Schläge in der Kindererziehung: Es hat mir nicht geschadet!

vom 13.08.2008, 00:46 Uhr

Ich bin in Deutschland aufgewachsen unter einer (für meine Zeit eher nicht mehr unbedingt zu erwartenden) sehr strengen Autorität, vor allem zu Hause, aber auch noch in den ersten vier Jahren in der Schule.

Aber ich höre in Deutschland auch heute noch immer wieder von "strengen und konservativen" Eltern, von "festen Regeln und Verboten" zu Hause und von Prügelstrafe und zusätzlichem Stubenarrest und "ins-Zimmer-sperren", wenn Regeln nicht eingehalten werden oder Verbote überhört werden. Ich höre von fehlerhaften Hausaufgaben, für welche es Schläge gibt, ebenso wie für schlechte Noten in der Schule, für (selbst nur fünf Minuten) zu spät nach Hause kommen, für Ungehorsam oder dafür, das Zimmer nicht aufgeräumt zu haben, irgend etwas angestellt zu haben, für frech sein usw.

Und es scheint immer noch selbstverständlich zu sein, die Prügel zu "ritualisieren", in der Küche oder im Keller seinem Kind den (meist nackten) Hintern zu versohlen, mit der flachen Hand oder mit dem Kochlöffel. Oder seinem Kind ernsthaft abzuverlangen, sich im Teenageralter über Küchentisch oder Sofalehne zu beugen, um mit dem Teppichklopfer abgestraft zu werden?

Um wen und um was geht es hier: um das Kind und seine Kindheit? Geht es um die Entwicklung des Kindes, um die Förderung und Unterstützung seiner besonderen Fähigkeiten, seiner Achtung vor sich selbst und damit vor anderen, um seine emotionale Welt und um seine Individualität? Oder geht es um die verzerrten Vorstellungen und Erwartungen der Eltern? Schieben nicht die Eltern die Verantwortung für ihre Überforderung, ihren fehlenden Standpunkt zu sich selbst, ihre Unsicherheiten (auch ihre Verunsicherung gegenüber gesellschaftlicher Normen ebenso wie ihrem Kind gegenüber), aber auch ihre Respektlosigkeit sich selbst und ihrem eigenen Kind gegenüber an ihr Kind ab?

Was macht es, daß ein Kind mit 12 Jahren immer noch wöchentlich bestraft werden "muß(!)", und sogar noch darüber hinaus? Sind es womöglich die Strafen selbst? Macht nicht eine Strafe die nächste Strafe erst "notwendig"?

Die Wahrheit solcher Aussagen und Erfahrungsberichte vorausgesetzt, ist immer auch der Hilferuf einer erniedrigten, gequälten und mißachteten Kinderseele zu hören. Und daß heute oft ein Mensch im Erwachsenenalter sich mit diesem Thema aus der Kindheit noch beschäftigt zeigt, daß da irgendwas nicht stimmt.

Mich interessiert, wie andere darüber denken - nicht unbedingt generell über Schläge in der Kindererziehung. Aber mich interessiert die Meinung in Deutschland über das selbstverständliche Überschreiten der Intimsphäre des Kindes und die selbstverständliche Mißachtung seines Schamgefühles. Und die Meinung über das selbstverständliche Aberkennen der Würde seines Kindes. Ich lebe seit vielen Jahren im Ausland, wo man seinem Kind mit Respekt begegnet und Achtung hat vor seinen Bedürfnissen und seinen Gefühlen, was zur Folge hat, daß man grundsätzlich respektvoll und achtsam miteinander umgeht. Wenn ich in Deutschland bin, finde ich das nicht so oft.

» Tekla » Beiträge: 4 » Talkpoints: 5,32 »



Kinder schlagen finde ich überhaupt nicht gut. Dadurch können die Eltern Schäden verursachen, denen sie sich vielleicht garnicht bewusst sind.

Ich selbst habe da so meine Erfahrungen gemacht. Meine Eltern warn auch nicht grad die tollsten. Für jedes bisschen was ich falsch gemacht hatte gabs den Hintern voll, manchmal auch mit Hilfsmitteln. Dadurch wurde ich ein schüchternes, in sich gekerhtes Mädchen was sich überhaupt nichts traute, aus Angst Fehler zu machen. Dadurch hatte ich es auch schwer soziale Kontakte zu knüpfen, was für Kinder eigentlich sehr wichtig ist. Dadurch war ich oft mit mir selbst beschäftig, hatte kaum Freunde.

Im Teenageralter hat sich das dann zum Glück gebessert. Ich hatte immer mehr den Mut aufgebracht mich dagegen zu wehren. Habe viele Freunde gefunden, wurde selbstbewusster. Aber so ganz sind die Spuren halt nie weg.

Ich meine, sobald die Eltern auch nur ansatzweise vorhaben so mit ihren Kindern umzugehen sollten sich sich einmal Gedanken darüber machen was sie ihren Kindern langfristig damit antuen können.

Außerdem sind die Kinder irgendwann erwachsen, und dann kommt alles wieder zurück :)

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» Alakina » Beiträge: 175 » Talkpoints: 1,75 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Tekla hat geschrieben:Mich interessiert, wie andere darüber denken
Bitte sehr Erziehung & Kinder: Schläge und Gewalt anwenden?

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Es geht nicht um das Thema „Schläge in der Erziehung“. Mich interessiert, wie die Gesellschaft in Deutschland funktioniert.

Kindererziehung mit Schlägen habe ich lediglich als Beispiel gewählt, weil es sehr deutlich die Grenzüberschreitung gegenüber Kindern zeigt, und weil es traurigerweise in Deutschland immer noch diskutiert wird, also aktuell ist. Und nicht weniger, weil die Art und Weise, wie wir unseren Kindern begegnen, das Fundament ist, auf dem die Gesellschaft steht. Nach vielen Jahren im Ausland sehe ich verschiedene Dinge aus einem anderen Blickwinkel. Mich interessiert die Einstellung zum Kind.

» Tekla » Beiträge: 4 » Talkpoints: 5,32 »



Ich kann folgendes dazu erzählen: Während meiner Schwangerschaft war ich parallel in Deutschland und Frankreich beruflich im Einsatz. In Deutschland wurde ich dauernd damit konfrontiert, dass ein Kind ja eine finanzielle Einschränkung bedeutet! In Frankreich haben sich dagegen alle mit mir gefreut, sich erkundigt und mir schon allein zur Schwangerschaft gratuliert. Ich habe mich richtig geehrt gefühlt. Das war ein schönes Gefühl.
Ich denke das sagt einiges aus über die Einstellung zu Kindern in D und F!

» lizzi » Beiträge: 16 » Talkpoints: 1,40 »


Ich selbst war noch nie für längere Zeit im Ausland und habe daher wenig Vergleichsmöglichkeiten. Da auch ich mir aber die Freunde aussuche, die zu mir und meinen Einstellungen passen und zu Menschen mit wesentlich anderen Einstellungen Distanz wahre, habe ich es mir auch zu eigen gemacht, die Intimsphäre meines Kindes zu wahren. Das fängt nicht erst bei Schlägen an, auch "hartes Anpacken" gehört für mich schon dazu, ebenso wie andere Kleinigkeiten. Beispielsweise finde ich es unmöglich, wenn Kinder, die sich normalerweise schon allein anziehen können, ohne Fragen oder gar Ankündigung gepackt werden, weil es einfach sonst zu lange dauern würde.

Dass ständige Grenzüberschreitungen gegenüber Kinder nicht richtig sind, haben mittlerweile sicher auch in Deutschland viele Erwachsene bemerkt. In ihren Bemühungen das zu ändern sind aber einige Eltern etwas zu weit über's Ziel hinaus geschossen. Denn Kinder in allen Aspekten des täglichen Lebens als kleine Erwachsene zu behandeln, dass geht mir dann auch zu weit. Kinder haben definitiv den gleichen Respekt und die gleiche Achtung wie Erwachsene verdient, aber das allein macht ja auch nicht den Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen aus.

Was mich aber wirklich sehr traurig gemacht hat, war eine Unterhaltung der ich am letzten beiwohnen durfte oder musste :? Dabei wurde mir mal wieder klar, dass die körperliche Züchtigung nicht nur von älteren Generationen befürwortet wird, sondern auch viele Anhänger in der heutigen Eltern-Generation hat. Es ging nämlich darum, dass die Eltern ihre Kinder schlagen dürfen. Einfach so. Als ob das nicht schon eine schlimme Behauptung aus dem Munde eines sechsjährigen Kindes wäre, wurde auch noch von den Großeltern zugestimmt, dass die Eltern immer und jederzeit das Recht dazu hätten. Ironischerweise waren sie dann aber völlig entsetzt als dieses Kind dann wieder ein jüngeres Kind verprügeln wollte, weil dieses nicht nach den Regeln des älteren Kindes spielte.

Was ich mit dem letzten Satz aber auch zum Ausdruck bringen möchte. Es dauert sicher noch eine Weile bis solche Grenzüberschreitungen auch in Deutschland endlich nicht mehr an der Tagesordnung sind. Wobei ich in meinem Umfeld solche krassen Beispiele, wie sie im Eingangsbeitrag geschildert worden, auch nicht kenne. Allerdings weiß ich von einem eng befreundeten Paar, dass es ihnen sehr schwer fällt ihren Kinder mit Respekt und Achtung gegenüber zu treten, da sie diese eben von ihren Eltern auch nicht erfahren haben. Diese Beiden hatten aber den Mut sich Hilfe zu holen, da man nur allzu leicht - trotz bester Absichten - doch in die Fußstapfen der Eltern tritt.

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Vielen Dank für die Antworten. Und auch von mir einen ganz herzlichen Glückwunsch an Dich, lizzi! Und alles Gute für Euch und für die Zukunft des Kindes! Deine Erfahrungen decken sich ungefähr mit den meinen! Wie hast Du die französische Gesellschaft erlebt?

Ich gebe zu, daß das Eingangsbeispiel fürchterlich ist, leider aber nicht unwahr, und leider auch keine Ausnahme. Der Fall läuft unter „guter Erziehung“ und das Kind (mittlerweile erwachsen) versteht heute seine eigene Erziehung als richtig und gut.

Mir sträuben sich jedes Mal alle Haare, wenn ich höre: „Als Kind war es immer furchtbar, wenn… Aber aus heutiger Sicht betrachtet war es richtig, und man hat mich immer zu Recht…“ Ich frage mich da, was ist mit diesem Menschen geschehen? Und was wird es für die Menschen bedeuten, die mit ihm zu tun haben?

Wenn nämlich für ein Kind irgendetwas nicht in Ordnung ist, so ist es in der Regel auch nicht in Ordnung. Es ist immer wichtig, ein Kind anzuhören mit dem, was es zu sagen hat. Für mich eine grundlegende Voraussetzung für jede Gesellschaftsstruktur. Kindsein bedeutet auch sehr viel von dem noch zu besitzen, was für einen erwachsenen Menschen längst verlorengegangen ist. Die ideale Gesellschaft gibt es nicht. Aber ein Stück davon führt darüber, welche Bedeutung das Kind hat.

Ich bin nämlich in einem Punkt nicht ganz einig mit Dir, Jot Jot: Es darf nicht darum gehen, ein Kind wie einen kleinen Erwachsenen zu behandeln. Im Gegenteil: wenn ich (bleiben wir bei dem Eingangsbeispiel) von einem Kind die Einhaltung von aufgestellten Regeln abverlange, erst dann setze ich beim Kind das Verhalten eines Erwachsenen voraus (immerhin sind diese Regeln von einem Erwachsenen aufgestellt!). Ich mißachte das Recht des Kindes auf sein Kindsein und auf das, was zum Kindsein gehört. Was ich sagen möchte ist, daß ein Kind natürlicherweise viele Erfahrungen eines Erwachsenen nicht haben kann, daß es diese durch beispielsweise Strafen allerdings auch nicht bekommen wird, weil das Verhältnis zum Gegenstand fehlt. Der Ausgangspunkt für eine Gesellschaft ist aber genau hier: in der Erfahrung allgemein und in der Erfahrung, wie mir als Mensch -vollkommen egal, in welchem Alter- begegnet wird.

Und um einfach einmal Deine Worte, Alakina, zu benutzen: „Irgendwann sind die Kinder erwachsen, und dann kommt alles wieder zurück.“ Und Dein Beispiel, Jot Jot, ist dann ja genau das Ergebnis: Das größere Kind schlägt das kleinere Kind, weil es selbst von den Eltern, die wiederum größer sind, geschlagen wird. Das selbstverständliche übergeordnete Recht des Stärkeren dem Schwächeren gegenüber. Wobei das auch nicht einmal richtig ist. Ein Mensch ist immer nur so hilflos und so schwach, wie ein anderer ihn macht.

» Tekla » Beiträge: 4 » Talkpoints: 5,32 »



Tekla hat geschrieben:Es darf nicht darum gehen, ein Kind wie einen kleinen Erwachsenen zu behandeln. Im Gegenteil: wenn ich (bleiben wir bei dem Eingangsbeispiel) von einem Kind die Einhaltung von aufgestellten Regeln abverlange, erst dann setze ich beim Kind das Verhalten eines Erwachsenen voraus (immerhin sind diese Regeln von einem Erwachsenen aufgestellt!).
Irgendwie ist mir nicht ganz klar, was genau Du damit meinst. Ich würde mich freuen, wenn Du das noch mal näher vielleicht an einem Beispiel erklären könntest :wink: ehe wir völlig aneinander vorbei reden.

Tekla hat geschrieben:Ein Mensch ist immer nur so hilflos und so schwach, wie ein anderer ihn macht.
Absolut! Und das das schon im Kleinkindalter anfängt, merke ich an dem von mir beobachteten Kind. Das wirklich Schlimme daran ist, dass durch das Verhalten der Eltern das Kinder immer unsozialer wird. Ich weiß, dass sich das wirklich schlimm anhört, aber einen anderen Ausdruck finde ich dafür nicht. Und die Eltern reagieren darauf mit noch mehr Druck, Schlägen und Missachtung. Natürlich nicht rund um die Uhr, aber der Trend ist auch als Außenstehender deutlich zu erkennen.

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Ein Beispiel? Nun, ich denke, Du hast ein recht gutes Beispiel selbst schon gegeben: das von Dir beobachtete Kind: Es wird mehr und mehr unsozial? Vielleicht ist es einfach nur verwirrt, weil es nicht weiß, was die Eltern von ihm wollen. Es ist 6 Jahre alt, sagst Du. Die Eltern erwarten von ihrem Kind aber ein aus ihrer eigenen Erfahrungsentwicklung gewordenes Verhalten. Es ist der Erfahrungsraum des Erwachsenen. Von einem Kind ein auf dieser Grundlage basierendes Verhalten zu erwarten, ist irreal. Das Kind kann gar nicht verstehen, was die Eltern von ihm wollen und warum sie es wollen. Ein Kind muß die Möglichkeit haben, ein Verhältnis zu den Dingen zu entwickeln. Ein Verständnis für die Notwendigkeit beispeilsweise von Höflichkeit, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ordnung und Fleiß (in der deutschen Gesellschaft wohl nach wie vor wichtige Erziehungsziele) kann ein Kind aber nur entwickeln, wenn es den Sinn darin versteht, und dafür auch die Entwicklungszeit und die Unterstützung bekommt. Es ist ein sehr sensibler Akt, ein Kind durch seine Kindheit zu begleiten. Kinder orientieren sich an ihren Bezugspersonen. Man muß gar keinen Druck ausüben.

Ich meine also, wenn ich einem Kind den Entwicklungszeitraum und die Unterstützung nicht zugestehe, welche es braucht, um für sich verstehen zu können, warum bestimmte Dinge wichtig sind, um in der Gesellschaft zurechtzukommen, in der es lebt, übertrage ich auf das Kind die Verantwortung, die ich als Erwachsener dem Kind gegenüber habe. Und ich habe dann nur die Möglichkeit, das Kind durch Strafen und Druck etc. dahin regelrecht, ich möchte es mal etwas provokant ausdrücken, zu dressieren. Das von Dir beobachtete Kind scheint ununterbrochen überfordert zu werden von seinen Eltern. Es wird ständig in seiner Entwicklung und in seinem Weiterkommen gestört. Ein Kind spiegelt immer das Milieu wider, welchem es ausgesetzt ist, und es entwickelt sich auch daran. Und genau das bildet dann die Grundlage für die Gesellschaft, für die es später einmal mitverantwortlich sein soll.

Und damit bin ich wieder bei meinem Ausgangsproblem: wenn in einer Gesellschaft es vor allem wichtig ist, daß der Mensch funktioniert, sehe ich da ein Problem für den einzelnen. Denn nicht der Mensch scheint hier wichtig, sondern seine Funktion.

» Tekla » Beiträge: 4 » Talkpoints: 5,32 »


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