Zweiklassenmedizin / Facharzttermin nur für Privatpatienten?

vom 24.02.2009, 23:35 Uhr

Oft lese ich, dass viele Ärzte nur noch Privatpatienten neu aufnehmen. Auch ich selber habe es schon am eigenen Leib erfahren. Wenn man also in eine andere Stadt gezogen ist und einen Facharzttermin wie Augenarzt, HNO-Arzt, Gynäkologe oder sonst ein Facharzt haben will ist es schwer einen Termin zu bekommen.

Die erste Frage am Telefon bei der Terminabsprache ist: Waren sie schon einmal bei uns in der Praxis? Wenn man dann sagt, dass man noch nicht so lange hier wohnt und noch bei keinem Augenarzt, HNO Arzt usw. war, dann wird gefragt, welche Krankenkasse man hat. Wenn man dann ehrlich ist und antwortet, dass man in einer gesetzlichen Krankenkasse ist, dann nehmen die Ärzte keine Termine mehr für Neupatienten an, weil die Praxis ja so überlaufen ist und wenn man Glück hat, dann bekommt man einen Termin in 6 Monaten. Ist man Privatpatient, dann bekommt man einen Termin ohne Probleme.

Klar, verdienen die Ärzte an Privatpatienten erst richtig, Aber haben die Leute, die sich keine private Krankenversicherung nicht leisten können kein Recht auf Gesundheit und Vorsorge? Oft wird von der Zweiklassenmedizin gesprochen. Die Politiker verneinen das und meinen, dass das Gesundheitssystem in Deutschland das Beste wäre. Aber ich als Kassenpatient merke es nicht, dass es KEINE Zweiklassenmedizin gibt.

Ich selber habe schon vor dem Problem gestanden, dass ich keinen Termin bei einem Augenarzt bekam, weil ich Neupatient und Kassenpatient bin. Nach langem Reden bekam ich den Termin dann 5 Monate später Eine Bekannte hat dann für sich einen Termin ausgemacht. Sie hat eine private Versicherung und war auch noch nie bei diesem Arzt. Sie bekam in der nächsten Woche den Termin. Wir sind dann am gleichen Tag zu dem Arzt hingefahren und meine Bekannte hat dann in der Praxis ihren Termin abgesagt und gesagt, dass sie mir dann diesen Termin geben möchte. Die Arzthelferinnen schauten dumm, aber ich bekam den Termin.

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge



Es gibt in meinen Augen keine Zweiklassenmedizin, sondern eine Dreiklassenmedizin. Als Kassenpatient steht man leider in der dritten Reihe, als normaler Privatpatient stehst du in der zweiten Reihe und als Privatpatient mit zusätzlichen finanziellen Mitteln bzw. besonderen Paketen stehst du in der ersten Reihe (darauf gehe ich gleich nochmal etwas näher ein).

Das was du beschreibst ist Alltag. Allerdings nicht aus dem Grund, weil die Ärzte an den Privatpatienten erst richtig verdienen, sondern aus dem Grund, weil die Ärzte an den Privatpatienten überhaupt Geld verdienen. Die normalen niedergelassenen Ärzte bekommen von den Kassen ein so genanntes Quartalskontingent, ist dieses aufgebraucht, so werden die Kassenpatienten im Prinzip kostenlos behandelt, denn der Arzt bekommt für Verordnungen und die Behandlung kein bzw. fast kein Geld mehr.

An den Privatpatienten verdient er Geld, weil diese ersteinmal selbst zahlen müssen, bzw. die Versicherung bezahlt (das führt hier jetzt aber etwas zu weit, das alles haarklein aufzuschlüsseln). Sie sind also nicht an irgendwelche Vorgaben gebunden, wieviel sie verschreiben dürfen etc. Die Privatpatienten sorgen also dafür, dass der Arzt jeden Monat seine Rechnungen bezahlen kann.

Stell dir jetzt einfach mal vor, du wärst dieser Arzt, bist mitten im Quartal und darfst nichts mehr verschreiben, weil du kein Geld mehr dafür bekommst. Was würdest du machen? Würdest du die Praxis die nächsten 6 Wochen dicht machen, oder würdest du dem Privatpatienten schnell einen Termin geben, dass du dein Kosten decken kannst? Ich kann mir glaube vorstellen, wie jetzt deine Antwort aussieht.

Die Patienten der ersten Klasse haben dem gegen über noch einen entscheidenden Vorteil. Sie bekommen nicht nur beim örtlichen Facharzt schnell einen Termin, sondern auch beim deutschlandweiten Spezialisten, z.B. für Neurodermitis usw. (das meist auch innerhalb von 5 Werktagen). Dafür gibts entsprechende Pakete für Patienten (auch für Kassenpatienten). Oder man hat das nötige Kleingeld, um z.B. einen Honorarsatz zu bezahlen, der an das 7,5 fache der normalen Gebührenordnung ran reicht. Das ist die erste Klasse, die allerdings sehr sehr klein ist.

Ich will hiermit keinen Arzt in Schutz nehmen, allerdings kann ich viele von ihnen durchaus verstehen dass sie so handeln. Sie handeln nämlich nur nach BWL-Grundkurs 1. Vielmehr möchte ich hiermit mal wieder die Krankenkassen an den Pranger stellen, die nicht mehr viel richtig machen. Wenn die mit ihrem Geld vernünftig wirtschaften würden, dann gäbe es solche Probleme nicht. Da sie das nicht machen und wir immer noch über 200 Krankenkassen in Deutschland haben, wird sich da auch so schnell nichts ändern.

Erst wenn die Anzahl drastisch reduziert wird (1 bis 5 Stück reichen völlig aus), dann können wir hoffen, dass sich hier etwas ändert. Allerdings fehlt dann immer noch der Schritt zum wirtschaftlich mit dem Geld umgehen und entsprechend die Leistungen anpassen. (Wie heißt es doch so schön: Vorsorge ist besser als Nachsorge oder auch, wenn es brennt, dann ist Brandverhütung zwecklos etc).

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» jasper » Beiträge: 554 » Talkpoints: -0,26 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Ich muss sagen, dass die bei größeren Gemeinschaftspraxen tatsächlich diese Erfahrung gemacht habe, dort ist man meiner Meinung nach meist eher "gönnerisch", anscheinend kann man es sich dort leisten, tatsächlich eine Art 2-Klassen-Medizin zu praktizieren.

Mal ehrlich, ich kann die Ärzte schon verstehen, dass sie Privatpatienten den Vortritt lassen, manche zahlen z.B. bei Hausbesuchen sogar noch drauf, sprich Kassenpatienten sind nicht gerade lukrativ und können in Extremfällen sogar ein Minus bedeuten. Aber was ich nicht verstehe, ist, wie man Kassenpatienten ganze 4-5 Monate warten lassen kann. Das überschreitet in meinen Augen schon den Rahmen des Zumutbaren.

Ich hatte auch mal so einen Fall, da hätte ich erst in 4 Monaten einen Augenarzttermin bekommen. Da habe ich mir gedacht "okay, Götz von Berlichingen, dann suche ich mir halt einen anderen" und habe im Telefonbuch einfach die nächstbeste kleinere Praxis herausgesucht. Und Voila, ich hatte einen Termin ein paar Tage später. Der Augenarzt hat eine winzige Praxis, aber er ist nett und kompetent, mein Sohn geht jetzt auch dorthin - also geht doch. Es gibt in den meisten Gegenden genug Ärzte und meiner Erfahrung nach sind nicht alle so gestrickt bzw. so überlaufen, dass sie die Patienten auf monatelange Wartelisten setzen.

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» netti78 » Beiträge: 3238 » Talkpoints: 18,35 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Wartezeit beim Arzt trotz Termin
Wartezeit auf Termin beim Arzt
lange Wartezeiten beim Arzt
Kassenpatient oder Privatpatient - schneller Termin bekommen
usw.

Diamante hat geschrieben:Klar, verdienen die Ärzte an Privatpatienten erst richtig, Aber haben die Leute, die sich keine private Krankenversicherung nicht leisten können kein Recht auf Gesundheit und Vorsorge?

Doch, aber die haben im Gegensatz zu Privatpatienten, von denen die meisten selbstständig sind und kein Geld mit rumsitzen verdienen, genug Zeit auch mal zu warten. Da das in den anderen Themen schon x-fach erörtert wurde:
- Privatpatienten bringen den Ärzten mehr Geld bzw. wie jasper schon sagte: Nur Privatpatienten bringen Geld - (Fach) Ärzte mit ausschließlich Kassenpatienten als Kunden können gleich dicht machen. Was ist Dir dann lieber? Kein HNO Arzt oder einer bei dem Du 6 Wochen warten musst?
- Privatpatienten haben einen schnellen Termin aus ihrer Sicht oft nötiger im Gegensatz zu einem in der Regel eher zu verschmerzenden Arbeitnehmern der ausfällt, wenn nicht gerade Spezialarbeiter. Wieder: Was ist schlimmer - Arbeiter Nummer 112 der fehlt oder der Chef der die Entscheidungen trifft und die anderen 111 beschäftigt? Oder noch zynischer: ein gesunder Arbeitsloser nützt der Gesellschaft weniger als ein kranker Arbeitnehmer - so läuft es nun mal leider... usw. usf.

» KrashKidd » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

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