Wer ist schuld am Niedergang der SPD?

vom 12.02.2019, 01:21 Uhr

Klehmchen hat geschrieben:Trübt mich meine Erinnerung oder war die SPD nicht die einzige verbliebene Partei im Reichstag die damals Adolf Hitler die Stirn bot?

Vielleicht vereinfacht man damit die Geschichte zu sehr bzw. macht sich fast schon der Geschichtsfälschung schuldig. Denn zu dem Zeitpunkt waren andere (genauer: linke) Gegner bereits ausgeschaltet. Wobei unbestritten bleibt, dass sich einzelne SPD Mitlieder unter Einsatz der persönlichen Sicherheit offen gegen die Nazis gestellt haben. Aber, um die Abgrenzung nach links zu unterstreichen, hat die SPD sehr wohl auch zu der Zeit den Aufstieg der Nazis nicht verhindert, weil man sich nicht mit den Kommunisten zusammentun wollte!

Dann bitte ich auch an die Billigung des Ersten Weltkrieges. Ohne die Zustimmung der SPD hätten wir hier vielleicht eine massiv andere Geschichte gehabt. Und das ist eben nicht mal - um bei der Tradition zu bleiben - nicht der erste Sündenfall. Schon nach der Gründung der SPD hatte sich die Partei eben nicht gegen den Deutsch-Französische Krieg von 1870 ausgesprochen.

Der Angriffskrieg auf Jugoslawien wurde maßgeblich von der SPD betrieben (man denke an Scharpings offene Lüge bzgl. des "Hufeisenplans"). Und bis heute gibt es weder bei den Grünen noch bei der SPD Anstalten, sich zur Schuld oder zum Fehler zu bekennen. Was aus dem Kosovo heute geworden ist, soll noch nicht mal beleuchtet werden. Und auch Syrien ist so ein Fall, in dem die SPD für einen militärischen Sturz einer regulären Regierung steht. Um ein aktuelles Beispiel zu nehmen.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Und selbst wenn die SPD der Befreiungsschlacht im Teuteburger Wald zugestimmt hat, hat dies mit Sicherheit nicht zu ihrem Untergang beigetragen. Der kam mit Hartz IV und ging weiter mit der Flüchtlingspolitik. Nach Hartz IV verlor Schröder eine Wahl nach der anderen. Bei der letzten Wahl in Bayern kam die SPD nur noch unter 10 Prozent, weil sie jedes Statement zur Flüchtlingspolitik vermied. Diese beiden Themen haben viele Wähler von der SPD entfremdet.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


derpunkt hat geschrieben:
Klehmchen hat geschrieben:Trübt mich meine Erinnerung oder war die SPD nicht die einzige verbliebene Partei im Reichstag die damals Adolf Hitler die Stirn bot?

Vielleicht vereinfacht man damit die Geschichte zu sehr bzw. macht sich fast schon der Geschichtsfälschung schuldig. Denn zu dem Zeitpunkt waren andere (genauer: linke) Gegner bereits ausgeschaltet. Wobei unbestritten bleibt, dass sich einzelne SPD Mitlieder unter Einsatz der persönlichen Sicherheit offen gegen die Nazis gestellt haben.

Unbestritten waren die Kommunisten frühzeitig ausgeschaltet, unbestritten sind aber 94 Neinstimmen der SPD zum Ermächtigungsgesetz, was allen zu dieser Zeit stimmberechtigten SPD-Mitgliedern entsprach. Also ich denke vereinzelt dürfte da genauso schon fast Geschichtsfälschung sein. Insbesondere wenn man sich alle anderen Parteien inklusive Vorgängerparteien von Union und FDP anschaut. Ich bestreite ja auch gar nicht, dass die SPD nicht auch Kriegen zugestimmt hat, immerhin hat sie ja gut 150 Jahre Geschichte hinter sich. Aber sie hat genauso auch gegen Kriege gestimmt und das über ihre ganze Geschichte hinweg. Unter Tradition verstehe ich da schon etwas anderes, aber das scheint ja sehr subjektiv zu sein.

Aber auch hier zeigt sich wieder das scheinbar größte SPD-Problem. Nämlich der großen Lücke zwischen Wirklichkeit und Wahrnehmung. In deiner Wahrnehmung vielleicht auch in der vieler anderer ist die SPD eine Partei der Kriegstreiber. Aber an wie viel Kriegen waren wir denn wirklich aktiv beteiligt. Am Kosovokrieg, der bei aller möglichen Übertreibung des Hauses Scharping, schon einen klaren humanitäre Hintergrund. Nur weil Bilder bewusst oder unbewusst falsch interpretiert wurden, ist es ja nicht so, dass es keine Massaker und Vertreibung in Jugoslawien gab und man denke nur an Srebrenica wo sich zeigte, was passiert wenn man eben nicht interveniert. Und dann gibt es die Beteiligung am Afghanistankrieg, wo sich aber wirklich aktive Kriegsbeteiligungen im Vergleich zu anderen Staaten ja auch im Rahmen halten. Dass die SPD zum Beispiel zum Irakkrieg klar Nein gesagt hat, weil sie keine Beweise sah, wird dann gleich unter den Tisch gekehrt. Andere Parteien in Regierungsverantwortung hätten auf keinen Fall weniger Kriege geführt.

Und so sieht es ja nahezu überall aus. Der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands ist ja eben auch in den Hartzreformen begründet. Die Erfolge und den Rückgang der Staatsverschuldung schreibt aber kaum jemand der SPD zu. Gleiches kann man über die Rente mit 63 sagen. Ich selber finde das nicht gut, aber für Arbeitnehmer hat die SPD eine Möglichkeit geschaffen früher in Rente zu gehen ohne Abschläge hinzunehmen. Das interessiert kaum einen. Auch sonst hat die SPD in den Jahren als Juniorpartner ja durchaus schon viele Sachen durchgesetzt in den Koalitionsverträgen. Aber kaum jemand nimmt davon Kenntnis.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge



Die Realitätsverweigerung ist natürlich auch ein Riesenproblem für die SPD. Viele SPD-Wähler haben keinen Aufschwung erlebt und Dank Hartz IV ist der Absturz immer in Reichweite. Aber wie sollen dies arrogante Oberschichtler wissen, die noch nie selber zur Tafel mussten. Und ob die SPD dies oder das gemacht hat, ist auch egal. Mit Hartz IV und der Flüchtlingspolitik hat sie total versagt. Sonst würden ihr nicht die Wähler davon laufen.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Klehmchen hat geschrieben:unbestritten sind aber 94 Neinstimmen der SPD zum Ermächtigungsgesetz

Das ist ganz unbestritten eine der durchaus vorhandenen historischen Leistungen. Aber eben fast als "Ausrutscher" zu sehen, im Verhältnis zu anderen Entscheidungen. Hier waren die Abgeordneten tatsächlich einem enormen - auch persönlichen - Druck ausgesetzt und haben dennoch dagegen Position bezogen.

Bzgl. eines Krieges für das Vaterland ändert dies aber eben nichts an der "nationalen Bestimmung", in der sich die SPD aber immer sah und immer noch sieht. Nicht umsonst ließ sich die SPD durch Kaisergetreue einsetzen. Sie hat sich die Macht zunächst weder durch Wahlen noch die Revolution geholt. Vielmehr sah man das Kaiserreich als Legitim an - und bekämpfte die Revolution gegen den Kaiser indem man mit den Kriegstreibern Hand in Hand ging und Massaker verübte. Wie schon geschrieben - gleich nach der "Geburt" der SPD hatte sich diese Marschrichtung ergeben. Dazu reicht die Betrachtung der Deutsch-Französischen Kriege ab 1870.

Was das "Nein" von Schröder zum Irakkrieg angeht, bitte ich auch zu bedenken, zu welcher Zeit dies geschehen ist. Schröder war angeschlagen, es waren nur noch wenige Wochen zur nächsten Bundestagswahl und die BRD wollte unbedingt unter Rot-Grün einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat haben. Dazu passte es dann eben, den großen USA Paroli zu bieten. Auch eine Annäherung an Russland war hier Teil der Strategie. Es ist also - aus meiner Sicht - praktisch ausgeschlossen, dass die SPD hier gegen Krieg war. Vielmehr war die SPD gegen DIESEN Krieg, weil er strategisch nicht zu den eigenen Plänen gepasst hat.

Klehmchen hat geschrieben:schon einen klaren humanitäre Hintergrund

Wenn dem so wäre, dann stellt sich mir die Frage nach dem aktuellen Stand der Dinge im Kosovo? Ist die "humanitäre Lage" nun besser oder schlechter als vor dem Krieg? "Failed State" ist ja noch eine harmlose Beschreibung. Die Lage vor dem Krieg im Kosovo - ein Teilstaat Jugoslawiens der von einem "Kosovaren" regiert wurde - ist eskaliert, weil die UCK dort für Terror gesorgt hat. Ähnlich wie die IRA oder die ETA. Wo siehst du den Unterschied? Warum wird nicht London bombardiert? Oder Madrid? Und genau hier greift eben die Propaganda von damals.

Klehmchen hat geschrieben:man denke nur an Srebrenica

Dir ist hoffentlich klar, dass du hier völlig verschiedene Konflikte gegeneinandergestellt hast? Aber auch hier steht die Frage, was "vor" Srebrenica war und wie die Lage so eskalieren konnte. Hier gibt es zahlreiche Klagen, weil in der Umgebung von Srebrenica zahlreiche Massaker an der serbischen Landbevölkerung verübt wurden. Aber ich bin kein Freund von Aufrechnungen. Ein Verbrechen bleibt ein Verbrechen. Nur Srebrenica hat mit Kosovo nichts zu tun.

Klehmchen hat geschrieben:Und dann gibt es die Beteiligung am Afghanistankrieg, wo sich aber wirklich aktive Kriegsbeteiligungen im Vergleich zu anderen Staaten ja auch im Rahmen halten.

Also "ein bisschen Krieg"? Das wird aber die betroffene Bevölkerung nur bedingt trösten.

Klehmchen hat geschrieben:Der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands ist ja eben auch in den Hartzreformen begründet.

Das Problem ist nur, dass der "wirtschaftliche Aufschwung" nicht bei denen angekommen ist, die von ALG2 oder Leiharbeit betroffen sind. Außerdem fehlt leider der Beleg, dass diese Punkte zusammenhängen. Der Gegenbeweis wäre Frankreich - denn die wollen jetzt praktisch diese "Reformen" - weil sie im Vergleich zur BRD locker 0,7-1,2% bzgl. des Wachstums hinterherhinken. Ist das nicht ein Wahnsinn? Deutschland wäre vermutlich heute ein Dritte-Welt-Land ohne diese ca. 1% mehr im Vergleich zu Frankreich. Glaubst Du das wirklich?

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


derpunkt hat geschrieben:Deutschland wäre vermutlich heute ein Dritte-Welt-Land ohne diese ca. 1% mehr im Vergleich zu Frankreich. Glaubst Du das wirklich?

Das nicht aber bei den durchschnittlichen Wachstumsraten eines entwickelten Industriestaates sind 1 Prozent oftmals der Unterschied zwischen Wachstum und Rezession. Und Frankreich ist ja schon ein gutes Beispiel. Gefühlt ist Frankreich ja das Mutterland der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerbestimmung. Dauernd streiken, teilweise 10 Jahre vor uns in Rente gehen und im Schnitt auch noch 10 Urlaubstage mehr als die Deutschen. Und was bringt ihnen das? Wenig Wachstum, hohe Arbeitslosenzahlen, und eine rasante Zunahme der Staatsverschuldung, die in den letzten 10 Jahren von knapp 68% des BIP auf jetzt fast 100% gestiegen ist, wobei Deutschland im gleichen Zeitraum die Verschuldung abgebaut hat.

Sicherlich stecken da immer viele Faktoren dahinter. Aber wirtschaftlich steht Deutschland heute wesentlich besser da als Frankreich und das obwohl oder eben auch weil es seit den Hartzreformen eben doch vieles anders macht als die Franzosen. Und selbst wenn man jetzt sagt, bei den Arbeitslosen ist davon wenig angekommen, muss man genauso sagen, dass man sich als Staat auch Arbeitslose leisten können muss. Auch das Geld muss ja irgendwo her kommen. Zumal sich ja zum Beispiel der ALG-Regelsatz von 345 Euro in 2005 auf 424 Euro in 2019 angestiegen ist und damit durchweg einen Inflationsausgleich erfolgt ist. Das dürfte durchaus nicht jedem Arbeitnehmer in der Zeit so gegangen sein.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


Klehmchen hat geschrieben:Und selbst wenn man jetzt sagt, bei den Arbeitslosen ist davon wenig angekommen, muss man genauso sagen, dass man sich als Staat auch Arbeitslose leisten können muss. Auch das Geld muss ja irgendwo her kommen. Zumal sich ja zum Beispiel der ALG-Regelsatz von 345 Euro in 2005 auf 424 Euro in 2019 angestiegen ist und damit durchweg einen Inflationsausgleich erfolgt ist. Das dürfte durchaus nicht jedem Arbeitnehmer in der Zeit so gegangen sein.

Manchmal frage ich mich, was manche hier in den letzten 10 Jahren mitbekommen. Erinnert sich keiner mehr an die Parasitenaussage von SPD-Minister Clement? Bis 2015 habe ich tausendfach gehört, dass kein Geld mehr da sei und der Zusammenbruch des Sozialstaates kurz bevorstehen würde. Dann kommen 2015 binnen kurzer Zeit 2 Millionen Flüchtlinge ins Land und auf einmal sind 50 Milliarden mehr im Jahr kein Problem. Und nun sagt SPD-Kanzlerkandidat Schulz, dass Flüchtlinge wertvoller als Gold sind. In keinem anderen Land der Welt wäre man so blöd, völlig Fremden solche Vorschusslorbeeren zu geben und denjenigen, die alles für ihr Land gegeben haben, so zu behandeln.

Wer als Arbeitnehmer von der guten Konjunktur profitiert, kann sich sicher sein, dass er im Fall, dass es nicht mehr klappt, ebenso behandelt wird wie ein Flüchtling, der noch nie etwas in Deutschland einbezahlt hat. Er erhält auch den gleichen Regelsatz. Wir können übrigens auch mal gerne sehen, wie die Lebenshaltungskosten von 2005 bis 2019 gestiegen sind. Der Regelsatz war 2005 ein Witz und ist es 2019 immer noch.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Juri1877 hat geschrieben:Wer als Arbeitnehmer von der guten Konjunktur profitiert, kann sich sicher sein, dass er im Fall, dass es nicht mehr klappt, ebenso behandelt wird wie ein Flüchtling, der noch nie etwas in Deutschland einbezahlt hat. Er erhält auch den gleichen Regelsatz. Wir können übrigens auch mal gerne sehen, wie die Lebenshaltungskosten von 2005 bis 2019 gestiegen sind. Der Regelsatz war 2005 ein Witz und ist es 2019 immer noch.

Es ging um einen Vergleich. Es bringt nichts zu behaupten, man könne sich von 345 Euro im Monat keinen Porsche kaufen, wenn die Aussage war, dass der Regelsatz zumindest immer mindestens entsprechend der Inflation angehoben wurde. Das heißt ein Langzeitarbeitsloser hat heute die gleiche Kaufkraft wie vor 15 Jahren. Ich habe nicht behauptet, dass das ein guter oder schlechter Regelsatz ist. Aber im Vergleich zu den Langzeitarbeitslosen gibt es genug Arbeitnehmer, die im gleichen Zeitraum einen realen Kaufkraftverlust hinnehmen mussten.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


Ich hoffe, dass es bald wieder um die Frage nach dem Untergang der SPD geht statt um Fake-News über nichtsbewiesene Arbeitnehmerverluste geht. Übrigens gibt es bei Hartz IV keinen Inflationsausgleich! Aber Fakten sind eben auch nicht jedermanns Sache.

Was mich bei dieser Diskussion bisher wundert, ist die Tatsache, dass niemand nach den Grünen gefragt hat. Die waren auch an Hartz IV beteiligt und bekommen trotzdem mehr Stimmen. Auch ihre Haltung in der Flüchtlingskrise scheint ihnen nicht zu schaden. Woran liegt das?

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Juri, du hast es scheinbar nicht verstanden. Wenn die durchschnittliche Inflation unter bis um die 2 Prozent pro Jahr liegt und der Regelsatz im Schnitt pro Jahr um 2 Prozent angehoben wurde, hat ein Inflationsausgleich stattgefunden. Du kannst die Anhebungen nennen wir du willst, aber de facto entsprechen sie einem Inflationsausgleich.

Auch denke ich ist die Frage nach den Grünen recht einfach zu beantworten. Ich rede ja schon länger davon, dass das Mitte-Links-Lager in Summe kaum Veränderungen unterworfen ist. Viel mehr gibt es da abgesehen von einem gewissen einstelligen Prozentsatz an Protestwähler ein Abstimmungsverhalten, dass im Lager Linke, Grüne und SPD bleibt.

Und aus diesem Lager werden eben die Parteien gewählt von Mitte-Links-Wählern die am entschiedensten gewisse Positionen vertreten und das machen für hart gesottene linke Wähler die Linkspartei und für den Rest eher die Grünen. In Summe bleiben die Parteien aber doch recht konstant bei 40-50 Prozent der Stimmen, die zwischen diesen Parteien hin und her wechseln. Und zur Zeit greifen da eben die Grünen die meisten Stimmen aus diesem Lager ab.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


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