Anträge bald ausschließlich online stellen können?

vom 18.10.2018, 08:06 Uhr

Ich las von einem Pilotprojekt in Sachsen und Berlin. Dort laufen bereits erste Tests, dass Elterngeld in Zukunft online beantragt werden kann. So müssten keine Formulare auf Papier mehr ausgefüllt werden. Meint ihr, dass die anderen Bundesländer nachziehen werden? Wird man bald alle Anträge (also auch auf Kindergeld, Bafög, Wohngeld etc.) online stellen können? Welche Vorteile und Nachteile seht ihr hierbei? Findet ihr die Digitalisierung in dieser Hinsicht erstrebenswert?

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Bei uns in Bayern läuft das Ganze so, dass man online alles ausfüllen kann, man dann den ausgefüllten Antrag für eine Unterschrift zugeschickt bekommt. Ich finde es definitiv besser, wenn man sich den ganzen Papierkram sparen kann und man alles online machen kann. Dann ist aber die Frage ob das auch alles wirklich funktioniert. Es ist aber immer besser Papier zu sparen und das Ganze auch nicht so kompliziert ablaufen zu lassen. Gerade nach einer Geburt ist das schon alles leichter, wenn man es nur online machen muss.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Die Feststellung der Identität des Antragstellers verursacht bei den Behörden einen erheblichen Aufwand an papierenem Schriftwechsel. Für die Behörde wäre es immer noch am einfachsten, der Antrag wird im Amt eingereicht und zeitnah mit einem Eingangsstempel versehen und der Reihe nach von den Sachbearbeitern abgearbeitet.

Bei den online gestellten Anträgen ist eine innerbehördliche Organisationsstruktur notwendig, die weder eine Bevorzugung noch eine Benachteiligung in der Bearbeitungsdauer der Anträge erlaubt.
Möchte ein Beispiel geben dafür, wie solch eine digitale Verwaltung bei einem unserer Europäischen Nachbarstaaten in der Praxis funktioniert:

Muss zusätzlich eine Steuererklärung in den Niederlanden abgeben. Dies ist sowohl mit dem C-Formulier "Aangifte voor buitenlandse inkomstenbelastingplichtige" auf schriftlichem Wege aber auch online möglich. Zur Identitätskontrolle wurde auf telefonische Anfrage vom Finanzamt ein Brief zur Bestätigung mit dem sogenannten Pin-Code an die Meldeadresse in Deutschland geschickt. Erst nach Unterschrift und Rücksendung wird der Pin-Code aktiv. Dieses Verfahren wurde seit ein paar Jahren eingestellt. Es wurde durch die sogenannte DigiD, die digitale Identifikationsnummer ersetzt.

Mit der DigiD hat jeder, der sie beantragt und in den Niederlanden seinen festen Wohnsitz hat, Zugriff auf die Verwaltungsseiten der "Rijksoverheid" und des "Belastingdienst", dem Finanzamt. Auf diesen Seiten werden dann Formulare zur Antragstellung verschiedenster Transferleistungen und Beihilfen angeboten.

Leider trifft das keineswegs auf Bürger zu, die zum Beispiel in Deutschland als Grenzgänger ihren festen Wohnsitz haben. Um nun den Verwaltungsaufwand zu vereinfachen, bekommen nun auch die "Buitenlandse" eine Art DigiD, allerdings mit eingeschränkter Funktionalität.

Dafür mussten in zwei getrennten Briefen einmal die Logindaten und das Passwort per Post aus den Niederlanden verschickt werden. Dadurch entstand den Behörden ein enormer Verwaltungsaufwand. Für Niederländer gilt eine bußgeldbedrohte Abgabepflicht für Steuererklärungen. Da es somit gut erklärlich ist, dass es regelmäßig zu Serverzusammenbrüchen kommt, wenn die Termine zur Steuererklärungsabgabe näher rücken, haben die Niederländer die Termine für die Abgabe der Steuererklärung der Ausländer schon nach hinten geschoben. Sie organisieren die Behördenarbeitsabläufe effizient. Das wird dann dadurch erreicht, dass ein Login vor der Freischaltung der Webseite überhaupt nicht möglich ist. Der Antragsteller besitzt dann zwar die korrekten Logindaten und das richtige Passwort, kann sich aber nicht einloggen, es kommt immer wieder zu Fehlermeldungen.

Die Flut der Beschwerden, die sich dadurch ergeben hatte, belastete die Behörden zusätzlich. Ja, sogar in Twitter wurde vom "Belastingdienst" um Geduld gebeten. Die Seite wäre am folgenden Tag freigeschaltet, nicht wie am in den Briefen angegebenen Datum. Trotzdem funktionierte ein Login auch am Folgetag nicht. Erst etwa drei Tage später konnte ich meine Steuererklärung online abgeben.

Und das Verfahren, um an eine neue DigiD zu kommen, falls man diese einmal verloren hat, ist geradezu mit sehr hohem Aufwand verbunden. Man muss nach Rotterdam fahren, sich dort persönlich an einem Schalter einen Freischaltcode holen und den dann erst zu Hause wieder zu aktivieren versuchen. Wenn man Pech hat, ist der Code von der Behörde auch noch nicht freigeschaltet, da aus Sicherheitsgründen nur eine bestimmte Anzahl pro Tag vorgesehen ist.

Man sieht sofort, dass die Online-Antragsannahme und -bearbeitung voll in der Hand der Behörde liegt. Sie kann ihre Server einfach abschalten, kann mit dem Antragsteller nach ihren Vorstellungen verfahren, ohne dass dieser eine direkte Online-Beschwerdemöglichkeit hätte. Ein Widerspruch ist nur schriftlich möglich.

Bevor Online-Antragsabgabe-Verfahren hier eingeführt werden sollen, müssen sie so optimiert werden, dass weder ein Betrug oder ein Identitätsschwindel möglich sind, noch ein übermäßiger Kontrollaufwand sowohl für die Behörde als auch für den Antragsteller entsteht.

» Gorgen_ » Beiträge: 1058 » Talkpoints: 374,04 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



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