Unterrichtsstunde zu Diskriminierung

vom 18.06.2008, 20:10 Uhr

Hallo zusammen,

ich bin nicht ganz sicher, ob das hier passt, aber es hat ja mit Schule zu tun, also habe ich es hierher gestellt.

Ich studiere Geschichte auf Lehramt und heute wurde ein Unterrichtstentwurf zum Warschauer Ghetto für die zehnte Klasse vorgstellt. Die Komilitonin fing das Ganze so an, dass sie versuchte die damalige Situaution in die heutige Lebenswelt der Schüler zu bringen und machte zu diesem Zweck den Vorschlag doch sämtliche Harzt-IV Empfänger, als Abschaum und Parasiten der Gesellschaft in ein Ghetto zu stecken. Die Schüler sollten sich dann in einem Rollenspiel mit der Situation und den Problemen der Ghetto-Bewohner auseinandersetzen und sich hineinfühlen. Anschließend sollte ein Film über das Warschauer Ghetto gezeigt und dann darauf hingewiesen werden, dass die Deportation damals genauso willkürlich und ungerechtfertigt war, wie es eine Deportation von Harzt-IV Empfängern heute wäre.

Dieser Vorschlag stieß auf sehr geteilte Meinungen: Einige fanden die Idee sehr gut, weil sie die Schüler aufrüttelt und sehr deutlich macht, wie schlimm die Situation der Juden im dritten Reich und besonders in den Ghettos war, zum anderen aber eben den gewünschten engen Bezug zur eigenen, heutige Realität der Schüler herstellt und ihnen, wenn man es richtig anfängt, sehr anschaulich deutlich macht, wie falsch und dumm eine solche Stigmatisierung und Verallgemeinerung ist.

Die andere Hälfte war völlig entsetzt, sprach von Diskriminierung und Diffamierung der Kinder, deren Eltern Hartz IV bezögen, Beleidigung von Arbeitslosen, Vermittlung eines falschen Weltbildes durch die beiden ersten Punkte und lehnte diese Methode daher rundweg ab.

Wie seht ihr diese Sache? Findet ihr es gut, weil provokativ? Natürlich vorrausgesetzt, man kriegt die Kurve den Transfer zum dritten Reich und die entsprechende Bewertung rüberzubringen. Oder meint ihr, dass sei ein absolutes No-Go, das man mit sechzehnjährigen Schülern auf keinen Fall machen kann?

» Sorcya » Beiträge: 2904 » Talkpoints: 0,01 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Ich verstehe gar nicht ganz, wie sie dieses Rollenspiel durchführen möchte? Sollen aus der betreffenden Schulklasse die Kinder, deren Eltern auch in Wirklichkeit HartzIV bekommen, dann... Ja, was eigentlich? Ich mein, es ist ein Rollenspiel, und auf eine einzige Schulstunde beschränkt (wenn ich das so richtig verstanden habe?), und anschließend soll noch ein Film gezeigt und sicherlich viel besprochen werden. Was will sie denn in dieser Viertelstunde, die sie vielleicht hat, überhaupt mit den Kindern machen? Und was passiert dagegen mit den übrigen? Ich kann mir ein solches Rollenspiel schlichtweg überhaupt nicht vorstellen in seinem Ablauf.

Im übrigen denke ich zum Thema allgemein: Wenn es doch sowieso ein Rollenspiel werden soll, sollten sich Schüler dann nicht in Rollen versetzen, die sie im Alltag nicht direkt selber erleben? Also vielleicht gerade die Schüler, deren Eltern aus der Oberschicht stammen, sollten eher im Rollenspiel in das Ghetto gehen. Sonst ist es ja nicht wirklich ein Rollenspiel fremder Rollen, wenn jemand seine reale "Rolle" - in Extrem - nachspielt.
Allein aus diesem Grund halte ich die Idee für - entschuldige, nicht persönlich nehmen bitte - schwachsinnig.

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» Taline » Beiträge: 3594 » Talkpoints: 0,75 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


Also ich muss sagen, dass ich die Grundidee (eine heutzutage fast ausgegrentzte Gruppe in der Gesellschaft mit den damaligen Juden zu vergleichen) gut finde. Allerdings denke ich, dass es durchaus schwierig werden könnte die politische Meinung des Lehrers aus diesem "Rollenspiel" rauszuhalten (wozu ein Lehrer schließlich verpflichtet ist).

Mein Vorschlag wäre, dem Rollenspiel noch eine allgemeine Diskussion voranzustellen, die sich mit Ausgrenzung in der heutigen Gesellschaft und deren Betroffenen beschäftigt. Im Anschluss daran sollen die Schüler selber bestimmen, welche gesellschaftliche Gruppe die am meisten von Ausgrenzund betroffene ist und damit mit den Juden damals zu vergleichen ist.

Das würde der Sache die Provokanz nehmen und die Gleichstellung von Hartz VI- empfänger und Juden, die damals schließlich Abschaum abgestempelt wurden, verhindern. Annsonsten ist dieses Rollenspiel meiner Meinung nach eine gute Methode, um den Schülern den Ernst der damaligen Lage näher zu bringen.

Lg L.

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» Plappermaul » Beiträge: 68 » Talkpoints: 28,59 »



Sorcya hat geschrieben:Die andere Hälfte war völlig entsetzt, sprach von Diskriminierung und Diffamierung der Kinder, deren Eltern Hartz IV bezögen, Beleidigung von Arbeitslosen, Vermittlung eines falschen Weltbildes durch die beiden ersten Punkte und lehnte diese Methode daher rundweg ab.

Ganz ehrlich - wenn Ihr schnell berühmt werden, einen bleibenden Ruf und dringend um Kontaktaufnahme zum Zentralrat der Juden bemüht seid: Macht es. Allerdings würde ich dabei aber noch im Hinterkopf behalten wie stark sich das auf die möglichen Einstellungschancen auswirkt (auf dem Minuspunktekonto).

Die Grundintention mag vielleicht noch ganz gut angedacht sein, also den Bezug zur Realität der Jugendlichen darzustellen - aber gerade als zukünftiger Geschichtslehrer sollte die Befürwortergruppe bei euch mal dringend die Verhältnismäßigkeit überprüfen. Hier geht`s mir nicht allein nur um die Tatsache dass das Warschauer Ghetto eine Art Musterghetto im Reich der Nazis war welches nach NS Ideologie sauber angelegt und auch "geleert" wurde sondern vor allem um den gravierenden Unterschied der Rechte der Juden (gar keine) im Vergleich zu den ALG II Empfängern, die sowohl in einem Rechtsstaat leben als auch umfassende Rechte haben. Ein Vergleich mit verfolgten Juden klingt extrem nach Verharmlosung - nur vom Hören, ohne mir das weiter auszumalen.

Zudem leiden die ALG II Empfänger trotz direkter und indirekter DIskriminierung und teilweise offener polemischer Hetze lange nicht so sehr unter ihrer Situation als ein verfolgter Jude. Ich mein allein der Vergleich der Lebensverhältnisse zeigt das doch: Kein Arbeitsloser muss Angst um sein Leben haben, extremen Hunger leiden, einen Lebensstandard wie ein Tier pflegen.

Die möglichen Schnittmengen zwischen beiden Gruppen sind so oberflächlich und gering - ich glaube mit so einem Rollenspiel würdet ihr extrem baden gehen und eher Blicke auf euch ziehen, ob da wirklich der Stoff richtig verstanden wurde (Thema Verharmlosung) und ob ihr befähigt seit die Verbrechen des Naziregimes klar verständlich darzulegen.

Ich wäre da eher für eine Art Rollenspiel die sehr wohl Jugendlichen begreifbar macht wie schlimm diese Situation ist und war, z. B. indem ihr die Klasse aufteilt und eine Gruppe hat keinerlei Rechte und eine andere darf alles, z. B. darf sie den anderen befehlen was sie machen sollen (und sie müssen gehorchen), darf ihnen alles wegnehmen, bedrohen usw. Danach muss natürlich ein Seitenwechsel erfolgen damit beide Gruppen sowohl die Seite der Opfer als der der Täter einschätzen können (und auch damit sich das Szenario nicht in der Pause fortsetzt und die Klasse daran gespalten wird). Außen vor, wenn auch realitätsnaher, wäre die Anwendung von Gewalt, also dass jemand geschlagen wird und sich nicht wehren darf.

Obwohl: Angesichts einiger Deppen würde ich selbst das als zu extrem empfinden die das dann auch nach einem Seitenwechsel in der Pause fortsetzen würden. Und ein paar moralische Eltern würden das dann auch nicht als belehrendes Rollenspiel sehen sondern als einen Eingriff in die Rechte ihrer Kinder ohne elterliche Zustimmung.

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