Steuert Deutschland geradewegs in eine Rezession?

vom 02.08.2019, 14:15 Uhr

Die deutsche Wirtschaft kränkelt ja schon ein paar Jahre, aber nun scheint sich die Situation noch mehr zu verschlechtern und Kritiker sprechen angesichts von teilweise massivem Stellenabbau, schon von einer Rezession und einem Niedergang der deutschen Wirtschaft.

Die Ursachenforschung bringt je nach Partei sehr unterschiedliche Gründe für dieses wirtschaftliche Dilemma hervor und während die FDP der Großen Koalition schwerer Vorwürfe macht, weil diese in den letzten 6 Jahren eine wirtschaftsfeindliche Politik betrieben hätten, weisen diese die Kritik brüskiert zurück und sehen die Hauptursachen in Trumps Zollpolitik, dem Brexit und natürlich auch im Fachkräftemangel. Aber in einem Ziel sind sich nahezu alle politisch handelnden Personen einig, nämlich dass man den „wirtschaftspolitischen Schalter umlegen“ wolle, aber für das wie, hat noch niemand ein Patentrezept zur Hand.

Welche Eindrücke habt ihr denn zur derzeit wirtschaftlichen Stärke Deutschlands? Glaubt ihr, dass wir im Weltvergleich wirtschaftlich immer noch sehr stabil dastehen oder büßt da Deutschland immer mehr ein und droht sogar in eine tiefgreifendere Rezession abzudriften?

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» mikado* » Beiträge: 3037 » Talkpoints: 1.002,67 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Vielleicht liegt die Ursache auch einfach darin, dass die Wirtschaft nicht immer weiter wachsen kann? Wenn wir von "kränkelnder Wirtschaft" reden, geht es ja nicht um die Branchen, die lebenswichtige Produkte wie Lebensmittel oder Medikamente produzieren, die verbraucht werden und regelmäßig nachgekauft werden müssen.

Es geht fast immer um Produkte, bei denen irgendwann eine Sättigung erreicht ist und die dann nur noch gekauft werden müssen wenn Ersatz benötigt wird. Natürlich wird dann ein künstlicher Bedarf geschaffen, so, dass auch Produkte ersetzt werden, die gar nicht ersetzt werden müssten. Aber längerfristig führt das doch dazu, dass man sich von anderen Märkten ausschließt.

Klingt vielleicht bisschen abstrakt, deshalb mal ein konkretes Beispiel. Bei den Smartphones wird immer wieder der Bedarf nach dem neusten Modell geweckt. Und da sich das Vorgängermodell nicht in Luft auflöst wird es dann oft weiter verkauft. Es ist heute relativ einfach ein gutes gebrauchtes Gerät zu finden, oft generalüberholt und mit Garantie von Anbietern, die sich auf dieses Geschäft spezialisiert haben.

Für die Kunden, die so ein Gerät kaufen, würde normalerweise ein etwas günstigeres neues Gerät in Frage kommen, aber warum sollten sie sich das kaufen wenn sie für den gleichen Preis ein neuwertiges gebrauchtes mit besserer Ausstattung bekommen können?

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Ich sehe die derzeit und oftmals in den Medien beschriebene wirtschaftliche Situation Deutschlands ein Zerrbild ist und mehr Wunschdenken als Realität drinsteckt. Gerade das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, mit der Automobilindustrie und dem Bankenwesen ist schwer beschädigt.

Stahlindustrie geht aufgrund immer größer werdenden Umweltauflagen, auch immer mehr den Bach runter. Und die bereits angekündigten Massenentlassungen, tragen ja bestimmt auch nicht gerade zum Erstarken der Wirtschaft bei. Deutschland ist für mich schon lange keine Wirtschaftsmacht mehr, aber scheinbar ist das geopolitisch auch gar nicht mehr gewollt.

» Herr Krawuttke » Beiträge: 424 » Talkpoints: 29,04 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich glaube die Situation ist nicht so schlecht wie sie zum Beispiel die FDP redet. Die FDP hat ja ganz einfach ein anders Weltbild von Wirtschaftspolitik als zum Beispiel die SPD. Die FDP würde ja gefühlt am liebsten alle Steuern abschaffen und den Sozialstaat zu recht stutzen wie in den USA. Klar ist das für die Wirtschaft attraktiv, weil man mit weniger Abgaben noch mehr Geld verdienen kann. Aber ob davon auch der Arbeitnehmer etwas hat, steht ja auf einem ganz anderen Blatt. Die USA haben damit eine Arbeitslosenquote von 3,8 Prozent und ein deutlich höheres Wirtschaftswachstum als die EU-Staaten. Aber dennoch sind damit viele Menschen unzufrieden und würden ihre Stimme einem Menschen wie Bernie Sanders geben, der wohl am liebsten europäische Zustände einführen würde.

Die Frage ist ja auch wie viel Wirtschaftswachstum man überhaupt benötigt. Geht es uns denn wirklich schlechter als den Menschen in den USA oder den Chinesen, die die drei- bis vierfachen Wachstumsraten haben? Und ist eine Rezession denn wirklich schlimm? Ich sehe es da irgendwie wie Cloudy. Es kommt halt immer mal wieder ein Punkt, wo die Menschen eigentlich alles haben. Da kann man dann halt nicht mehr soviel verkaufen und muss erst einmal wieder zusehen, wie man Nachfrage schaffen kann. Das ist ja nun nichts Neues und passiert alle paar Jahre.

Auch den angeblichen Niedergang der Automobilindustrie sehe ich lange nicht so kritisch. Volkswagen ist weltweit der absatzstärkste Autobauer. Dazu kommen die Premiumhersteller. Wer soll denn den deutschen Autobauern so schnell den Rang ablaufen? Volkswagen hat ja die letzten Jahre erst die anderen Autobauer überholt und auch die Dieselkrise gefühlt problemlos überstanden. Gerade die angedrohten amerikanischen Zölle sind doch nur eine hilflose Drohung, weil die amerikanischen Autobauer einfach schlechtere Autos als die Europäer und Asiaten bauen und nichts anderes.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge



Es ist schon toll, wenn man nicht aus der Tafel-Perspektive über die deutsche Wirtschaft sprechen muss. Wer älter und gesundheitlich angeschlagen ist, sieht gewisse Dinge wohl ganz anders. Ich bezweifle, dass auch hier die tolle wirtschaftliche Lage bei jedem angekommen ist. Vielleicht würde einigen mal ein echter Abschwung helfen, die Tafel-Perspektive zu verstehen.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Juri1877 hat geschrieben:Vielleicht würde einigen mal ein echter Abschwung helfen, die Tafel-Perspektive zu verstehen.

Und was genau willst du ändern? Die Geschichte zeigte, dass Deutschland in etwa alle 10 Jahre eine Rezession erleidet. Also im Grunde sind wir eigentlich schon wieder dran. Und trotzdem hat sich sowohl der Staat als auch die deutsche Wirtschaft immer wieder davon erholt. Ganz einfach, weil es ein Normalzustand unseres Wirtschaftssystems ist, dass nach Phasen des Aufschwunges auch immer Phasen des Abschwunges kommen. Viel anders wird ein konsumorientiertes Wirtschaftssystem kaum funktionieren. Irgendwann haben die Leute nun einmal alles und kaufen nicht mehr so viel.

Und um mal ganz realistisch zu bleiben. Du wünschst ja gefühlt allen den es besser geht als dir, die Pest an der Hals um es mal bildlich und mit etwas Übertreibung zu sagen. Aber auch du wirst sicherlich im Inneren ganz genau wissen, dass eine Rezession am Ende des Tages als erstes die Leute trifft, denen es eh schon nicht so geht und die Reichen so etwas viel besser überstehen und am Ende nur noch reicher werden durch Rezessionen, weil sie zum Beispiel billig Aktien und Unternehmen einkaufen können.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


Juri1877 hat geschrieben:Vielleicht würde einigen mal ein echter Abschwung helfen, die Tafel-Perspektive zu verstehen.

Dir persönlich würde es wahrscheinlich Befriedigung verschaffen, wenn sich andere Menschen genauso wenig leisten könnten wie du, aber was glaubst du, wie viel du dir dann noch leisten könntest? Glaubst du etwa, du würdest dadurch irgendwas gewinnen?

Eine Rezession trifft vor allem die Menschen, die eh schon nicht viel haben. Die Mittelschicht verzichtet dann halt auf Urlaub und das zweite Auto, das ist machbar. Mit einer guten Ausbildung findet man auch leichter einen neuen Job und die Mittel für einen Umzug sind in der Regel auch vorhanden. Aber wenn die Spenden zurück gehen wird es für das untere Ende der Gesellschaft problematisch.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



Mein Eindruck ist, dass Deutschland nicht auf eine Rezession zusteuert, sondern gefühlt schon mittendrin ist. Die Firmeninsolvenzen steigen kontinuierlich an, Großkonzerne kündigen Massenentlassungen und Kurzarbeit an. Da kann man ja nicht sagen, dass die Wirtschaft brummt, wie es gern tagtäglich von den Medien vermeldet wird und der Fachkräftemangel dürfte sich ja angesichts der freiwerdenden Arbeitskräfte auch relativieren.

Klehmchen hat geschrieben:Es kommt halt immer mal wieder ein Punkt, wo die Menschen eigentlich alles haben. Da kann man dann halt nicht mehr soviel verkaufen und muss erst einmal wieder zusehen, wie man Nachfrage schaffen kann.

Das stimmt voll und ganz und trifft den Nagel auf den Kopf. Und deswegen musste ja auch das Auto neu erfunden und der böse Verbrennungsmotor verteufelt werden. Denn der Markt war ja gesättigt und jeder Haushalt hatte ja statistisch schon mindestens ein wenn nicht gar zwei Autos. Und welch ein Wunder, mit der ganzen Klimadebatte tun sich wie durch Geisterhand neue Märkte auf und beschaffen somit den Konzernen volle Auftragsbücher und volle Kassen. Aber dieses Konzept stottert ja auch vor sich hin, weil der widerborstige Verbraucher nicht so recht mitspielen will.

» A. Brunner » Beiträge: 148 » Talkpoints: 21,16 » Auszeichnung für 100 Beiträge


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