Lohngefälle in Deutschland

vom 12.02.2009, 22:08 Uhr

Hallo zusammen,

als ich eben den Artikel über den Solidaritätszuschlag getippt habe, da ist mir doch gleich mal wieder was eingefallen, an das ich schon lange nicht mehr gedacht habe.

Wir haben seit 1989/90 die deutsche Einheit. Zumindest auf dem Papier. Findet ihr es gerecht, dass für die gleiche Arbeit Menschen in den neuen Bundesländern zwischen 10 und 20 % weniger Lohn bekommen, aber dafür zwischen 2 und 5 Stunden die Woche länger arbeiten müssen? Wäre es denn nicht gerecht, dass die Menschen hier und da für die gleiche Arbeit auch zumindest ähnlich bezahlt werden?

ich finde es schlimm, dass nach 20 Jahren in diesem Land immernoch diese Unterschiede herrschen.

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» jasper » Beiträge: 554 » Talkpoints: -0,26 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Natürlich ist das nicht fair. Und wer sagt hier was von 10-20 Prozent? Mein Mann arbeitete in einem großen Unternehmen als Gruppenleiter (im Osten) und hat daher sehr viele Leute unter sich. Er ist u.a. auch für die Zeitarbeiter zuständig gewesen, von daher kenne ich da einige Beispiele aus erster Hand.

Also erstes Beispiel mein Mann und mein Bruder. Beide gleiche Ausbildung aber mein Mann 25 Jahre Berufserfahrung. Mein Mann verdiente im Osten 1200 Netto, mein Bruder als Zeitarbeiter im Westen NRW (natürlich nicht als Gruppenleiter, sondern einfacher Arbeiter) hatte 1400 Euro Netto.

Zweites Beispiel. Zwei Zeitarbeiter aus seiner Firma direkt. Der eine (Ossi) nimmt täglich 70 km einfache Strecke auf sich und bekam bei gleicher Stundenzahl monatlich ca. 800 Euro Netto (inklusive Fahrgeld) und ein anderer Zeitarbeiter aus dem Westen (der Westen war nur 30 km weg von der Firma) bekam, weil die Zeitarbeitsfirma eine Wessi-Firma war 2400 Euro Netto. Und das bei 15 km Anfahrt täglich.

Drittes Beispiel 400 Euro Job. Ich habe in einer Drogerie (Osten) auf 400 Euro Basis gearbeitet und musste 16 Stunden die Woche arbeiten für dann 320 Euro. Meine Mutter aus Aushilfe in einer Drogerie (aber im Westen NRW) bekam auch ca. 320 Euro aber musste nur 8 Stunden die Woche arbeiten. Das macht 50 % mehr Lohn.

Solche Beispiele kann ich euch Massenhaft aus allen Branchen nennen, weil ich viele Freunde und meine Familie im Westen habe (NRW) und wir selbst im Osten leben. Und wenn jetzt jemand mit dem Argument kommt, hier im Osten ist die Wohnung, Lebensmittel etc. günstiger, dann hat er keine Ahnung. Ich bin sehr oft in beiden „Gebieten“ und kenne die Mieten, die Unterhaltskosten etc. im Osten und im Westen und weiß, dass das Leben im Westen oft sogar günstiger ist. Klar wer in München leben möchte, der muss tiefer in die Tasche greifen, aber wer in Rostock leben muss auch.

Jahrelang war dass auch ok so für den „Wessi“. Nur langsam merkt man auch die Lohnentwicklung im Westen. Auch dort verdienen die Menschen immer weniger. Nun , wo sie den Wessi's auch an die Tasche wollen, fangen sie an sich zu beschweren. Aber das hier im Osten die Masse an Menschen schon lange für den Hungerlohn arbeiten gehen, das interessierte keinen. Das verhalten und den Hass unsrer beiden „Gesellschaften“ kann ich zwar nicht gut heißen, aber schön, dass jetzt langsam mehr Wessi's erleben, was hier schon lange ertragen wird. Vielleicht ändert sich dann nun endlich was.

Der Beweis allein war schon, als mein Mann mit seiner jahrelanger Berufserfahrung, mal kurze Zeit arbeitslos war und man ihn beim Arbeitsamt fragte, was er für Lohnvorstellungen hatte. Er gab ca. 1200 Netto an. Da sagte die Beraterin zu ihn, es solle nicht solche unrealistischen Vorstellungen haben. Wenn er 800 Netto verdient, dann kann es sich glücklich schätzen.

Mein kleiner Bruder bekommt soviel Ausbildungsgeld, wie ich als ausgebildete Fachkraft in Vollzeit verdient habe. Und nun soll mir noch jemand kommen, dass die Leute sich zufrieden geben sollen. Und zu den unmenschlichen Arbeitszeiten hier, möchte ich mich gar nicht erst auslassen.

» Naffi » Beiträge: 948 » Talkpoints: -1,22 » Auszeichnung für 500 Beiträge

Zuletzt geändert von Naffi am 12.02.2009, 23:09, insgesamt 1-mal geändert.

Da gebe ich dir vollkommen Recht. Ich wohne relativ nahe zur "Westgenze" (also auch noch im Osten). Ich denke, dass es dank dieser Nähe zu Niedersachsen und Hessen hier kein so extremes Gefälle mehr gibt, wie das, welches du gerade geschildert hast. Wir sind hier also schon etwas näher dran.

Ich hoffe nur, dass wir irgendwann mal auf dem gleichen Niveau sind wie unsere Nachbarn. Nach 20 Jahren sollte man das eigentlich erreicht haben. Glaube ich.

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» jasper » Beiträge: 554 » Talkpoints: -0,26 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Also ich finde es auch schlimm, dass es 20 Jahre nach der deutschen Einheit noch solche krassen Unterschiede gibt. Mich selbst betrifft das zum Teil auch, jedoch nicht so extrem wie im oben geschilderten Posting.

Ich arbeite im Osten im öffentlichen Dienst (Gemeindeverwaltung) und da bekommen wir zwar seit April letzten Jahres nun endlich 100 % des Gehalts in den westlichen Bundesländern. Allerdings müssen wir dafür auch 40 Stunden arbeiten statt 39. Und fakt ist auch eines: im Westen sind die Angestellten für die gleiche Arbeit durchweg höher eingruppiert als hier im Osten oder sie sind gleich Beamte. Dadurch bekommt man also doch nicht das gleiche Geld für die gleiche Arbeit. Je nach Entgeltgruppe bekommt man im Osten monatlich zwischen 80 und 300 Euro (brutto) weniger als man im Westen bekäme.

Die Lebenshaltungskosten sind im Osten und Westen inzwischen ähnlich hoch. Zwar unterscheidet sich das von Region zu Region, aber allgemein kann man das so sagen. Wenn also die Einkommen hier deutlich geringer sind, bleibt weniger zum Leben übrig, es wird weniger konsumiert, wodurch Geschäfte und Betriebe weniger verdienen und also nur geringere Löhne zahlen können. Das ist ein Teufelskreis, der endlich mal durchbrochen werden müsste.

» Estrella78 » Beiträge: 685 » Talkpoints: 1,13 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Hallo!

Ich würde gerne mal sehen, wo steht, dass die Lebenshaltungskosten im Osten die gleichen sind wie im Westen. Das glaube ich nämlich erstmal ohne Quelle so nicht einfach.

Ausserdem funktioniert der Arbeitsmarkt folgendermaßen: Wenn das Risiko arbeitslos zu werden größer ist, dann sinkt die Lohnverhandlungsmacht der Arbeitnehmer. Sie sind bereit für weniger Geld eine Arbeit anzunehmen, als sie es wären wenn das Risiko der Arbeitslosigkeit gering wäre. Das ist ein ganz natürlicher Marktmechanismus, der, wenn man versucht ihn zu regulieren, noch drastisch höhere Arbeitslosenzahlen nach sich ziehen würde.

Ich verstehe den Einwand, dass es "ungerecht" ist. Aber warum arbeitet man dann eben doch für das Geld? Genau, weil man es doch braucht und doch froh um seinen Arbeitsplatz ist und eben nicht im Westen wohnt. Wenn es so schlimm ist, dann könnt ihr ja kündigen, umziehen und einen besser bezahlten Job suchen. Achso, das Risiko ist zu hoch, keinen zu finden. Ausserdem möchte ich noch auf andere Länder hinweisen, wo es ein solches Lohngefälle auch OHNE Wiedervereinigung gibt.

England hat in den Ballungsgebieten (London) extrem höhere Durchschnittslöhne, weil die Lebenshaltungsosten (Mieten) höher sind.

Italien hat ein extremes Nord-Süd Gefälle im Lohnniveau, das sich seit Jahrzehnten hartnäckig hält. Hier liegt es ähnlich am Risiko arbeitslos zu werden sowie daran, dass der Norden relativ Ressourcenreich ist und so einfach attraktivere und qualitativ bessere Arbeitsplätze zur Verfügung stellt und ebenso höher qualifizierte Arbeitskräfte einstellt.

Abschliessend möchte ich einfach mal drauf hinweisen, dass Einzelbeispiele und Vergleiche meistens (!) zu nichts taugen. Es gibt eben Leute die ungerechtfertigt viel oder wenig verdienen. Manchmal sind sie auch selbst schuld, weil sie ihre Arbeitskraft zu günstig verkaufen. Außerdem handhabt jedes Unternehmen seine Bezahlung nunmal anders. Manche gewähren statt Lohnauszahlung auch eine extra betriebliche Altersvorsorge oder gewährt vertraglich festgelegte Bonuszahlungen wie 13. Monatsgehalt, Weihnachtsgeld, habt ihr sowas miteinberechnet bei den Zahlenbeispielen?

Wenn man relativ verlässliche Zahlen und Vergleiche haben will, dann müsste man schon innerhalb des gleichen Untgernehmens Positionen gegenüberstellen oder man schaut auf Lohndaten der Gewerkschaften, da könnte ich mir auch noch gut eine gewisse Vergleichbarkeit der Grunddaten vorstellen.

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» Herr Lehmann » Beiträge: 558 » Talkpoints: 5,56 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Herr Lehmann hat geschrieben:Ich würde gerne mal sehen, wo steht, dass die Lebenshaltungskosten im Osten die gleichen sind wie im Westen. Das glaube ich nämlich erstmal ohne Quelle so nicht einfach.


Explizit gleich sind sie nicht, aber doch nahezu, wenn man sich auf die Ballungsgebiete beschränkt bzw. die Grenzgebiete zu Polen und Tschechien raus nimmt.

Laut Spiegel online von 2007: Demnach ist der Verbraucherpreisindex im Westen 6,5 Prozent höher als im Osten.

Ok, du sagst, dass man sich lieber einzelne Unternehmen oder Gewerkschaften anschauen soll: Eine Freundin von mir ist vor ca 3 Jahren nach Stuttgart gegangen. In der Firma, in der sie arbeitet bekommt sie, nur weil ihre Herkunft Thüringen ist 10% weniger Gehalt als eine Mitarbeiterin, die im gleichen Alter ist und aus Stuttgart kommt. (Das wurde ihr ca 1 Jahr nachdem sie dort angefangen hat von ihrem Gruppenleiter gesagt). Damit sind wir beim Thema Gerechtigkeit wieder voll dabei.

Nächstes Beispiel: Ein Kunde von mir arbeitet bei einer Baufirma, die Ihren Sitz 5 km hinter der Niedersächsischen Grenze hat, der erhält ebenso 11% weniger Lohn.

Ich könnte die Liste noch ein wenig weiter führen, spare mir das aber. Es kann und darf nicht angehen, dass nach 20 Jahren Einheit diese Unterschiede gemacht werden. Klar kann man seinen Lohn versuchen zu verhandeln, aber dank der gewollt hohen Arbeitslosenzahlen ist es zwecklos. Es gibt immer einen, der die Arbeit auch günstiger machen würde, als der andere.

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» jasper » Beiträge: 554 » Talkpoints: -0,26 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Eine Freundin von mir ist vor ca 3 Jahren nach Stuttgart gegangen. In der Firma, in der sie arbeitet bekommt sie, nur weil ihre Herkunft Thüringen ist 10% weniger Gehalt als eine Mitarbeiterin, die im gleichen Alter ist und aus Stuttgart kommt. (Das wurde ihr ca 1 Jahr nachdem sie dort angefangen hat von ihrem Gruppenleiter gesagt).

Wie lange war denn die Kollegin schon bei der Firma? Hat sie vielleicht schon ein Praktikum gemacht? Kannte der Arbeitgeber die Schule von der sie kam und wusste, dass es eine gute Schule ist? Bei deiner Freundin ist er mit der Einstellung ein höheres Risiko eingegangen, da er nicht sagen konnte, ob sie eine gute oder eine schlechte Schule besucht hat und ihre Leistung so schlechter einschätzen konnte.

Das ist ein legitimer Grund für ein niedrigeres Startgehalt, das läuft bei Menschen aus dem Ausland genauso, die haben ein niedrigeres Einstiegseinkommen als inländische Arbeitskräfte. Wenn das so wirklich der Fall war, dann sollte deine Freundin auch einfach gleiche Bezahlung fordern! Gerechtigkeit ist nicht etwas, was von selbst eintritt sondern man muss sie sich eben auch verdienen, darauf aufmerksam machen, einfordern. Wenn man nichts zu der Höhe seines Gehalts sagt, dann geht der Arbeitgeber davon aus, dass man zufrieden ist. Eine Lohnverhandlung ist lange kein Grund, dass man auf der Stelle gefeuert wird. Es darf bloß keine LohnFORDERUNG sein. Wenn man mir die Pistole auf die Brust setzt, dann gebe ich natürlich nicht mehr Lohn. Es muss eine sachlich Begründete Forderung sein, soviel ist klar.

Und wieder frage ich: Warum arbeitet sie für die Firma, wenn sie doch ungerecht bezahlt wird? Warum tut sie dann nichts dagegen?

Wieder kann ich nur sagen: Das sind Vergleiche, die keine generelle Aussagekraft besitzen. Solche Lohnschwankungen sind durchaus üblich, denn bei den Lohnverhandlungen am Anfang eines Arbeitsverhältnisses spielt die Selbsteinschätzung eben auch eine Rolle. Dass Menschen aus dem Osten da vielleicht tendenziell niedrigere Wunschwerte angeben, kann man im Nachhinein nicht dem Arbeitgeber vorhalten. Das ist jetzt nur eine Vermutung, ein Erklärungsversuch, ich behaupte nicht dass es so ist, sondern so sein könnte!

Dieses Phänomen ist bei Frauen im Unterschied zu Männern jedenfalls bewiesen, dass Frauen ihre Arbeitskraft unterschätzen und viel vorsichtiger an Lohnverhandlungen herantreten. Warum sollte es da also nicht auch ein Ost-West Gefällte geben? Würde mir zumindest auch mit Blick auf die Arbeitslosenquoten einleuchten.

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» Herr Lehmann » Beiträge: 558 » Talkpoints: 5,56 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Ich sehe das hier wie Herr Lehmann: Lohnunterschiede sind völlig normal und haben nur am Rande mit der Wiedervereinigung zu tun - man muss noch nicht einmal in die Ferne schweifen, sondern man muss nur einen Nord Süd Vergleich durchführen. Denn es gibt in Deutschland nicht nur ein Lohngefälle Ost - West, sondern auch Nord - Süd was fast ähnlich schwer ausfällt.

Hier muss man nur den Durchschnittsverdienst in z. B. Niedersachsen mit dem in Bayern / Baden-Württemberg vergleichen. Abgesehen davon ist es auch nicht so, dass überall in Ostdeutschland die Löhne gleich niedrig sind - die Lohnunterschiede zum Westen sind z. B. in den Grenzregionen oder in Sachsen / Thüringen wesentlich geringer als beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern.

Grund: Während Thüringen und Sachsen nach der Wende massiv (und auch oft auf mit Konfrontationskurs mit dem Bund / der EU) ihre Infrastruktur ausbauten und ganz andere Möglichkeiten dazu hatten sieht es in MeckPomm oder Brandenburg kaum anders aus als vor 40 Jahren! Und das ist kein Ost-West Unterschied, sondern einfach nur ein Gefälle welches überall auf der Welt (Italien, USA, Frankreich usw.) zwischen ländlich und industriell geprägten Regionen besteht!

Bestes Beispiel dazu aus der Vergangenheit, wenn auch etwas simplifiziert: Bayern! Erst das agrarische Bettlerland, das bis 1986 (!) durch den Länderfinanzausgleich allen anderen Bundesländern das Geld "weggenommen" hat und seit der Umwandlung vom "Agrarland" in ein industriell geprägtes die große Klappe hat :wink:.

Was die Lebenshaltungskosten angeht: Bitte mal etwas mehr bei der Wahrheit bleiben - natürlich sind diese gestiegen, sogar teilweise über das Westniveau, aber eben nicht überall! Die Grundkosten sind immernoch günstiger durch den Mischpreis aus angeglichenen und noch nicht angeglichenen Preisen, auch wenn natürlich nicht mehr viel bis zur totalen Angleichung fehlt.

Abgesehen davon: Echte Gehaltsunterschiede gibt es deutlich nur noch im Niedriglohnsegment, also Pi mal Daumen alles bis zu 1200 - 1400 Euro Nettoverdienst. Darüber, vor allem bei Akademikern, Facharbeitern im Schichtsystem und Top Verdienern, gibt es deutlich weniger gravierende Unterschiede!

» KrashKidd » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Midgaardslang am 13.02.2009, 15:25, insgesamt 3-mal geändert. Zeige Beitragsversionen

Genau, und KrashKidds letzter Absatz bestätigt wieder, dass die Angst vor Arbeitslosigkeit, die bekanntlich im Niedriglohnsektor viel größer ist, eben auch mehr Konkurrenz/Arbeitsangebot dort schafft, weshalb wiederum die Bereitschaft, für weniger Geld zu arbeiten, höher ist. Das ist ein ganz normaler Mechanismus und hat mit Ungerechtigkeit eigentlich wenig zu tun.

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» Herr Lehmann » Beiträge: 558 » Talkpoints: 5,56 » Auszeichnung für 500 Beiträge


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