Der Förderwahn greift um sich - Muss das sein?

vom 30.07.2008, 19:34 Uhr

Ich denke es kommt darauf an mit welcher Erwartungshaltung man da rangeht. Also, es ist ja schon erwiesen, dass Kinder schon sehr früh in der Lage sind zu lernen, gerade auch Fremdsprachen. Und gerade im Kindergarten Alter haben die meisten Kinder ja auch einen natürlichen Drang neues zu lernen und Dinge auszuprobieren. Da ist es doch sinnvoll dem entgegenzukommen mit entsprechenden Angeboten.

Problematisch wird es doch erst dann wenn die Eltern Vergleiche mit anderen Kindern anstellen oder von ihrem Kind eine bestimmte Leistung erwarten. Wenn das lernen eben nicht mehr Spass und Spiel ist. Oder wenn die Eltern darauf bestehen, dass das Kind irgendwohin geht obwohl es eindeutig überfordert ist.

Es gibt sicher Eltern, die sich über ihre Kinder profilieren wollen, aber es ist doch auch so, dass heute viel mehr Leistung erwartet wird. Mit einem Hauptschulabschluss bekommt man doch so gut wie keinen Ausbildungsplatz mehr und wenn man es auf das Gymnasium schafft muss man heute in den meisten Bundesländern das in 12 Jahren lernen für das ich 13 Jahre Zeit hatte. Natürlich wollen die Eltern, dass ihr Kind einen guten Start in die Schulkarriere hat, den davon hängt ja fast alles ab.

Und dann denke ich auch, dass jemand, der sich mit Mitte 30 dafür entscheidet das erste Kind zu haben (was ja heute nicht mehr so selten ist) sich viel mehr Gedanken um das Wohl des Kindes macht, als jemand der viel weniger Zeit hatte über das alles nachzudenken, weil er eben viel früher im Leben Kinder bekommen hat. Was jetzt natürlich nicht heissen soll, dass junge Eltern schlechte Eltern sind, ich habe einfach beobachtet, dass sie oft "unverkrampfter" an das Thema rangehen und keine 20 Bücher über Kinderthemen im Schrank stehen haben.

Aber ich finde, die Kinder sind zumindest im Krippenalter in einem Alter, wo man noch gar nicht weiß, ob sie sprachbegabt sind oder nicht - und ein Kind, das vielleicht schon einsprachig Probleme hat dann ständig mit Englisch oder Chinesisch zu bombardieren in der Kita halte ich für wenig sinnvoll.

Ehem, ich denke das ist genau das Alter in dem eine Sprachbegabung angelegt wird. Und überhaupt kann man eine Begabung durch nur erkennen indem man sich mit Sprache befasst. Ich meine, wie will ich den feststellen ob ein Kind Sprachbegabt ist wenn ich es keine Fremdsprache lernen lasse?

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



Hallo,

ich denke auch, dass viele Eltern es mit der "Förderung" übertreiben. Ich habe das Wort mal in Anführungszeichen gesetzt, weil Förderung sich für mich eher auf die Unterstützung von Kindern mit Entwicklungsschwierigkeiten bezieht.

Es stimmt, dass einige Eltern ihren Kindern zu viele Aktivitäten aufhalsen, so dass ein Kindergartenkind wöchentlich noch vier Extratermine an den Nachmittagen hat. Die Sachen die da Angeboten werden sind bestimmt auf ihre Art sinnvoll. (Sprachkurse für Kleinkinder zielen im Übrigen nicht auf den dauerhaften Erwerb einer Fremdsprache – sozusagen im Voraus - sondern auf die "Denkentwicklung".) Stellt sich nur die Frage, ob man dem Kind damit einen Gefallen tut. Wenn das Kind zu diesen Kursen gedrängt werden muss halte ich überhaupt nichts davon.

Treibende Kraft hinter dem "Förderwahn" dürfte eine "Förderindustrie" sein, die den Eltern ein schlechtes Gewissen und vor allem Angst vor der Zukunft "ungeförderter" Kinder macht. Zudem spielt die "Förderung" als Statussymbol eine Rolle, da das Ganze ja auch eine Menge Geld kostet. Viele Leute, die eigentlich knapp bei Kasse sind, kratzen die letzten Kröten zusammen und schicken ihre Sprösslinge zum Englisch weil sie meinen, dann hätten sie was "sichtbares" für ihre Kinder getan. Den Rest der Zeit kräht dann kein Hahn mehr danach, wie die Kleinen sich beschäftigen bzw. wie man ihnen Anregungen zum selbständigen Lernen geben könnte. Der Knaller sind dann "Lern"spiel-Konsolen für Vierjährige die dann nur noch den halben Tag vor den Fernseher dürfen... :wink:

Allerdings gibt es auch das andere Extrem, dass übertriebenes Lernen vor Schulbeginn gerne vermeiden möchte. Dafür habe ich kein Verständnis. Wenn ein Kind lesen, schreiben, rechnen oder meinetwegen Chinesisch will: Bitteschön! Man macht ja jede Motivation zunichte wenn man die Kinder so ausbremst. Die kommen dann mit Riesenerwartungen in die erste Klasse weil sie denken dort endlich Antworten auf alle ihre Fragen zu bekommen und müssen dann die ersten Wochen nur Schwingübungen machen...

Grüße

» gubbelgubbel » Beiträge: 123 » Talkpoints: 1,88 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Cloudy24 hat geschrieben:
Aber ich finde, die Kinder sind zumindest im Krippenalter in einem Alter, wo man noch gar nicht weiß, ob sie sprachbegabt sind oder nicht - und ein Kind, das vielleicht schon einsprachig Probleme hat dann ständig mit Englisch oder Chinesisch zu bombardieren in der Kita halte ich für wenig sinnvoll.

Ehem, ich denke das ist genau das Alter in dem eine Sprachbegabung angelegt wird. Und überhaupt kann man eine Begabung durch nur erkennen indem man sich mit Sprache befasst. Ich meine, wie will ich den feststellen ob ein Kind Sprachbegabt ist wenn ich es keine Fremdsprache lernen lasse?

Da kann man sich sicher streiten - ich denke halt, dass es in manchen Fällen auch kontraproduktiv sein kann, wenn man zu früh anfängt. Wenn das Kind ganz natürlich in einer zweisprachigen Umgebung aufwächst, ist es etwas anderes. Aber ich meine diese Förderung, die man den Kleinkindern so umstülpt wie die Krippe für 1000 EUR (so etwas gibt es wirklich entfernte Bekannte meiner Eltern zahlen tatsächlich so viel), wo man Chinesisch lernt und andere "Förderprogramme" durchläuft.

Ich könnte mir vorstellen, dass ein Kind, das sich schwer tut, dadurch unter Umständen beispielsweise noch später anfängt, zu sprechen. Längerfristig mag das nicht schaden, aber auch der Nutzen ist längerfristig gesehen fragwürdig.

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» netti78 » Beiträge: 3238 » Talkpoints: 18,35 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Die 1000 Euro sind pro Monat und Kind? :shock: Ja, man kanns auch übertreiben. Chinesisch ist nicht wirklich sinnvoll finde ich (ausser man will nach China auswandern will oder wenn man es eh zuhause spricht), und es ist doch ehrlich gesagt auch eher eine Modeerscheinung.

Ich habe bei Sprachförderung im Kindergarten an Sprachen gedacht, die in der Grundschule weiter unterrichtet werden und von denen das Kind auch etwas im Alltag mitbekommt. In meiner Gegend wird zum Beispiel in vielen Grundschulen ab der ersten Klasse Französisch angeboten und es gibt auch eine Reihe Deutsch-Französischer Kindergärten, weil wir direkt an der Grenze wohnen. Oder Englisch wird ja auch oft angeboten von der ersten Klasse an.

Bei Chinesisch ist es sicher meistens so, dass man keine Grundschule mit Chinesisch Unterricht findet und es dann auch später erst als zweite oder dritte Fremdsprache im Gymnasium wählen kann. Und bis dahin hat man das, was man mit 5 oder 6 gelernt hat schon längst wieder vergessen. Dazu kommt ja auch noch das Problem, dass Chinesisch sprechen noch lange nicht Chinesisch lesen und schreiben können bedeutet. Also selbst wenn man sich noch an seinen Kindergartenunterricht erinnert kann man damit später nichts anfangen.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



Das Problem ist eben immer den schmalen Grat zwischen Förderung und Überforderung zu halten. Natürlich muss man sich mit seinem Kind auseinandersetzen. Und sollte sich bei einem Kind bereits im Kleinkindalter eine überdurchschnittliche Begabung manifestieren, sollte man die weitere Entwicklung dessen unterstützen. Eine Freundin von mir, die inzwischen Kunst studiert, konnte bereits im Kindergartenalter wahnsinnig gut zeichnen. Darum hat ihr Vater ihr Skizzenblöcke und richtige Auarellstifte gekauft und ihr gezeigt, wie man damit umgeht. Das finde ich sehr gut und es hat sich ja auch ausgezahlt. Er hat sie allerdings nie gezwungen malen zu üben, wenn sie gerade lieber puzzeln oder mit Puppen spielen oder Kasette hören wollte. Und das ist der Punkt.

Ich denke nettis Leseentwicklung ist ein ähnliches Beispiel. Sie hat etwas früher als üblich gelernt, weil sie es selber wollte und Spaß daran hatte. Aber es kann eben auch furchtbar schiefgehen, wenn man es falsch anfängt und übertreibt: Ich habe mal ein Jahr im Kindergarten gearbeitet und dort hatte ich ein kleines Mädchen, die auch schon etliche Wörter schreiben, lesen und buchstabieren konnte und mit einiger Konzentration auch die Namen ihrer Freundinnen lesen und buchstabieren konnte, ohne dass die Erzieherinnen ihr dabei geholfen hätten.

Sie rechnete auch bereits im Zwanzigerraum. Zunächst war ich recht beeindruckt und habe sie gefragt, woher sie das kann. Da erzählte sie mir, dass sie jeden Nachmittag zwei Stunden mit ihrer Mutter üben müsse, damit sie, wenn sie nächstes Jahr eingeschult würde, einen Vorsprung habe und das beste Zeugnis bekäme. Am liebsten sollte sie gleich ins zweite Schuljhr gehen. Da war ich dann doch einigermaßen schockiert. Als ich die Kleine dann eingehender beobachtete, fiel mir auf, dass sie, wenn sie etwas gefragt wurde, meistens sehr nervös reagiert und, dass eine falsche Antwort für sie einem Drama gleichkam. Da fragt man sich doch, was für Druck da zu Hause aufgebaut wird.

Meine Mutter hielt mich, aus welchem Grund auch immer, für musikalisch begabt und hat mich deshalb zu Klavierstunden gezwungen. Ich hab es gehasst und leider fehlt mir auch das von ihr vermutete Talent fast vollständig. Darum stellte der Klavierunterricht für mich nur eine Belastung dar. Wirklich gut spielen kann ich trotz neun Jahren Unterricht leider nicht. Zwei Beispiel für völlig missglückte, fehlgeleitete Förderungsversuche, die, da würde ich mich nettis Theorie anschließen, wohl aus dem übersteigerten Geltungsbedürfnis der Eltern resultieren. Es gibt einen Song von Alanis Morisette, "Perfect", der dieses spezielle Eltern-Kind-Verhältnis gut beschreibt.

Es ist bestimmt wichtig und richtig, dass man sich bemüht Kindern alle Türen offen zu halten und sie ihren Talenten entsprechend bestmöglich zu fördern. Aber wenn das ganze in Stress und Leistungsdruck ausartet, widerspricht das meiner Auffassung nach den Kriterien "bestmöglich" und "fördern". Dann ist es nämlich nur noch "fordern" und "drillen", und das trägt wohl kaum zum Kindeswohl, oder dem des späteren Erwachsenen, bei.

» Sorcya » Beiträge: 2904 » Talkpoints: 0,01 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Guten Abend,

also mein Sohn lernt alleine nicht so gerne wie als wenn andere Kinder dabei sind, z.B. haben sie einen Ausflug unternommen zum Thema "Kleines Gespenst" und er hatte so eine Freude daran mir zu berichten, wie die Geschichte ablief, was das kleine Gespenst so erlebte usw.

Er hatte nun einige Monate lang 1x die Woche Englisch-Unterricht im Kindergarten, aber eben nur die Kinder die auch wollten und er war dabei und lernte "spielerisch" einige englische Begriffe (Toaster, Jeans usw.). Mehr aber auch nicht, denn in der Schule bekommen sie von diesem Thema : Englisch noch genug mit. Die Kinder lernten die Begriffe : mother, father usw. und mein Sohn sang am Ende zuhause auch ab und an den Teddybear Song mir vor. :)

Ich versuche meinen Sohn momentan sehr zu fördern, denn ich merke immer wieder wieviel Potenzial in ihm steckt und er beherrscht die Zahlen langsam extrem gut und fängt nun auch an die Buchstaben können zu wollen. Heute erfuhr ich sozusagen, das er das bei einem Kindergartenfreund abgeschaut hätte, der nun auch unbedingt die Buchstaben können möchte. Vieles muss man seinen Kindern gar nicht mehr beibringen, denn sie schauen es sich im Kindergarten bei anderen ab, u.a. auch die Motivation oder eben das das sie entdecken wollen selbst.

Ich finde Förderung ist sehr wichtig, nur man muss schauen wann "Schluss" ist und wann es dem Kind zuviel wird, denn viele Kinder verlieren dann den Spaß am lernen und so kommen die Probleme in der Schule, sodass man ihm den Spaß wieder erlernen muss, den man an den Zahlen & Buchstaben und was sonst noch in der Schule vorfällt bekommt.

lieben Gruß,
SybeX

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» SybeX » Beiträge: 3896 » Talkpoints: 11,19 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


Fördern ist gut und schön, aber bitte alles in Maßen. Ich finde es zum Beispiel gut, wenn Kinder bereits im Kindergarten spielerisch mit der englischen Sprache umzugehen lernen. Wobei die Betonung auf spielerisch liegt. Es hat keinen Sinn, 4- oder 5-jährige Knirpse an einen Tisch zu setzen und mit ihnen Vokabeln durchzupauken, ohne dass sie Spaß daran haben. Häufig wird das Ganze aber mit Spielen verbunden und dann haben die Kinder doppelt etwas davon.

Schlimm finde ich es jedoch zu sehen, was manche Kameraden unserer Kinder alles an Programm haben. Das fängt mit Musikunterricht an, geht über Theatergruppe und hört mit Tanzunterricht auf. Häufig bleibt den Kindern kein einziger Tag unter der Woche, etwas mit Freunden zu unternehmen. Das schlimmste daran ist jedoch, dass gerade diese förderwahnsinnigen Eltern in unserem Umfeld allen Ernstes von den Lehrern fordern, doch weniger Hausaufgaben aufzugeben, damit den Kindern noch genug Zeit nach dem Sport, Musikunterrich etc. bleibt. Da frage ich mich wirklich, ob diese Eltern überhaupt merken dass sie diejenigen sind, die ihre Kinder stressen, und nicht die Lehrer.

Unsere Kinder haben jeweils 2 Nachmittage in der Woche, die mit Vereinsaktivitäten "besetzt" sind. Wenn einer von ihnen noch etwas anderes machen wollen würde, dann müsste er dafür ein anderes Hobby aufgeben, denn wir bestehen darauf, dass den Kindern genug Zeit zum Ausspannen bleibt und sie nicht von einem Termin zum nächsten hetzen müssen.

» Nicky14 » Beiträge: 743 » Talkpoints: 0,09 » Auszeichnung für 500 Beiträge



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