Gesundheitsversorgung in Deutschland noch ausreichend?

vom 04.12.2007, 22:11 Uhr

Um eines gleich vorweg zu klären – dass man in Deutschland durch die Krankenkasse und Angebote der Krankenhäuser, die bestehen, garantiert nicht schlecht dasteht ist kaum zu bezweifeln.

Aber findet ihr, dass die Gesundheitsversorgung in bestimmten Regionen und in bestimmten Bereichen gefährdet ist? Auf den Gedanken kam ich, da es durch die neuen Reformen und Entwicklungen im Gesundheitswesen für viele Allgemeinärzte teilweise gar nicht mehr lohnend oder kostendeckend ist, in bestimmten Gegenden zu Arbeiten, weil es dort mangels Privatpatienten und Patientenaufkommen einfach nicht genug zu verdienen gibt, vor allem da der Arzt heute mehr Unternehmer ist als früher. Und weil mir bei einem Familienbesuch im Osten auffiel, dass dort viele Praxen, die früher bestanden, nicht übernommen werden und so „dichtmachen“ und die Menschen weitere Wege zum nächsten Arzt haben.

In Städten ist dieser Trend ja kaum zu spüren, wahrscheinlich weil hier die Wege und Wartezeiten beim Arzt meist noch im Rahmen sind, aber wie sieht das auf dem Land aus? Denn hier wird ja in den nächsten Jahren eine deutliche Unterversorgung erwartet bzw. dass viele Wege von 30 km und mehr in Kauf nehmen müssen, wenn sie einen Arzt sprechen wollen.

Und was könnte man gegen diese allgemeine Entwicklung machen um auch jungen Ärzten einen positiven Anreiz zu geben, sich doch an weniger „lukrativen“ Stellen niederzulassen, die neben mehr Stress und Patienten ein geringeres Einkommen bieten?

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» Subbotnik » Beiträge: 9308 » Talkpoints: -7,05 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Ich wohne auf dem Land und hier ist mir in den letzten 6 bis 8 Jahren schon eine starke Veränderung aufgefallen. Früher gab es kaum Wartezeiten, wenn, dann höchstens eine halbe Stunde. Mittlerweile warte ich bei meinem Hausarzt bis zu 3 Stunden - und das ist noch Glück: ÜBerüllte Wartezimmer, Stress, Hektik usw. Und das, obwohl die Praxis jeden Tag von 7:30 Uhr bis 18 Uhr geöffnet hat.

Dazu kommt, und das find ich wesentlich schlimmer, dass der Arzt kaum Zeit für einen hat. Die Behandlung, bzw. die Anhörung des jeweiligen Patienten, dauert im Schnitt 3 Minuten. Bei mir persönlich war es schon oft so, dass ich rein kam, er mir 60 Sekunden gegeben hat, um zu erzählen, was ich für Beschwerden hab, dann hat er in 30 Sekunden gesagt, was er mir dagegen verschreibt, 10 Sekunden daerte das Drucken des Rezepts und nochmal etwa 20 Sekunden für die Verabschiedung.

Ich fühle mich da mittlerweile nicht mehr 'wichtig' und ich komm mir vor als müsste ich mich beeilen, weil jede Sekunde zählt und bares Geld ist und Kosten verursacht.

» Sippschaft » Beiträge: 7575 » Talkpoints: 1,14 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Es gab bereits öfters Berichte im TV, die davon handelten, dass gerade auf dem ostdeutschen Lande die Ärzte immer weniger werden. Die meisten zieht es dann in die Stadt oder in den Westen. Erschreckend, weil die Patienten dort nicht mehr ausreichend versorgt sind. Ein Grund ist deshalb, weil der Arzt in diesem Bereich viele Hausbesuche machen muss. Doch da ist das Problem, der Arzt bekommt wohl nur den Besuch selbst (die Behandlung) bezahlt. Der Weg dorthin, die Zeit, die er dazu benötigt, wird nicht berechnet. So ist eine Arbeit als Landarzt ein wenig lukrativer Job. Natürlich sollte man nicht nur das Geld sehen, aber der Mensch muss ja auch irgendwie davon leben können - und daran hapert es meistens.

Ich wohne auch hier mitten auf dem Lande, noch bin ich recht gut versorgt. Ein Allgemeinmedizinier ist innerhalb von 15km immer zu erreichen - aber wenn die Möglichkeiten zur Wegbewältigung erschöpft sind, sieht es düster aus. Gerade ältere, alleinstehende Menschen haben dieses Problem und müssen letztendlich darauf hoffen, dass der sogenante "Hausarzt" doch den Weg auf sich nimmt.

Um die jüngeren Ärzte aufs Land zu bekommen, ist es sicherlich von Vorteil, wenn der Weg zum Patienten zumindest teils bezahlt wird und eine Praxisübernahme finanziell unterstützt werden würde. Ob das machbar ist, müsste man die Krankenkasse befragen. Sie wird dies wohl eher verneinen, obwohl man immer wieder hört, welche Überschüsse sie wieder gemacht haben...

Sippschaft's Erfahrungen kann ich übrigens durchaus teilen. Vor dem Wechsel von meinem jetzigen Hausarzt war ich bei einem Hausarzt, bei dem ich durchaus mal 1 bis 2 Stunden -manchmal auch länger- im Wartezimmer gesessen habe. Der Arztbesuch selbst hat gerade mal 5 bis 10 Minuten gedauert. Eine Abfertigung wie am Fliessband habe ich da selbst erlebt. Und der Arzt war in einer Gemeinschaftspraxis.

Ähnliches Verhalten erlebte ich auch in der Praxis meines ehemaligen Diabetologen. Eigentlich bin ich nur da gewesen, um meine Rezepte zu holen (die mein Hausarzt nicht verschrieb bzw. nicht verschreibt - ist ja etwas besonderes und der Arzt hat bitte schön auf das Budget zu achten :twisted:), einmal durchgeguckt ("das Notwendigste) zu werden und das war es dann. Dort wurde ich auch nicht mal über andere Therapien (andere Insuline) informiert, sondern bekam das billigste Insulin was es gibt. Selbst als meine Werte darunter immer schlechter wurden, wurde nichts getan, sondern nur gesagt, ich solle eben mehr spritzen.
Ich weiss schon, dass der Arzt auch darauf achten muss, aber so lange er die Therapie vor der Krankenkasse vertreten kann, sollte es weniger ein Problem sein. Von daher fühlte ich mich da auch wirklich nicht ernst genommen und habe ja nach langem Zögern den Arzt gewechselt. Dort war es dann auch kein Problem, ein teureres Insulin auszuprobieren. Damit will ich sagen, wenn der Arzt es wirklich will und auch den Menschen sieht und nicht nur die Krankheit, aus der er Profit schlagen kann, geht es. Man fühlt sich dann auch als Mensch ernstgenommen und man hat das Gefühl, eben nicht nur durch die Krankheit/ durch die Beschwerden existent zu sein.

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» *steph* » Beiträge: 18439 » Talkpoints: 38,79 » Auszeichnung für 18000 Beiträge



Ja, steph, das versteh ich sehr gut. Bei einer einfachen Erkältung, bei der ich vielleicht nur kurz eine Krankmeldung brauche für einen Tag, da hab ich gar nichts dagegen, dass er kurz sagt 'Viel Tee trinken und viel schlafen. Ich schreib sie 2 Tage krank. Gute Besserung'. - Da erwarte ich dann auch nicht unbedingt mehr.

Aber bei mir war es häufig so, dass ich schwierige Krankheiten hatte, die mit Antibiotika beandelt werden mussten, teilweise 2 - 3 Wochen und er hat einfach nie wirklich so getan, als würde ihn das interessieren. Er hat mir das verschrieben und gut war. Aber nie gesagt 'Kommen Sie nächste Woche nochmal, wir untersuchen nochmal ihr Blut' oder sonst was. Er hat mir einfach Antbiotika verschrieben 14 Tage, das mich fast umgehauen hat und das wars. Ich hatte lange nicht mehr das Gefühl, dass er mich wirklich betreut als seine Patientin.

» Sippschaft » Beiträge: 7575 » Talkpoints: 1,14 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Ich denke gefährdet ist die Gesundheitsversorgung im Moment noch nicht unbedingt, aber wird jetzt nicht gegengesteuert, dann wird sie kippen.
Ich kann aus eigener Erfahrung (ländlich in den NBL wohnend) sagen, es hat sich die Situation schon stark verschlechtert. Hier mal ein paar Beispiele:
Mein alter Hausarzt hat Mitte diesen Jahres seine Praxis geschlossen, er hatte das Rentenalter allerdings schon vor einigen Jahren erreicht. So war ich auf der Suche nach einem neuen Hausarzt. Hier in der Gegend nehmen einige Praxen schon gar keine neuen Patienten mehr an (halt nur noch für Notfälle).
Hausbesuche werden nur noch im Notfall durchgeführt, das hat gar nicht mal finanzielle sondern vordergründig zeitliche Aspekte.
Einige Praxen haben schon grundsätzlich an den letzten Tagen eines Quartals geschlossen, um ihr ausgeschöpftes Budget nicht groß zu überschreiten.
Ein Hausarzt hat über Nacht seine Praxis geschlossen (die Art und Weise war zwar nicht in Ordnung), weil er nur zugesetzt hat.
Die einzige Augenärztin behandelt nur noch Privat-Patienten oder Selbst-Zahler (man könne sich ja das Geld von der Kasse wieder holen :twisted: ).

Wenn man sich zu helfen weiß und nicht so schnell aufgibt, kann man auch noch jetzt gut versorgt werden. Allerdings werden die Hürden immer höher. Auch wenn es jetzt noch nicht zu sehen ist, wird das in wenigen Jahren Folgen haben. In meinem Bekanntkreis gehen einige Leute schon nicht mehr zu Vorsorgeuntersuchungen, da sie es leid sind, sich mit den Arzthelferinnen darüber zu streiten, ob nun Praxisgebühr fällig ist oder nicht. Außerdem habe ich auch beobachtet, dass vermehrt versucht wird IGeL an den Patienten zu bringen. Das ganze aber so begründet, dass man sich fragt, ob das nun wirklich zum Vorteil des Patienten geschieht oder ob der Arzt sich damit nur in die schwarzen Zahlen wirtschaften will.
Ich denke, wir alle wissen, dass es Gesundheit nicht geschenkt gibt und dass wir selbst etwas dafür tun müssen und auch ein wenig Geld dafür opfern müssen. Allerdings sollte es auch nur so viel Geld sein, dass jeder Mensch Zugang zur Grundversorgung hat. Auch für die Ärzte muss es sich aber lohnen, Patienten zu behandeln und möglichst schnell gesunden zu lassen.
Und das seh ich stark gefährdet!

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


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