Blinde können uns nicht sehen, also wir sie auch nicht?

vom 03.08.2011, 22:03 Uhr

Ich war heute bekanntlich im Dialogmuseum zu Gast. Dabei war unser Führer tatsächlich blind, also konnte er sich total an das Dunkle dort innen drin gewöhnen. Es war eben wirklich stockdunkel und wir konnten ihn nicht sehen. Aber er uns ja auch nicht und auch bei Tageslicht hätte er dies nicht gekonnt, schließlich ist er ja blind. Aber ich fand den Besuch so interessant, ich wollte ihn unbedingt nach der Führung in dem Museum sehen. Aber es war eben nicht vorgesehen und so konnte ich ihn nicht sehen. Als Grund nannte er uns eben, dass er uns ja auch nicht sehen könnte, also warum sollten wir dann ihn sehen dürfen? Das fand ich in Ordnung und auch einen berechtigten Grund von ihm. Wir haben das auch alle so in der Form akzeptiert und uns erst einmal nichts weiter dabei gedacht.

Aber seitdem der Mann dies heute Mittag gesagt hat, muss ich irgendwie die ganze Zeit über diesen Satz nachdenken. Denn manche Leute, die mit mir in dem Museum waren, meinten dann, dass man eigentlich auch keine Blinde auf der Straße sich anschauen sollte, weil dies dann doch auch ein wenig respektlos wäre. Schließlich könnten sie uns ja auch nicht sehen und das wäre dann auch nur ausgleichende Gerechtigkeit. Wenn man also bemerken würde, dass jemand blind ist, dann würden sie ab sofort einfach weg schauen, weil sich dies dann logischerweise nicht mehr so gehören würde.

Aber das hielt ich dann doch wieder für übertrieben. In dem Museum, da fand ich es vollkommen in Ordnung, dass wir ihn nicht sehen durften, aber dass man dies jetzt auch bei Tageslicht so handhabt, das finde ich dann doch ein wenig überzogen. Wie ist eure Meinung zu diesem Thema? Seid ihr ebenfalls der Meinung, dass man Blinde nicht mehr anschauen sollte, weil sie einen ja auch nicht sehen könnten? Oder findet ihr das nicht auch ein wenig zu weit hergeholt und auch übertrieben zugleich?

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» fcbtill » Beiträge: 4713 » Talkpoints: 21,47 » Auszeichnung für 4000 Beiträge



Ich finde, dass Blinde dafür andere Sinne viel mehr geprägt haben. Sie können dich hören, bevor du sie hören kannst. Sie können, wenn sie dein Gesicht fühlen mehr fühlen, als du jemals fühlen kannst. Sie können mehr riechen als du und sie können dich eher riechen, wenn du ein starkes Parfüm an dir hast, als du sie riechen kannst.

Wenn man dieser Logik folgen würde, müsste man sich ja auch den Mund zu halten und die Ohren zu halten, wenn man Taube Menschen sieht, weil sie ja nicht hören können was man sagt und man dann auch nichts hören sollte. Soll ich mir die Nase zuhalten, wenn mir jemand sagt, dass er nicht riechen kann? Soll ich meinen rechten Arm verstecken, wenn mir ein Mensch entgegenkommt, der nur seinen linken Arm hat?

Im Dunklen ist man aufmerksamer und hört besser, weil man sich nicht mehr auf das Sehen konzentrieren muss. Deswegen hörst du in der Nacht auch eher, wenn der Wasserhahn tropft als über Tag. Auch wenn es über Tag leise ist. Genau deswegen wird in diesem Dialogmuseum die Dunkelheit Standard sein. Selbst wenn ein Sehender diese Führung machen würde, würde es dunkel sein.

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge


So einfach ist es nicht - dadurch, dass Blinde auf einen Sinn, eben das Augenlicht verzichten müssen, gleichen sie dieses durch andere Sinne aus. Das kann man als Sehender nicht unbedingt nachvollziehen, aber entspricht der allgemeinen Erfahrung. Dadurch verspüren auch blinde Menschen durchaus andere Menschen und ihre Stimmungen, ohne Blickkontakt zu haben. Da Sehende diesen Ausgleich nicht haben, wenn sie einfach nur die Augen verschließen würden, halte ich Deine These doch für etwas zu gewagt. Ich denke aber auch, dass es nichts mit Respektlosigkeit zu tun hat, wenn man als Sehender einen Nichtsehenden anschaut.

Früher war ich sehr oft in einer Stadt, in der viele blinde Menschen leben und die Stadt ist sehr blinden gerecht ausgestattet, es gibt dort zahlreiche Möglichkeiten, die sie vielleicht woanders nicht hatten. Ist man dort nun mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, trifft man zwangsläufig auf blinde Menschen und da kann man einfach nicht vorbei schauen, weil es eben nicht nur ein blinder Mensch ist, sondern viele blinde Menschen. Davon abgesehen empfinde ich es eher als unhöflich, jemanden nicht anzusehen, was für mich mit jemanden nicht zu beachten, der ein Handicap hat.

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» *steph* » Beiträge: 18439 » Talkpoints: 38,79 » Auszeichnung für 18000 Beiträge



Ich persönlich fände schon die Argumentation des blinden Museumsführers für etwas übertrieben. Aber damit kann man ja leben, zumal es sich ja um ein extra so gestaltetes Museum handelt. Allerdings finde ich die Aussage, dass man Blinde nicht mehr angucken sollte auf der Straße für schwachsinnig.

Natürlich soll man Blinde, wie auch andere Menschen generell nicht anstarren, sodass sich diese herabgesetzt, beobachtet oder respektlos behandelt fühlen (Blinde würden das nicht sehen, aber alle anderen schon). Aber die Aussage, dass man Blinde nicht mehr angucken dürfte, nur weil sie einen auch nicht sehen könnten ließe sich auch auf andere Behinderungen übertragen. Darf man dann nicht mehr neben einem Rollstuhlfahrer her gehen, nur weil er nicht gehen kann aufgrund seiner Behinderung? Darf man nicht mehr in der Gegenwart von Tauben reden, weil sie einen nicht hören können? Oder in der Gegenwart von Stummen sprechen, nur weil sie nicht sprechen können?

Das sind alles schlimme Behinderungen, keine Frage, aber wenn ich einen Freund habe, der im Rollstuhl sitzt und mich mit ihm treffe, dann setzte ich mich doch nicht die ganze Zeit irgendwo hin, wenn er womöglich einen Spaziergang bzw. eine Spazierfahrt durch den Park machen möchte mit der Begründung, dass das respektlos wäre. Ich glaube eher, es wäre respektlos das dann nicht zu tun und das mit seiner Behinderung zu begründen.

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» Tassadar » Beiträge: 1245 » Talkpoints: -1,26 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Ach ja, manche Leute sind politisch ja so korrekt, dass einem übel werden kann. Die sollten sich mal ihre Pseudobetroffenheit einstecken und das Hirn wieder zum Denken benutzen.Soll ich mich dann in den Rollstuhl setzen, weil es Leute gibt, die querschnittsgelähmt sind? Wenn ich damals nicht hin geguckt hätte, als der blinde Opi aus dem Altersheim falsch abgebogen ist, stünde der heute noch im Gebüsch und hätte nie wieder nach Hause gefunden.

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» Bellikowski » Beiträge: 7700 » Talkpoints: 16,89 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Ich finde das einfach ein bisschen albern, was soll das denn bringen? Wenn wir nun jemandem begegnen, der keine Beine hat, sollen wir dann auch kriechen? Wenn jemand uns über den Weg kommt, der keine Hand hat, sollen wir unsere dann auch nicht besuchen? Wenn wir irgendjemandem begegnen, der eine Art von Behinderung hat, bedeutet es dann von unserer Seite aus Respekt, wenn wir dieses Handicap nachahmen, indem wir die Behinderung so gesehen nachahmen?

Das ist doch Unsinn, schließlich sind wir ja wohl nicht Schuld daran, dass ein Blinder nicht sehen kann. Ich finde nichts schlimmes daran, einen Blinden anzuschauen. Natürlich sollte man ihn nicht angaffen, bloß weil man vielleicht noch keinen gesehen hat oder es interessant findet, wie ein solcher Mensch sich fortbewegt, vielleicht hat er noch einen Blindenhund dabei oder so. Aber im Grunde spricht nichts dagegen einen solchen Menschen anzuschauen, selbst wenn er einen selbst nicht sehen kann.

Was das Museum angeht, damit kann man das meiner Ansicht nach schlecht vergleichen. Es ist schließlich Teil der Führung und euch soll diese Welt einfach näher gebracht werden, dazu gehört eben, dass ihr nichts sehen könnt, auch den Führer nachher nicht. Das hat aber nichts mit Respekt gegenüber Blinden zu tun, sondern ist einfach ein Teil dieser Museumsführung. Man sollte das also nicht unbedingt auf den Alltag übertragen, so ist das nicht beabsichtigt.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Ich finde es ja grundsätzlich schön, dass du dir Gedanken zu dieser Behinderung machst, aber deine Schlussfolgerung daraus ist für mich nicht wirklich nachvollziehbar und, das kann ich dir als Betroffene sagen, absolut nicht notwendig. In diesem Museum wollte der blinde Führer vermutlich nicht gesehen werden, weil er wollte, dass ihr die Behinderung möglichst gut nachempfinden könnt. Dazu gehört eben auch, dass man nach der Führung keine Möglichkeit hat, ihn zu sehen, da man nur so vollständig die Tragweite der Blindheit erkennen kann. Du musst dir anhand der Stimme, des Geruchs und anderer Impressionen ein Bild über ihn machen, dieser Effekt wäre verloren gegangen, wenn du ihn im Nachhinein gesehen hättest. Somit finde ich die Regelung in diesem Fall durchaus sinnvoll.

Im Alltag ist das allerdings nicht durchführbar und notwendig, das empfinde ich als ein falsch verstandenes Gefühl von Respekt. Wenn du mir in der Straßenbahn gegenübersitzen würdest, wüsste ich das, ich höre die Anwesenheit von Menschen. Ich kann deinem Gespräch zuhören und ich nehme deinen Geruch wahr. Trägst du Parfum? Trägst du frisch gewaschene Kleidung, oder bist du eher ungepflegt? Rauchst du? Trinkst du Alkohol? Ist mir deine Stimme sympathisch? Welche Nationalität hast du? Vielleicht höre ich auch die Musik durch deinen MP3-Player, oder dein Handy, das klingelt. Beim Verlassen des Fahrzeugs höre ich, wie du dich bewegst. Eilig? Ruhig? Das sind nur einige Faktoren, durch die ich dich wahrnehmen kann und mir ein Bild über dich machen kann; und zwar mit meinen gewohnten Sinnen. Warum solltest du also nicht deine gewohnten Sinne benutzen, um dir ein Bild von mir machen zu können? Gleiches Recht für alle, würde ich sagen.

Blinde im Alltag nicht anzusehen, könnte auch einige praktische Schwierigkeiten schaffen, immerhin ignorierst du damit auch vorsätzlich Menschen, die in manchen Situationen hilfsbedürftig sind und sich über deine Hilfe deutlich mehr freuen würden als über das absichtliche Wegsehen. Wenn ich an einer stark befahrenen Straße stehe, bin ich dankbarer über jemanden, der mich ansieht und mir Hilfe anbietet, jemanden, der vorsätzlich an mir vorübergeht und wegsieht, bezeichne ich im besten Fall als eiligen Menschen, im Schlechtesten als ignorant. Bei blinden Menschen wegzusehen, die fremd in einer Gegend oder weniger mobil sind, kann wirklich gefährlich werden, es wäre schließlich nicht das erste Mal ein Blinder im U-Bahn-Gleis gelandet. Wegsehen könnte dir auch so ausgelegt werden, dass du nichts mit behinderten Menschen zu tun haben möchtest, das sollte dir bewusst sein.

Wenn du den Gedanken weniger strikt siehst, tust du meiner Meinung nach das Beste. Für dich solltest du die Lehre ziehen, blinde Menschen nicht unentwegt anzustarren, das merken sie nämlich trotz ihrer Seheinschränkung. Des Weiteren könntest du deinen Gedankengang weniger wörtlich nehmen und für dich beschließen, dass du in Zukunft versuchen möchtest, Menschen nicht nach ihrem Äußeren, also mit den Augen, zu beurteilen, sondern sie auch mit anderen Sinnen wahrzunehmen, bevor du dir dein Urteil bildest. Wenn du das aus der Führung mitnimmst, ist das meiner Meinung nach ein großer Gewinn.

» Anemone » Beiträge: 1740 » Talkpoints: 764,26 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Also habe ich daraus wohl gelernt, dass es nicht immer nur ums Aussehen geht. Ich persönlich hatte ja auch gar nicht wirklich diese Gedanken übernommen, Annemone, sondern es waren eben andere Kameraden von mir, die sich darüber Gedanken gemacht haben und dieses Thema dann auch überhaupt aufgeworfen haben. Aber ich muss Crispin zustimmen, es ist wohl wirklich ein wenig übertrieben, denn inzwischen kommt mir da auch ein wenig die Frage auf, ob wir dann nicht bald gar keinen mehr anschauen oder hören dürften oder was auch immer es noch für Einschränkungen bei den Sinnen oder eben anderen Körperteilen gibt.

Zu dem Museum muss ich aber dann doch wieder dem Großteil der Antworten widersprechen. Denn meiner Meinung nach wäre es besser gewesen, wenn wir den Menschen am Ende der Führung gesehen hätten. Denn man konnte während der Führung eben seine Hand halten, dann konnte man seine Stimme hören, er hat uns dann am Ende der Führung seinen Namen verraten, warum er denn blind ist und alles Mögliche auch noch zu seiner Person. Aber trotzdem bin ich mir immer noch im Unschlüssigen, ob der Mann nun alt oder jung war, denn darüber haben wir uns auch auf der Heimfahrt noch die ganze Zeit unterhalten. Denn meiner Meinung nach macht man sich in den 2 Stunden, so lange dauert diese Führung ungefähr, einfach so ein Bild von dem Menschen und man konnte ihn ja auch an der Hand anfassen, und nun fährt man eben heim und hat immer noch dieses Bild in seinem Kopf, aber man wird es eben nie erfahren, ob man richtig lag mit seiner Vermutung oder ob der blinde Museumsführer vielleicht doch ganz anders aussah und ein ganz anderes Alter hatte.

Wäre das denn ein Vor-oder ein Nachteil für euch? Vielleicht ist es ja auch einfach das Ziel und der Sinn hinter der ganzen Führung in dem Museum, dass man eben einfach noch das Bild im Kopfe hat und daran dauernd denken muss. Denn ich stimme Crispin zu, ob es auch noch so wäre, wenn ich den Mann dann am Ende gesehen hätte, das weiß ich eben nicht. Aber wiederum spräche ja dann dagegen, dass der Mann es ganz klipp und klar aus dem Grunde verneint hat, ob wir ihn denn sehen dürften, weil er uns eben auch nicht sehen könne. Aber diese Frage steht wohl offen und da müsste ich den Museumsführer wohl wieder fragen, wie er das nun genau gemeint hat, aber diese Möglichkeit habe ich natürlich auch wiederum nicht.

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» fcbtill » Beiträge: 4713 » Talkpoints: 21,47 » Auszeichnung für 4000 Beiträge


Eben, ihr konntet seine Hand halten, seine Stimme hören, ihn riechen und etwas über seine Geschichte erfahren. Ich kenne einige dieser Projekte im Dunkeln, die gemacht werden, um Menschen zu zeigen, wie eine bestimmte Behinderung sich anfühlt, wie man damit lebt und welche Nachteile beziehungsweise Unterschiede man dadurch erlebt. Du bist dir bis jetzt nicht sicher, was das Alter betrifft, das bin ich mir manchmal auch nicht. bei manchen Stimmen ist es eindeutig, bei manchen nicht, manchmal täuscht man sich auch. Ich denke, dass es gut ist, dass du genau dieses "Bild" von dem blinden Mann im Kopf behältst, das entspricht der Wahrnehmung eines Blinden, die ihr euch verschaffen solltet. Normalerweise ist das der Zweck dieser Einrichtungen, da scheint sich euer Führer wohl etwas unglücklich ausgedrückt zu haben.

Für dich könntest du, wie gesagt, mitnehmen, dass es sinnvoll ist, den Menschen auch einmal mit anderen Sinnen wahrzunehmen, um sich ein umfassenderes Bild machen zu können. Viele Menschen, die von Geburt an blind sind und es durch das Elternhaus nicht anders gelernt haben, kleiden sich oft unvorteilhaft oder machen Bewegungen, die im ersten Moment abstoßend wirken. Hier könntest du den Gedankengang zusätzlich anwenden: Viele Blinde vergessen, dass ihre Mitmenschen sie sehen können und verhalten sich somit im optischen Sinne unvorteilhaft. Wenn du im Hinterkopf behältst, dass diese Menschen nicht daran denken, dass sie gesehen werden, oder nicht wissen, wie Bestimmtes auf Mitmenschen wirkt, und ihnen trotzdem eine Chance gibst und sie normal behandelst, dann verhältst du dich optimal.

» Anemone » Beiträge: 1740 » Talkpoints: 764,26 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Ich kann die Reaktion des Museumführers total verstehen. Vielleicht schämt er sich ja sogar für seine Behinderung. Das muss man auch so respektieren. Die Aussage, dass man bei Sehbehinderten auf der Straße wegschauen soll, kann ich nicht verstehen. Er kann dich ja. auch schließlich besser hören und riechen. Außerdem würde ich es diskriminierend finden, da ich darunter verstehen würde, dass der Blinde nicht mal mehr einen Anblick würdig wäre.

» electrica11 » Beiträge: 42 » Talkpoints: 8,98 »


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