Wie ist ein Zirkusleben?

vom 09.05.2010, 20:15 Uhr

Wie schon in einem anderen Beitrag berichtet, ist in meiner Nachbargemeinde gerade der Zirkus Roncali, der seine Zelte aufgeschlagen hat. Hinter dem Zelt sieht man klassisch mehrere Wohnwägen und weitere kleinere Zelte. Als ich unlängst daran vorbeigefahren bin, habe ich mir so meine Gedanken gemacht, wie so ein Zirkusleben heutzutage aussieht.

Ich muss dazu sagen, dass ich allgemein keine großartige Ahnung von einem Zirkus habe, also ich weiß jetzt auch nicht so konkret, wie so ein Zirkusleben früher in der Realität ausgesehen hat, aber wie kann man sich das vorstellen? Ist es wirklich so, dass sie mehr oder weniger immer weiter ziehen, auch über mehrere Länder und so mehr oder weniger keinen wirklichen Wohnsitz haben? Wie sieht das dann mit Kindern aus? Wo gehen die in die Schule? Stimmt es, dass die Privatlehrer haben, aber das kann ich mir nicht so recht vorstellen?

Wandert so ein Zirkus das ganze Jahr über oder nur saisonalbedingt zum Beispiel über die Sommermonate? Sieht sich so ein Zirkus selber wie eine große Familie? Wohnen sie wirklich durchgehend in diesen Wohnwägen? Kennt vielleicht jemand einen Artisten bei einem Zirkus? Wie ist es dem gegangen? Wie hat es ihm gefallen?

Ich kenne einen Zirkus eigentlich nur aus Bilderbüchern, ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich als Kind einmal in einem Zirkus war, aber ich glaube nicht. So ein Zirkusleben kann ich mir so gar nicht vorstellen. Wie weit reist so ein Zirkus? Wachsen die Kinder dann auch automatisch in den Zirkus hinein, also langfristig gesehen? Werden die automatisch Artisten oder haben die auch irgendeine realistische Chance auch einen anderen Beruf zu erlernen? Nicht wirklich, oder? Sie ziehen ja immer weiter, oder ist das nur eine falsche Vorstellung?

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» tournesol » Beiträge: 7750 » Talkpoints: 66,59 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Hallo Tournesol,

Ich bin 8 Jahre lang in jeder freien Minute mit einem Circus mitgezogen, das heißt, jedes Wochenende fast die ganzen Ferien und unter der Woche wenn sie in der Nähe waren. Dazu muss ich sagen, dass der Circus Roncalli schon ein ziemlich großer Circus ist, das sieht man schon allein an der tollen Homepage und natürlich auch am Programm (sofern du die Vorstellung besucht hast). Auch die Anzahl der Wohnwägen/Wohnmobile geben darüber Aufschluss.

Ich persönlich war damals immer mit dem Circus Bely unterwegs, ein kleiner Familiencircus mit 11 Mitgliedern. Daher kann ich auch nur davon berichten. Bei Ihnen ist es so, dass sie ihren festen Wohnsitz in Rastatt gemeldet haben, das erkennt man generell an den Nummernschildern der Autos und Wagen, denn auch Artisten sind verpflichtet einen festen Wohnsitz zu haben an dem sie gemeldet sind. In den Wintermonaten sind sie immer im Winterquartier, bei Ihnen eine alte Flugzeughalle in Rastatt in denen sie von Oktober/November bis etwa März leben. Für die Tiere und natürlich auch die Artisten ist es einfach zu kalt.

Damit die Artisten auch in diesen Monaten eine Einnahmequelle haben lassen sie sich meistens von einem Weihnachtscircus engagieren, das heißt sie werden dafür bezahlt in einem anderen Circus mit ihrer Nummer aufzutreten und gastieren dort dann für einige Wochen oder auch Monate. Die Kinder die noch schulpflichtig sind wechseln sehr häufig die Schule, sie bekommen keinen Privatunterricht (zumindest bei "meinem" Circus nicht) sondern gehen ganz normal in den Unterricht, nur eben immer auf einer anderen Schule.

Mein Circus gastiert jedes Jahr immer nur in Baden-Württemberg, abgesehen davon dass ab und zu 1 oder 2 Artisten engagiert sind und weiter weg fahren. Aber da ich, durch den Kontakt mit der Familie vom Circus, auch öfters bei einem anderen Circus zu Gast war weiß ich dass sie sich wirklich wie eine Familie fühlen, die jahrelange Zusammenarbeit auf engstem Raum fördert das ja auch. Wobei man sagen muss dass die meisten wirklich irgendwie miteinander verwandt sind, sprich Cousinen und Cousin sind. Einige haben noch ein paar Helfer, aber da man ja quasi 24 Stunden gemeinsam verbringt ist man da auch schnell in der Familie aufgenommen, zumindest erging es mir und meinen Freundinnen damals so.

Kinder die im Circus geboren werden, werden ziemlich sicher auch Artisten, sie bekommen es ja jeden Tag vorgelebt und kleine Mädchen wollen sich dann eben auch gerne so toll verbiegen können wie die große Schwester. Ich kann aber aus eigener Erfahrung sagen dass es ein Knochenjob ist, egal was für ein Artist man ist. Ich kenne Seiltänzer, Schlangenmenschen, Feuerspucker, Jockeyreiter und natürlich auch Clowns.

Seiltänzerinnen müssen furchtbar auf ihr Gewicht achten, dazu kommt dass sie zum Beispiel durch ein kaputtes Trommelfell ihren Beruf nicht mehr richtig machen können weil das Gleichgewicht versagt. Schlangenfrauen haben Rückenprobleme und können teilweise ihr ganzes Leben nichts Schweres heben oder auch nur verrücken. Feuerspucker riskieren bei jedem Auftritt schwere Innere Verbrennungen und so geht das immer weiter. Ich habe einige schlimme Unfälle mitangesehen, Autobatterien die explodiert sind, Tiere die in der Manege ausbrechen und im Zuschauerbereich rumrennen (Da gibt es keine Raubtiere, nur Bauernhoftiere, also keine große Gefahr), Stürze in der Manege bei denen man sich nichts anmerken lassen darf. Und mit einem gebrochenen Arm wieder auf ein Pferd zu springen ist nicht einfach.

Dazu kommt dass Artisten einen 24 Stunden Job haben, ihr Tag beginnt morgens um 6 und endet erst nachdem auch das letzte Tier versorgt ist und alles gesichert und abgeschlossen ist. Auf Dauer ist das wirklich nicht gesund.

So, ich sehe mein Bericht ist doch sehr ausgiebig geworden, aber wenn du noch weitere Fragen hast beantworte ich sie dir gerne.

» LikeDiamonds » Beiträge: 94 » Talkpoints: 3,24 »


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