine entsprechende Dankbarkeit angepasst, wenn ich für ein spezielles Problem direkte Hilfe suche.

Habe ich dann die gewünschte Hilfe erhalten, bedanke ich mich natürlich angemessen bei den Helfern dafür. Diesen Vorgang halte ich für total normal, denn man hat sich ja speziell auch für mein Anliegen eingesetzt. Die angebotene Hilfe wurde ja direkt auf meine direkten Bedürfnisse zugeschnitten.

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» karlchen66 » Beiträge: 3563 » Talkpoints: 51,03 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Dankbarkeit ist schon ganz nett, wenn Sie denn wirklich angebracht ist. Allrdings gibt es genügend Leute, die sich ein "Danke" schwer heraus quetschen können, obwohl man sieht, wie sehr sich derjenige freut. Das finde ich dann schade, und eventuell sogar ein wenig unhöflich, aber ich schenke ja eigentlich auch, um den Anderen eine Freude zu machen. Das mit der Höflichkeit wurde bei mir nur sehr stark anerzogen, sodass ich da noch nicht ganz drüber hinweg bin.

Dankbar zu sein für Leistungen, die einen zustehen, finde ich eher übertrieben. Natürlich kann ich mich über so manche Dinge freuen, die hier geregelt sind, und anderswo nicht - ich kann mich dahingehend glücklich schätzen. Aber oftmals ist dann ja auch etwas im Leben nicht so einfach, was halt gerade die Inanspruchnahme dieser Leistung notwendig macht. Letztlich kann ja jeder schauen, was er oder sie beantragen kann, wenn man es denn in Anspruch nehmen möchte.

Dass da dann allerdings noch Dankbarkeit erwartet wird, wo es sich meistens doch um nichts besseres handelt, als etwas, was andere Menschen sich eh schon leisten können, ist zum Teil eher lächerlich. Ich denke, die meisten Leute würden wohl gerne Abstand davon nehmen, Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Manche Leute verzichten ja sogar lieber darauf und leben dann noch schlechter gestellt, als Sie es eigentlich müssten, aus falscher Scham. Das ist eher traurig. Wenn man sich irgendwann nicht mehr in der "schlechter gestellten" Position befindet und zurück blickt, da kann ich mir vorstellen, dass dann so etwas wie Dankbarkeit entstehen kann.

» ygil » Beiträge: 2551 » Talkpoints: 37,52 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


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