Wie wird man zum Verschwörungstheoretiker?

vom 26.12.2021, 10:45 Uhr

Gerade durch die ganzen Coronademos hat man schon einige Verschwörungstheorien mitbekommen und an was solche Leute glauben. Für mich macht das Gesagte dort wirklich keinen Sinn und ich kann nicht nachvollziehen, wie man in solche Gedankenwelten abrutschen kann. Was ich mich aber wirklich frage ist wie man dazu kommt. Habt ihr so einen Prozess vielleicht schon in eurem Umfeld mitbekommen? Wie lief das ab? Wie wird man so?

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Das ist ein wirklich schwieriges Thema und ich glaube die Frage lässt sich auch gar nicht so einfach beantworten. Ich meine, Leute die teilweise aus Spaß ihre Fantasie bemühen sind Teil davon aber bei anderen ist es wirklich Überzeugung z.B. an UFOs zu glauben. Diese Leute gab es schon immer und gibt es auch zuhauf und nicht nur in Deutschland oder den USA sondern eigentlich überall auf der Welt. Es ist ja auch teilweise einfach wie ein modernes Märchen, wenn solche Geschichten erzählt werden.

Ich frage mich deswegen manchmal ob man wirklich feststellen kann, woher jemand solche Gedanken entwickelt hat. Und es ist auch wichtig zu sagen wo ist denn die Grenze? Ist es schlimm, wenn jemand an UFOs oder Aliens glaubt? Und ist das vielleicht die Basis für weitere Entwicklungen und weitere Glaubenssätze, die sich dann einschleichen? Ich kann das eigentlich nicht wirklich beantworten.

Und auch bei den sogenannten Verschwörungstheorien über die aktuelle Krise ist es ja auch so, dass man die nicht alle in einen Topf werfen kann! So war es zumindest "Fake News", dass die Regierung z.B. eine Impfpflicht einführen wollen würde. Das ist offensichtlich nicht der Fall, sondern Realität jetzt. Dies kann man absolut nicht vergleichen mit jemanden, der mit Chips, die von Microsoft hergestellt werden, argumentiert.

Woher kommen solche Gedanken? Ich denke viel ist auch eine gewisse Enttäuschung mit der Art und Weise, in der es momentan einfach auf der Erde läuft. Viele Menschen fühlen sich abgehängt, sei es finanziell oder eben auch wissenstechnisch, da unsere Welt immer komplexer und schwieriger zu begreifen ist.

Wie soll man da noch mithalten? Kann man überhaupt noch alles überblicken, alles verstehen? Und wenn das nicht der Fall ist, vielleicht ist es genau diese Unsicherheit, die Menschen dazu treibt sich eine einfachere Erklärung zurechtzulegen. Sich also eine Erklärung zurechtzulegen, die begründen kann, wieso sie sich so außen vor gelassen fühlen: Es läge dann nicht an ihnen, sondern eben an diesen Mächten, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen.

Abschließend kann ich es natürlich nicht beantworten, und ich weiß auch nicht genau, was jemanden genau antreibt, der an sowas glaubt. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen dass es momentan einfach eine gewisse Überforderung mit der Welt, dem technischen Fortschritt, der momentan rasant ist, und der immer weiter fortschreitenden Globalisierung.

» Lily » Beiträge: 173 » Talkpoints: 43,13 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Das sagt sich immer so leicht, dass man sich ja überhaupt nicht vorstellen kann wie jemand an eine Sekte geraten konnte oder in die Naziszene abgerutscht ist oder jetzt eben eine globale Pandemie leugnet. Vielleicht fühlt man sich dann auch ein bisschen überlegen und schlauer, aber so einfach ist das eben nicht.

Es hat schon genug Leute erwischt, die weder dumm noch naiv noch sonst irgendwie geistig weniger gut ausgestattet waren. Deshalb denke ich, dass es jeden erwischen kann wenn die passenden Umstände zusammen kommen. Ich bin ein sehr rationaler Mensch aber ich glaube nicht, dass mich das in jeder Situation davor schützen kann an irrationale Dinge zu glauben.

Wenn du verstehen willst wie jemand zu seiner irrationalen Gedankenwelt gekommen ist musst du glaube ich nach der "Einstiegsdroge" suchen. Man fängt ja nicht bei 100% an, die ersten Schritte in dieser Welt sind meistens total harmlos und oft auch total gut nachvollziehbar für Außenstehende. Für mich ist es zum Beispiel total plausibel, dass die US Regierung vor den Anschlägen vom 11. September Hinweise und Warnung hatte und nicht darauf reagiert hat. Ich bin deshalb nicht bei irgendwelchen Verschwörungstheorien gelandet, aber für manch einen waren genau solche Überlegungen vielleicht der Einstieg in die Szene.

Ein weiterer Ansatz wäre wohl die Frage, was gerade im Leben der Person passiert ist als sie mit dem Verschwörungsglauben konfrontiert wurde. Es gibt sicher Situationen im Leben, in denen man anfälliger ist für so etwas. Menschen, denen es gut geht und die keine Probleme haben, finden selten eine neue Religion für sich. Aber wenn man Probleme hat können einfache Antworten auf komplexe Fragen wahrscheinlich schon sehr einladend wirken.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



Ich glaube auch nicht, dass man Menschen, die sich Verschwörungsmythen zuwenden, pauschal als dumm, ungebildet oder naiv abtun, und sich selber bei der Gelegenheit gleich als total rationale, aufgeklärte Geistesgröße aufspielen kann. Die Lebenswirklichkeiten sind nun mal unterschiedlich.

Ich kann mir beispielsweise vorstellen, dass für manche Menschen einfach nicht sein kann, was nicht sein darf. Sprich, wenn man den Gedanken, dass allein hierzulande schon über 100 000 Menschen an einer ansteckenden Krankheit gestorben sind, und auch junge und gesunde, wirklich an sich heranlässt, kann es einem schon angst und bange werden.

Und manche Leute kneifen dann eben im übertragenen Sinne die Augen zu und singen Lalala, weil sie sich nicht vorstellen können und wollen, dass ihre Kinder Lungenschäden davontragen oder Schlimmeres. Und wenn dann jemand kommt und sagt: Du, hab keine Angst, das ist alles frei erfunden! verstehe ich schon irgendwie, dass diese Botschaft tröstlicher ist als der tägliche Bodycount der offiziellen Stellen.

Alternativ könnte ich mir beispielsweise auch vorstellen, dass sich manche Menschen sowieso von "denen da oben" durchaus auch zu Recht eigentlich nur verarscht und ausgenutzt fühlen und nach ihren persönlichen Erfahrungen gute Gründe haben, den offiziellen Stellen kein Vertrauen zu schenken.

Wenn da irgendein wichtigtuerischer Akademiker dazu rät, nicht mehr so oft in den Urlaub zu fliegen und im Home Office zu arbeiten, und du entbeinst im Schlachthof im Akkord Rinderhälften für einen Hungerlohn und fliegst garantiert nirgendwo hin, bist du wahrscheinlich auch nicht geneigt, die anderen wohlmeinenden Tipps und Ratschläge anzunehmen, die aus den oberen Schichten zu dir nach unten rieseln. Und wenn dann jemand sagt: "Da hast du ganz recht, du bist da was auf der Spur, das können sich die überfressenen Urlaubsflieger da oben gar nicht vorstellen!" hat das beispielsweise schon auch seinen Reiz.

» Gerbera » Beiträge: 11292 » Talkpoints: 42,29 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Der Gründe gibt es sicher viele und vermutlich schon Dutzende akademische Studien oder Essays über die Gründe, Verschwörungstheorien anzuhängen. Früher waren das ja eher seltsame Vögel, die vereinzelt in der Dorfkneipe am Tresen hingen und glaubten, dass Elvis noch lebt, in Area 51 wirklich Alienleichen liegen, Ufos schon lange bekannt sind, 9/11 eine abgekartete Verschwörung war oder später am Himmel Chemtrails wähnten. Wahrscheinlich hat es auch vor Jahren schon Ecken im Internet gegeben, wo sich solche Glaubensanhänger getroffen haben und keinem wehtaten.

Heute, mit Qanon oder den Querdenkern, ziehen sich diese Glaubensgrundsätze aber plötzlich in die so oft sprichwörtliche Ecke der Gesellschaft. Ich denke schon, dass das ganz viel mit Angstabwehr zu tun hat, also besonders Leute betroffen sind, die sich entweder immer ungerecht behandelt fühlen oder unter sehr starken Ängsten leiden, die sie gar nicht aushalten können. In meinem weiteren und näheren Umfeld gibt es zwar keine ausgemachten Verschwörungstheoretiker, aber schon zwei Leute, die zumindest die äußeren Kreise dieser Denkansätze mindestens touchieren, Corona sei Dank.

In einem Fall hat mich die Leugnung der Gefährlichkeit von Corona sehr überrascht, weil die Frau selbst als Krankenschwester gearbeitet hatte. Seit den Anfängen von Corona war eigentlich ständig Verleugnung im Spiel. Das fing an, dass die Nachrichten aus China Fake wären, dass das Virus sowieso niemals nach Europa käme. Als es dann da war, kam es natürlich aus einem Labor und die Chinesen stünden schon mit dem längst vorbereiteten Impfstoff in den Startlöchern, der spätestens im Spätsommer auf der ganzen Welt verteilt würde. Irgendwann ging es dann soweit, dass Corona sowieso nur eine "Grippe" war und dass selbst die Tagesschau (!) das jetzt endlich zugegeben hätte. Ein ziemlicher Verlust der Realität.

Sie fing dann an sich zu radikalisieren, pseudopolitische Gruppen auf Facebook zu gründen, in der sie die Abschaffung der Regierung forderte und schloss sich final den Querdenkern an. Es würde mich nicht wundern, wenn sich dieser Weg zunehmend fortsetzen wird. Und eine Freundin habe ich quasi verloren, weil sie nur noch über die gewollte Spaltung der Gesellschaft seitens der Politik redete und schon vor einem Jahr schier durchdrehte wegen einer drohenden Zwangsimpfung. Ihre Informationen bezieht sie aus den typischen bekannten Kreisen der Querdenker wie Bakdhi, Schiffmann und wie sie alle heißen.

Leider hat die zunehmende Paranoia sich sogar auf Freundschaften ausgeweitet und sie wähnte alle möglichen Leute als unter einer Decke steckend, sodass sie schließlich jedem die Freundschaft kündigte. Wie ich hörte, versumpft sie immer mehr in Kreisen, die als Verschwörung Theoretiker nah gelten. Ich glaube auch nicht, dass es sobald für sie dort einen Ausweg geben wird, obwohl viele einiges versucht haben, sie in der Sache zu stabilisieren. So oder so, in beiden Fällen hat mich dieses Corona bedingte Abrutschen mehr als überrascht, ich hätte es bei keiner gedacht.

» Verbena » Beiträge: 4789 » Talkpoints: 3,77 » Auszeichnung für 4000 Beiträge


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