Erzieht die Schule zu Unselbstständigkeit?

vom 08.04.2017, 19:01 Uhr

Ich war neulich in eine Diskussion zum Thema Homeschooling und allgemeine Schulpflicht involviert, wobei da einige sehr interessante Standpunkte vertreten worden sind. So meinte jemand zum Beispiel als Argument für Homeschooling, dass die Schule die Kinder ja wohl kaum zu Selbstständigkeit und Eigenverantwortung erziehen würde. Denn dort wäre ja immer noch der Lehrer, der den Schülern "diktiert", was diese zu tun und zu lassen hätten. Die Schule würde also die Kinder mehr oder weniger "abhängig" und unselbstständig machen und das wäre nicht gut für die kindliche Entwicklung.

Ich stimme dem nur bedingt zu. Es stimmt ja schon, dass die Lehrer gewisse Regeln aufstellen, die dann auch umgesetzt werden müssen. Der Lehrer entscheidet in der Regel auch, was gelernt wird, wann die Klassenarbeiten geschrieben werden und welche Leistungen wie benotet werden. Er gibt ja auch die Hausaufgaben auf und die Schüler haben in dem Sinne nichts mitzureden. Aber dennoch lernen die Schüler meiner Ansicht nach Selbstständigkeit, weil die Hausaufgaben ja selbstständig umgesetzt werden müssen und man sollte auch die Gruppenarbeiten und Referate nicht vergessen. Wie seht ihr das? Erzieht die Schule die Kinder zu Unselbstständigkeit oder ist das kompletter Blödsinn?

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Die Schule tut doch gerade das Gegenteil: Der Schüler muss sich selbst verwalten, um durch das Bildungssystem wir gut wie möglich durchzukommen um sich so den bestmöglichen Weg zu sichern, einmal einen ertragreichen Beruf ausüben zu können.

Dabei muss es einfach klare Regeln geben, so wie die Festlegung von Prüfungsterminen und des Lernstoffs. Wieso sollte den ein mangelndes Mitspracherecht dabei in irgendeiner Weise für Unselbstständigkeit sprechen? Es liegt nicht im Aufgabenbereich der Schüler, den Lehrplan zu beurteilen oder ihn festzulegen.

» Mr. Law » Beiträge: 365 » Talkpoints: 25,43 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Wenn es nach dieser These gibt, dann müsste es hier nur unselbstständige Idioten geben die nichts alleine auf die Reihe bekommen. Die meisten die eine Schule besucht haben bekommen aber das ganz gut auf die Reihe wenn sie nicht im Elternhaus verzogen wurden und dort alles nachgetragen bekommen haben oder gar die Eltern die Hausaufgaben diktiert haben. Ja auch das gibt es leider immer wieder, dass Eltern meinen ihren Kindern damit einen Gefallen zu tun und sie dann unselbstständige Idioten sind und nichts alleine hin bekommen, da die Eltern ihnen alles abnehmen.

Somit sind es in erster Linie die Eltern die zur Unselbstständigkeit erziehen und nicht etwa die Schulform die gewählt wird. Auch unter den Heimschülern gibt es genug die ihr eigenes Leben im Griff haben und selbstständige Entscheidungen treffen können, aber auch dort gibt es immer welche die von ihren eigene Eltern dazu erzogen wurden eben das nicht zu machen. Wie bei einer Schule eben auch nur das der größere Anteil es doch ganz gut auf die Reihe bekommt mit einer Selbstständigkeit, unabhängig davon welche Bildungsform besucht worden ist.

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» Sorae » Beiträge: 19435 » Talkpoints: 1,29 » Auszeichnung für 19000 Beiträge



An meine Schulzeit kann ich mich nicht mehr so detailliert erinnern, aber eine gewisse "Unselbstständigkeit" ist ja ganz normal für Minderjährige. Dazu kommt noch, dass die intrinsische Motivation, Parabeln zu berechnen, Vokabeln zu lernen oder in der Grundschule fünfzigmal das Wort "sexy" zu schreiben, damit sich die Buchstaben x und y schön einprägen, meistens nicht sonderlich ausgeprägt ist und ebenfalls entwicklungsbedingt mit einer niedrigen Impulskontrolle einhergeht.

Sprich, wenn die Schule zu viel "Selbstständigkeit" verlangen würde, würde sich das nur schlecht mit den immer noch rigiden Lehrplänen verbinden lassen, die wie vor 100 Jahren den Stoff vorgeben, den die Jugend innerhalb eines bestimmten Schuljahres irgendwie in die Birne gehämmert bekommen muss.

Um hier Selbstständigkeit zu fördern, müsste man das ganze System weg von "willfährigen Arbeitsdrohnen" hin zu "denkenden Menschen" umorganisieren, und woher bekommen wir dann die angepassten kleinen Werkler? Außerdem wäre es noch unfairer gegenüber den SchülerInnen, die im Elternhaus nicht so gut gefördert werden können wie die ganzen Mittelstandsbälger, denen man das Abitur zur Not auch kauft.

Relativ schockierend fand ich dagegen den Lehrbetrieb an der Universität, in dem biologisch gesehen erwachsene Menschen durchgeschleust wurden wie anno dunnemals in der 8. Klasse. Anwesenheitspflicht, Referat, Hausarbeit, Klausur, bums, nächstes Kapitel. Selbstständigkeit wird also in der gesamten Bildungslandschaft anscheinend mittlerweile als überflüssiges Nebenprodukt angesehen, das die jungen Leute nur vom Lernen abhält.

» Gerbera » Beiträge: 11289 » Talkpoints: 41,52 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Gerbera ich finde du hast eine ziemlich einseitige Sichtweise auf unser Bildungssystem. Es lässt von der Grundschule bis zur Universität schon viele Freiräume wie ich finde. Natürlich kann man den direkten Weg gehen, einfach immer die Schule nehmen, die gerade im Einzugsbereich ist, an der Universität einfach nur stur den Pflichtplan herunter arbeiten um dann mit Anfang 20 fertig ins Erwerbsleben zu starten.

Aber genau dazu zwingt dich doch aber niemand. Es gibt auch schon unzählige verschiedene Ansatzformen in den Schulen abseits der staatlichen Schulen. Ob jetzt eher religiös geprägt, mehr sportlich, naturwissenschaftlich oder gleich andere Ansätze mit Montessori- oder Waldorfpädagogik. Das kann man sich doch aussuchen. Nichts desto trotz sollte natürlich ein Schulabschluss am Ende des Tages wenigstens halbwegs vergleichbar sein und dazu dienen sich auch nach einem Realschulabschluss oder Abitur immer noch möglichst breit beruflich oder mit weiterführender Bildung engagieren zu können.

Genauso steht es doch jedem frei auch an der Universität sein Studium zu strecken, mal Freisemester einzulegen, ins Ausland zu gehen, sich mal zwischen durch in andere Studiengänge hereinzusetzen. Das sind doch jetzt keine unumstößlichen Grenzen, die einem so etwas verbieten.

Natürlich darf man dabei aber eben nicht vergessen, dass so eine breite Ausbildung dann eben nicht mal nebenbei geht. Dann dauert so ein Studium eben auch mal 10 Jahre. Aber das war ja früher nicht anders. Und genau das obliegt doch aber nicht der Schule oder der Universität jemanden vorzuschreiben, wie er das zu machen hat. Das kann man doch nur selber wissen oder vom Elternhaus vorgelebt bekommen, dass es völlig in Ordnung ist, auch mal mit 30 Jahren noch nicht schon seit 5 Jahren oder 10 Jahren im Berufsleben zu stehen.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


Ich finde, dass man das wenn überhaupt nicht auf eine einzelne Schule herunterbrechen kann. Ich habe im Laufe meiner Schulzeit die Schule gewechselt und dort zwei sehr verschiedene Welten erlebt. Während in der einen Schule sehr viel Frontalunterricht durchgeführt wurde und es kaum Raum zur Entfaltung gab, wurde in der anderen Schule sehr viel auf Eigeninitiative gesetzt. Dabei war es nicht so, dass es sich bei einer Schule um ein alternatives System, beispielsweise einer Waldorfschule, handelt - tatsächlich waren beides staatliche Schulen. Noch dazu war es sehr von der Lehrkraft abhängig.

Tatsächlich hatte ich Lehrerinnen und Lehrer, bei denen ich das "Vordiktieren" durchaus nachvollziehen konnte. Das waren aber nicht einmal unbedingt nur die strengen Lehrkräfte, sondern auch solche, die dann im Notfall einfach eine "Lösung" mittels Vorträge gefunden haben. Auch die mit autoritären Lehrstil gab es jedoch und auch hier wird ein Kind nur sehr schwer selbstständig in meinen Augen. Allerdings finde ich, dass in beiden Fällen die Selbstständigkeit mehr gefördert wird als beim Home-Schooling - zu mindestens im Regelfall.

Die Selbstständigkeit entsteht ja auch schon durch das alleine in die Schule gehen an sich und das durch das Knüpfen von sozialen Kontakten. Für die Zukunft ist es unglaublich wichtig zu wissen, wo man sich Informationen beschaffen kann. In meiner nachfolgenden Schule wurde das von manchen Lehrern auch wunderbar gelöst und Schule war eher wie ein Studium aufgebaut. Es gab Frontalunterricht und dann den Austausch in der Gruppe. Ebenso gab es statt Hausaufgaben verschiedene Themenbereiche, die man sich selbst erarbeiten musste. Im Anschluss wurde darüber gesprochen. Ich habe in dieser Zeit wahnsinnig viel gelernt, auch wenn meine Noten zuerst viel schlechter wurden, da ich natürlich das klassische "Vordiktieren" sehr gewöhnt war.

» bambi7 » Beiträge: 1248 » Talkpoints: 16,84 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Ein Kind was als Erstklässler in die Schule kommt, ist erst mal recht unselbstständig was die Abläufe angeht. Deswegen gibt es im Hort zum Beispiel auch feste Zeiten für die Hausaufgaben. Denn dort wird der Grundstein dafür gelegt, dass es ab der 5. Klasse auch ohne Aufsicht klappt.

Allerdings sollte man auch nicht alles in der Schule als Diktat des Lehrers ansehen oder ihm alle Entscheidungen unterstellen. Denn der Lehrer entscheidet nicht, welche Leistung wie belohnt wird. Da gibt es feste Vorgaben an dich sich auch ein Lehrer halten muss.

Trotzdem haben Schüler auch bei gewissen Dingen ein Entscheidungsrecht. Das wird jedes Jahr ein wenig mehr. Da das Beispiel der Referate genannt wurde, so gab es in der 5. Klasse in Englisch noch die Vorgabe, dass man sich und seine Familie vorstellen sollte mit vorgegebenen Unterthemen. In der 8. Klasse gab es dann nur noch das Hauptthema mit einer Empfehlung für die Unterthemen.

Und die Erziehung zur Selbstständigkeit sollte wohl eher im Elternhaus erfolgen und nicht in der Schule. Es ist doch wohl Sache der Erziehungsberechtigten, dass sie den Kindern immer mehr Spielraum für Entscheidungen lassen.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



Wenn ich zurück an meine Schulzeit denke, muss ich sagen, dass ich von Unselbstständigkeit schon ein Lied singen kann. Die wenigsten Lehrer/-innen haben sich dort eigentlich noch wirklich für das Thema Bildung interessiert. Meist waren sie eh damit beschäftigt, die verhaltensauffälligen Mitschüler/-innen zu beendigen, die sich teilweise geprügelt haben, ständig reinriefen und mehr. Wenn ich sage, dass von 150 Schüler/-innen nicht einmal 10 Prozent eine Arbeit haben, während der Rest Kinder um Kinder kriegt, arbeitslos feiert, Drogen und Alkohol nimmt, dann hat das weiß zu heißen. Damit übertreibe ich nicht, wir waren letztens erst schockiert, wo wer gelandet ist.
Das ist jedoch auch auffällig in den unteren Jahrgängen und jenen darüber.

Wenn diese damals noch jungen Menschen nun daheim unterrichtet worden wären, wäre es dann besser gewesen? Ich glaube kaum, weil es schon auch dem Lehrpersonal geschuldet ist, wie gut ein Kind am Ende abschneidet neben dem Elternhaus und der Eigenverantwortung. Manchmal muss man Kinder zu ihrem Glück zwingen, aber das hat weder was mit Homeschooling noch dem Unterricht in der Schule zu tun.

Ich glaube, dass der Respekt vor der Schule und dem Lehrkörper verloren geht. Und wenn man auf Gesamtschulen teilweise erst ab der siebten oder achten Klasse wirklich sitzen bleiben kann, was bringt einem das dann fürs spätere Leben? Man mogelt sich also eher durch und fertig. So war es jedenfalls bei uns.

Wenn Kinder daheim die adäquate Unterstützung bekommen, gerne mit vielen Freiheiten, aber vor allem auch mit dem Mut zusprechen und die Hilfen der Eltern, dann ein geeignetes Lehrpersonal vorweisen, welches nicht mehr nur bis zur Pension wartet, dann sollte einiges auch vor Ort möglich sein. Doch solange in Schulen eben der Bär steppt, ist vielleicht doch auch das Thema Homeschooling nicht verkehrt.

Ein Fallbeispiel aus einer Schule bei mir ums Eck. Täglich kommt dort die Polizei. Lehrer werden angegriffen, 90 Prozent der Schüler/-innen haben einen ausländischen Anteil und mehr. Wie sollen sich auch die ausländischen Mitschüler/-innen die den Affenzirkus nicht wünschen konzentrieren, wenn dort ständig solch eine Action herrscht, aber die Handhabe kaum mehr gegeben ist? Homeschooling wäre hier sinnvoller.

Homeschooling macht jedoch nur dann Sinn, wenn das Lehrpersonal die Technik versteht, seinen Job auch wirklich machen möchte und vor allem wenn daheim auch die nötige Freiheit mit dem nötigen Feingespür des Drucks zum Lernen gegeben ist. Doch spätestens die Corona-Pandemie zeigte doch, das es nicht klappen wird. Digital abgehängt, Lehrer die keinen Bock hatten und Schüler/-innen die ebenso wenig Lust hatten.

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge


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