Italien - Land am Ende?

vom 12.04.2008, 15:11 Uhr

Ich habe heute einen sehr interessanten Artikel in der Frankfurter Rundschau gelesen, leider konnte ich ihn nicht bei der Onlinefassung finden, deswegen schreibe ich hier mal kurz um was es ging.

In Italien stehen wieder Wahlen bevor und es wurde ein wenig auf das Land eingegangen, denn es scheint mit Italien nicht so gut zu stehen. Die Staatsverschuldung liegt bei 105%, nach der EU ist es erlaubt, dass ein Staat höchstens bis 60% verschuldet ist. Es wurde eine neue Autobahn fertig gestellt, der Bau dauerte 34 Jahre und es handelt sich um keine große Autobahn. Da das Geld ausging musste auf eine Beleuchtung in den Tunnels verzichtet werden.

Für eine Bahnstrecke von 118km wurden 25 Jahre gebraucht, im Vergleich brauchte Japan für die gleiche Art von Zugstrecke 6 Jahre und baute über 500km! Genauso geht es weiter. Die Löhne sinken natürlich, weil alles viel zu lange dort braucht. Die einzigen die von diesem ganzen Dilemma profitieren sind die Mafiosi, denn diese sorgen auch dafür, dass es immer schlimmer wird.

Italien bekommt keine geregelte Müllentsorgung auf die Reihe, die Stromversorgung klappt auch nicht. Ein Italiener zahlt 23% mehr für Strom als in anderen Teilen Europas. Berlusconi hatte während seinen beiden Amtszeiten Reformen immer vor sich her geschoben und war mehr darauf bedacht, dass er privat Profite machen kann, anstatt sich für das Land einzusetzen. Auch bringt er immer wieder Dinge, die sich für ein Oberhaupt eines Staates nicht gehören.

Italien belegte einst hohe Plätze in sämtlichen Weltranglisten, heute sind sie nur noch Platz 1 bei den Staatsschulden. Von der wirtschaftlichen Produktivität sind sie mit Botswana zu vergleichen. Und das ist ein Land der Europäischen Union. Auch sonst sieht es nicht gut aus, die Jugendlichen finden keine Möglichkeiten mehr von zu Hause auszuziehen und werden dann als "mammonie", also Muttersöhne abgestempelt.

Was wisst ihr noch so über die ernste Lage von Italien? Was haltet ihr irgendwie davon? Ich bin einfach nur geschockt, weil ich nicht dachte, dass es so schlecht um dieses doch so coole Land steht.

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» weeedy » Beiträge: 818 » Talkpoints: -3,05 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Was soviel ich weiß besonders kritisch ist, selbst verglichen mit Deutschlands Ost-West Gefälle, sind die Unterschiede zwischen dem relativ wohlhabenden Norden mit seiner Industrie und dem brachliegenden Süden dessen Verwaltung von Mafiosi durchdrungen ist und wo es bei fast 40% Jugendarbeitslosigkeit diesen kriminellen Vereinigungen leicht fällt neue Mitglieder zu rekrutieren. Hierzulande jammern wir über steigende Preise aber das ist nichts gegen das Absinken der Reallöhne in Italien.

Das Land hat sicher eine Menge Probleme, ich habe einige Artikel dazu gelesen und der einzige Lichtschein war wohl, dass das Haushaltsdefizit von 4% auf nur noch 2% gedrückt wurde. Die 60% Staatsverschuldung wird aber übrigens nicht nur von Italien nicht eingehalten die meisten europäischen Staaten sind darüber oder auf dem Weg dort hin.

» yay3 » Beiträge: 134 » Talkpoints: -0,11 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Kann hier yay3 absolut zustimmen. Während der Norden weitestgehend auf dem Niveau normaler Industriestaaten ist ist der Süden Italiens und die Appeninen größtenteils ländlich geprägt. Je weiter man nach Süden kommt, desto größer wird der Einfluss der Mafia der das Land lähmt und dessen Entwicklungskraft und Wirtschaft.

Was da an Potenzial verloren geht ist unglaublich - und angeblich soll Berlusconi über ein paar Ecken auch seine Finger mit im Spiel haben. Der Höhepunkt war zweifelsohne im letzten Jahr als in Neapel der Ausnahmezustand und das Kriegsrecht ausgerufen wurde und man mit der Armee gegen die Mafia vorging und nicht einmal dann richtig Herr über die Lage wurde. Was da abläuft ist unglaublich, da sind selbst andere Staaten die relativ weit zurückliegen im Vergleich mit modernen Staaten wie Deutschland, z. B. Spanien, durch innere Prozesse weniger gelähmt. Probleme die beispielsweise Spanien mit der ETA, den Basken und den Katalanen / Andalusiern hat kann man Italien nur wünschen. Dann würde es den Italienern deutlich besser gehen.

Und die in dem Artikel / von Dir angesprochenen Sektoren (Müllentsorgung, Energieversorgung) werden teilweise weitestgehend von der Mafia kontrolliert. Vor allem der Süden Italien ist wie gesagt beinahe unregierbar geworden.

Süditalien, Sizilien, Sardinien und Teile von Mittelitalien drohen bei der derzeitigen Lage wirklich das Armenhaus Europas zu werden (siehe Italien: Pro Kopf Einkommen nach Regionen) sollte nicht bald einschneidend gehandelt werden. Nur wie will man das machen? Wie schon bewiesen wurde widersteht die Mafia mittlerweile selbst der Armee und sie hat sich bis ganz nach oben eingekauft und bestimmt so auch die italienische Politik. Hier war man jahrelang, jahrzehntelang einfach zu nachlässig und jetzt muss man den Mist ausbaden!

» KrashKidd » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Mod am 11.09.2019, 15:48, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen


Das Problem ist, das die Mafia derart tief im Land verwurzelt ist und sich immer wieder den neuen Gegebenheiten anpasst,das es unglaublich schwer ist gegen sie anzukommen. Das es inzwischen überhaupt einen breiten Widerstand in der Bevölkerung gibt grenzt an ein Wunder. Für uns ist ein Leben mit der Mafia etwas das wir uns kaum vorstellen können, da es hierzulande nichts vergleichbares in dieser Form gibt. Wer mal unten in Süditalien war und soweit die Landessprache beherrscht um die Tagespresse zu lesen wird sich an die vielen Seiten "Polizeibericht" entsinnen. Und abgesehen von den vielen Jägern die optimistischerweise dachten Wildschweine würden neuerdings grelloragnefarbenes Fell haben und ihren Jagdgenossen in irgendwelche Körperteile schossen ist die Gefahr Opfer einer Kugel zu werden im Süden durchaus erschreckend hoch.

Man stelle sich vor, der Bischof von Mainz teilt der Presse mit, er habe die Nase von den Gekungel voll und würde von und an konkret Maßnahmen unterstützen, welche in Politik und Wirtschaft aufräumen sollten. Außerdem wäre es durchaus denkbar, das alle Mitglieder verbrecherischer Organisationen exkommuniziert werden - woraufhin der gute Mann prompt während der laufenden Messe erschossen wird. Die Nation würde ziemlich Kopf stehen.

Okay, Sizilien stand damals auch ziemlich Kopf, aber beiweiten nicht so sehr das sich dann wirklich viel geändert hätte. Und erst wenn der Süden es schafft die Mafia klein zu kriegen besteht eine gute Chance das er wirtschaftlich aufholt. Denn es ist nicht so das dort nicht Gelder zusammenkommen. Sie fließen nur in die falschen Taschen.

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» Nephele » Beiträge: 1047 » Talkpoints: 2,22 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Ein deutscher Bischof der auf Malta während einer sizilianischen Messe von der Mafia mit einem Messer erschossen wird. :wink:.Jaja, Scherz und Schenkelklopfer, es ist schon spät, da werden auch die Witze mies. Mich würde aber, auch wenn es OT ist, mal interessieren, was für ein Vorfall das war, hast Du zufällig einen Link? Selber Googlen macht irgendwie immer Arbeit und zu später Stunde, mir fällt nur spontan Giancarlo Bregantini ein, aber der weilt ja (noch) unter den Lebenden oder Oscar Arnulfo Romero, aber der war ja in El Salvador angesiedelt...

Ansonsten: Italiens Problem ist die Mafia, kein anderes! Deren Ursprünge und Verflechtungen, gerade wenn man an Sizilien denkt, reichen bei weitestgehender Betrachtung bis in die römische Zeit zurück und immer wieder gab es berühmte Persönlichkeiten in der italienischen Geschichte, die angeblich mit der damaligen Mafia in Verbindung standen - da gibt´s Gerüchte über Papstwahlen bis hin zu den Medicis. Im Grunde muss Italien das ganze Land gründlich ausmisten und die Camorra & Co ausräuchern was nur mit Unterstützung des Volkes gelingen kann. Hier existieren Strukturen / Regionen die in anderen Teilen Europas unter anderen Gesichtspunkten als Staat im Staat oder als autonome Teilgebiete gewertet werden würden.

» KrashKidd » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Mod am 11.09.2019, 15:50, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen

Namen ... Namen ist immer GANZ schwierig. War aber Anfang der Neunziger wenn ich mich jetzt nicht total vertue. Laut antiker Schriftsteller scheint aber die Region schon immer problematisch gewesen zu sein, denn erst schufen die Götter das paradiesische Sizilien - und erlabten sich dann als Gegenmaßnahmen den Scherz und setzen dort die Sizilianer hin.

Wobei Landschaft einer der Gründe ist weshalb es so verdammt schwierig ist der Mafia beizukommen: Wird es jemanden zu heiß, geht man in die Berge und da kann vieles verschwinden. Die Berge schlucken alles. Da hilft kein noch so großes Polizeiaufgebot, man kann diese einsamen gottverlassenen Gegenden schlichtweg nicht komplett durchsuchen. Wer Italien - auch den Süden - hauptsächlich vom Strand aus kennt wird sich dort vorkommen wie auf einem anderen Planeten, der zudem locker hundert Jahre hinter unserer Zeitrechnung herhinkt.

Da gibt es Bergkäffer, in denen könntest du noch heute "Christus kam nur bis nach Eboli" drehen und zwar ohne Kulissen zu benötigen. Und die Darsteller brauchst du auch nur von der Straße weg zu casten, samt zerknautschten Gesichtern in denen nur noch eine Zahnruine steht. Das einzige was so einen zarten Hinweis darauf liefert das wir im 21 Jahrhundert leben sind die Fernseher, aber mal ernsthaft: Die findest du auch wirklich überall heute, selbst in irgendwelchen Amazonashütten,deren Bewohner verdächtig nach Kannibale aussehen (welcher aber vermutlich trotzdem besser über die Welt informiert ist als die Bewohner des Hinterlandes in den Bergen Italiens)

Es ist nicht nur das das organisierte Verbrechen. Der Süden von Italien ist eine Region der Vergessenen, die erst langsam aus einem Schlaf erwacht, neben dem Dornröschens Rekord wie ein leichtes Nickerchen aussah.

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» Nephele » Beiträge: 1047 » Talkpoints: 2,22 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


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