Pathologische Nachbarschaft

vom 28.02.2011, 15:31 Uhr

Hallo Freunde,

dies ist mein erster Beitrag in diesem Forum und ich freue mich hier zu sein. Wer bin ich? Nun, das weiss ich manchmal selber nicht, aber geht man nach dem Baudatensatz, bin ich ein Ü50-Manager, der durch die Welt gondelt, um Ruhm und Reichtum für seinen Konzern zu mehren. Das Privatleben kommt meistens zu kurz, sofern es überhaupt stattfindet, und wenn es stattfindet, möchte man es ruhig und nett haben. Ich wohne in Köln und München und habe mir vor 4 Jahren im schönen München-Bogenhausen eine 3-Zimmer-Wohnung gekauft.

Nichts wirklich Besonderes, aber ruhig, am Denninger Anger gelegen (wg. Joggen etc.), trotzdem verkehrsgünstig (U-Bahn-Anschluss) und auch andere Locations für eine angenehme Freizeitgestaltung (Chinesischer Turm, Kinos, Restaurants etc.) sind fussgängerisch gut erreichbar. Das Haus selbst ist ein Hohes, steht unter Denkmalschutz (warum, das weiss Keiner) und seine Bewohner, soweit man sie erblickt entsprechen nicht dem erwarteten Münchner Schicki-Micki-Profil. Eher entspricht es einer Mischung aus Mickey-Mouse, Anwärter-Potenzialen auf eine friedhöfliche Aussegnungshalle und natural-born-Zombies. Trotzdem es könnte Alles so schön sein, zumal ich nur ca. 4 Monate p.a. hier wohne.

Das Unglück nahm bereits mit der Renovierung der Wohnung seinen üblen Lauf. Die Wohnung hatte Dekaden keine Renovierung gesehen und was ihr in heimwerklicher Zuwendung vom früheren Besitzer angetan wurde, überschritt die Grenzen der Körperverletzung. Kurz, die Renovierungs- und Sanierungsarbeiten waren äusserst umfangreich und zogen sich hin. Meine geduldigen Handwerker aus dem bayerischen Oberland berichteten vom ersten Tag der Renovierung von einer merkwürdigen Erscheinung, die sie in visueller, akustischer oder vibratorischer Form heimsuchte.

Ein kleiner dünner Mann mit langen Haaren, auf den ersten Blick nicht unsympathisch, kommunizierte in extrem adrenalin-geschwängerter Form seinen Unmut über die stattfindende Renovierung. Anfänglich geschah dies in persönlicher Form. Die Beschwerdeführung wurde zu Beginn des Auftritts in einer dem Hochdeutsch verwandten Fassung vorgetragen, was noch eine gewisse Verständlichkeit zuliess. Die Sprachgeschwindigkeit nahm aber rasch zu und vermodulierte sich in eine Dialektart der Münchner Au, die eigentlich seit dem 1. Weltkrieg als ausgestorben gilt. Die Verständlichkeit des Redeflusses wurde ferner dadurch reduziert, dass sie von einem Gestampfe des linken Fusses begleitet wurde.

Es wurden auch eher seltenere Stampftätigkeiten des rechten Fusses beobachtet, aber da hierbei die den Unterschenkel formende Holzprothese regelmässig seitlich wegknickte, litt dadurch die Standfestigkeit des Beschwerdeführers sehr. Die Beschwerden wurden rasch um telefonische, schriftliche und vibratorische (Sprungübungen im 9. Stock) Formate ergänzt. Die gesetzestreuen Handwerker hielten sich peinlichst genau an die erlaubten Arbeitszeiten, aber die Attacken des nachbarlichen Rambos aus dem 9. Stock steigerten sich weiter. Selten ging es um sachliche Differenzen (Lautstärke, Uhrzeit oder andere Beeinträchtigungsmöglichkeiten), sondern immer um seine subjektive Befindlichkeit. Ein Auszug aus der Liste macht eher ratlos:

- Muss immer um 3 h Morgens zur Arbeit (Status Harz IV)
- Ist sehr nervös, weil er vor 3 Wochen am Kopf operiert wurde (wurde aber mindestens 7mal vorgetragen  also insgesamt 7 Operationen
- Mag keine Holzböden, verzerren den Hall
- TV oder Radio bitte nur mit Kopfhörer (auch, wenn es aus ist)
- Er möchte jetzt schlafen (Silvester, 00:30 h, draussen tobt das Feuerwerk)
- Warum sind Sie hier eingezogen?

Die obige Liste beinhaltet auch schon Beschwerdegründe, die nach meinem Einzug benannt wurden. Denn die Beschwerden, ob schriftlich, telefonisch oder persönlich vorgetragen, bleiben mir erhalten. Es zeigt sich aber eine eindeutige Verteilung der Beschwerdeformate. Schriftliche Beschwerden erfolgen, wenn ich nicht in München bin und das sind immerhin 8 Monate im Jahr. Ich erhalte Abhandlungen über zu lauten Radioempfang, den Scheiss-Fernseher oder meine nächtlichen Bewegungsprofile in meiner Wohnung. Wohl gemerkt, dass betrifft die Zeiträume, wenn ich nicht da bin.

Welche Gewitterstürme mögen im Kopf des armen Mannes abgehen? Ich bedauere ihn und er hat mein volles Mitgefühl. Aber warum ist er so auf mich fixiert? Sobald ich in meiner Münchner Wohnung eintreffe, steht das Beschwerde-Mandl spätestens 10 Minuten später vor der Tür und der Algorithmus beginnt, Radio zu laut … (Radio ist aus)… Fernseher hallt … (TV aus) … Holz erzeugt Schall … (liegen Teppiche drauf) … warum wohnen Sie hier (in der EU gibt es ein freihes Niederlassungsrecht). Verehrte Leserschaft, glauben Sie mir, dieser Mensch hat viele hochgradige und schlimme Defekte und diese Spezies ist keiner rationalen Argumentation zugänglich. Meine mehrfach vorgetragenen Vorschläge, mögliche Disput-Themen über Moderatoren (Hausverwaltung, Polizei etc.) mit objektiven Parametern bewerten zu lassen, wurden nicht erwiedert.

Ich befürchte, die Angelegenheit wird eskalieren. Einerseits wird sich der Herr Nachbar mit seinem pathologischen Verhaltensmuster selber strangulieren, denn keiner hält es auf Dauer in so einem Körper aus. Andererseits entziehe ich mich nun komplett der Eskalation, denn es gibt keine konstuktive Streitkultur mit pathologisch zersetzen Gehirnen. Wenn ich nach Hause komme, stelle ich die Klingel ab, mache das Radio oder TV an (natürlich nur auf Zimmerlautstärke). Ich vernehme dann gelegentlich unterdrückte Flüche vor meiner Tür, aber mit denen kann ich leben. Es wird aber nicht dabei bleiben, denn die geschilderten Personenformate können nicht anhalten. Sie müssen sich immer weiter in die Eskalation treiben. Der Tag bis zum Eintreten meiner Wohnungstür ist absehbar und dann haben wir die Eskalation. Ich werde Sie informiert halten. Bis dahin, Ihr Shoemaker

» shoemaker » Beiträge: 1 » Talkpoints: 2,00 »



Gegen Nachbarn aus dem Höllenschlund hilft kaum ein Mittel der Vernunft. Denn: Die sind nicht vernünftig, in deren Köpfen tobt der Wahnsinn. Mal stärker, mal weniger stark, aber er tobt. Nur gehen wir meisten davon aus nur weil wir selbst halbwegs normal sind, müsste das auf unsere Nachbarn ebenfalls zutreffen.

Böser Fehler. Böser, böser Fehler.

Ich selbst hab an Nachbarn aus der Hölle einige Exemplare erlebt. Der Typ der nach Mitternacht mit dem Besenstiel an die WG Tür hämmerte und verlangte, der Lärm müsse aufhören. Was insofern eine tolle Nummer war, als das niemand da war, aber wir vermuten bis heute das die Stimmen in seinem Kopf eine Party feierten und die Schuld auf uns schoben.
Der Typ der die Polizei holte, weil bei uns „vier Araber sitzen und Attentate auf ihn planen“ (das war Mitte der Neunziger, er war immerhin seiner Zeit voraus).
Der Typ der seine Wohnung in einem Wutanfall durch das Fenster entrümpelte und später allen Dresche androhte, die das wenig angemessen fanden.
Der Typ der darauf spezialisiert war in die Keller seiner Nachbarn einzubrechen, sofern er dort Bier vermutete.
Und der Typ der Nachts durch die Gegend rannte und kreischte „Ich bin ein Vampir, reiß mir das Herz raus!“.

Aber den Vogel schoss der Nachbar eines Freundes ab, der sich in den Kopf gesetzt hatte, mein armer Freund wäre das Böse und müsse bekämpft werden. Und wer bekämpft das Böse? Die Polizei natürlich.
Diese wurde nun ständig herbei zitiert. Zuerst wegen der üblichen Klassiker: Radio und TV zu laut, Hund bellt ständig, wilde Orgien werden gefeiert. Die Polizei stellte fest: Radio und TV waren derart leise, das sie selbst in der Wohnung kaum zu hören waren, Hund war aufgrund eines Unfalls stumm und die wilden Orgien entpuppten sich als drei verschreckte Nerds, die gemeinsam im Arbeitszimmer „Bad Furry Day“ zockten. Man legte dem Nachbarn nah, nicht mehr wegen nichts die Polizei von der Arbeit abzuhalten.

Dann wurden die Anschuldigungen nach und nach bizarrer. Es ging um Diebstähle (von wertvollen Wurfsendungen des örtlichen Aldis), Gewaltandrohungen („Der will mich töööööten! Und prügeln!“ „Knirsch, ja können wir uns denken.“).
Und dann kam der Tag, an dem meinem Freund klar wurde, das der Typ von nebenan einfach gigantisch einen an der Waffel hatte. Vor der Tür stand ein Polizist, der zu ihm sagte „Besser sie gehen jetzt auf gar keinen Fall raus, egal was sie hören. Ihrem Nachbarn geht es grad nicht gut und wir wollen gerne vermeiden das er ihnen was tut.“
Und in dem Augenblick sprang der Nachbar wie ein wütender Gnom die Treppe herab und kreischte man wolle ihn ermorden! Mit Strahlen! Er habe die Verschwörung genau gehört! Die haben ein unsichtbares Strahlennetz am laufen! Und Terroristen sind das bestimmt auch! Außerdem unterhalten die einen Drogenring. Die haben nämlich geheime Zimmerpflanzen!
Und damit verschwand er an einen Ort, der seinen persönlichen Macken besser ertragen konnte.Und mein Freund beschloss künftig nie wieder davon auszugehen das Nachbarn grundsätzlich normal sein dürften, sondern lieber mit Wahnsinn zu rechnen.

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» Nephele » Beiträge: 1047 » Talkpoints: 2,22 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


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