Sich mit wenig Besitz frei und zufrieden fühlen?
Ich las kürzlich von einem Mann, der nach eigenen Angaben nur 50 Gegenstände besitzen soll und sich dadurch total frei und zufrieden fühlen soll. Wie seht ihr das? Würdet ihr euch mit so wenig Eigentum ebenfalls so fühlen? Oder würde euch da etwas fehlen? Auf welche Gegenstände könntet ihr auf keinen Fall verzichten und könntet ihr dauerhaft mit 50 Gegenständen auskommen? Welche Gegenstände wären das?
Ich bin ehrlich gesagt gar nicht sehr stark auf den Besitz von Gegenständen, Immobilien etc. erpicht, das hat mich nie wirklich gereizt. Solange ich die Möglichkeit habe, die nötigen Hilfsmittel zu mieten oder zu leihen, reicht mir das in vielen Fällen aus. Besitz kann auch eine Belastung sein, weil man sich darum kümmern muss und eventuell vor Verlust oder Zerstörung Angst haben muss.
Zu den Dingen, die ich besitzen und nicht leihen will, gehört hauptsächlich Kleidung und Schuhe, sowie ein wenig Mobiliar, Kochgeschirr etc. Aber nicht einmal das müsste unbedingt sein, ich hätte auch kein Problem in einer möblierten Mietwohnung mit Geschirr etc. zu leben.
Natürlich kann man so leben, aber es ist doch die Frage, ob man das muss. So ein bisschen Auswahl weiß ich dann schon zu schätzen und würde mich gar nicht auf 50 Gegenstände beschränken wollen. Ich meine, wenn das einem seelisch gut tut, dann ist es ja in Ordnung, aber ich lebe dann schon gerne so, dass ich mir nicht überlegen muss, was ich alles wirklich brauche und dann entsorgen muss, obwohl ich es noch gerne haben wollen würde. So habe ich beispielsweise gerne Auswahl bei Kleidung, Unterwäsche und auch bei Sachen die man so in der Küche braucht.
Natürlich kann man das alles minimal halten und sich einschränken, für eine Reise beispielsweise kann ich auch absolut minimalistisch leben, aber immer mag ich das auch nicht haben. Ich lebe nun mal in einem Land, in dem ich alles bekommen kann und dann nutze ich die Dinge auch gerne, die ich für mich als wichtig empfinde und ich denke, dass man da sehr schnell auf 50 kommt.
Ich finde es mittlerweile auch besser und angenehmer, keine Unmengen an Sachen zu haben. Die meisten von uns dürften einfach viel zu viel Kram besitzen, darunter auch Ramsch, den man nicht braucht und nicht benutzt und von dem man nicht einmal mehr etwas weiß. Wenn man weniger hat, dann hat das durchaus viele Vorteile. So muss man bei einem Umzug nicht viel packen und hat auch nicht viel zu schleppen und einzuräumen.
Auch sonst sieht es eher nicht chaotisch aus, wenn man wenig besitzt und jedes Teil seinen eigenen festen Platz hat. Man hat es auch deutlich leichter beim Abstauben. Zudem weiß man über alle Gegenstände und den Ablageort Bescheid und muss so nicht lange nach einem bestimmten Kleidungsstück suchen.
Auch wenn ich es als vorteilhaft ansehe, nicht so viel Zeug zu besitzen, fände ich es nicht erlebenswert, so wenig zu haben. Das ist ja auch nicht nötig und man sollte da ja auch keinen Wettbewerb draus machen, wer mit so wenig Zeug wie nur möglich auskommt. Immerhin macht man sich das Leben ja auch wieder schwer, wenn man auf so viel verzichtet und sich ständig bei Bedarf etwas Neues nachkaufen muss, weil man so gut wie alles entsorgt hat.
Ich finde, dass mindestens ein bisschen Wichtigtuerei dahintersteckt, wenn jemand seine 50 (oder 100 oder was auch immer) Besitztümer abzählt und dann mit dem Ergebnis hausieren geht. Wäre die Person tatsächlich "frei und zufrieden", sähe sie keinen Grund darin, damit anzugeben und auf diese Art Plus- (oder eher Minus-?)Punkte bei der Minimalisten-Community und in den Medien zu sammeln. Dem wäre es dann eher wurscht, ob Socken nun als ein oder zwei Besitztümer zählen und er würde sein Ding einfach durchziehen.
Generell bin ich der Meinung, dass ein bisschen Konsumkritik, bewusstes Einkaufsverhalten und auch Ausmisten zwar bestimmt gut für die Psyche und die Umwelt sind, aber dass es sich dabei auch weder um eine Ersatzreligion noch um ein Allheilmittel handelt. Die Leute laufen ja jedem noch so absurden Glücksversprechen hinterher und erwarten die ewige Seligkeit, wenn sie achtsame Atemübungen machen, ihr Deo selber herstellen oder unter Anleitung von Marie Kondo alles wegschmeißen, was sie besitzen.
Ich finde auch, dass es entlastend wirkt, nicht Unmengen an Konsumgütern anzuhäufen, aber daraus einen Wettbewerb zu machen finde ich wiederum krampfig und anstrengend ohne Ende. Das machen die Leute doch nur, um ihre Defizite an anderer Stelle auszugleichen oder um der Anerkennung willen. Für mich wäre die Entlastung sofort wieder beim Fenster raus, wenn es heißen würde: Du MUSST jetzt entrümpeln und jedes Ding, das du wegschmeißt, macht dich zu einem besseren Menschen.
Diese 50 Gegenstände sind doch einfach Mittel zum Zweck und die Person ist nicht glücklich weil sie 50 Gegenstände besitzt sondern weil dieser Besitz dazu führt, dass die Person tun kann, was sie glücklich macht.
Die Leute, die so leben, haben ja nicht in irgendeiner Stadt eine Wohnung, von der sie jeden Tag zur Arbeit fahren. So leben Leute, die sehr viel unterwegs sind und an ganz verschiedenen Orten rund um die Welt arbeiten.
Die meisten haben dann übrigens trotzdem noch irgendwo ein Kistchen mit sentimentalen Dingen unterstellt, aber sie sehen halt nicht ein warum sie für die jahrelange Lagerung von allen möglichen Haushaltsgegenständen bezahlen sollten, wenn sie diese problemlos ersetzen können wenn sie irgendwann mal wieder sesshaft werden.
Ich könnte mir so einen Digitalnomaden Lebensstil für mich nicht vorstellen, aber mir würden nicht die Dinge fehlen sondern die Menschen, die ich dafür ja zurück lassen müsste. Aber wenn ich so etwas durchziehen würde, würde ich wohl auch meinen Besitz auf das reduzieren, was in meinen Koffer passt und den Rest verkaufen und verschenken.
Der 50-Gegenstände-Mann hat mich jetzt so neugierig gemacht, dass ich ihn gegoogelt habe und dabei auf einen Artikel im Bonner General-Anzeiger gestoßen bin. Es handelt sich um einen älteren Herrn, der nur einen Rucksack mit Gegenständen bei sich trägt und seinen Lebensmittelpunkt am Wohnsitz einer Bekannten hat. Da fängt die Doppelbödigkeit der Zahl „50“ doch schon an. In Wahrheit nutzt er viel mehr Dinge; es sind nur nicht seine eigenen bzw. lässt er sie benutzen. Ich wette, wenn ich die Gegenstände, die zur Aufrechterhaltung eines Haushalts notwendig sind, zusammenzähle, komme ich schon weit über diese Zahl. So macht man es sich natürlich einfach, wenn man alles an unangenehmen Weltlichkeiten andere erledigen lässt und sich als Philosoph nicht mit dem schnöden Alltag befassen muss und im gemachten Nest sitzt. Das kann ich gar nicht ernst nehmen.
Aber es gibt ja auch Leute, die tatsächlich einen festen Wohnsitz haben und nur mit 100 Gegenständen leben. Rainer Langhans wäre so einer, oder diese beiden amerikanischen Minimalisten in ihren schwarzen Uniformen. Da gibt es dann nur eine Schüssel und den Universallöffel in der Küche, der für alles herhalten muss. Die Wohnungen sehen aus wie kurz nach der Flucht oder als hätte ein Obdachloser mit seinem Sackerl einen Showroom okkupiert.
Für mich fehlt bei solchen Menschen aber eine Freiheit des Besitzes: Das Vorrätighalten gewisser Gegenstände bietet ja auch Möglichkeiten. Ich muss nicht mit meinem Allzweckglas Zähneputzen, trinken und auch noch die Blumen gießen oder mir verstärkt Gedanken machen, wo ich Gegenstand x oder y schnell herbekomme. Damit kann man seinen Mitmenschen auch gewaltig auf die Nerven gehen.
Irgendwann verkommt die Beschäftigung mit Minimalismus zu einer pervertierten Fixierung auf eine reine Zahl und die Leute arbeiten sich an dem Haben oder besser gesagt am Nicht-Haben total ab. Da freut sich jemand wie ein Schnitzel, weil er jetzt Duschen und Haarewaschen nur noch mit einem Produkt erledigen kann und kein Shampoo und Duschgel mehr besitzen „muss“. Oder eine Uschi sortiert ihre Gießkannen aus, weil man ja auch die Blumen mit einem Wasserglas gießen kann. Ja, das geht alles, aber macht es das Leben dadurch zwangsläufig schöner oder sogar einfacher?
Also, Nein, wenig zu haben führt nicht in die Hallen der ewigen Glückseligkeit. Diese Leute sind auf ihren Nicht-Besitz teilweise genauso fixiert – oder sogar noch fokussierter – als irgendein Shopaholic, der am Wochenende das Einkaufszentrum leer kauft. Und irgendwie verkennen diese Leute auch immer, dass Gegenstände und Besitz nicht nur lästige Pflicht, sondern auch Möglichkeiten, Freude, Lebensgewinn und Hobby bedeuten können.
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