Dyskalkulie, Rechenschwäche

vom 30.11.2008, 23:17 Uhr

Parallel zu meinem Eintrag über Legasthenie möchte ich auch einmal über die weniger bekannte Dyskalkulie berichten. Dabei handelt es sich um eine Rechenschwäche, die bei Menschen aller Altersgruppen vorkommen kann. Diese Menschen haben Schwierigkeiten, mathematisch zu denken. Einigen fallen sogar die leichtesten Rechenaufgaben in den Grundrechenarten schwer. Anderer können einfache Rechnungen problemlos durchführen, haben aber mit anderen mathematischen Bereichen Schwierigkeiten. Oft soll aber auch das allgemeine Zahlenverständnis gestört sein.

Es handelt sich allerdings nicht um Dyskalkulie, wenn der betreffende Mensch allgemein Lernschwierigkeiten auch in anderen Bereichen als der Mathematik hat, oder aber auch sprachlich starke Defizite besitzt, die den Erwerb mathematischer Regeln aufgrund sprachlicher Verständnisprobleme erschweren oder gar gänzlich verhindern können.

Wisst ihr, wie es zu Dyskalkulie kommt und wie man den Betroffenen helfen könnte? Ist euch bekannt, wie viele Menschen in Deutschland von Dyskalkulie betroffen sind und ob es mehr oder weniger sind, als die, die unter Legasthenie leiden? Darüber habe ich leider auf die Schnelle keine Informationen finden können, aber die Antworten würden mich sehr interessieren. Kennt ihr vielleicht jemanden, der persönlich von Dyskalkulie betroffen ist und konnte man ihm helfen?

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Ich habe vor einem Jahr auf der Berufsschule jemanden kennen gelernt hat, der Dyskalkulie hat. Allgemein hat er keinerlei Probleme, weder mit Sprache noch Rechtschreibung o.ä., sondern eben nur mit Mathe. Sofern klar gestellte Aufgaben zu lösen sind ist das mit einem Taschenrechner für ihn auch kein Problem, wenn man sich aber zum Beispiel aus einer Textaufgabe die Gleichung erst selbst zusammenstellen muss hapert es bereits gewaltig. Wie gesagt, mit der Sprache hat er keine Probleme, sondern eben damit, die Texte in eine sinnvolle bzw. logische Gleichung unter zu bringen.

Bis dato hatte ich von dieser Rechenschwäche noch nie etwas gehört, obwohl zumindest Legasthenie mittlerweile ja allgemein bekannt ist. Zahlen liegen mir auch keine vor, aber ich schätze mal, dass von reiner Dyskalkulie weniger Menschen betroffen sind als von der Lernschwäche Legasthenie. Wenn wirklich mehr Menschen betroffen wären, wäre diese Krankheit mittlerweile doch bekannter, denke ich jedenfalls.

Meinem Bekannten konnte übrigens bis jetzt nicht geholfen werden und wenn wir Mathe in der Schule machen verzweifelt er auch sehr leicht. Er hat dem betreffenden Lehrer auch gleich am Anfang davon erzählt, allerdings in einem Ton aus dem einfach nur Verzweiflung und Resignation spricht, und außerdem auch Ironie darüber weil wohl schon früher oft nichtmal die Lehrer von dieser Krankheit gehört hatten und teilweise gemeint haben, er würde das nur als Ausrede benutzen und entsprechend auch gar nicht darauf eingegangen sind.

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» Taline » Beiträge: 3594 » Talkpoints: 0,75 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


Zunächst möchte ich anmerken, dass es keine einheitliche wissenschaftliche Definition für Diskalkulie gibt. Deshalb können deine Fragen nicht eindeutig beantwortet werden. Ich werde es trotzdem versuchen.

Ich habe mir das Buch "Rechenstörungen - Diagnose und Förderbausteine" von Sabine Kaufmann und Silvia Wessolowski gekauft. Hier werden deine Fragen ausführlich beantwortet. Ich werde im folgendem einzelne Inhalte des Buches verkürzt und in eigenen Worten formuliert wiedergeben.

Ursachen für Dyskalkulie
Es gibt eine Vielzahl von möglichen Ursachen, die eine Rechenstörung auslösen können. Meistens sind mehrere Ursachen im Spiel, die sich auch gegenseitig beeinflussen. Die Ursachen lassen sich in drei Bereiche aufteilen:
Individuum: Hier sind Ursachen gemeint, welche das einzelne Kind betreffen. Dazu gehören zum Beispiel psychysche Komponenten (geringe Aufmerksamkeit, mangelnde Konzentration, schlechtes Gedächtnis, ...). Auch die neuropsychologischen Komonenten sind sehr wichtig (z.B. schlechtes Vorstellungsvermögen).
Schulisches Umfeld:
Auch eine ungünstiges schulisches Umfeld kann ein Risikofaktor sein. Störende Mitschüler, unpassend gewählte Lernmaterialien, eine Lehrerpersönlichkeit mit welcher das Kind nicht zurecht kommt oder auch die Unterrichtsmethode können den Lernprozess sehr behindern.
Soziokulturelles und familäres Umfeld
Hierzu gehören zum Beispiel die sprachlichen Erfahrungen. Das familäre Umfeld hat aber auch einen großen Einfluss auf die bereits oben erwähnten psychischen Komponenten.

Die Liste der möglichen Ursachen ist nicht vollständig, es wurden nur einige wichtige Beispiele genannt. Ich betone nochmals, dass in der Regel viele Ursachen zusammenwirken, man sollte sich nicht auf einzelne Bereiche versteifen. Wichtig ist außerdem, dass man nicht vorschnell falsche Schlüsse zieht. Ein Kind, welches eine mangelnde Konzentration und dazu noch ein ungünstiges schulisches Umfeld hat, muss nicht zwangsläufig eine Rechenstörung bekommen. Eine pauschale Umkehrung des Ursache-Wirkung Prinzips ist nicht zulässig.

Wie kann Kindern mit Dyskalkulie geholfen werden?
Auf diese Frage gibt es keine schnelle Antwort. Um einen Kind mit Rechenstörung helfen zu können, muss man sich ausführlich mit diesem Thema befassen. Deshalb werde ich die Förderung der Kinder nur kurz umreißen. Zunächst muss durch eine geschulte Person eine ausführliche Diagnose erfolgen. Jedes Kind ist anders und hat unterschiedliche Probleme in Mathematik. Eine einheitliche Förderung kann es nicht geben. Es gibt verschiedene Testverfahren, welche zur Diagnose von Dyskalkulie geeignet sind. Es ist sehr wichtig, dass ein altersgemäßer Test verwendet wird, da die Kinder ansonsten unnötig irritiert werden. Basierend auf der Auswertung des Testes sollte anschließend ein Förderplan erstellt werden. Die Förderung ist nur dann erfoglsversprechend, wenn diese individuell auf das Kind abgestimmt wird und die Materialien sorgfältig ausgewählt werden. Bewährte Materialien sind zum Beispiel Rechenschiffchen, welche eine sehr anschauliche Vermittlung des Zahlenraums bis 20 ermöglichen. Kinder mit Dyskalkulie können Mathematik in der Regel nur handelnd erlernen. Ein "Vorrechnen" oder viele (verbale) Erklärungen sind nicht hilfreich. Auch sollte unbedingt ein vermehrtes Üben vermieden werden. Kinder mit Dyskalkulie werden durch häufigeres Üben nicht besser. Im Gegenteil: Man quält die Kinder damit und verfestigt ihre fehlerhaften Denkstrukturen. Auch ein gewöhnlicher Nachhilfeunterricht kann Kindern mit einer Dyskalkulie nicht helfen. Eine Therapie sollte nur von speziell auf dem Gebiet Dyskalkulie geschulten Lehrpersonen erfolgen.

Eigene Erfahrungen
In meinem persönlichen Umfeld kenne ich mehrere Kinder, welche eine Rechenschwäche haben. Bei einigen wurde dies jedoch erst in der 4. Klasse entdeckt, was reichlich spät ist. Bei anderen Kindern wurde die Dyskalkulie bereits in der zweiten Klasse festgestellt (das ist ein günstiger Zeitpunkt für eine Förderung). Ich selbst arbeite als Nachhilfelehrer und habe eine Weiterbildung zum Thema Rechenschwäche gemacht. Da ich aber erst vor kurzem mit der Förderung von Kindern mit einer Rechenstörung begonnen habe, kann ich noch nicht viel über die Erfolge berichten. Was ich bei meiner Schülerin bisher beobachten konnte ist ein verbessertes Selbstbewußtsein, eine erhöhte Motivation im Fach Mathematik und weniger Probleme bei den Hausaufgaben (das hat mir die Mutter erzählt). Grundsätzlich darf man aber keine Wunder von der Therapie erwarten. Das Ziel einer Therapie ist, dass die Kinder ein grundlegendes Zahlverständnis aufbauen und die Grundrechenarten begreifen. Aber die Kinder werden wahrscheinlich auch nach der Therapie Schwierigkeiten in Mathematik haben. Sie wissen aber dann, wie sie mit ihrem Schwierigkeiten umgehen können und sind vor allem nicht mehr völlig hilflos der Mathematik ausgeliefert.

Wichtig für die Eltern
Eltern sollten es unbedingt vermeiden, ihren Kindern Vorwürfe zu machen. Kinder mit einer Rechenschwäche sind weder faul, noch dumm. Auch ständige Ermahnungen, sie sollten mehr üben, können den Kindern nicht helfen. Wenn ein Verdacht auf Rechenschwäche besteht, dann sollten sich Eltern Rat von einem Fachmann holen (es gibt verschiedene Institutionen, welche spezillen Unterricht für Kinder mit Rechenstörungen anbieten - zum Beispiel PTE oder die Rechenschule vom Studienkreis). Eltern sollten aber nicht vorschnell handeln, sondern sich gründlich informieren, bevor sie sich für eine Förderung entscheiden. Als erstes ist jedoch immer eine Testung erforderlich, welche Aufschluss darüber gibt, ob das Kind eine Rechenstörung hat und in welchem Umfang das Kind gefördert werden sollte.

» kengi » Beiträge: 886 » Talkpoints: 17,93 » Auszeichnung für 500 Beiträge



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