Inwiefern ist Schule für Allgemeinbildung verantwortlich?

vom 19.04.2018, 07:29 Uhr

In dem Beitrag Zufrieden mit Eurer Schulbildung? schreibt eine Userin, dass sie in ihrer Schulzeit gerne mehr Allgemeinbildung vermittelt bekommen hätte. Ich persönlich kann diese Ansicht nicht wirklich nachvolllziehen. Denn die Schule kann doch nicht alles vermitteln, mal ehrlich. Für mich ist das offen gesagt eine ziemlich lahme Ausrede, wenn man die Schule für die fehlende Allgemeinbildung verantwortlich macht. Das ist für mich etwas, das man sich auch privat aneignen kann, sofern das Interesse besteht.

Ich persönlich habe mir den Großteil meiner Allgemeinbildung privat angeeignet und habe dafür nie die Schule verantwortlich gemacht. Wenn man sich wirklich privat bilden möchte, dann schafft man das auch. Wie seht ihr das? Inwiefern ist die Schule eurer Ansicht nach für die Allgemeinbildung der Schüler verantwortlich und warum?

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Täubchen, wie definierst du denn Allgemeinbildung? Da die meisten Gymnasien bis heute ziemlich humanistisch geprägt sind, bekommt man dort logischerweise eine ziemlich große Portion dieser Allgemeinbildung mit. Ethik und Charakterbildung oder Ästhetik sowie das Kantsche Aufklärungsideal, besonders der Kategorische Imperativ, wehte sozusagen durch jede Stunde.

Oder setzt du Allgemeinbildung mit dem Bildungskanon gleich? Ich habe ein humanistisch-altsprachliches Gymnasium besucht und Allgemeinbildung als Basis für Spezialwissen gab es mehr als genug.Man hatte theoretisch die Grundlagen für jedes Studienfach und die schulischen Grundlagen für jeden Beruf. Bei Studienfächern, die auf Schulfächern aufbauen, konnte man das erste Semester getrost verschlafen und danach langsam einsteigen.

Durch den Zwang, jeden Tag eine überregionale Tageszeitung zu lesen und die Tagesschau zu sehen, gab es auch zwangsläufig einen ziemlich guten Überblick über Politik und Tagesgeschehen. Das interessiert einen in dem Alter zwar wenig, aber man kommt nicht drumherum, weil es ja ständig eingeflochten worden ist. Soziale Sicherheit, Bildung, Recht, Staatswesen und so weiter wurden ständig mit verschiedenen Epochen verglichen.

Entstanden ist dann das, was heute nicht mehr erwünscht ist: erkennbar Angehörige des Bildungsbürgertums. Damit kommt man zwar sehr gut durchs Leben, aber es hemmt natürlich den Aufstieg aus den unteren Schichten. Da sind die Menschen weder automatisch dümmer oder weniger lernfähig. Aber die müssen am erforderlichen Sprachcode hart arbeiten, der viel schwieriger zu erlernen ist als Fachausdrücke.

Zudem ist es eine finanzielle Frage. Wer bestimmte Aufführungen, Müssen und Ausstellungen nicht besucht hat, kann ebenso wenig mitreden wie der, der gewisse Bücher nicht gelesen hat, die in anderen Familien einfach im Regal stehen. Der technische Fortschritt hat es nicht einfacher gemacht.

» cooper75 » Beiträge: 13330 » Talkpoints: 498,67 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Bei mir kommt es auch vor allem darauf an, wie man Allgemeinbildung definiert, und das weiß ich auch nicht so genau. Das Humboldtsche Bildungsideal, welches auf den Erhalt der sozialen Schicht der "Bildungsbürger" abzielt und "niedrigere" Schichten zum Dienst an Werkbank und Webstuhl bestimmt, erscheint mir in jedem Fall nicht mehr zeitgemäß. Und was für den einen Allgemeinbildung ist, ist für andere schlicht irrelevant oder uninteressant.

Ich selber war beispielsweise auch auf dem Gymnasium und habe dort alles mögliche gelernt von Latein über Noten lesen und physikalischen Gesetzen hin zu der Hauptstadt der Mongolei (Ulan Bator). Von daher würde ich mich schon als halbwegs "allgemein" gebildet ansehen und führe dieses Wissen auch zum Großteil auf den Schulunterricht zurück. Auf mich allein gestellt, und auf dem Lande groß geworden, hätte ich mich sonst vielleicht eher für Botanik interessiert und vom Dreißigjährigen Krieg keine Ahnung.

In jedem Fall finde ich durchaus, dass die Schule auch für die Vermittlung von Allgemeinbildung zuständig ist, wie auch immer man diese definiert. Nicht jeder hat ein klassisch-spießbürgerliches Elternhaus und die entsprechende Erziehung genossen, und nicht jeder wird von klein auf an die Bastionen des klassischen Bildungsbürgertums wie Museen, Konzerte, Theater oder selbst eine renommierte Tageszeitung herangeführt. So haben viele begabte junge Leute zumindest über die Schule eine Chance, sich zwischen die Ränge der gebildeten und etwas "besser gestellten" Bürger zu drängen.

» Gerbera » Beiträge: 11292 » Talkpoints: 42,29 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Ich wäre schon dafür, dass man fächerübergreifender arbeiten würde. Natürlich kann es sein, dass das mittlerweile so ist, aber in meiner Schulzeit hat so jeder sein Ding gemacht, obwohl gewisse Themen auch durchaus zusammengepasst hätten. Das vermittelt dann auch etwas Allgemeinwissen, weil man ein Thema aus verschiedenen Bereichen beleuchtet. Das würde ja durchaus Sinn machen.

Allgemeinbildung kann man aber nicht alleine der Schule zuschreiben. Ein Mensch muss sich auch immer selber bilden, etwas aus sich machen und auch mal selber ein Buch in die Hand nehmen. Jeder Mensch hat auch ein Elternhaus und ich finde die Schule muss nur dann tätig werden bei der Vermittlung von Allgemeinbildung, wenn dieses total versagt und das sollte so ja nicht sein.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Ich persönlich finde schon, dass die Schule eine ideale Möglichkeit bietet, den Kindern einen Grundstein zur Allgemeinbildung zu bieten. Klar muss man im weiteren Leben selbst seine Weiterbildung betreiben, aber das fällt einem meiner Ansicht nach deutlich leichter, wenn man schon einmal eine Basis-Allgemeinbildung bekommen hat, auf der man später weiter aufbauen kann. Daher halte ich da die Schule für unverzichtbar, und ich finde es wichtig, dass möglichst viel Allgemeinbildung vermittelt wird.

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» lascar » Beiträge: 4412 » Talkpoints: 782,06 » Auszeichnung für 4000 Beiträge


Es ist wahrscheinlich schwierig, hier einen gemeinsamen Konsens zu finden. Denn viele sind der Ansicht, dass Allgemeinbildung, wie auch immer sie definiert wird, durch die Eltern kommen muss. Machen wir uns in der Realität aber bitte nichts vor, ganz oft hapert es am Elternhaus in vielen Belangen, und die Allgemeinbildung ist da nur eines der Probleme.

Nehmen wir mal die „Larissa“ von Martina Hill verkörpert. Guckt sie euch gerne an. Doch genau diese Art Mädels habe ich täglich beruflich um mich. Und sie sind nicht übertrieben stereotypisch, sie sind real! Und ich kenne jüngere Mädels im familiären Umfeld, wenn ich die Reden höre, denke ich mir, wo waren Eltern/Schule? Da haben wir dann auch „Chantelle 16, zweifache Mutter, kein Hauptschulabschluss“ mit Berufswunsch Influencer. Den „Ali 14, Sonderschüler“ der Rapstar wird.

Das sind jetzt für viele Klischees, aber diese gefakten Namen von mir sind die Realität. Ich arbeite mit solchen Jungs und Mädels vermehrt zusammen. Es ist grausam zu sehen, wie wenig sie vom allgemeinen Leben wissen und das liegt vermehrt auch an überforderten Eltern, die selber dumm wie Brot sind.

Ich ging selber zur Schule und habe dort einige Lehrer nie im Leben vergessen. Jeder der auf dieselbe Schule ging, kennt sie noch. Der eine schlief im Unterricht mehrfach in Arbeitslehrewirtschaft ein. Der andere in Physik war eine Vollkatastrophe, während die Kunstlehrerin ständig geheult hat. Sie kam aus Korea, war Disziplinlosigkeit nicht gewohnt und sprach dazu noch unglaublich schlechtes Deutsch.

Ein mir in der Familie bekanntes Kind, ging 20 Jahre später zu dieser Schule. Einige Lehrer waren neu, aber wenn dort eine spanische Lehrerin ist, die eigentlich Englisch unterrichten soll, aber nicht ein Wort Deutsch kann, dann packe ich mir am Kopf, wenn es schon an der grundlegenden Kommunikation mangelt. Zumal das immer eine Schule war, wo später ein erhöhter Ausländeranteil vorhanden war und Deutsch kaum als Hauptsprache mehr gängig war.

Was soll man also da erwarten? Ja ich persönlich hätte erwartet, dass man mal durchnimmt, was es mit Verträgen, Laufzeiten, Rechte und Pflichten auf sich hat. Wie man eine Steuererklärung abgibt, was im Mietvertrag steht, wie man mit 18 Jahren etc. alles vorsichtig begutachten muss.

Das mag salopp und erst einmal nach „nichts“ klingen, aber im Gegensatz dazu habe ich Integralrechnung, den Satz des Pythagoras etc. nie benötigt und wie man eine Analyse sowie Inhaltsangabe schreibt auch nicht.

Das was im Leben auf einen zukommt hingegen, war mir fremd. Und etliche Kinder/Jugendliche, die ich treffe, wissen nicht einmal was sie beachten müssen, was Verträge von Handyanbietern etc. alles mit sich bringen, was im Ausbildungsvertrag darf, was nicht usw.

Es könnte also keineswegs schaden, wenn man doch weiß, dass zu Hause es nicht immer so ist, wie man es gerne politisch hätte, dass man sowas lehrt. Ich kenne auch viele Lehrer, die das gerne würden, aber der Lehrplan zu stupide es nicht zulässt.

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge


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