Ist Altersgrenze für Schuldunfähigkeit noch zeitgemäß?

vom 14.03.2023, 22:28 Uhr

In Freudenberg wurde kürzlich aus vermutlich Rache-/Hassgefühl eine 12-Jährige von zwei befreundeten Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren niedergestochen und damit getötet.

Im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit stelle ich fest, dass es zwar nicht viele solcher Straftaten in diesem Ausmaß gibt, aber es durchaus genug Kinder/Teenies unter 14 Jahren gibt, die andere kriminelle Straftaten begehen z.B. im Bereich Erpressung, Sexualdelikte oder auch Drogenkonsum bzw. -verkauf.

In Deutschland gilt nach § 19 StGB derzeit eine Strafunmündigkeit bzw. Schuldunfähigkeit für Kinder, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. In Fällen solcher Straftaten kann man den Eltern nur Auflagen vom Jugendamt machen bzw. den Eltern ggf. auch das Sorgerecht entziehen bzw. Kinder anderweitig unterbringen. Dieses Gesetz besteht laut meinen Recherchen schon seit mindestens 1969, sprich über 50 Jahre.

Ich denke, in der Entwicklung und Reife der Kinder hat sich in den letzten Jahrzehnten ziemlich viel getan. Einige 12-jähriges Kind interessiert sich heutzutage schon für ganz andere Themen, was vermutlich auch dem Zugang zu ganz anderen Medien geschuldet ist.

In anderen westlichen Ländern werden Kinder bei Weitem nicht so "behütet" und "beschützt". In Frankreich und der Schweiz z.B. sind Kinder bereits ab 10 Jahren strafmündig und können ab 13 Jahren sogar zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. In den USA ist die Altersgrenze unterschiedlich, fängt teilweise aber schon bei 7 Jahren an.

Ich frage mich nun, ist eine komplette Schuldunfähigkeit für Kinder unter 14 Jahren tatsächlich noch zeitgemäß? Sollte man die Altersgrenze herabsetzen und wenn ja, auf welches Alter? Sollte es dafür z.B. eine neue Abstufung im Strafmaß geben?

» EngelmitHerz » Beiträge: 3943 » Talkpoints: 17,00 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Die Grenze für die Schuldunfähigkeit lag bei Kindern nach dem Ersten Weltkrieg noch bei 12 Jahren und wurde dann auf 14 Jahre erhöht. Wobei doch gerade "Kriegskinder" Dinge erleben, die nun wirklich nicht kindgerecht sind, und früh erwachsen werden müssen. Trotzdem wurde genau damals die Grenze heraufgesetzt.

Ich glaube nicht, dass heutige Jugendliche geistig reifer sind, als Kinder der Generationen, die mit 15 angefangen ganz normal zu arbeiten. Und die Entwicklung des Gehirns in Richtung erwachsen beginnt auch erst mit 12 Jahren und ist erst mit etwa 20 Jahren abgeschlossen.

Ich finde nicht, dass die Altersgrenze herunter sollte. Insbesondere solche Taten passieren doch nicht, weil die Täter planen und abwägen. Eine mögliche Strafe verhindert das nicht. Zumal so etwas zum Glück sehr selten passiert. Ich kenne nur einen Mörder und der war bei der Tat zwar strafmündig, aber sehr jung. Die Tat war ähnlich grausam und hat damals die ganze Region in Aufruhr versetzt. Heute lebt dieser Mensch vollkommen unauffällig und arbeitet ganz normal.

Natürlich hilft das dem Opfer und dessen Angehörigen kein bisschen. Aber denen hätte auch keine harte Bestrafung des Täters geholfen. Die Gesellschaft hat aber viel davon, dass dieser Mensch seit Jahrzehnten normal lebt und niemanden gefährdet oder in Verwahrung oder Therapie Unsummen kostet.

» cooper75 » Beiträge: 13330 » Talkpoints: 498,67 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Die Kinder mögen vielleicht geistig nicht unbedingt reifer sein, als vor 20, 30 oder noch mehr Jahren. Aber ihnen ist auch bewusst, dass ihnen bis zum 14. Lebensjahr nicht viel passieren kann. Und dieses Bewusstsein gibt es auch nicht erst seit ein paar Jahren. Ob man nun die Schuldunfähigkeit grundsätzlich verändern sollte müsste diskutiert werden.

Es gibt eben durchaus Kinder, denen mit 10 Jahren schon bewusst ist, was sie da anstellen. Besonders bei den kleineren Delikten, wie Ladendiebstahl, wissen die Kids doch genau, dass außer einem Hausverbot nicht viel nachkommt. Ich bin also der Meinung, dass man für die Altersklasse 10 bis 13 Jahre eine Zwischenstufe schaffen sollte. Ähnlich wie bei der Geschäftsfähigkeit.

Im aktuellen Fall gehe ich einfach davon aus, dass Kinder mit 12 und 13 Jahren wissen, dass mehrere Messerstiche auch den Tod der Person bedeuten können. Also haben sie den Tod bewusst in Kauf genommen, als sie ihre Mitschülerin verletzt haben. Und ein bewusstes Handeln bedeutet ja auch, dass man schuldfähig ist, wenn man jetzt mal das Alter außen vorlässt.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



Punktedieb, da wäre ich nicht so sicher. Natürlich wissen Kinder in dem Alter, dass Messerstiche tödlich enden können. Aber das ist ein sehr theoretisches Wissen.

Außerdem, was passiert denn bitte nach Erreichen der möglichen Schuldfähigkeit? Denn mit 14 ist man nicht automatisch schuldfähig, man ist nur nicht mehr von Rechts wegen schuldunfähig. Und die Strafe setzt vernünftigerweise auf Ausbildung und Unterstützung. Das kann auch das Familiengericht bei jüngeren Kindern leisten.

Zumal es bei den Mädchen noch einen Sonderfall gibt: Andere als bei Jugendarrestanstalten gibt es in den meisten Bundesländern keine Jugendstrafanstalten für weibliche Jugendliche. Das läuft auf Wegsperren mit wenig Förderung hinaus, was nun wirklich keine Basis für eine zukünftige Eingliederung in die Gesellschaft bildet.

» cooper75 » Beiträge: 13330 » Talkpoints: 498,67 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



@cooper75: Es geht doch nicht nur um diesen einen Fall jetzt. Nimm doch mal alle Straftaten von Kindern unter 14 Jahren zusammen und überlege dann ob es nicht sinnvoll wäre, wenn man so eine Art eingeschränkte Schuldfähigkeit zulassen könnte. Denn gerade bei den kleinen Straftaten ist die Kindern sehr wohl bewusst, dass sie strafrechtlich nicht verfolgt werden können.

Ich kann mir da durchaus vorstellen, dass es für manchen Täter heilsam wäre, wenn es zumindest eine Gerichtsverhandlung und auch eine Strafe geben würde. Diese muss ja nicht gleich Jugendknast bedeuten.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Natürlich ist dieser Fall nicht besonders aussagekräftig für Taten von Jugendlichen, aber es muss natürlich Strafen geben. Es ist schon wirklich schlimm, dass Kinder irgendwelche Taten begehen und dann nicht mal eine Strafe bekommen. Man könnte so sicherlich einige Straftaten verhindern, die diese Kinder dann mit zunehmenden Alter begehen. Immerhin heißt es ja, dass sich früh übt. Man wird ja nur besser, wenn man auch mehr Zeit zum Üben hat und gerade bei Diebstahl oder solchen Dingen ist man dann mit zunehmenden Alter sicherlich "besser".

Ich finde aber auch, dass da zu wenig auf die Kinder geachtet wird. Ich meine ein Kind wird ja nicht von einem zum anderen Tag ein Straftäter. Da würde es schon irgendwie etwas brauchen, wo sich dann solcher Kinder angenommen wird, wo Maßnahmen ergriffen werden, bevor etwas passiert und das nicht durch die Mühlen der Bürokratie gemahlen wird. Einfach mal schnell agieren, wenn Auffälligkeiten vorhanden sind. Außerdem kann ich mir auch vorstellen, dass eine Verhandlung vor Gericht schon einen gewissen Eindruck hinterlassen würde.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Das Thema Schuldunfähigkeit und Strafmündigkeit bei Kindern und Jugendlichen ist sicherlich eine heikle Frage, die viele verschiedene Aspekte berührt. Einerseits ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche, die sich strafbar machen, auch entsprechend zur Verantwortung gezogen werden. Andererseits müssen wir auch bedenken, dass Kinder und Jugendliche in ihrem Entwicklungsprozess noch nicht so weit sind wie Erwachsene und daher auch anders beurteilt werden sollten.

Ich persönlich denke, dass eine komplette Schuldunfähigkeit für Kinder unter 14 Jahren nicht mehr zeitgemäß ist. Gerade in der heutigen Zeit, in der Kinder bereits früh Zugang zu verschiedenen Medien und Themen haben, ist es wichtig, sie auch für ihr Handeln verantwortlich zu machen. Allerdings sollte das Strafmaß und die Strafverfolgung entsprechend angepasst werden, um auf die besonderen Bedürfnisse und Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen Rücksicht zu nehmen.

Es könnte beispielsweise eine neue Abstufung im Strafmaß geben, um auf die verschiedenen Entwicklungsstadien von Kindern und Jugendlichen einzugehen. Auch könnte man eine individuelle Begleitung und Betreuung der jugendlichen Straftäter einführen, um sie auf den richtigen Weg zu bringen und ihnen die Chance zu geben, sich zu bessern.

Eine Herabsetzung der Altersgrenze für die Strafmündigkeit ist meiner Meinung nach jedoch nicht sinnvoll. Hier müssen wir bedenken, dass Kinder und Jugendliche in ihrem Entwicklungsprozess noch nicht so weit sind wie Erwachsene und auch noch nicht vollständig in der Lage sind, die Konsequenzen ihres Handelns zu verstehen. Daher sollten wir auch weiterhin darauf achten, dass Kinder und Jugendliche in erster Linie pädagogisch betreut und nicht kriminalisiert werden.

Insgesamt denke ich, dass eine Überarbeitung des Gesetzes durchaus sinnvoll wäre, um auf die veränderten Bedingungen und Entwicklungen in unserer Gesellschaft einzugehen. Dabei sollten jedoch immer die Bedürfnisse und Entwicklungsstadien von Kindern und Jugendlichen im Vordergrund stehen.

» Aguti » Beiträge: 3109 » Talkpoints: 27,91 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Ein Thema, welches in meinem Umfeld derzeit sehr heiß diskutiert wird. Insbesondere mit dem Wissen, dass ich eben in der Sozialpädagogie tätig bin. Gerade auch aus diesem Anlass und da ich mein Metier derzeit eher auf jugendamtliche Tätigkeiten zurückführen muss, weil der Arbeitgeber es so gewollt hat, bin ich bei dem Thema sehr gespalten.

Ich kann nur von meinen Erfahrungen mit Jugendlichen/Kindern aus beruflicher und privater Natur reden. Seid Euch da jedoch sicher, dass ich zig Kinder/Jugendliche kennengelernt habe, die ich als höchst gefährdet für eine kriminelle Laufbahn einstufen würde. Und bei Weitem reicht das Klischee hier nicht mehr, dass das Elternhaus „kaputt sei“, denn dem ist nicht immer so.

So habe ich einen jungen Burschen in der Betreuung, der derzeit 13 Jahre alt ist und genau weiß, dass ihm der Gesetzgeber gar nichts kann. Sein familierer Background ist ein Musterbeispiel an Liebe, Fürsorge und Zeit für ihn, aber das interessiert ihn nicht. Kinder verprügeln, Leute abzocken, Tiere treten und mehr stehen schon in seiner Vita. Deswegen sind wir eingeschritten und mussten ihn auch zeitweise in Obhut nehmen, weil die Eltern nicht mehr wussten, was sie tun sollten. An mangelnder Liebe, Fürsorge, Geld usw. lag es nie. Auch sein Verhalten uns gegenüber ist davon geprägt, uns zu beleidigen, zu bedrohen und uns deutlich zu machen, bis er 14 ist, passiert ihm sowieso gar nichts!

Im Fall der getöteten Luise müssen wir mal klare Fakten sprechen lassen. Wir haben es hier natürlich mit nicht komplett schuldfähigen Mädels zu tun, die im Alter von 12 und 13 Jahren eben nicht voll ausgereift sind. Keine Frage. Dennoch sind sie klar im Wissen, dass ein Messer eine tödliche Waffe ist, welche von ihnen klar und bewusst eingesetzt wurde. Es war ein abgesprochener Mord, der natürlich anhand der Messerstiche von 75 eine klare emotionale Komponente aufweist. Sie wussten genau, was sie tun und haben ganz bewusst auch nach ihrer möglichen Rechtschaffenheit geschaut, um sich strafrechtlich aus der Affäre zu ziehen.

Wir haben hier also zwei Mädels, die laut Gesetzgeber nicht voll ausgereift sind, um bestraft zu werden. Welche jedoch in der Lage waren, gezielt eine Mordwaffe zu besorgen, sich gezielt zu besprechen und gezielt ein gleichaltriges Mädchen mit 75 Messerstichen niederzustrecken. Jeder von Euch wird wissen, wie viel Kaltblütigkeit/Emotionalität dazu nötig ist, um ein blutendes und sich vor Schmerzen windendes Mädchen zu ignorieren und weiter auf sie einzustechen. Dann wird sie noch einem Abhang heruntergeworfen, deren Eltern kontaktiert und es wird am Abend von beiden Mädels ein „Vermisstenposting“ veröffentlicht sowie von einer der Täterinnen ein Tanzvideo.

Man merkt hier also sowohl eine skrupellose Vorgehensweise gepaart mit einem kindlichen Verhalten. Dennoch sind die Beiden ein Paradebeispiel dessen, wie wenig der Staat eigentlich versteht. Denn wir sind nicht mehr in den 50er Jahren, wo die Kinder in dem Alter mit Puppen spielen! Wir haben es genug mit Kindern zu tun, die genau wissen, dass man ihnen nichts kann und deren Aggressionspotenzial eine ganz andere Hausnummer ist. Bei einigen ist schon bei uns intern klar, dass wir es mit potenziell schwer gefährlichen baldigen Erwachsenen zu tun haben werden.

Keine Frage, die beiden Täterinnen sind nicht voll schuldfähig. Sie haben niemals mit einer Tragweite wie den Umzug ihrer Eltern aus dem Dorf gerechnet, die Anteilnahme Deutschlands usw. Und natürlich ist ein emotionaler Hass gegeben gewesen, der ihre Schuldfähigkeit auch mit 21 noch anders berechnen würde. Emotionalität kann viele ekelhafte Gesichter mit sich bringen. Doch das ihnen so gar nichts passiert außer eine Unterbringung, da bin ich strikt gegen.

Ich bin aber auch dagegen, dass wir 14-jährige wie in den USA mit der Todesstrafe kommen könnten. So läuft es nicht, aber unsere Strafen müssen sich etwas ändern, wobei ja ohnehin ein resozialisierender Akt in Betracht zu ziehen ist. Fragt mich aber nicht, wie man es besser machen kann. Da scheiden sich ja auch die Geister. Doch eine Unterbringung in unserem System bedeutet immer, wenig Zeit für jedes einzelne Kind, die Familien usw. Wenn ich sage, dass wir Sozialarbeiter kaum Möglichkeiten haben, weil wir unterbesetzt sind, dann ist das so.

Zudem haben wir meist Kollegen und Kolleginnen, die keinerlei negative Bandbreite an Erfahrungen mit 20 Jahren usw. aufweisen. Und solchen Leuten soll man vertrauen, wenn es um Inobhutnahme geht usw. Das sind so typische Lehrbuch- und Verbesserungsstudenten, deren eigene Lebenswelt hier meist zu Bruch geht, weil so viel Leid in den Familien herrscht, dass sie damit nicht umgehen können, während mich als schwer geprägte Person mein Beruf nicht schocken kann, aber ich ganz anders reagieren kann. Meine Chefin meinte letztens, dass sie die Nase voll hat, die Rotzblagen einzustellen, die keine Lebenserfahrung haben, aber sie muss es tun, weil sie keine Alternativen hat.

Strafmündigkeit muss es insbesondere bei Mord geben! Doch hier muss Resozialisierung, Sozialarbeit, Therapie usw. alles im Einklang funktionieren. Die Wahrheit ist jedoch, dass alle Bereiche vor Unterbesetzung strotzen und es eben auch andere Fälle gibt, sodass wir uns nicht permanent um diese beiden Kinder usw. kümmern könnten. Doch sie benötigten jetzt eigentlich viel mehr Leute um sich, die sie ganz gezielt resozialisieren, ihnen ihre Tragweite deutlich machen, das Handeln usw. Das wird jahrelange Arbeit sein und eine Strafe wird das nur dann sein, wenn sie sich wirklich reuhaft mit sich selbst beschäftigen werden.

Bei Mord und auch Vergewaltigung sowie sexuelle Übergriffe darf das Alter 14 Jahre nicht mehr zum Tragen kommen. Ist nur meine Meinung. Sozialtechnisch sind da ohnehin die Schritte immer dieselben, ob mit oder ohne Strafmündigkeit.

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge


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