Statt Hartz IV mehr in Ausbildung investieren?

vom 28.06.2017, 23:12 Uhr

Wieder mehren sich die Stimmen, die den hiesigen Arbeitsmarkt durch den Entzug von Sozialleistungen für Arbeitssuchende beleben wollen- Deutsches Hartz IV hat aber genau diesen Effekt nicht gebracht.

Vor zwölf Jahren hat Deutschland den Arbeitslosen die Sozialleistungen gekürzt. Nun ist das Hartz IV umstritten, jetzt wird es aber in Österreich diskutiert. Durch Hartz IV bekommen Arbeitslose nach einem Jahr ohne Job deutlich weniger Geld als zuvor.

Theoretisch müsste das dazu führen, dass Arbeitslose eher einen verfügbaren Job annehmen. Dann müsste also die Beschäftigung in Deutschland stärker gewachsen sein als in Österreich. Dem ist aber leider laut Statistiken nicht so.

Was meint ihr dazu? Findet ihr es sinnvoller, statt Hartz IV mehr in Ausbildungen zu investieren, oder seid ihr jetzt, nach 12 Jahren, immer noch überzeugt von dem System, so wie es ist? Was findet ihr gut, was müsste überholt werden? Gibt es Ideen für eine Verbesserung?

» nordseekrabbe » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Ich finde es schon ziemlich nett von einem Staat, dass man für Nichtleistung also nur zu Hause sitzen und immer mal Bewerbungen schreiben Geld bekommt. Das mal vorneweg. Ausbildungsplätze gibt es doch, darauf bewerben sich weniger Schüler, da mehr Schüler studieren und Abitur machen, so ist meine persönliche Empfindung.

Ich denke aber schon, dass man in Deutschland die Möglichkeit haben sollte schneller etwas lernen zu können, damit man dann auch eine Grundlage hat um arbeiten zu gehen. 3 Jahre sind für mache Ausbildungen meiner Meinung nach schon etwas viel, das schafft für eine Person, die sich schwer aufraffen kann vielleicht auch wenig Anreiz. Schön wäre es, wenn man Alternativen hätte, anerkannte Alternativen, Kurse anbietet und fördert.

Ich war noch nie auf das Amt angewiesen, sicherlich sieht es ein Betroffener nicht ganz so blumig, aber ich denke, dass man da schon noch etwas nachbessern muss und da finde ich nicht, dass man mehr Geld geben sollte für das zu Hause bleiben, sondern Bildung fördern muss.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


@Ramones: Sehr realistisch betrachtest du die Geschichte Hartz IV nicht unbedingt, oder? Da steckt mehr dahinter als mal ein "bisschen zu Hause rumgammeln und Bewerbungen schreiben". Als normaler Mensch wirst du teilweise psychisch regelrecht zermürbt und darauf getrimmt, arbeitslos zu bleiben. Ich erinnere mich an Gespräche mit meinen Fallbearbeitern, ich war noch nicht einmal zur Tür hinein, da wurden gleich solche Psychospielchen begonnen und gleich suggeriert, dass ich länger als ein paar Monate Hartz IV beziehen würde und nie eine Stelle bekommen würde. Die Langzeitarbeitslosen, die keinen Bock haben, lassen wir mal außen vor, die sind auch gegen solche Spielchen resistent.

In anderen Ländern dauern Ausbildungen sogar länger als drei Jahre. Da ist die Krankenpflegeausbildung einem Studium gleichzusetzen, einer Metzgerausbildung gehen mal zuerst noch zwei Jahre schulische Ausbildung inklusive Praktika voraus, ehe man ins kalte Wasser geschmissen wird und auch noch die eigentliche Ausbildung an sich absolvieren muss. Ich finde drei Jahre wirklich nicht zuviel, es ist gerade mal in Ordnung, um Grundlagen zu vermitteln.

Vielleicht sollte man das Schulsystem erweitern, so dass auch Hauptschüler zwar nach der neunten Klasse ihren Hauptschulabschluss erwerben, aber je nach Ausbildung, die absolviert werden möchte, noch ein Jahr Grundlagen in dem jeweiligen Bereich, wie zum Beispiel kaufmännisches Wissen oder Ähnliches, dranhängen müssen, ehe sie in eine Ausbildung gesteckt werden. Dazu wäre aber eine Reform des kompletten Schul- und Ausbildungssystems notwendig und das wäre unglaublich teuer und riskant.

Ich durfte ja die freudige Bekanntschaft mit den vom Arbeitsamt angebotenen Kursen machen. Ich habe einen Kurs absolviert, der mit einem anerkannten Zertifikat für Bürokommunikation geendet hat. Die Qualität war unterirdisch. Der Dozent war nett, aber ich habe mich zu Tode gelangweilt und den Kurs ohne großes Interesse trotzdem bestanden. Dann habe ich einen Kurs gemacht, in dem wir die Grundlagen der IT beigebracht bekamen, gleiches Prinzip, er war unterfordernd.

Die anderen Mitarbeitslosen hatten kein Interesse, geschweige denn Elan überhaupt was zu tun. Das waren hauptsächlich Jugendliche, denen auch eingeredet wurde, dass sie nie aus der Arbeitslosigkeit rauskämen. In Zusammenarbeit mit Psychologen mussten wir einmal die Woche eine Sitzung absolvieren und uns unterhalten. Das fand ich gut, weil so auch mal die Wünsche und Ansprüche der Jugendlichen zur Sprache kamen und sie nicht mehr nur ignoriert und abgefertigt wurden.

Mir stellt sich die Frage, wie man Bildung fördern soll. Viele können nicht einmal die einfachsten Worte korrekt schreiben oder die Grundrechenarten sind überhaupt nicht vorhanden. Und wenn die Eltern kein Interesse an Bildung haben, wie sollen die Kinder es dann bekommen? Soll das Arbeitsamt nun jedem AGL II-Bezieher monatlich ein Buch zukommen lassen? Die Kurse kosten teilweise auch einen Batzen Geld, also richtig professionelle Kurse. Da zahlt man für eine Person locker mal 3000 Euro. Ich kann also auch verstehen, dass das Arbeitsamt hierfür das Geld nicht so locker sitzen hat, besonders wenn irgendwelche desinteressierten Arbeitslosen dorthin geschickt werden, ohne Perspektive, ohne Elan.

Ich denke, dass man an diesem Desinteresse ansetzen sollte. Und dort sitzt für mich die Krux bei der Sache. Es gibt Arbeitslose, die sich bemühen, die auch wirklich klasse sind, aber die trotzdem keine Arbeit erhalten. Dann gibt es die faulen Eier, die natürlich in den Kursen zum Beispiel, auch dem engagiertesten Bewerbungsschreiber die Kraft rauben, weiterzumachen. Nur wie soll man es anstellen, das Desinteresse abzuschalten? Sanktionen bringen nichts, die gehen dem faulen Ei schlichtweg am Arsch vorbei. Dann schaut es halt noch mehr Fernsehen.

» Wibbeldribbel » Beiträge: 12546 » Talkpoints: 0,94 » Auszeichnung für 12000 Beiträge



Ich selbst war nie arbeitslos in dem Sinne und musste nie Geld vom Staat beziehen (als Student gilt man ja nicht als "arbeitslos", selbst wenn man Arbeit sucht), aber ich habe von Mitmenschen aus dem Umfeld mitbekommen, was da teilweise abgeht. Man bekommt nicht nur Druck, sich auf alle möglichen stellen zu bewerben, sondern wird auch noch in irgendwelche (laut Betroffenen) sinnlosen Maßnahmen gesteckt, die einem kein Stück aus der Arbeitslosigkeit helfen. Man wird psychisch zermürbt und mein Partner hat sogar mal in einer Maßnahme mitbekommen, wie entsprechende Mitarbeiter junge Frauen unter Druck gesetzt haben, schwanger zu werden, damit sie nicht mehr per Definition als arbeitslos eingestuft werden können.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Ramones, du findest es also nett, dass man für Rumsitzen und Bewerbungen Geld bekommt? Leben in deiner Welt auch Einhörner, die rosa pupsen? Du findest es also total in Ordnung, wenn jemand 20 oder 25 Jahre gearbeitet hat und dann nach 12 Monaten Arbeitslosigkeit Hartz bekommt? Die ist aber schon klar, dass dieser Mensch dann 20 oder 25 Jahre Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt hat? Das findest du also nett? Dass er jetzt sein Vermögen aufbrauchen muss? Dass er jeden Job annehmen muss.

Hier bei mir wird gerade groß gefeiert. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten ist die Arbeitslosenquote unter 12 Prozent gefallen. Und weiter zum Job fahren, das bringt wenig, in der Umgebung gibt es nicht mehr Arbeit. 30.000 Menschen in meiner Stadt haben keine Arbeit. Dazu kommen die, die wegen Minijob, Krankheit am Stichtag oder irgendeiner Maßnahme nicht gezählt werden. In ganzen Vorjahr gab es aber nur 12.000 offene Stellen.

Man muss sich die Zahlen mal auf der Zunge zergehen lassen. 503000 Menschen leben in der Stadt. Davon haben 175000 einen sozialversicherungspflichtigen Job. 30000 sind arbeitslos. Ungefähr 80000 der Bewohner sind Kinder, 27.000 davon leben von Hartz. Wenn man jetzt die Rentner nimmt, bleiben immer noch viele, die nur nicht gemeldet sind, weil der Partner einen Job hat, die aber eigentlich arbeiten müssten.

Natürlich würde eine bessere Ausbildungsförderung mit vernünftigen Maßnahmen die Chancen verbessern. Schließlich bekommt man hier auf eine Stellenanzeige für eine Küchenhilfe locker 1200 Bewerbungen. Und Zimmermädchen gehen über Mundpropaganda oder Zettel im Fenster.

Grundsätzlich bleibt aber das Problem, dass es hier in erreichbarer Entfernung sehr viele Menschen und sehr wenige Stellen gibt. Das ändert Gängeln und Verarmen mit Hartz auch nicht. Zumal es kaum Vorteile bringt. Vor Hartz und mit Arbeitslosenhilfe lag der Beitragssatz bei über 6 Prozent und heute wieder. Sicher, ohne Hartz wäre es heute teurer.

Aber mehr als 1000 Euro Verwaltungskosten pro Empfänger sind abartig hoch. Das Geld könnte man nun wirklich zu großen Teilen besser verwenden. Das könnte jeden Monat etwas leichter machen oder in eine vernünftige Betreuung fließen. Aber es wird viel zu wenig am Grundproblem gearbeitet, denn ohne Jobs nützt die beste Qualifizierung nichts.

» cooper75 » Beiträge: 13330 » Talkpoints: 498,67 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


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