Kein Nachwuchs in Sicht

vom 12.11.2008, 22:04 Uhr

Ich arbeite in einer Behörde im öffentlichen Dienst und habe schon seit längerem festgestellt, das wir total überaltert sind. Heute haben wir wieder einen verdienstvollen Kollegen verabschiedet mit den üblichen salbungsvollen Reden. Ersetzt wird er natürlich nicht, die Arbeit wird verteilt. Um es kurz auf einen Nenner zu bringen, ich war vor zwanzig Jahren der Jüngste und bin es auch heute noch.

Niemand will oder kann sich durchringen, dem Nachwuchs eine Chance zu geben. Ich halte es für sehr wichtig, einmal frisches Blut in diese autake Gesellschaft zu bringen. Alles läuft nach eingeschliffenen Abläufen ab, es gibt keine frischen Ideen oder unkonventionellen Lösungen. Wenn mal einer ausgebildet wird, wird er nicht übernommen oder noch schlimmer, ist sehr schnell wieder verschwunden, weil einfach keine Aufstiegsmöglichkeiten bestehen oder jede Reformbewegungen im Keime erstickt werden. Für einen selbst ist es auch sehr frustrierend. Ich will mich wirklich nicht beklagen, ich schätze meinen sicheren Arbeitsplatz, ich fahre auch sehr gerne jeden Tag hin und mache meine Arbeit so gut es geht und freue mich auf die Dinge, die der Tag so bringt.

Es ist ein bischen wie eine große WG oder in einer Ehe, jeder kennt die Macken der Anderen, weiß, wen er morgends besser aus dem Weg gehen sollte, wen er besser nicht auf sein Familienleben anspricht und wer nur darauf wartet von seinen Krankheiten erzählen zu dürfen.

Ist das noch normal? Ist das nur eine Erscheinung aus dem öffentlichen Dienst, wo jeder an seinem Stuhl klebt und keine Fehler machen möchte (Tenor: Wer arbeitet macht Fehler, wer nicht arbeitet macht keine Fehler und wird befördert)? Ich weiß es nicht. Wie sind eure Erfahrungen? Ich bin nicht der große Macher, aber die Situation ist doch echt frustrierend. Schreibt aber bitte nicht „deine Sorgen möchte ich haben“, das wäre etwas zu einfach.

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» hooker » Beiträge: 7217 » Talkpoints: 50,67 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Erstmal sehr verantwortungsbewusst, wie du so einen Blick auf die gesamte Gesellschaft wirfst. Ich fürchte fast, du hast da in zweierlei Punkten völlig Recht. Zum einen wird die Gesellschaft wirklich immer träger und sorry, fauler. Vor allem in Sachen Bildung und Ausbildung. Hinzu kommt noch, dass die schulischen Anforderungen immer höher werden. Junge Erwachsene, die dann "nur" einen Real- oder Hauptschulabschluss haben erhalten dann immer häuifger eine schlechte Abschlussnote, sodass die nicht großartig die Wahl haben und schnell frustriert sind.

Zum Anderen hat das sicherlich auch etwas mit dem Öffentlichen Dienst zu tun, da sind viele Berufsbilder einfach nicht prestige-haltig genug, um mit den Jobprofilen der großen Firmenbosse (ein Berufsziel, das ja nahezu alle anzustreben scheinen ;-) ) mithalten zu können. Viele Abiturienten und Hochschulabsolventen wollen sich lieber in der freien Wirtschaft austoben, und hier sind die Regeln auch häufig ein wenig anders als vielleicht im Öffentlichen Dienst, also vermute ich zumindest.

Die meisten Abiturienten und Uni-Absolventen kommen durch ihre Connections in die Unternehmen. Und wenn man da erst mal drin ist, möchte man so schnell auch nicht mehr gehen, so viel kann ich dazu verraten. Denn wer hier wichtige Leute kennenlernt, kommt - auch mithilfe des passenden Abschlusses - wohin auch immer er möchte, vor allem in den großen Konzernen kommt da eine ganz eigene kleine Gesellschaftsordnung zustande.

Wer hier erstmal einen Fuß in der Tür hat, hat Vorteile, die in wenigen anderen Bereichen in der Art gar nicht möglich sind. Nachteile sind dabei elitäres Denken und ungeheuer großer Wettbewerbdruck, der vor allem die jungen Leute stark unter Druck setzt, aber die sind natürlich auch froh, erstmal irgendwo angekommen zu sein und dann wollen sie natürlich auch dort bleiben und ihre Chancen ausnutzen, anstatt das Risiko eines Wechsels einzugehen.

Ein anderen Problem liegt jedoch auch in der Information der jungen Menschen. Die meisten Schüler kennen die Arbeitswelt eben nur von Mami und Papi, ein meist nicht besonders breiter oder vielfältiger Eindruck, der da entsteht. Deswegen machen dann eben auch viele junge Menschen Praktika beim Arbeitgeber eines Elternteil oder bei dem Lieblings-Frisör-Salon oder eben anderen Bereichen, die sie aus dem täglichen Leben kennen. Ganz so oft kommen junge Menschen ja mit den meisten Bereichen des Öffentlichen Dienstes gar nicht so bewusst in Berührung, vielleicht kann eure Dienstelle ja mal Infos an Schulen etc verteilen, damit die mal einen kleinen Eindruck kriegen, oft reagieren nämlich nur Vorurteile über das Spießer Beamtentum.

» KGrimm » Beiträge: 15 » Talkpoints: 0,01 »


Bei mir auf der Arbeit ist´s ähnlich wie bei hooker. Ich bin auch im öffentlichen Dienst (Stadtverwaltung) tätig und war bei uns vor 7 Jahren, als ich begonnen habe, mit Abstand der jüngste und bin das bis heute geblieben. Obwohl inzwischen viele Kollegen in den Ruhestand verabschiedet worden sind. Aber es wird niemand neues eingestellt, weil man Personalkosten sparen muss. Die Arbeit wird einfach verteilt mit dem Resultat, dass nun vieles liegen bleibt, was eigentlich getan werden müsste.

Besonders verschärft hat sich das Ganze durch die Verwaltungsreform in Sachsen. Da wurden viele Aufgaben an die Städte und Gemeinden übertragen, aber es wurde kein zusätzliches Personal eingestellt. Derzeit macht man nur das, was gerade am dringendsten ist, alles andere bleibt liegen. Ich glaube nicht, dass sich unser Bürgermeister damit langfristig einen Gefallen tut. Erstmal spart er zwar etwas ein, aber das tut er auf Kosten der Zukunft, weil es irgendwann so nicht mehr funktionieren wird. Wenn er Glück hat, ist das erst nach seiner Amtszeit.

Bei uns wird jetzt bald ein neuer Hauptamtsleiter eingestellt, das ist einer der nur noch 5 Jahre bis zur Rente hat. Ich verstehe nicht, was das soll und warum man nicht jemand jüngeren einstellt. Die Verwaltung ist hoffnungslos überaltert. In 5 - 10 Jahren geht die Hälfte aller Kolleginnen in den Ruhestand, das weiß man schon, aber es werden keine Vorbereitungen getroffen, um dann geeignetes junges Personal zu haben. Wir haben nichtmal einen einzigen Azubi, weil der ja Geld kosten würde.

» Estrella78 » Beiträge: 685 » Talkpoints: 1,13 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Ich kenne das beschriebene Problem sehr gut. Und zwar von beiden Seiten. Ich habe ien duales Verwaltungsstudium hinter mir und arbeite jetzt seit Oktober im öffentlichen Dienst. Dabei fällt mir immer wieder die alternde Verwaltung auf.

Zuhause, wo ich auch meine Praxissemester absolviert habe, bin ich nicht übernommen worden. Weil ja keine Stellen frei sind und so bald auch nicht frei werden.Dabei liegt der Altersdurchschnitt weit über 50. Ich habe dann versucht anderswo in Sachsen einen Job zu finden. Aber außer befristeten Stellen als Vetretung für Elternzeit gab es einfach nichts. Viele Kommunen bilden ja nichtmal aus, obwohl sie ihre Altersstrucktur und den steigenden Bedarf kennen. :(

Jetzt arbeite ich im öffentlichen Dienst in Bayern. Auch hier ist mir der Nachwuschsmangel sehr schnell bewusst geworden. Die Altersstrucktur ist zwar nicht ganz so krass, aber eben auch veraltet. Außerdem arbeite ich derzeit für zwei, da nicht vorgesehen ist, neue Mitarbeiter zu gewinnen. Und das, obwohl bald wieder zwei Kollegen gehen und wir ab Januar 300 Fälle pro Nase dazu bekommen sollen. Ich bin gespannt, wann ich das schaffen soll. :(

» sugar-pumpkin » Beiträge: 661 » Talkpoints: 67,64 » Auszeichnung für 500 Beiträge



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