Was haltet ihr von Gesichtserkennung als Fahrkarte?

vom 16.12.2019, 00:42 Uhr

In Japan wird eine Technologie zur Gesichtserkennung als Ersatz für Fahrkarten getestet. Hierzu muss der Fahrgast zunächst sein Gesicht abfotografieren und elektronisch erfassen lassen. Sobald er an eine der überall in Japan installierten Bahnsteigsperren kommt - welche als Fahrkartenentwerter fungieren - erkennt diese das Gesicht und öffnet die Schranke zum Bahnsteig.

Besonders für Rollstuhlfahrer und Leute mit anderen Handicaps bzw. Familien wäre dies praktisch, da sie keine Fahrkarte oder Monatskarte mit sich führen müssten. Bis 2025 plant man die Technologie an allen Bahnhöfen der Region Osaka einzuführen. Könntet ihr euch so ein Kontrollsystem auch für Deutschland vorstellen oder wäre euch das ein zu großer Eingriff in die Privatsphäre? Worin seht ihr ein Problem?

» EngelmitHerz » Beiträge: 3943 » Talkpoints: 17,00 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Warum zum Teufel sollten ausgerechnet Rollstuhlfahrer und Familien ein Problem damit haben, Fahrkarten mit sich zu führen? Es stimmt zwar, dass viele deutsche Bahnhöfe etwa so behindertengerecht ausgestattet sind wie eine Buckelpiste im brasilianischen Regenwald, aber Tickets kann man schon seit längerem bequem online kaufen und muss dann eben sein Smartphone "mit sich führen". Das schafft man auch im Rollstuhl. Ich könnte mir eher umgekehrt vorstellen, dass Scanner zur Gesichtserkennung Schwierigkeiten mit Menschen haben, die quasi unter den Sensoren durchrollen oder -laufen.

Ich selber sehe keine konkreten Vorteile in der Gesichtserkennung als Fahrkarte. Ob ich nun meine Visage in einen Scanner halte oder den Strichcode auf meiner Jahreskarte macht für mich keinen Unterschied. Ich weiß zudem auch nicht, wie weit die Technologie hier schon fortgeschritten ist. Und zumindest hierzulande gehe ich davon aus, dass die Einführung von Gesichtserkennung Jahre dauern würde, Unmengen Kohle verschlingen und dann monatelang für Probleme sorgen würde, bis die Kinderkrankheiten ausgestanden sind.

Eine Karte in Chip- oder sogar ganz traditionell in Papierform ist zwar nicht sonderlich futuristisch, funktioniert aber halbwegs. Und ich finde auch, dass man der Kundschaft immer noch zumuten kann, in irgendeiner Form einen Fahrberechtigungsnachweis zu erwerben. Meine Jahreskarte wird monatlich abgebucht und jährlich neu zugeschickt. Ich habe also null Arbeit damit und selbst als Gelegenheitsfahrerin gibt es Mittel und Wege, bequem an eine Fahrkarte zu kommen.

» Gerbera » Beiträge: 11292 » Talkpoints: 42,29 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


Möchte ein wenig ausholen. In Nachbarländern hat man in Bezug auf Digitalisierung schon ein wenig Erfahrungen gesammelt. Die Niederländer zum Beispiel haben seit etwa fünf Jahren die "papierenen" Fahrkarten, die "Strippekaarts", gänzlich abgeschafft, haben allerdings keine Verkehrsverbünde, wie man sie in Deutschland kennt, zum Beispiel RMV für den Frankfurter Bereich etc., dafür aber ein Bezahlmittel für alle Verkehrsmittel: die elektronische OV-Chipkaart. (openbaar vervoer chipkaart, Chipkarte des öffentlichen Verkehrs.)

Das bedeutet für den Bahnfaher, dass er erst einmal eine Karte kaufen, dann mindestens mit 20 Euro Saldo aufladen muss, um überhaupt den "Instaptarief", das Eintrittsgeld für die Nederlandse Spoorwegen, die Bahn, zu erhalten. Vorher braucht man es erst gar nicht zu versuchen, auf den Bahnsteig zu gelangen. Das Poortje öffnet sich nicht. Dann kommt noch der eigentliche Fahrpreis für die Strecke dazu. Der muss vor Antritt der Fahrt auch aufgeladen werden, sonst erlebt man beim Aussteigen eine böse Überraschung. Dort steht dann vielleicht ein Bahnbediensteter und ruft "uitchecken". Tut man das dann, und es piept laut, wenn man am Paaltje, dem Kartenleser am Ausgang die Karte drangehalten hat, hat man sich blamiert, denn das heißt, dass man über das Fahrtziel hinausgefahren ist und im Minus steht. Prompt sind "flinke boetes" fällig. So macht Bahnfahren richtig Spaß.

Aber es wird noch besser. Wenn ich das Fahrtziel nur durch Benutzung mehrerer verschiedener Verkehrsmittel erreichen kann, muss ich mich jedesmal aus- und wiedereinchecken. Das ist bei Zeitdruck und Verspätungen reichlich stressig. Vor allem, wenn alle Fahrgäste durch das Gatter am Ende des Bahnsteigs müssen. Zum Beispiel die Verkehrsunternehmen Syntus, Connexion, Veolia, NS haben alle ihre eigenen Paaltjes. Und da kann man bei der Ein- und Auscheckerei ganz schön durcheinander kommen und die Paaltjes verwechseln. Manchmal funktionieren die Cardreader auch nicht "overdracht van waarde bestanden" - "Außer Betrieb-Datenabgleich". Herzlichen Glückwunsch. Ein- und Auschecken nicht möglich. Schon wieder schwarz gefahren. So sieht dann im Klartext die Digitalisierung aus.

Und wenn nun Gesichtserkennung dazukommt, habe ich vielleicht für meinen Zwillingsbruder, der mir gleicht wie ein Ei dem anderen die Fahrtkosten zu zahlen. Und was ist, wenn man einen schlechten Tag hat, zerknittertes Gesicht, hochgezogener Schal etc. Kurzum: Gesichtserkennung - nein Danke.

» Gorgen_ » Beiträge: 1058 » Talkpoints: 374,04 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Gorgen_ hat geschrieben:Und wenn nun Gesichtserkennung dazukommt, habe ich vielleicht für meinen Zwillingsbruder, der mir gleicht wie ein Ei dem anderen die Fahrtkosten zu zahlen. Und was ist, wenn man einen schlechten Tag hat, zerknittertes Gesicht, hochgezogener Schal etc. Kurzum: Gesichtserkennung - nein Danke.

Nur das die Japaner ja scheinbar da etwas anders vorgehen. Die Fahrkarte müssen die sich ja im Vorfeld kaufen und dann musst du den ganzen Monat oder eben das ganze Jahr gar keine Fahrkarte mehr mit die führen. Die gehst da einfach ran, wirst gescannt und kannst Zug fahren. Das ist doch deutlich einfacher als dein niederländisches Modell, wo man erst noch Geld aufladen muss und wenn man es vergessen hat, nicht mehr heraus kommt.

Ich halte das grundsätzlich schon für eine interessante Idee, die doch vieles einfacher macht. Wer hat denn schon mal beim Bahnfahren sein Gesicht vergessen? Das kann ja gar nicht vorkommen. Die Fahrkarte hat man also immer dabei. Auch wird man doch eh schon auf den Bahnsteigen überwacht. Da hängen so viele Kameras, dass man auch jetzt schon, wenn man denn will problemlos ein Bewegungsprofil erstellen kann. Da ändert sich eigentlich auch nicht viel.

Schlussendlich soll das System aber vor allem schneller sein und hier wird es dann eben wirklich interessant. Denn an vollen Bahnhöfen oder Flughäfen geht doch schon mal viel Zeit dafür drauf, erst einmal reinzukommen und durch Kontrollen zu gehen. Und wenn wir jetzt noch mehr Verkehr auf die Schiene bringen wollen, dann stoßen da auch die Bahnhöhe irgendwann an die Grenzen. Zumal man dann theoretisch auch fast alle Fahrkartenkontrolleure abschaffen könnte. Denn ohne Ticket kommt man ja eh nicht in den Zug.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge



Ist unlogisch, wenn ich eine Monatskarte kaufe, trete ich in Vorleistung. Geld ist weg. Ganz gleich, ob ich tatsächlich fahre oder nicht. Bei der OV-Chipkaart wird der tatsächlich zurückgelegte Weg berechnet. Das war das Ziel. Durch Ein- und Auschecken an verschiedenen Orten, errechnet das System den vom Saldo abzuziehenden Betrag und berechnet das auf der Karte verbliebene Restguthaben. Ausnahme: Bahnsteigkarte.

Ein- und Auschecken am selben Bahnsteig kostet etwa 1,70 Euro. Früher war das mal ganz kostenlos. Aber ein- und wiederauschecken musste man. Und wenn man eine personlijke Kaart hat, wird der Saldo direkt vom verknüpften Bankkonto abgebucht. Das soll immer im Plus geführt werden, denn OV-Chipkaart opwaarderen zieht niemals das Bankkonto ins Minus. Folge: Karte wird gesperrt. Also, neue Karte kaufen. Und wenn man es vergessen hat, sich auszuchecken? Dann läuft die Karte leer. Die Prozedur des eigens für diesen Fall eingerichteten Service ist vorgesehen, aber etwas kompliziert. Darüber gibt es auch viele Witze bei den Niederländern.

» Gorgen_ » Beiträge: 1058 » Talkpoints: 374,04 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Ich weiß gar nicht, was am niederländischen System so schlimm sein soll. Hat man das Auschecken vergessen, holt man sich das Geld eben wieder zurück. Das hat in der Provinz Limburg schon 2013 problemlos geklappt. Und wenn man die Karte nicht ständig laden möchte, dann personalisiert man sie halt und verknüpft sie mit seinem Bankkonto.

Wenn der Betrag für das Abo hierzulande fehlt, wird es auch nicht billiger, diesen Schaden wieder zu beheben. Dafür ist es viel einfacher zu fahren. Wenn ich an meine deutsche Monatskarte denke, dann kommen mir so Bedingungen in Erinnerung wie: "Gilt an jedem dritten Samstag im Schaltjahr, an dem Sie einen Osterhasen gesehen haben, im gesamten Verbundbereich, aber nicht im Übergangsbereich. Und ab Einbruch der Dunkelheit können wahlweise ein Fahrrad oder einen Mitfahrer ab 180 cm Körpergröße mitnehmen. Das Fahrrad darf aber nicht Straßenbahnen mitgenommen werden und der Mitfahrer muss blaue Socken tragen." :scep:

Eine Gesichtserkennung ist in meinem Verbundbereich jedenfalls unsinnig, weil z. B. mein Ticket übertragbar ist. Wie der Nutzer aussieht ist vollkommen egal, wenn er denn das Ticket vorzeigen kann. Und ohne diese Regelung wäre das Ding wieder schlichtweg zu teuer.

» cooper75 » Beiträge: 13330 » Talkpoints: 498,67 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Ich bekomme nur eine anonyme OV-Chipkaart, weil ich keinen Wohnsitz in den Niederlanden habe. Eigentlich ist das schon Diskriminierung. Ich bin Europäer, und da sollten auch dieselben Bedingungen bei den Öffentlichen Einrichtungen gelten. Und das Unterfangen, am Automaten im niederländischen Bahnhof mit deutscher Kreditkarte einen Fahrausweis zu ziehen, endete mit einer Automatenstörung. "Ausländische" Kreditkarten werden höchstens in Schiphol am Flughafen akzeptiert, wie es in der Presse zu lesen stand.

Und die "deutschen" Monatskarten mit Chip im deutschen Verkehrs-Verbund-Gebiet benötigen kein Ein- und Auschecken. Da haben sich die Studenten in den Niederlanden schon drüber beschwert, weil auch für die kostenlose Studentenmonatskarte trotzdem Check-Pflicht gilt. Der Sinn erschließt sich mir auch nicht unmittelbar, denn mit kostenlosen Fahrkarten kann man doch nicht etwa auch schwarz fahren? Ein Ein- und Auschecken dient also auch der Erfassung der Bewegungsprofile. Weil so gesammelte Daten von Reisenden nicht turnusmäßig gelöscht worden waren, hat die betreffende Firma sogar ein hohes Bußgeld bekommen.

» Gorgen_ » Beiträge: 1058 » Talkpoints: 374,04 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Mit meiner deutschen Karte muss ich aber Einchecken. Das ist nicht wirklich anonymer. Dafür kannst du aber nicht einfach fahren. Du musst immer fein wissen, was du wann brauchst. Und ein Klassiker in meiner Stadt: Nimmst du ein Einzelticket, gilt das für eine Fahrt im Stadtgebiet. Damit kommst du im besten Fall vom Norden in den Süden. Im schlimmsten Fall bist du Schwarzfahrer, weil das Ding nur 90 Minuten gilt. Bei uns fällt aber ständig was aus und wir haben seit Jahren Schienenersatzverkehr. Also musst du wegen miesem Service mehr bezahlen. :wall:

Das mit dem Konto sollte eigentlich klappen. Damit ideal in den Niederlanden klappt, habe ich auch ein Konto da. Da musste ich zwar einige Banken abklappern, aber dann ging es. Damals hatte ich keinen Wohnsitz und das Gewerbe war auch noch nicht angemeldet. Du hast doch eine BSN. Mittlerweile habe ich keinen Wohnsitz und kein Gewerbe da und die Bank zickt nicht. Unis sind gute Ratgeber, die kennen Banken, die Studierende ohne Wohnsitz im Land nehmen.

» cooper75 » Beiträge: 13330 » Talkpoints: 498,67 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


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