Geistige Verwirrung als mildernder Umstand bei Vierfachmord?

vom 08.11.2012, 23:45 Uhr

Heute war ja der mit Spannung erwartete Urteilsspruch zum Vierfachmord eines Vaters an seinen 4 Kindern.
Nicht das ich nur die verhängten 15 Jahre viel zu wenig finde, ich kann der ganzen Argumentation des Gerichts absolut nicht folgen. Eine lebenslange Haft wurde demnach schon von der Staatsanwaltschaft nie in Erwägung gezogen und man sprach lieber von einer Persönlichkeitsstörung und der Angeklagte sei ja zur Tatzeit im Zustand einer geistigen Verwirrung gewesen.

Ich komme da momentan absolut nicht mehr mit, man stelle sich doch nur mal die Signalwirkung vor, was das Urteil möglicherweise für Tore aufschlägt und wer da in Zukunft wohl alles mal ein wenig Persönlichkeitsgestört oder im Zustand geistiger Verwirrung war um sein zu erwartendes Urteil etwas abzumildern. Meint ihr ich sehe das etwas zu drastisch und welche Eindrücke bewegen euch bei derartigen Argumentationen und Urteilen?

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» supermami » Beiträge: 2317 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Deutschland ist in Rechtsstaat, sodass mit solchen urteilen gerechnet werden kann. Man kann sich nicht einfach so darstellen, als hätte man eine Persönlichkeitsstörung oder dergleichen. Es sind Fachleute, die das urteilen. Der Mensch bleibt hinter Gitter, egal ob in einem normalen Gefängnis oder in der Psychiatrie.

Es ist im Grunde egal, denn er kann niemanden etwas mehr antun. Darüber hinaus kann er, wenn er in der Psychiatrie landet, oft nicht damit rechnen, dass er da jemals wieder heraus kommt. Wenn die Ärzte nach 15 Jahren immer noch entscheiden, dass dieser Mensch zu gefährlich ist, kann er eine Zwangseinweisung bekommen.

Wenn jemand seine Kinder tötet, dann kann er im Kopf nicht ganz klar sein! Das ist wohl keiner, der so eine Tat begeht. Daher denke ich, dass er in der Psychiatrie besser aufgehoben ist, als im Gefängnis. Nun stelle Dir einmal vor, so ein Mensch ist im normalen Gefängnis. Der hat dann Zugang zu anderen Mithäftlingen, die sich seiner Haut auch nicht mehr sicher sind. So ist er in der geschlossenen und kann wirklich niemanden mehr etwas antun. Ich finde daher das Urteil gerecht und auch angemessen.

» davinca » Beiträge: 2246 » Talkpoints: 1,09 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


supermami hat geschrieben:Nicht das ich nur die verhängten 15 Jahre viel zu wenig finde,

Was willst du für "Mord" noch mehr verhängen? Das ist im Grunde schon Lebenslänglich und mir sind nur Terroristen der RAF bekannt, die man länger ohne Aussicht auf Begnadigung sitzen gelassen hat und noch sitzen lässt. Einfach, weil der Staat es kann - und hier ist es eine politische Entscheidung. Bei einem Mörder (ohne politischem Hintergrund) ist das einfacher. Hier ist davon auszugehen, dass tatsächlich ein Großteil der Zeit abgesessen wird. Wenn dir das wirklich "zu wenig" erscheint, dann überlege dir, was du die letzten 15 Jahre gemacht hast. Natürlich bleiben die Opfer auch nach der Zeit tot. Aber man kann mit keiner Strafe die Tat ungeschehen machen! Das ist auch bei Opfern von tödlichen Verkehrsunfällen so. Oder aber bei Totschlag. Den Opfern wird kein Urteil "gerecht". Und unser Rechtssystem basiert ja auch nicht allein auf "Rache" (außer vielleicht im Fall der RAF), sondern auf dem Gedanken der Resozialisierung - der Wiedereingliederung von Tätern in die Gesellschaft.

supermami hat geschrieben:Eine lebenslange Haft wurde demnach schon von der Staatsanwaltschaft nie in Erwägung gezogen und man sprach lieber von einer Persönlichkeitsstörung und der Angeklagte sei ja zur Tatzeit im Zustand einer geistigen Verwirrung gewesen.

Man spricht hier nicht davon, sondern folgt den zahlreichen und umfangreichen Gutachten, die vorher erstellt wurden. Ein Staatsanwalt kann nicht feststellen oder entscheiden, dass hier eine solche Persönlichkeitsstörung vorliegt. Ein Staatsanwalt kann sich hier höchstens den Gutachten anschließen oder dieses bezweifeln und ein weiteres Gutachten in Auftrag geben. Zur Strafe gehört ja auch, dass der zu Bestrafende für die Tat vollumfänglich verantwortlich gemacht werden kann. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist das auch bei der Strafe zu berücksichtigen!

supermami hat geschrieben:was das Urteil möglicherweise für Tore aufschlägt und wer da in Zukunft wohl alles mal ein wenig Persönlichkeitsgestört oder im Zustand geistiger Verwirrung war um sein zu erwartendes Urteil etwas abzumildern.

Vielleicht zur Klärung: auch der Mörder kann bei seiner Verhaftung nicht einfach angeben, verwirrt gewesen zu sein. Jede Tat wird letztlich einzeln betrachtet. Alles kommt in das Urteil mit hinein. So dürfte der Beweggrund der Tat ja auch eine enorm wichtige Rolle spielen. Außerdem: ein "abgemildertes" Urteil könnte ja auch so aussehen, dass der Täter nicht in Haft sondern für mindestens (!) die gleiche Zeit in eine geschlossene Anstalt kommt. Ob das wirklich besser ist - insbesondere für einen vollkommen gesunden Menschen? Was für Vorstellungen hast du eigentlich vom Strafvollzug oder eben der Unterbringung in geschlossene Anstalten und wie leichtfertig siehst du 15 Jahre als "wenig" an?

supermami hat geschrieben:Meint ihr ich sehe das etwas zu drastisch und welche Eindrücke bewegen euch bei derartigen Argumentationen und Urteilen?

Ich persönlich begrüße es sehr, dass wir hier ein Rechtssystem haben, welches tatsächlich alles berücksichtigt und nicht zu Urteilen kommt, die die Resozialisierung nie in den Fokus stellen. So kann man bei drastischen Urteilen wie in den USA (x-fach Lebenslänglich oder Gefängnisstrafen jenseits der 100-Jahre) eigentlich als aufgeklärter Mensch nur den Kopf schütteln. Viel "gerechter" sind diese nämlich nicht und fordern im besten Fall nicht noch ein weiteres Opfer.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Für mich sind die 15 Jahre auch zu wenig und 15 Jahre sind kein lebenslänglich für einen noch so jungen Mann. 15 Jahre ist ein Klacks für einen Vierfachen Mord. Wenn man für einen Mord 15 Jahre bekommt, dann ist das schon wenig. Aber wenn man 4 Menschen umbringt ohne dass man selber in Not ist und sich wehrt, 4 wehrlose Kinder ersticht, dann muss man mindestens das vierfache bekommen. Dann ist es auch lebenslänglich für diesen Mann. 4 x 15 Jahre ist ein angemessenes Urteil in meinen Augen. Auch wenn die Kinder dadurch nicht mehr lebendig werden. Aber so ein Mensch gehört für immer ins Gefängnis und darf nie wieder Kontakt mit Kindern haben.

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge



Warum Signalwirkung? Dieser Mann ist ganz sicher nicht der erste Straftäter, dem eine psychische Störung attestiert wurde. Wenn diese nun mal vorhanden ist, dann kann man eben in vielen Fällen davon ausgehen, dass die Tat im gesunden Zustand nicht begangen worden wäre, somit muss man die Erkrankung auch in das Urteil miteinbeziehen.

Dass deswegen nun jeder ankommt und behauptet, er hätte eine Persönlichkeitsstörung, glaube ich weniger. Erstens ist es sehr schwer bis unmöglich, eine derartige Erkrankung so glaubhaft vorzutäuschen, dass ein erfahrener Psychologe darauf hereinfällt, und zweites ist es in der geschlossenen Psychiatrie ganz sicher nicht "schöner" als im Gefängnis, zumindest nicht für jemanden, der eigentlich gesund ist und nur eine Erkrankung vortäuscht.

Eine wirkliche lebenslängliche Strafe gibt es im deutschen Rechtssystem nun einmal nicht. Jeder lebenslänglich verurteilte hat grundsätzlich die Möglichkeit, nach 15 Jahren freizukommen, wenn keine anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet wurde. Ich finde das nun auch nicht richtig und würde mir auch wünschen, dass es eine wirklich lebenslängliche Strafe gäbe, aber das hat mit diesem Fall nun wenig zu tun, da der Täter offensichtlich wirklich psychisch gestört ist und eben in die Psychiatrie gehört und das am besten für immer.

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» Jessy_86 » Beiträge: 5456 » Talkpoints: 0,18 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


@Diamante: Was aus dir spricht, dass wirst du nicht verneinen, ist aber in erster Linie die Wut und der Wunsch nach Vergeltung bzw. nach Rache. Das aber ist eher ein schlechter Ratgeber. Allein die fragwürdige Forderung, dass der Mensch nie mehr in Kontakt mit Kindern kommen soll, entbehrt wirklich jeder Grundlage. Denn der Mensch hat SEINE Kinder getötet, weil sich seine Frau/Freundin von ihm trennen wollte und er so befürchten musste, dass man sie ihm wegnimmt. Er war - auf Grund seiner psychischen Verfassung - eine massive Gefahr für SEINE Kinder. Es geht keine Gefahr für andere Kinder von ihm aus. Wieso also die absurde Forderung, ihn nicht mehr in Kontakt zu Kindern kommen zu lassen? Was wäre, wenn er nach seiner Haft eine Frau kennen lernt, die selber Kinder hat? Sollte er sich dann vor diesen Kinder verbarrikadieren? Sollte so eine Frau ein Kontaktverbot zu ihm auferlegt bekommen? Und dann noch mal zu den 15 Jahren: das ist tatsächlich ein massiver Eingriff in die Freiheit eines Menschen. Es ist natürlich nicht vergleichbar mit einer Ermordung (aber was wäre hier vergleichbar?). Dennoch ist diese Strafe definitiv kein Klacks.

@Jessy_86: Nach 15 Jahren kann ein zu lebenslänglicher Haft verurteilter Straftäter "vorzeitig" aus der Haft entlassen werden. Einen Rechtsanspruch dafür gibt es nicht. Unabhängig von einer Sicherheitsverwahrung. Dazu reicht es schon, wenn du z.B. die Haftdauer bei Christian Klar anschaust. Der war (ohne so was wie Sicherheitsverwahrung) 26 Jahre im Gefängnis und wurde erst nach längeren Prozessen entlassen.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Diamante hat geschrieben:4 x 15 Jahre ist ein angemessenes Urteil in meinen Augen

Genau und dann kommen wir zu solchen absolut dämlichen Urteilen wie in den USA wo Menschen für 600 Jahre eingesperrt werden, die eh schon 70 Jahre alt sind. Und dann regst du dich wahrscheinlich auf, wenn er mit 100 stirbt, weil er doch noch 570 Jahre abzusitzen hat.

Und Deutschland wird nunmal nicht jedes Verbrechen einzeln verhandelt und dann addiert, sondern das Ganze beurteilt. Und dass ihr euch jetzt aufregt, zeigt eigentlich nur eins, nämlich dass ihr das Urteil und unser Rechtssystem schlichtweg nicht verstanden habt und eigentlich nur Rache wollt.

Um es mal ganz deutlich zu sagen, verhängst du eine Gefängnisstrafe gegen einen vierfachen Mörder für sagen wir mal 30 Jahre, dann setzt das zwei ganz klare Zeichen. Zum einen du sperrst ihn nur weg und versuchst nicht ihn zu rehabilitieren. Das mag für sich noch kein Problem sein, aber wenn man etwas weiter denkt, erkennt man es ganz schnell. Denn zweitens heißt dieses Urteil eben auch, dass dein vierfacher Mörder ohne Therapie nach 30 Jahren definitiv rauskommt, egal wie gefährlich er dann immer noch ist.

Genau an diesem Punkt setzen ja alle Urteile an, die Straftäter nicht einfach im Gefängnis unterbringen, sondern in einer psychiatrischen Einrichtung. Strafmildernd wirkt sowas nicht zwangsläufig. Denn zum einen soll hier versucht werden eine Form der Therapie bzw. Rehabilitation zu gewährleisten, viel wichtiger aber es gibt eine kontinuierliche Beobachtung der Täter um einzuschätzen, wie gefährlich sie tatsächlich noch sind. Und nur diese Einschätzung limitiert die Strafdauer. Das heißt eben, als Täter kann man sich nicht darauf verlassen nach x Jahren definitiv wieder herauszukommen. Selbst wenn man schon 50 Jahre eingesessen hat, wenn die Gutachter dann immer noch meinen du bist eine Gefahr für die Allgemeinheit, dann bleibst du eben weiter in der psychiatrischen Einrichtung.

» Klehmchen » Beiträge: 5487 » Talkpoints: 1.012,67 » Auszeichnung für 5000 Beiträge



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