Patienten einfach mit Du ansprechen in Ordnung?

vom 12.12.2014, 00:28 Uhr

Ich finde es absolut über griffig, respektlos und unprofessionell, Bewohner zu duzen, die das nicht anbieten oder aufgrund einer demenziellen Veränderung benötigen. Wobei man nun wirklich nicht auf den Vornamen und das Du gehen muss, wenn der Mädchenname noch präsent ist. Etwas mehr Respekt, Fingerspitzengefühl und Individualität kann man da schon erwarten.

» cooper75 » Beiträge: 13337 » Talkpoints: 500,43 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



Bei uns wird auch immer geduzt und keiner findet es übergriffig oder unprofessionell. Man kann auch mit "duzen" Professionalität und Kompetenz vermitteln. Ich bin zwar Techniker, aber wenn ich in einige Einrichtungen fahre, trage ich auch mein Namensschild und werde auch geduzt. Ist manchmal echt einfacher. Es hat bisher niemanden großartig gestört. Und wenn man mich duzt, dann duze ich halt zurück und frage halt noch den Vornamen kurz ab und ob es okay ist.

Meine Partnerin ist halt im sozialen Bereich unterwegs und da wird sie sehr oft auch gegen ihren Willen geduzt. Seitdem duzt sie auch jeden und fragt einfach nur kurz nach, ob es okay ist, wenn sie ihre Bereiche abfährt. Aber sie kommt auch aus einem Land, in dem das Sie zwar existiert, aber nicht mehr so gebräuchlich ist. Und offen gesagt, an ihrer Professionalität zweifle ich nicht wirklich. Aber sie ist auch der Typ, der eine gewisse Distanz einhält und auch nicht möchte, dass man ihr zu nahe kommt.

» Colatrinker » Beiträge: 52 » Talkpoints: 17,83 »


Was vergessen wird, ist dass in der stationären Langzeitpflege aktuell Menschen versorgt werden, die außer auf dem Land oder als Arbeiter nur die engsten Menschen in ihrem Umfeld geduzt haben. Die haben ihre Nachbarn und Arbeitskollegen nicht geduzt und auch Bekannte nicht.

Und es ist bezeichnend, dass in bestimmten Einrichtungen komischerweise alle Bewohner angeblich geduzt werden wollen. Komischerweise sind das die Häuser, wo nicht gefragt wird. In anderen Einrichtungen, wo der Wunsch der Bewohner respektiert wird, lassen sich komischerweise nicht alle Bewohner gern duzen. Und andere wünschen sich zum Beispiel das Duzen nur bei bestimmten Mitarbeitern.

Wo liegt das Problem, da ein wenig Taktgefühl zu zeigen. Diese Menschen haben alles verloren und müssen nun damit leben, dass ständig fremde Menschen in das bisschen Wohnung, das ein Heimzimmer darstellt, kommen und in die körperliche Intimsphäre eindringen. Das fällt manchem mit der Abgrenzung über ein Sie leichter.

Zumal man bedenken sollte, dass viele Menschen aus diesen Generationen zu Bescheidenheit und Duldsamkeit erzogen worden sind und es gar nicht wagen, sich zu beschweren. Und ja, das zu wissen und das zu respektieren gehört für eine Pflegekraft zur Professionalität. Schließlich macht die Kommunikation nicht ohne Grund ganz viele Stunden der Ausbildung aus.

» cooper75 » Beiträge: 13337 » Talkpoints: 500,43 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



Ich sehe das im Großen und Ganzen wie Cooper. Dass die alten und abhängigen (!) Leute, die in ihrer Generation zu absoluter Höflichkeit und "Lächeln und Winken" erzogen wurden, sich oft gar nicht trauen, auf das ihnen vertraute "Sie" zu bestehen, da kommt anscheinend keiner drauf. Nur weil die nichts sagen, heißt das noch lange nicht, dass es ihnen gefällt.

Wenn ich zum Beispiel an meine eigene Mutter denke, die ein wirklich positiver, fröhlicher und sehr unkomplizierter Mensch ist, würde die sich vermutlich auch nicht trauen, etwas zu sagen, wenn sie ungefragt geduzt wird. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass sie mir unter der Hand im Vertrauen sagen würde, wie unglaublich blöd sie das findet und wie unangenehm es ihr eigentlich ist.

Und ja, ich finde ungefragtes Duzen respektlos. Eigentlich in den allermeisten Situationen, wo Menschen auf einer professionellen Ebene bzw. ab einem gewissen Alter zu tun haben. Wir sind nicht im Club oder im Tattoo-Studio, wo so ein Umgangston herrschen kann.

Ich persönlich finde es auch irgendwie über griffig, wenn mir jemand sofort entgegenknallt "ach, sagen wir doch gleich Du, ich finde das Siezen immer so doof". Die Kröte habe ich auch schon geschluckt, weil ich nicht als steif oder unfreundlich daherkommen wollte, aber eigentlich habe ich mich überrumpelt gefühlt. Wenn das nun wie hier geschildert aber in einem sozialen/beruflichen Gefälle passiert, geht das wirklich gar nicht.

» Verbena » Beiträge: 4813 » Talkpoints: 3,08 » Auszeichnung für 4000 Beiträge



Das Problem mit dem Du ist, dass traditionell von Kindern, engen Verwandten, guten Freunden und manchen durch Mitgliedschaft in Institutionen verbundenen Kreisen, eben nur die Unterschicht geduzt wurde.

Der Polizist duzte den Verbrecher, der Gutsbesitzer die (unehelich geborene) Viehmagd, der Bürger den Bettler, während die umgekehrt natürlich nicht duzen durften, sondern zu ihrzen/siezen hatten, wollten diese höhergestellten Personen etwa zu ihrem Gesinde höflich sein, siezen sie statt zu duzen. Wer also einfach jemanden duzt, ohne, dass man sich das Du angeboten hat, der sagt damit traditionell indirekt aus, dass die betreffende Person es nicht würdig ist von ihm gesiezt zu werden.

So ganz veraltet ist das übrigens nicht, wenn einem jemand die Handtasche entreißt, schreit man eher "gib sie wieder her" als "geben Sie sie wieder her", obwohl hier überhaupt kein freundschaftliches Verhältnis vorhanden ist.

Daher sollte man meines Erachtens immer fragen, ob derjenige mit dem Du einverstanden ist, so lange es nicht in einer Situation, wo das duzen allgemein üblich ist und Leute, die ranghöher aber auch rangniedriger sind, sollte man unbedingt fragen, denn dann stellt sich eben die Frage, ob darin mangelnder Respekt zum Ausdruck kommen könnte.

Im Englischen gibt es übrigens auch ein Du, das "thou", während das You eigentlich das Ihr ist. Die Engländer ihrzen also jeden und duzen nicht. Gibt aber meines Wissens noch ein paar Dialekte, in denen das "thou" noch in Gebrauch ist. Mir persönlich ist es relativ egal, so lange ich nicht merke, dass in dem Du keine Missbilligung meiner Person zum Ausdruck kommt.

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» Johanna » Beiträge: 1 » Talkpoints: 0,33 »


Wenn ihr die Vorgabe habt, die Bewohner zu Siezen, dann hat das auch zu erfolgen. Wichtig ist da aber auch die individuelle Situation. Wie du selbst schreibst: wenn einem nach Jahren des Zusammenseins (und das ist es ja, wenn ein Bewohner dort seine Lebensjahre verbringt und man selbst dort Jahre arbeitet) von der Seite des Bewohners das Du angeboten wird, fände ich es unhöflich, es abzuschlagen. Und natürlich kann es sein, dass derjenige sich wohler fühlt, wenn er nicht gesiezt wird.

Ebenso der Aspekt des Orientiert Seins. Demente Patienten wurden bei uns damals nach Rücksprache, auch mit den Verwandten, oft geduzt und das war so in Ordnung. Ich hatte damals einen sehr kurzen Einsatz über 3 oder 4 Wochen und der war sehr prägend. Ich empfand es damals auch als unhöflich, eine 70 -jährige Frau so anzusprechen und mit dieser so zu kommunizieren, als wäre sie so alt wie ich. Aber genau das war es, was sie gebraucht hat. Ein Siezen hätte sie vollkommen durcheinander gebracht.

Während meines Einsatzes in der mobilen Krankenpflege wurden die Patienten wiederum gesiezt. Vollkommen normal und da gab es wirklich nur sehr wenige Ausnahmen und geduzt haben sich dann die Patienten und Schwestern und ich als Auszubildende nicht.

Ach, und da fällt mir noch eine absolute Ausnahme ein: ich war vorrangig eingesetzt in der Pädiatrie. Selbstredend haben wir die kleinen Patienten geduzt bis zu einem gewissen Alter. Ab einem gewissen Alter haben wir dann gefragt und die Eltern haben wir natürlich gesiezt. Wüsste aber nicht, worin der Mehrwert bestanden hätte, einen Säugling zu siezen oder ein Kleinkind.

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» winny2311 » Beiträge: 14987 » Talkpoints: 4,75 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


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