Unreflektiertes Reden und Handeln

vom 13.02.2009, 13:11 Uhr

Hallo Talkterianer!

Etwas schwere Kost versuche ich einmal hier zu diskutieren, ich bin mal gespannt.

Es fällt mir in letzter Zeit immer mehr auf, dass so viele Leute Meinungen, Gedanken und Geschichten einfach unreflektiert und so wie sie geschrieben oder erzählt sind, aufnehmen und für bare Münze nehmen. Damit meine ich natürlich einerseits Nachrichten oder sogenannte "Wissenssendungen" wie z.B. Galileo, andererseits aber auch konkret hier im Forum einige Ausgangsposts in Threads, die irgendeine Meinung über einen Sachverhalt ausdrücken und dann diese Meinung unreflektiert nachgeplappert und übernommen wird. Selten werden nähere Umstände hinterfragt (und dann auch geklärt) oder nur mal versucht sich in die andere Seite oder auf andere Weise an den Sachverhalt heranzugehen.

Ist das zu unbequem? Hat man Angst eine eigene Meinung zu bilden und dann vielleicht allein dazustehen? Oder ist es zumindest hier im Forum die Erklärung, dass manche nur den Ausgangspost lesen und den Rest der Beiträge die schon dort stehen nichtmal überfliegen?

Aber auch bei Sendungen im TV wird so oft einfach eine Behauptung aufgestellt und schön wirksam als Kracher-Information präsentiert. Dabei kann man mit 5 Sekunden Nachdenken schon den Gehalt, den Sinn oder die Wahrheit hinterfragen.

Meine Frage ist nun: Ist das ein Wandel der Gesellschaft? War das früher auch so? Was sind Situationen bei denen ihr denkt: Warum hinterfragt das niemand? Gibt es noch mehr Beispiele, vielleicht auf der Arbeit? Wo erlebt ihr soetwas, dass euch die Leichtgläubigkeit eurer Mitmenschen total aufregt?

Grüße, Herr Lehmann

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» Herr Lehmann » Beiträge: 558 » Talkpoints: 5,56 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Ein wirklich interessantes Thema, das mich persönlich vorgestern auch sehr beschäftigt hat, weshalb ich jetzt schon einige Dinge aus dem Stehgreif dazu sagen möchte ;)

Herr Lehmann hat geschrieben:Meine Frage ist nun: Ist das ein Wandel der Gesellschaft? War das früher auch so? Was sind Situationen bei denen ihr denkt: Warum hinterfragt das niemand? Gibt es noch mehr Beispiele, vielleicht auf der Arbeit? Wo erlebt ihr soetwas, dass euch die Leichtgläubigkeit eurer Mitmenschen total aufregt?

Als Wandel der Gesellschaft würde ich das absolut nicht bezeichnen. Man denke mal ans Mittelalter zurück, als rothaarige Frauen als Hexen verbrannt wurden wegen der Inquisation. Da hat auch keiner nachgefragt. Oder auch nur ans Dritte Reich, wo der Propaganda ebenfalls sehr nachgegeben wurde. Neu ist das Thema also keineswegs - sondern eher erschreckend, dass sich seitdem nicht "so viel" verändert hat. Wobei man nicht sagen kann es hätte sich gar nichts geändert, immerhin hat es in der Zwischenzeit einige Menschen gegeben die alles mögliche hinterfragt haben und somit wenigstens moralisch "bessere" Meinungen zum Nachplappern kundgegeben haben.

Aber auch in der Schule wird (im Durchschnitt betrachtet) das Hinterfragen antrainiert oder gelobt wenn es vernünftig praktiziert wird. So erinnere ich mich zum Beispiel noch an mein Grundschulzeugniss, in dem (es gab zuerst ja noch keine Noten standen) bei mir für Religion auch stand, dass ich Behauptungen gerne auf den Grund gehe und nicht einfach als gegeben hinnehme. Speziell im Bereich Religion mag man vielleicht über den Sinn und Unsinn des Hinterfragens anders denken als wenn es zum Beispiel um politsches Handeln geht, da für manche Menschen ihr Glaube immer noch etwas "Heiliges" ist. (Deswegen lasse ich heutzutage auch Diskussionen mit jeglichen religösen Menschen über das Thema sein :D)

Was mich auf jeden Fall immer wieder aufregt ist ehrlich gesagt die Bild-Zeitung bzw. ihre Leserschaft. Die Bild-Zeitung mag in der freien Medienlandschaft noch ihre Berechtigung haben, aber ich persönlich finde es schon verwerflich wie da Thesen als Fakten präsentiert werden. Natürlich "kann" sich der Verlag darauf berufen, dass die dummen Leser im Endeffekt selbst schuld sind, wenn sie sich keine eigene Meinung bilden (wollen). Theoretisch stimmt das ja sogar so. Moralisch finde ich es trotzdem auf gut Deutsch - scheiße. Ich rege mich immer wieder besonders in Foren auf (auch auf Talkteria, aber genauso anderswo). Wenn dort ein Thema eröffnet wird, meistens in Sparten "Aktuelles" und ähnlich, wo direkt eine Meinung dazu geschrieben wird in der quasi Schuldzuweisungen, teilweise fast Hetztiraden losgelassen werden, brauch ich gar nicht mehr nachsehen was heute der Titel der Bild-Zeitung war, ich sehe es in neuen Worten formuliert ja schon vor mir. Irgendeine Kritik an dem was in der Zeitung steht? Fehlanzeige! Dafür haben wir doch unsere unabhängigen Medien, oder?

Und die Medienlandschaft ist auch genau jenes Thema, über welches ich mir gestern wegen der Wilhelm-Story (Guttenberg), "Kuranyis Rauswurf" und noch einer dritten Geschichte die mir leider grad entfallen ist Gedanken gemacht habe. Das betraf allerdings auch nicht ausschließlich die Bildzeitung ;) Speziell dazu mag ich gerne noch mal auf einen meiner Meinung nach durchaus lesenswerten Blogpost von Martin Oetting hinweisen, wo es um "investigativen Journalismus" geht - das Thema gehört für mich in gewisser Weise auch zur Meinungsbildung, der zur guten Meinungsbildungen braucht man eigentlich auch gute Grundlagen. Genau jene vermisse ich auch zum Teil, wie man vielleicht aus meiner Meinung zur Bild-Zeitung schon erahnen konnte :D

Zum Schluss möchte ich aber auf jeden Fall noch sagen, dass es ziemlich "menschlich" ist, einfach bequem aufbereitete Informationen und dazugehörige Meinungen zu übernehmen. Es ist eben auch sehr bequem. Wenn wir uns wirklich zu jedem Thema über das wir lesen eine vernünftige, eigene Meinung bilden würden, kämen wir vor lauter Meinungsbildung wohl zu nichts anderem mehr. Der kleine aber feine Unterschied liegt dann nur darin, wie man die unreflektierten Meinungen die man so im Kopf hat weiterverbreitet. Bei mir läuft das zum Beispiel eher so ab, wenn eine Diskussion zu einem Thema läuft zu dem ich eben nicht besonders recherchiert und nachgedacht habe, dass ich meinen Standpunkt nicht besonders fest vertrete. Ich äußere, was ich darüber gelesen habe, und für gewöhnlich kommt dann schon jemand mit weiterführenden Informationen an, die meine Meinung durchaus beeinflussen würden. Das heißt aber nicht, dass ich sie nach der Diskussion unbedingt sofort als Standpunkt übernehme, sondern viel mehr, dass ich mich dann (bei Interesse) doch noch mal näher mit dem Thema beschäftige und dabei dann auch gezielt nach Fakten die mir in der Diskussion präsentiert wurden suche.

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» Taline » Beiträge: 3594 » Talkpoints: 0,75 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


Hm schwierig, schwierig - zuerst: Was hier schon vorgebracht wurde, dem kann ich mich anschließen.

Ich denke auch, dass es den meisten einfach zu bequem ist, selber zu denken oder etwas nachzurecherchieren - vorgefertigte Meinungen sind einfach bequemer, egal wo und wann. Dass die meisten davon extrem einseitig und oft doch sehr substanzlos sind ist den meisten dabei wohl gar nicht bewusst.

Dazu kommt meiner Meinung: Die meisten Menschen mögen einfach sehr einfache, schnell verständliche Erklärungen - ich mein, was ist für den 08/15 Bürger leichter zu verstehen: eine einfache, doch meist hirnfreie Parole, die den "Sachverhalt" abkürzt oder eine ausufernde und komplexe Erklärung die man nicht auf Anhieb versteht. Oder auf Pressedeutsch: Ein Bild 4 Zeiler lässt bei vielen eben leichter verarbeiten als ein ganzseitiger Artikel in der FTD / Süddeutschen / FAZ zum gleichen Thema.

Ich merke gerade, wie ich in meine eigene Schublade reinrutsche :wink:, denn die Unterschiede bei den Medien sind ja wesentlich gravierender als nur verkürzte und sinnentstellte Sachverhalte, teilweise zweifelt man ja wirklich am Verstand seiner Mitmenschen. Das ist jetzt kein Scherz, sondern eine persönliche Erfahrung aus der Uni (auch wenn sowas immer nur schwer als Beispiel aufzustellen ist), wo mir allen ernstes jemand damit ankam, dass er die Süddeutsche / Wikipedia z. B. nicht versteht, weil sie zu kompliziert ist. Er sagte direkt, dass sein Hirn sich da beim Lesen förmlich ausklinkt.

Das hieß für ihn vor allem, dass die Artikel und die Sätze z. B. zu lang und kompliziert waren - wenn hier manche Bildungsblockaden aufbauen, weil sie einen Satz + mehreren Nebensätzen und Einschüben als zu kompliziert empfinden tauchen hier Barrieren aus dem Nebel auf, die man überhaupt nicht erwartet hätte. Dass man Fremdwörter nicht unbedingt kennt - ok (wenn auch peinlich). Wer sich aber als hier aufgewachsener Deutscher nicht einmal mehr in der deutschen Sprache verständigen kann - oje...

Egal, weg von den wenig objektiven Einzelbeispielen hin zu meiner zweiten Theorie - ich glaube nicht, dass es wie bei vielen anderen Dingen mehr geworden ist (Straftaten, moralischer Verfall usw.), sondern dass sich hier die Wahrnehmung geändert hat.

Haben die Unwissenden und Dampfplauderer einem in der Vergangenheit kaum berührt und sich maximal in Vereinen und an Stammtischen ausgetobt, so drängen sie sich heute überall ins Bewusstsein - im Fernsehen, im Internet, in der Zeitung usw. Also medial gesehen sind diese Nasen viel stärker im Fokus als vorher - und ich rede hier nicht nur vom Unterschichtenfernsehen, sondern auch von Programmen, die sich an die "Elite" richten und in die mittlerweile diese fröhlichen Mitmenschen vorstoßen. Polittalk mit Vertretern in der Runde, die Meinungen wiedergeben, die allen Anwesenden die Haare zu Berge stehen lassen sind ja keine echte Seltenheit mehr - man braucht keine Ahnung vom Fach, sondern eine möglichst dämliche Meinung um Quote zu machen und zu polarisieren.

Ehrlich gesagt würde mich das nicht jucken, jeder wie er will, wenn ich nicht persönlich davon betroffen wäre, also beispielsweise in Diskussionen aller Art (nicht nur hier, vor allem in Seminaren oder bei den AStA Veranstaltungen) wo wirklich 90 % der Zeit mit Aufklärung und themenfremden Inhalten verschwendet wird - das nervt und hindert massiv am produktivem Arbeiten, weswegen hier teilweise schon Stimmen laut werden, jene Gruppen auszuschließen um hier mal wieder vernünftig voranzukommen, was natürlich mit dem basisdemokratischen Gedanken und freiem Zugang kollidiert.

Meiner Meinung geht kurz gesagt der Trend halt immer stärker zu simplen, schnellverständlichen Parolen - und was ich meine zu verstehen und für mich einen Sinn ergibt hinterfrage ich nicht! Es kommt einem fast so vor, als wehren sich die meisten förmlich gegen das Denken an sich.

Prinzipiell bin ich aber auch ein Freund der Einfachheit, weil mir zu diesem Thema und anderen immer wieder ein Zitat von Dieter Nuhr aus seinem Nuhr nach vorn Programm ein: Das ist so schrecklich, dass heute jeder Idiot zu allem eine Meinung hat. Ich glaube, das ist damals mit der Demokratie falsch verstanden worden: Man darf in der Demokratie eine Meinung haben, man muss nicht. Es wäre ganz wichtig, dass sich das mal rumspricht: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten.", was es für mich im Wesentlichen auf den Punkt bringt: Es wäre schön, wenn man sich nur dann äußert, wenn man etwas Sinnvolles beizutragen hat und nicht meint, unbedingt (warum auch immer) etwas beitragen zu müssen was einem gerade in den Sinn kommt.

A pros pros zu dem Thema Meinung: Ich finde, dass das Wort in meinen Augen einen Bedeutungswandel durchgemacht hat - während früher Meinung noch mit Wissen assoziiert wurde muss man heutzutage unterscheiden zwischen Meinung und Wissen, da beide in zwei völlig verschiedenen Ligen spielen! Galileo ist in diesem Sinne für mich eine reine "Meinungs"sendung, aber im Leben keine "Wissens"sendung (und war es im Grunde auch nie).

Noch als entschärfender Nachsatz, der erlaubt sei: Niemand ist perfekt und logischerweise auch nicht dessen Meinung, ganz abgesehen davon dass die meisten im Gegensatz zur eigenen stehen - aber während das Diskutieren hier noch Spaß macht und irgendwo das Fernziel besteht, dass jeder dem anderen etwas neues beibringt ermüden Diskussionen, in denen das völlig fehl am Platz ist, man sich nur wiederholt, nur themenfremde Meinungen auftauchen usw. und das Thema insgesamt dadurch stagniert!

So etwas ist nur nervend und man ist verärgert, weil man weiß, dass man seine Zeit auch hätte besser nutzen können und man dazu noch weiß, dass das diskutieren / debattieren überhaupt nichts genutzt hat. Denn was bewundernswert ist, ist die Sturheit mancher Menschen, die gebetsmühlenartig und unbelehrbar immer wieder den gleichen Unsinn wiederholen und nichts dazulernen wollen, oft ihr ganzes Leben lang.

Getoppt wird das nur von der Spezies Mensch, die sogar noch so dreist ist den so eben ausführlich dargelegten Sachverhalt mit einer Anfangsfrage zu toppen, simples Beispiel: A mit ausführlicher Erklärung: "Unter dem Leverage Effekt ist zu verstehen..." und B direkt danach: "Weiß jemand was Leverage ist?". Ein Szenario was mir mindestens 3 - 4 Mal am Tag (außer WE :wink:) in der Uni so über den Weg läuft...

Als Idealist im Abi hat man noch geglaubt, dass jeder Mensch in der Lage ist, zur (geistigen) Erkenntnis zu gelangen und durch Impulse (sokratischer Dialog) dazu bewegt werden kann. Als Zyniker am Ende des Studiums habe ich diese Vorstellung nach 10 Jahren mittlerweile aufgegeben bzw. sehe sie diese Theorie nur noch als begrenzt realistisch an wie den Kommunismus - das meiste "Ausgangsmaterial" ist einfach zu minderwertig um damit vernünftig zu arbeiten und um daraus etwas von Wert zu schaffen.

Nun gut, ich möchte andere auch noch zu Wort kommen lassen :wink:.

» KrashKidd » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Midgaardslang am 14.02.2009, 01:09, insgesamt 2-mal geändert. Zeige Beitragsversionen


Zuerst einmal gebe ich meinen Vorrednern natürlich recht.

Für mich ist das Ganze dann aber doch noch etwas vielschichtiger unter dem Stichwort: Zeit.

Bei der heutigen Informationsflut habe ich bei vielen Themen einfach nicht die Zeit mich grundlegend in mir unbekannte oder nur oberflächlich bekannte Materie einzuarbeiten. Wenn ich auf Spiegel.de 300 Wörter über die Wollproduktion Finnlands lese, dann nehme ich das eben für bare Münze und recherchiere da nicht weiter nach, da mir dieses Thema einfach nicht relevant genug erscheint weitere Nachforschungen darüber anzustellen, geschweige denn meine begrenzte Zeit dafür opfern möchte. Natürlich möchte ich es mir aber auch nicht nehmen lassen, zu gegebener Zeit eine Meinung zu dem Thema zu haben. Eine Meinung beinhaltet meiner Ansicht nach nicht, dass man das Thema zum persönlichen Selbststudium erklärt, sondern lediglich, dass man sich Gedanken darüber gemacht hat. Ob diese Gedanken nun richtig oder falsch sein mögen steht dabei nicht zur Debatte.

Das soll aber keineswegs die Bild-Stammtischfraktion in Schutz nehmen, denen wohl selbst ein Papagei in seiner Meinungsäußerung noch weit überlegen sein dürfte. Dennoch sehe ich unseren Durchschnitt hier in Deutschland immer noch weit höher als in anderen Ländern wie beispielsweise der USA, wo sich meine Schwester wirklich der Frage stellen musste, wie das denn so wäre mit einer Mauer quer durch das Land (das war 14 Jahre nach der Wende).

Den ungebildeten Pöbel gab es schon immer und wird es immer geben, und solange es diesen gibt, wird er auch alles brav nachplappern was man ihm mundgerecht vorkaut. Ich bin aber guter Dinge, dass wir was diese Dinge angeht, bald einen Rückwärtstrend erleben und das allgemeine Bildungs- und auch Meinungsniveau wieder etwas steigen wird, dank neuer medialer Möglichkeiten, die einem Wissen ja schon nahezu von alleine ins Gehirn schaufeln (wenn man es denn zulässt).

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» PitDesign » Beiträge: 375 » Talkpoints: -1,22 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Dieses Thema beschaeftigt mich auch schon seit langem. Und mein persoenlicher Eindruck ist, dass die Tendenz Informationen aus Medien (ob TV oder Print) einfach zu uebernehmen, staerker ausgepraegt ist, als vor ein paar Jahren. Meiner Meinung nach haengt das schon mit dem Wandel und dem Wertewandel der Gesellschaft zusammen. Alles soll schnell und jederzeit verfuegbar sein. Hinterfragen kostet Zeit und wird daher geflissentlich vernachlaessigt. Dazu kommt noch der gewisse Herdentrieb oder Lemming Effekt. Gelebte unreflektierte Aeusserungen, die mich persoenlich stark aufregen sind zum Beispiel mein Grossvater oder mein Bruder.

Mein Grossvater bezieht eine relativ gute Rente. Als Randinformation muss ich dazu sagen, dass ich aus den neuen Bundeslaendern stamme. Zu Zeiten der Wende und Wiedervereinigung hatte er einfach das richtige Alter, um in Rente zu gehen und von da an ein gutes Einkommen zu beziehen. Nun zeichnet sich mein Grossvater durch markige Sprueche wie: "Diese ganzen Hartz 4 Schmarotzer muesste man zur Arbeit zwingen" und "Die Armen sind doch selber schuld, dass sie arm sind." aus.

Und mich bringen solche Aussagen regelmaessig zum "Kochen". Abgesehen davon, dass hier in Thueringen die durchschnittliche Bezahlung jenseits einer Kostendeckung des normalen Lebens liegt und somit auch Leute die arbeiten gehen, groesstenteils die Hartz 4 Aufstockung in Anspruch nehmen muessen, finde ich eine solche Aussage generell unqualifiziert und einfach eine Frechheit. Jedoch gebe ich nicht meinem Grossvater die Schuld. Er gibt einfach das wieder was er den Medien entnommen hat. Und Sendungen wie "Die Sozialfahnder" oder Bild Schlagzeilen tragen natuerlich nicht zu einer differenzierten Meinungsbildung bei. Das einzige was ich ihm zum Vorwurf mache, ist dass er jeglichen Einwurf meinerseits als unvernuenftiges "jugendliches Gelaber" abtut.

Und mein Bruder schlaegt auch in diese Kerbe, weil er meint, dass jeder sozial schwaecher Gestellte auch selber schuld ist. Was mich so aufregt ist die Tatsache, dass mein Vater welcher selbstaendig ist und nicht selten 6 Tage die Woche arbeiten muss, meinem Bruder eine Wohnung, diverse Tankfuellungen und noch 450 Euro Taschengeld pro Monat finanziert. Nicht die Tatsache, dass mein Vater das finanziert regt mich auf, sondern mein Bruder der eben auch solche Sprueche bringt wie: "Es muss jeder zusehen wie er mit seinen Problemen klar kommt." und "Die Hartz 4 Assis sind doch selber schuld."

Auch hier denke ich, dass der unreflektierte Konsum der Medien zu solchen verbalen Engleisungen fuehrt. Denn wenn mein Bruder den Satz "Es muss jeder zusehen wie er mit seinen Problemen klar kommt." genau analysieren wuerde, muesste er frueher oder spaeter feststellen, dass er ganz allein fuer die Finanzierung seines Studiums zustaendig ist und nicht mein Vater, der die ganzen Ausgaben als Privatentnahme nochmal zusaetzlich versteuern darf.

Ich weiss, dass ich hier sehr persoenliche Beispiele gegeben habe, jedoch sind dies die Beispiele, dich mich im taeglichen Leben tangieren und aufregen. Und gerade das Hartz 4 Thema scheint sich als wahre Goldgrube fuer diverse TV Produktionsfirmen entpuppt zu haben. Dass dem vermeintlichen Generalverdacht des Leistungserschleichens eine Anzahl von 8,5 Millionen Hartz 4 Empfaengern einer Anzahl von 100.000 aufgedeckten Faellen des Missbrauchs pro Jahr (wobei hier Fallanzahl ungleich Personenanzahl) entgegensteht, ist ein anderer Fakt, der wohl bei der Berichterstattung ignoriert wird.

Dieser Beitrag spiegelt lediglich meine persoenliche Meinung dar. Ich weiss, dass ich mich sehr stark auf ein Thema verlagert habe, aber eben dieses Thema begegnet mir viel zu oft in meinem Alltag.

» hasilover » Beiträge: 83 » Talkpoints: 6,41 »


Etwas schwere Kost, damit hast du vollkommen recht.

Ich stelle in letzter Zeit an mir selber fest, dass ich einige Informationen aufsauge und nicht weiter drüber nachdenke, sie so akzeptiere und gut. Ich könnte es jetzt auf viel Arbeit schieben, dass ich mir die Zeit nicht nehme, um das eine oder andere besser zu reflektieren oder auch mal einfach nicht sofort für bare Münze zu nehmen. Vermutlich ist es die eigene Faulheit oder auch der Wunsch, dass vernünftig berichtet wird.

Wenn ich mir dann allerdings einige Nachrichtensendungen (oder solche, die sich so nennen wie z.B. RTL Punkt 12) anschaue UND darüber nachdenke dann muss ich immer wieder feststellen, dass mein Wunsch auch nur ein Wunsch bleibt und in nächster Zeit wohl nicht in Erfüllung gehen wird. Themen die Mitleid erregen sollen und/oder Menschen zeigen, denen es so schlecht geht sind hier an der Tagesordnung. Das ständige Gejammer in diesen Berichten geht mir so auf den Senkel, dass ich schon geneigt bin, gar keine Nachrichten zu schauen.

Schlimm sind hier aber nicht nur diese 5-Minuten-Jammer-Beiträge in den Nachrichten, sondern Sendungen wie "We are Family", "Gerichtsvollzieher im Einsatz" und all so ein Quark. Man sieht im TV irgendwie nur noch Szenen von den sozial schwächer gestellten Menschen, in denen die besser gestellten verteufelt werden und alle böse sind, die etwas mehr Geld und Einfluss haben. Schuld sind immer die anderen. Vor allem wenn es darum geht, warum jemand arm geworden ist. Die Mitleidstour nervt einfach nur noch. (Der arme Michael Hirte usw....)

Um beim Thema zu bleiben, mir fällt ganz besonders in Seminaren auf, dass einige meine Agenturkollegen entweder nicht zuhören können oder einfach von dem gesagt und gezeigten nichts verstehen. Vielleicht denke ich bei einigen Themen einfach zu schnell voraus. Da bin ich mir nicht ganz sicher. Wenn dann aber Stellungnahmen mancher Menschen auftauchen, wie "also, wenn der Arbeitnehmer jetzt 1 Stunde länger arbeitet, als vorher, dann kriegt der 150 € im Monat mehr und muss die dann in eine Versicherung bezahlen" (die genaue Themenanalyse hierzu lasse ich mal außen vor, dass würde jetzt viel zu weit führen) und der genau Sachverhalt ungefähr 22 Sekunden vorher thematisiert und ausführlich dargestellt wurde, dann fühle ich mich in meiner Vermutung bestärkt, dass manchen Menschen einen geistigen Horizont einer Mandarine haben. Diesen Menschen kannst du dann auch 100 mal erklären was richtig ist und wie es funktioniert, die verstehen es trotzdem nicht, oder wollen es nicht verstehen. Hier fehlt dann eindeutig die Bild Schlagzeile.

Die Berichterstattung in den Medien ist so eine Sache für sich. Ich lese online ganz gerne das Handelsblatt, da ich es für eine halbwegs seröse Zeitung halte, die nicht den größten Wert auf bunte Schlagzeilen legt und deren Berichterstattung zumindest in der Wirtschaftspresse relativ fundiert und ausgewogen ist. Alle paar Wochen muss ich mal eine etwas längere Reise machen, die ich meist mit dem Zug antrete. Komischerweise greife ich dann nicht auf das Handelsblatt, sondern auf die FAZ oder die Süddeutsche zurück. Da macht mir das Zugfahren irgendwie spaß, wenn ich eine gute Zeitung dabei habe (das ist irgendwie kurios, manchmal glaube ich, ich sollte mich mal untersuchen lassen, ob noch alles normal bei mir ist).

Klar sollte auch ich selbst bei einigen Themen bzw. bei einigen auswüchsen meiner Schreibereien das ein oder andere mal mehr nachdenken bzw. manche Fakten mehr hinterfragen bevor ich drauf los plappere (wie im Thema Lohngefälle, da muss ich "Herr Lehmann" im Nachhinein doch recht geben und mich freuen wieder was dazugelernt zu haben, aber das gehört nicht hier her) und erst danach los legen. Aber da siegt leider zu oft die Bequemlichkeit und der Wille es besser zu machen tritt nen halben Meter zurück.

Ein bisschen wirr ist dieser Beitrag jetzt schon, aber ich hoffe doch, dass ich halbwegs verständlich rüber bringen konnte, was ich eigentlich sagen wollte.

Gruß Jasper

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» jasper » Beiträge: 554 » Talkpoints: -0,26 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Hallo,

ich denke nicht, dass das "ICH-BILD-DIR-DEINE-MEINUNG"-Phänomen unbedingt in Zusammenhang mit einem gesellschaftlichen Wandel steht. Egal, welche geschichtliche Epoche man sich einmal genauer anschaut, zu allen Zeiten war es für die Obrigkeiten die einfachste Methode, die Bevölkerung so unwissend und dumm wie möglich zu halten. Ob es nun etwas salopp gesagt in früheren Zeiten hieß, "Gott bestraft dich, wenn du nicht gehorchst" oder ob man heute hört "Wenn du demonstrieren gehst und nicht an deinen Arbeitsplatz kommst, kannst du dir morgen deine Kündigung abholen.", ist dabei beinahe schon irrelevant. Der Inhalt dessen, was dem einfachen Bürger gesagt wird, mag sich gewandelt haben. Nicht aber die dahinter stehende Absicht.

Umgekehrt war und ist es für den kleinen Mann auch wesentlich leichter, das zu sagen und zu tun, was (vermeintlich) schlauere Leute ihnen in so hübsch verpackten Päckchen wie beispielsweise in 3-minütigen Fernsehsequenzen oder einem 4-Sätze-Artikel in der Bildzeitung vorlegen. Getreu dem Motto: Wer in der Gehalts-Hierarchie weiter oben steht, als man selbst "hat etwas auf dem Kasten" und dem entsprechend mehr Ahnung als man selbst.

Noch dazu kommt die allgemeine Einstellung "Was kümmert es mich, was in der Welt los ist, so lange ich mich und meine Familie versorgt weiß?!" Erst wenn Wirtschaftskrisen und/ oder neu erhobene Steuern und Abgaben die eigene finanzielle Existenz bedrohen könnten, erwacht bei vielen das Interesse am aktuellen Tagesgeschehen. Und dann möchten sie nur so schnell wie möglich jemanden präsentiert bekommen, dem man die ganze Schuld an der eigenen Situation zuweisen kann. Seien es nun (wie in einem der anderen Beiträge schon angeklungen) im Mittelalter die böse Hexe (deren Haarfarbe nur mal so am Rande nun wirklich nichts mit der Verfolgung zu tun hatte) oder heute der böse Bankangestellte, der einen ja völlig falsch beraten hat.

Das Einzige, was sich wirklich gewandelt hat, ist die Schnelligkeit, mit der Informationen heutzutage durch die Weiterentwicklung medialer Technik weiter gegeben werden können. Und auch dabei liegt die Betonung auf dem Wörtchen können. Otto Normalverbraucher schaut sich die Nachrichtensendung seines Lieblingssenders an und meint, damit wäre er genau im Bilde über alles, was für ihn persönlich relevant ist. Und weiß er trotzdem mal nicht weiter, fragt er im Höchstfall noch die Verbraucherzentrale.

Mein persönliches Fazit: Schon in der Sesamstraße hieß es: "Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm!" Wer also nicht bereit ist, über den eigenen Tellerrand mal hinaus zu schauen, wird immer auf dem selben Standpunkt stehen bleiben.

» Sunny08 » Beiträge: 228 » Talkpoints: 0,56 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich mag es auch nicht wenn hier neue Themen eröffnet werden, die über den Wert von irgendwelchen Pressemitteilungen oder Ankündigungen von Konzernen nicht hinausgeht. Sicher ich habe dann ein neues Thema eröffnet, ein paar Punkte abgestaubt und weiter beschäftige ich mich nicht damit, wozu auch. Man lässt diese Information im Raum stehen, man eckt nirgends an und andere können jetzt damit machen was sie wollen.

Das hat aber eher mit dem Punktesystem hier was zu tun, in anderen Foren ist man schon motiviert mit seinem Thema eine Diskussion anzuregen, dort ist es einem unangenehm wenn man keine oder nur wenige Antworten bekommt.

Im allgemeinen meine ich auch, oder habe zumindest das Gefühl, dass es früher in der Gesellschaft wichtiger war nach höheren zu streben. Man hat nach Perfektionismus gestrebt und man hat vielleicht heere Ziele verfolgt und das ohne den Hintergedanken dabei reich zu werden. Die einhergehende Anerkennung war es wert, die Mühsal auf sich zu nehmen.

Vieles wird einem heutzutage leicht gemacht und man gewöhnt sich an das Leichte und man ist versucht auch alles so leicht wie möglich zu erhalten. Es soll hier-und-jetzt Spaß machen, an die Zukunft oder an das was vielleicht mit etwas Anstrengung zu erreichen ist, wird weniger gedacht. Am besten lässt sich das ja im TV verfolgen, dass nur das Leichte hohe Quoten bringt, aber auch in allen anderen Lebensbereichen, kann man das feststellen.

Bei Gesprächen mit Kollegen stelle ich das immer wieder fest, dass viele Leute Meinungen aus dem TV oder anderen Medien übernehmen, aber selbst davon überzeugt sind sich diese Meinung selbst gebildet zu haben, da sie ja so aufgeklärt sind. So war ich zuletzt mit meinen Kollegen auf Mittag und irgendwie kam eine Diskussion über den Nahost-Konflikt zustande, jeder hatte etwas beizutragen, der eine meinte die beiden Völker haben sich ja schon immer bekriegt, die wissen gar nicht mehr so genau warum sie gegeneinander Krieg führen würden...kurz gesagt, von den 6 Personen wusste niemand über den geschichtlichen Zusammenhang von Israelis und Palästinenser Bescheid! aber nur mit diesem geschichtlichen Wissen kann man sich, oder sollte man sich eine Meinung bilden, aber das wäre ja anstrengend.

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» andreasblue » Beiträge: 264 » Talkpoints: -0,48 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Ich bin sicher auch nicht immer die völlig reflektierte Person, bemühe mich aber darum. Denn die Oberflächlichkeit (nichts anderes ist in meinen Augen unreflektiertes Reden und Handeln - nur nicht in der Tiefe schürfen) so mancher Mitmenschen ärgert mich unglaublich.

KrashKidd hat geschrieben:Noch als entschärfender Nachsatz, der erlaubt sei: Niemand ist perfekt und logischerweise auch nicht dessen Meinung,

Ich denke, dass das auch gar nicht das Problem ist. Denn es wäre völlig illusorisch anzunehmen, dass jeder immer über alles detailliert informiert ist. Man merkt jedoch oft genug, ob jemand sich Gedanken zum Thema gemacht hat oder einfach nur Stammtischparolen bzw. Boulevardschlagzeilen nachplappert.

Schuld an dieser Situation sind viele Faktoren. Ein Problem ist sicher, die Tendenz dazu alles schneller haben zu wollen. Nachrichten sollen nicht mehr in langen Berichten sondern in kurzen Absätzen präsentiert werden. Im Prinzip kann das dank moderner Technologien auch jeder, wobei nur selten hinterfragt wird, wodurch sich der Berichterstatter qualifiziert.

Das wäre ja auch kein Problem, wenn im Gegenzug die Bereitschaft sich weiter zu informieren, bevor man die Meinungen anderer übernimmt und auch weiter in die Welt posaunt, vorhanden wäre. Diese Bereitschaft ist aber oft gar nicht vorhanden, Beispiele sind der schon erwähnte Nahost-Konflikt, aber auch die Insolvenzanträge einiger traditionsreicher Unternehmen. In letzteren Fällen wird einfach mal unterstellt, dass die Unternehmen schon immer schlecht gewirtschaftet haben und die aktuelle Krise nur als Ausrede benutzen. Verbunden damit, dass Unternehmer eh nur böse Menschen sind usw. ist schon die nächste Stammtischparole fertig.

Als ein Phänomen der aktuellen Zeit empfinde ich dieses Verhalten nicht. Wie Taline schon mit Beispielen belegt hat, gab es ein solches Verhalten schon immer. Kurios finde ich daran nur, dass man über die Menschen früherer Zeiten gern schimpft und nicht verstehen kann, warum die genau so gehandelt haben, sich selbst aber oft genauso verhält.

KrashKidd hat geschrieben:"Das ist so schrecklich, dass heute jeder Idiot zu allem eine Meinung hat. Ich glaube, das ist damals mit der Demokratie falsch verstanden worden: Man darf in der Demokratie eine Meinung haben, man muss nicht. Es wäre ganz wichtig, dass sich das mal rumspricht: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten."

Ich muss dieses Zitat einfach noch mal zitieren, denn im Prinzip stimme ich dem zu. Würde aber behaupten, man muss nicht unbedingt den Mund halten. Wozu man unbedingt eine Meinung haben möchte, das sollte man unbedingt hinterfragen. Mein Sohn lernt schon im Kindergarten: erst mal überlegt, bevor künstlich aufgeregt. Und das trifft im übertragenen Sinn auch auf viele andere Themen zu.

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


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