Von Herkunff auf Charakter schließen können?

vom 10.08.2015, 10:15 Uhr

Ich gebe zu, dass dieser Titel provokanter formuliert ist als beabsichtigt, was auch an der begrenzten Zeichensetzung liegt. Ich erkläre kurz, was ich damit meine.

Ich persönlich glaube nicht, dass man anhand des Herkunftsortes wirklich alle Charaktereigenschaften bestimmen kann. Denn dann kämen wir wieder zu diesen Klischees und Stereotypen, wonach beispielsweise alle Deutschen Sauerkraut essen würden oder eben ernst und humorlos wären. Das meine ich überhaupt nicht. Aber ich habe festgestellt, dass sich einige wenige Eigenschaften durchaus mit der Herkunft erklären lassen.

Mein Freund und ich beispielsweise entstammen derselben Ethnie und Kultur, sind aber in komplett anderen Gegenden aufgewachsen, was unter anderem Verfolgung und Deportation verschuldet war. So stammt er aus einer komplett anderen Gegend als ich und auch die Mentalität in seiner Heimat war eine komplett andere. So habe ich beispielsweise beobachten können, dass Menschen aus seinem Heimatland sehr offen, direkt und schon fast vorlaut sind. Sie sagen was sie denken und sind extrem extrovertiert.

Aber Menschen aus meinem Heimatort sind da das komplette Gegenteil obwohl wir wie gesagt derselben Kultur angehören. Denn dort wo ich herkomme sind die Menschen extrem introvertiert, verschlossen, distanziert und abwartend. Hier sagt keiner was er denkt und macht sehr gerne ein großes Geheimnis um seine eigene Denkweise und über sein Leben. Daher ist es für meine Familie auch sehr schwer mit der Familie meines Freundes klar zukommen, weil es sehr schnell zu Missverständnissen kommt.

Was meint ihr? Kann man aus der Herkunft von Menschen derselben Kultur auf bestimmte Eigenschaften der Menschen schließen? Welche Beobachtungen habt ihr deswegen gemacht?

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» Olly173 » Beiträge: 14700 » Talkpoints: -2,56 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Solche Überlegungen sind aus meiner Sicht extrem unklug bis hin zu gefährlich anzusehen. Auch der Versuch, dies durch eigene Beobachtungen zu untermauern, macht die Sache nicht besser. So habe ich im Bekanntenkreis zwei Brillenträger, die für sich jeweils nicht einschätzen können, wie viel Alkohol sie vertragen. Was sagt diese Beobachtung nun bzgl. Brillenträger und Alkohol aus?

Leider wirkt hier immer diese dumme Verallgemeinerung und der untaugliche Versuch, Individuen durch Gruppen zu definieren. Das sollte einst das Wir-Gefühl stärken und hat (historisch gesehen) seine Berechtigung gehabt. Mit der Weiterentwicklung des Menschen sollte aber irgendwann auch eine Phase eingeleitet werden, in welcher das Individuum mehr im Fokus steht. Eine Phase, in der erkannt wird, dass jeder Mensch sich von anderen als Wesen unterscheidet. Hier sollte also nicht mehr in Gruppen gedacht werden (ganz egal, was hier als gemeinsame Gruppe gesehen wird: Religion, Nation, Hautfarbe oder Fußballverein). Heute wirken solche Zuschreibungen immer (!) als Mittel der Unterdrückung!

Gerade was das Beispiel angeht, stelle ich mir gerade die Frage, ob du nicht einfach mal deine Abschlussklasse nicht lieber als Beispiel nehmen würdest. Waren da nicht mehr Menschen "deiner Ethnie" und "deines Kulturkreises" versammelt und du würdest hier behaupten, alle wären eher introvertiert? Man kann ja noch nicht mal sagen, dass alle in Hamburg geborenen und aufgewachsenen Menschen gerne Krabben essen. Wie soll da ein Kamm auf Eigenschaften angewendet werden können, die ja noch mal vielschichtiger wären?

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Meiner Ansicht nach spielt die Herkunft dabei eine eher untergeordnete Rolle. Entscheidend ist doch, in welchem Umfeld man sozialisiert worden ist und das kann trotz derselben Herkunft doch sehr unterschiedlich sein, eben weil die Menschen sehr heterogen sind.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Der Charakter eines Menschen ist doch schon angelegt, wenn dieser noch gar nicht auf der Welt ist. Die Herkunft eines jeden Menschen kann den Charakter prägen, beziehungsweise tut das auch. Bestimmte Eigenschaften arbeiten sich heraus, andere werden eher unterdrückt. Dabei spielen dann auch noch die individuelle Erziehung und die Schulbildung sowie der Umgang eine große Rolle.

Wie definieren wir denn das Wort Herkunft eigentlich. Nehmen wir mal das Beispiel eines Adoptivkindes. Gilt hier als Herkunft von wem es abstammt oder gilt als Herkunft wo es aufwächst? Das zu präzisieren wäre eher von Vorteil. Das Kind kann aus armen Verhältnissen stammen, die Eltern gehören vielleicht der eher bildungsfernen Schicht an.

Kommt so ein Kind dann in eine Familie der Oberschicht und genießt alle Aufmerksamkeit, Liebe und jegliche Bildung, kann es durchaus sein, dass es einen guten Schulabschluss schafft und später studiert. Umgekehrt kann es aber auch genau so sein, dass ein Kind aus einer oberen Schicht von Adoptiveltern aus einfachen Verhältnissen erzogen wird und eher nur bedingt mit Bildung in Berührung kommt.

Dann kann es schon sein, dass dieses Kind keinen Schulabschluss schafft und keinen Beruf erlernt. Allerdings halte ich es für unglaublich zu behaupten, dass es Gegenden gibt, in denen alle Menschen vorlaut und extrovertiert sind und eben andere Gegenden, in den alle Menschen das Gegenteil sind. Ich schreibe das nicht so leichtfertig dahin, aber diese Behauptung ist einfach nur lächerlich.

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» Quasselfee » Beiträge: 2143 » Talkpoints: 30,45 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Erziehung ist ja ein wichtiger Punkt und wenn man ein Kind in eine bestimmte Art und Weise erzieht, dann kann man auch seinen Charakter mitbestimmen. So gibt es schon so landestypische Dinge, die man seinem Kind dann eben auch vermittelt, also kann das nebensächlich schon eine Rolle spielen, aber nicht nur. Da spielen schon sehr viele Sachen mit hinein und nicht nur die Herkunft oder die Erziehung. Es gibt aber schon Menschen, bei denen man dann etwas erwartet und damit auch nicht enttäuscht wird.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Ich denke, dass sich der Charakter im Lauf der Lebensjahre als Mischung aus persönlichen Eigenschaften und anerzogenen Verhaltensweisen bildet. Insbesondere letzteres wird sicher auch zum Teil von landes- bzw. regionaltypischen Gewohnheiten mitgeprägt.

Deswegen denke ich, dass zumindest teilweise einige landestypische Eigenschaften mit in den Gesamtcharakter einfließen können. Wie sehr der einzelne Mensch das dann auch tatsächlich übernimmt und beibehält, ist individuell wahrscheinlich wieder recht unterschiedlich. Neben der Herkunftsregion spielen außerdem natürlich die soziale Schicht und andere Aspekte ebenfalls eine Rolle und können sich auf den Charakter auswirken.

Ob ich beispielsweise ein typischer Bayer bin, da ich aus Bayern stamme? Schwer zu sagen - in mancher Hinsicht vielleicht schon, aber in einiger Hinsicht wohl auch eher nicht. Und bei näherer Betrachtung gibt es den "typischen Bayern" wahrscheinlich dann doch nur im Fernsehen als Klischee.

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» lascar » Beiträge: 4409 » Talkpoints: 781,51 » Auszeichnung für 4000 Beiträge


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