Naivität durch Lebenserfahrung oder Charakterfrage?
Ich gebe zu, dass ich bei diesem Thema durch den Kommentar von Gerbera in diesem Thread inspiriert wurde. Gerbera stellt dort die These auf, dass - in meinen Worten zusammengefasst - eher die Menschen mit wenig Lebenserfahrung, die eben überbehütet worden sind und von denen man im Prinzip alles Böse als Eltern ferngehalten hat, eine weltfremde und sehr naive Sichtweise auf das Leben im Allgemeinen entwickeln und dass diese mit einem eigenen Kind und entsprechender Lebenserfahrung schnell aus ihrer Traumwelt "aufwachen".
Ich kann das so nicht unterschreiben. Ich kenne eine Frau persönlich, die ich als sehr naiv bezeichnen würde. Dabei hat sie aber schon so manchen Mist erlebt und das wünscht man echt niemandem. Sie hat zum Beispiel früh finanziell auf eigenen Beinen stehen müssen, sie hat ihren Vater pflegen müssen während einer Krebserkrankung und später als sie verheiratet war, wurde sie sogar von ihrem Ehemann betrogen und verprügelt. Sie hat drei Kinder von ihm und hat sich von ihm scheiden lassen.
Sie ist alleinerziehend seitdem das erste Kind 5 Jahre alt ist und da sie keinen Unterhalt bekommen hat (Ex-Mann war insolvent) musste sie sich so über Wasser halten. Sie hat sich zwischendurch auch mit Mobbing und Intrigen auf Arbeit und in der Nachbarschaft herumschlagen müssen. Mittlerweile sind die Kinder erwachsen und teilweise schon aus dem Haus.
Diese Frau ist aber immer noch total naiv und hat ein sehr rosarotes Weltbild, wobei ich da teilweise echt den Kopf schütteln muss und nicht weiß, wie ich darauf reagieren soll. Was meint ihr dazu? Denkt ihr, dass Naiviät in erster Linie durch die Lebenserfahrung geprägt wird oder ist das doch eher eine Charakterfrage?
Ich denke, dass beides auf die Naivität eines Menschen großen Einfluss hat. Ich persönlich bin zum Beispiel auch vom Charakter her sehr naiv. Ich versuche immer an das Gute im Menschen zu glauben und gebe den Menschen meist unglaublich viele Chancen, obwohl sie es meist gar nicht verdient haben, weil ich irgendwo hoffe, dass sie die Chance dieses Mal nutzen und mich nicht ein weiteres Mal enttäuschen. Auch traue ich fremden Leuten meist viel zu sehr aus den eben schon genannten Gründen, weshalb ich auch schon einige schlechte Erfahrungen mit Leuten gemacht haben, die sich eigentlich als meine Freunde ausgaben.
Jedoch bin ich durch die Lebenserfahrung schon um einiges reifer geworden. Ich vertraue nicht mehr jedem Menschen und gebe auch vielen Menschen nicht einfach so noch mal eine Chance, wenn sie es richtig vergeigt haben. Da ich mir manchmal aber dennoch unsicher bin, habe ich richtige und gute Freunde, die mir dann sagen können, wenn ich doch mal wieder dabei bin zu weich und zu naiv zu werde. Denen vertraue ich dann, was meine Entscheidung angeht.
Es lässt sich also sagen,dass Naivität durchaus eine Charaktereigenschaft und somit Charakterfrage ist. Jedoch wird diese, wie viele Eigenschaften von uns, durch die Lebenserfahrung entweder verstärkt oder wie bei mir glücklicherweise geschwächt.
Gern geschehen. Wenn ich darüber noch einmal nachdenke, glaube ich auch, dass es wie so oft eine Mischung aus charakterlicher Veranlagung und persönlichen Erfahrungen ist, die darüber entscheidet, ob jemand sich zu einem pragmatischen, abgehärteten Kampfdackel oder zu einem rosaroten Träumerchen entwickelt. In dem eingangs erwähnten Thread habe ich aus meiner persönlichen Umgebung und Erfahrung Beispiele gebracht. Dass diese weder repräsentativ noch wissenschaftlich tragfähig sind, und dass man zu jedem Beispiel ein Gegenbeispiel finden kann, ist mir schon auch klar.
Allerdings bleibe ich dabei, dass es einfacher ist, naiv und unbedarft zu bleiben, wenn man ein behütetes, privilegiertes Leben führt und gar keinen Grund hat, die eventuell vorhandene zähe, clevere, abgezockte Seite seiner Person zu entwickeln. Um sich als Mensch und Persönlichkeit weiter zu entwickeln, braucht man meiner Meinung nach viele unterschiedliche Erfahrungen, die dazu führen, dass man verschiedene Facetten seiner Person ausbildet und sich selbst besser kennen lernt. Auf diese Art verliert sich die kindliche Naivität oft von ganz alleine, sie braucht nur einen äußeren Anlass, der meiner Erfahrung nach bei etlichen Leuten erst relativ spät im Leben eintritt oder gar ganz ausbleibt.
Andererseits, und hier wird es natürlich schon "grenzwertig", hege ich auch die wenig schmeichelhafte Meinung, dass beileibe nicht jeder das geistige Potenzial hat, über seine Lebenserfahrungen zu reflektieren, seine Entscheidungen kritisch zu überdenken und aktiv an und mit seinen Charakterstärken und -schwächen zu arbeiten. Mit anderen Worten: Ich glaube, dass es weniger eine Charakterfrage ist, ob man auch angesichts von prägenden Lebenserfahrungen und Rückschlägen weiter naiv und arglos durchs Leben tappt, sondern eher eine Frage der generellen Intelligenz, die es einem ermöglicht, aus Fehlern zu lernen und Muster in seinem Verhalten zu erkennen. Für mich hängen Naivität und Einfalt ehrlich gesagt sehr eng zusammen.
Ich denke auch, dass es wohl eine Mischung aus beidem sein dürfte. Wenn man die Naivität schon im Charakter verankert hat, ist es sicher nicht so leicht, diese wieder abzulegen. Aber bei deinem beschriebenen Beispiel muss ich sagen, dass ich es doch sehr erstaunlich finde, dass die Frau, die du kennst, nach all den Problemen noch immer so blauäugig und naiv durchs Leben geht. Ich denke, dass die meisten Menschen spätestens nach so vielen Problemen nicht mehr so naiv wären.
Gerberas Ausführungen treffen auch meine Vermutung sehr stark, dass es eine Mischung ist. Sicherlich trägt es nicht unerheblich dazu bei, ob man als Kind den Hintern nachgetragen bekommen hat, alles bekommen was man wollte und die Eltern einen fernab von jeder Realität gehalten und erzogen haben, dass man nie Kontakt mit den bösen Seiten im Leben hatte. Damit geht man aber auch komplett unvorbereitet in das eigene Leben.
Manche sind in der Lage dann ihre eigenen Erfahrungen soweit zu interpretieren und zu reflektieren um das ganze zu erkennen und einen Teil ihrer kindlichen Naivität abzulegen. Andere schaffen das nicht und diese rennen dann auch im hohen Alter, mit genug Lebenserfahrung weiterhin mit der rosaroten Träumerbrille durch die Gegend und lassen sich alles andrehen und erzählen, auch wenn es nicht der Wahrheit entspricht.
Intelligenz hat dabei nur bedingt etwas zu tun, denn es gibt durchaus sehr intelligente Menschen die das nicht ablegen können und auch dümmere Menschen die ihr Leben reflektieren können. Daher spielt auch die Fähigkeit der Selbstreflektion eine größere Rolle als die der Intelligenz, denn es ist auch immer noch eine "Glaubenssache" ob man das wirklich glaubt oder nicht selbst wenn alle Fakten dafür sprechen würden. Das ist dann das gute alte Augen verschließen um nichts zu sehen, was nicht immer unterbewusst passiert sondern mache auch bei vollem Bewusstsein Fakten ablehnen.
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