Ist man Katastrophen-Tourist bei Besuch alter Unglücksorte?

vom 26.04.2016, 15:03 Uhr

Was ein Katastrophen-Tourist im herkömmlichen bzw. landläufigen Sinn ist, weiß vermutlich jeder. Offiziell definiert ist Katastrophen-Tourismus als das Aufsuchen von Örtlichkeiten, an denen es zu irgendeiner größeren Form des Unglücks oder der Naturkatastrophe gekommen ist, die wahlweise in der Gegenwart oder in der Vergangenheit liegen kann. Soweit, so bekannt. Nun las ich heute das erste Mal den Begriff "Schwarzer Tourismus", der mit Katastrophen-Tourismus synonym gesetzt wurde.

Als Beispiel für einen solchen Tourismus wurden aktuelle Orte, aber auch Konzentrationslager, Orte, an denen historische Schlachten stattfanden, ja selbst Städte aus der Antike wie Pompeji genannt. Ich bin darüber sehr verwundert. Niemals hätte ich einen Besucher des Kolosseums in Rom als Katastrophen-Tourist bezeichnet, selbst das Angucken eines Konzentrationslagers hätte ich nicht unter diesem Begriff verortet. Mir scheint eine solche Gleichsetzung gefühlt falsch.

Es mag der oben genannten Definition nach formal richtig sein, aber bei großem zeitlichen Abstand zu den Geschehnissen, hätte für mich eher ein historisches Interesse im Vordergrund gestanden und kein wie auch immer gearteter Schwarzer Tourismus. Ich dachte immer, Katastrophen-Touristen seien Leute, die zeitnah zu den Stellen des Unglücks reisen und nicht erst Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte später.

Wie seht ihr das? Ab welchem zeitlichen Abstand ist man sensationslüstern, ab wann historisch interessiert? Kann man da überhaupt eine Unterscheidung treffen bzw. sollte man das? Ist eine kulturelle Tour, wo man auch Orte des Schreckens besucht, tatsächlich ein Katastrophen-Tourismus?

» Verbena » Beiträge: 4780 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 4000 Beiträge



Den Zeitabstand finde ich egal. Was viel wichtiger ist, ist doch die Bedeutung des Ortes. Das Kolosseum ist doch vor allem auch architektonisch interessant. Die Konzentrationslager haben eine hohe geschichtliche Bedeutung. Dort kann man viel lernen und für alles, was da noch außenrum geschehen ist, ein Gefühl bekommen.

Aber was lernt man denn am Ort einer Naturkatastrophe? Solange man da nicht wissenschaftlich rangeht und beispielsweise Gesteinsproben nimmt, lernt man da nichts. Die Katastrophen hatten auch keine bis wenig geschichtliche Bedeutung. Vielleicht führten sie dazu, dass Abhänge wieder mehr bewaldet wurden oder stabilere Häuser gebaut wurden. Aber dann sollte man sich vielleicht eher die Häuser angucken.

Außerdem kommt es auf die eigene Intention an. Ich denke schon, dass man auch in einem Konzentrationslager Katastrophentourismus betreiben kann, wenn man sich überhaupt nicht für die Geschichte, die Schicksale und den Zusammenhang interessiert.

Man kann sich Fotos von den Versuchen von Mengele anschauen und tief betroffen sein oder man denkt sich nur: "Boah, voll krass ey, die haben dem einfach ein Bein abgesäbelt. Da hat das Blut bestimmt nur so gespritzt". (Mir ist es sogar schwergefallen, das nur fiktiv zu schreiben.)

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Erst kürzlich habe ich den Begriff Katastrophentourismus mal wieder gehört, als es um das traurige Jubiläum des Reaktorunfalls in Tschernobyl ging. Dahin werden ja auch Reisen angeboten und auch der Reiseleiter sprach in dem Zusammenhang von Katastrophentourismus. Dabei würde ich das auch so sehen, aber wenn ich mir das Kolosseum ansehe, dann würde ich mich auch nicht als Katastrophentourist bezeichnen. Bei der Bezeichnung geht es mir aber auch nicht um den zeitlichen Abstand, sondern um den Grund des Besuchs.

» Barbara Ann » Beiträge: 28933 » Talkpoints: 56,80 » Auszeichnung für 28000 Beiträge



Bei "Katastrophentourismus" denke ich persönlich automatisch an kürzlich passierte Ereignisse, wo dann gefühlt Schwärme von Menschen mit ihren Smartphones und Kameras Bildmaterial sammeln, das sie dann bei Facebook, Youtube und dergleichen hochladen können. Oder wenn ein Unfall passiert ist und anstatt Ersthelfer zu sein oder den Sanitätern zu helfen zückt man das Smartphone, steht im Weg herum und filmt.

Die Besichtigung von Tschernobyl, dem Kolosseum und dergleichen fällt für mich persönlich nicht unter diesen Begriff, weil diese Orte ja auch eine historische Bedeutung haben. Aber gut, offensichtlich weicht meine Definition von anderen Definitionen ab.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



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