Auch als Erwachsener noch die Eltern peinlich finden?

vom 12.12.2018, 13:42 Uhr

Eine Freundin von mir ist mittlerweile Anfang 30. Sie meint, dass sie ihre Eltern nicht gerne besucht, da sie es immer sehr peinlich findet, wie es dort aussieht. Es ist wohl recht chaotisch und ihre Eltern sind die nicht Ordentlichsten. Sie meint, dass ihr das einfach peinlich ist, wenn ihr Freund dann mitkommt und sieht, welches Durcheinander ihre Eltern haben.

Sie meint, dass es ja auf sie zurückfallen könnte und empfindet es daher als sehr peinlich und beschämend und vermeidet daher auch durchaus Besuche bei den Eltern. Aus Scham hat sie bisher auch verhindert, dass ihre Eltern die Eltern ihres Freundes kennenlernen. Diese haben nun aber den Wunsch geäußert, doch gerne die Eltern des Freundes kennenlernen zu wollen. Aber meine Freundin hat Angst, dass Nummern getauscht und ihre Schwiegereltern auch mal zu Besuch zu ihren Eltern fahren könnten und dann eben sehen wie es dort aussieht.

Könnt ihr verstehen, dass man auch als Erwachsener noch die Eltern peinlich findet und sich schämt? Wie würdet ihr an Stelle meiner Freundin reagieren? Würdet ihr da auch einen Kennenlernen verhindern? Oder meint ihr, dass meine Freundin lernen muss, dass sie nicht die Verantwortung für die Eltern trägt und es nicht auf sie zurückfällt, da es sich um getrennte Haushalte handelt? Kann man das irgendwie lernen und sich da abgrenzen?

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



Ich kann das schon verstehen, auch wenn ich das in dem beschriebenen Fall etwas übertrieben finde. Dass die beiden Eltern sich kennen kennenlernen lässt sich auf Dauer ja auch nicht vermeiden. Meine Eltern sind mir auch manchmal peinlich, ebenso wie meine Schwiegereltern. Meine Mama hat beispielsweise einen absolut schlimmen Geschmack was ihre Kleiderwahl angeht und liegt damit optisch eigentlich immer bei jedem Anlass daneben mit dem Outfit.

Die Krönung sind aber meine Schwiegereltern. Die Wohnung ist extrem zugestellt und sieht aus als würde sie aus dem Home Shopping aus dem Fernsehen kommen, da wirklich das meiste dort gekauft wurde. Kommt man dann zu Besuch bekommt man die Verkaufsargumente der Verkaufssendungen um die Ohren geknallt und von meinem Schwiegervater bekommt man immer zu hören, dass man nicht faul sein sollte und man sich immer bewegen muss, Sport machen muss und so weiter, immer die selben Sprüche und da ist egal ob er nun jemanden vor sich hat, der sich nicht mehr bewegen kann oder einfach nur Gäste, die sich mal aufs Sofa setzen wollen.

So etwas kann man dann schon peinlich finden, finde ich. Wobei es mir recht egal ist, sie sind eben so wie sie sind und man gewöhnt sich daran. Deswegen würde ich aber auch keine Besuche meiden, denn man mag sie ja dennoch.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Ich finde es amüsant, dass hier von einer Einbahnstraße ausgegangen wird. Als ob die erwachsenen Kinder ihren Eltern nicht mehr peinlich wären. Gerade meinem Umfeld bin ich oft genug peinlich, auch den Eltern, weil ich sage was ich denke und das manchmal als frech oder unverschämt empfunden wird. Man sollte sich als "Kind" bloß nicht einbilden immer alles richtig zu machen, die Eltern schämen sich oft genug für einen.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Ich kann das durchaus nachvollziehen. Man muss die Eltern ja nicht nur als Teenager peinlich finden, sondern das geht immer. Ich finde meine Eltern auch in gewisser Hinsicht wirklich peinlich. Meine Eltern lästern für ihr Leben gerne - und das auch oft lautstark in der Öffentlichkeit, so dass es die entsprechenden Personen hören können. Da schäme ich mich dann doch immer extrem.

Oft kommt es auch vor, dass meine Mutter mich in der Öffentlichkeit wie ein kleines Kind zurechtweist - dass ich mir den Kragen richten, die Schuhe richtig binden oder mich nicht so stark schminken soll. Das macht sie dann auch in einem bestimmerischen Ton und auch noch richtig laut, so dass es mir auch immer sehr peinlich ist.

Ich denke, dass aber viele Leute entsprechend über ihre Eltern denken. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass man als erwachsener Mensch unabhängig von den Eltern ist und das Verhalten so auch nicht mehr miteinander in Verbindung gebracht werden kann. Man ist nicht verantwortlich dafür, was die Eltern machen und umgekehrt, so dass man so etwas auch nicht zu eng sehen sollte, auch wenn ich eine gewisse Scham in vielen Fällen dennoch nachvollziehen kann, da sie einfach angebracht ist.

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» Prinzessin_90 » Beiträge: 35273 » Talkpoints: -0,01 » Auszeichnung für 35000 Beiträge



Beim Lesen dieses Themas fiel mir spontan der Roman von Jeannette Walls "Schloss aus Glas" ein. Jeannette ist die zweit älteste Tochter von Rose Mary und Rex Walls. Innerhalb von fünf Jahren zog dieses Paar mit seinen Kindern 27 mal um und vagabundierte mit vier Kindern durch die USA. Beide Eltern waren bipolar und der Vater schwerer Alkoholiker.

Die Kinder hatten nichts, aber auch gar nichts, was sie brauchten. Keine Toilette, oft gar nichts zu essen, keine Kleidung, nichts. Jeanette prägte diese Kindheit dermaßen, dass sie bis heute nicht in der Lage ist, Essen zu genießen. Einmal als alle schliefen, raschelte es plötzlich. Die Mutter, die ihren Kindern nichts zu essen gab, aß eine ganze Tafel Schokolade heimlich in der Nacht.

Die Kinder wurden immer dünner, die Mutter nahm an Gewicht zu. Jeannette gelang der Ausstieg mit 17, zog zu ihrer älteren Schwester und holte ihren Schulabschluss nach, arbeitete hart und konnte somit sogar ein Studium finanzieren. Der Roman ist zu einhundert Prozent authentisch und Rose Mary lebt heute noch im Nachbarhaus ihrer Tochter, das diese extra für sie bauen ließ.

Welch eine großartige Frau. Jeannette Walls hatte viele Jahre keinen Kontakt zu ihren Eltern, die ihr allerdings nachreisten. Erst als sie herausfand, dass Angehörige von Scientology in ihrer Vergangenheit schnüffelten, beschloss sie besagten Roman zu schreiben und sich auch somit zu ihrer miesen Herkunft zu bekennen.

Der Freundin kann ich diesen Roman wärmstens empfehlen und sie wird so erkennen, dass ihre Eltern sie gut versorgt hatten und ihr einen Start ins selbständige Leben ermöglicht haben. Ich glaube, dann wird ihr so schnell nichts mehr peinlich sein und sie brauchte sich wegen Unordnung der Eltern auch nicht mehr schämen.

Allerdings kann man zu den Eltern auch sagen, dass man sie nicht mehr besuchen mag, weil es so unordentlich ist, und dass man nicht möchte, dass die Eltern die Schwiegereltern in spe in diesem Chaos empfangen. Also ich würde das wirklich tun.

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» Quasselfee » Beiträge: 2143 » Talkpoints: 30,45 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Wenn die Eltern psychisch zerrüttete Alkoholiker sind, die ihre Kinder misshandeln, würde ich schon andere Emotionen aufbringen, als dass mir ihr Verhalten "peinlich" ist. Wo bleibt denn da die Verhältnismäßigkeit?

Wenn ich jedoch von den braven, bürgerlichen Haushalten ausgehe, die immer noch die Mehrheit ausmachen gegenüber den von Messis, Sektengurus und Knackis bestimmten Familien, so finde ich, dass man sich irgendwann genügend abgenabelt haben sollte, um sich zu sagen: Meine Eltern machen ihr eigenes Ding, und ich mache meines. Wir sind uns natürlich nicht immer einig, und das ein oder andere Augenrollen passiert, aber letzten Endes sind es erwachsene Menschen, die wissen sollten, was sie tun.

Ich selber neige ziemlich zum Fremdschämen und finde das Verhalten vieler Leute "peinlich", egal ob verwandt oder nicht. Aber das tangiert mich meistens nur sekundenlang am Rande, wenn sich mal wieder jemand aufführt wie der letzte Mensch. Und so geht es mir auch mit der werten Verwandtschaft. Manchmal denke ich mir schon: Das hätte ich jetzt nicht laut gesagt, aber dass ich mich vor Unbehagen winde, kommt auch nicht vor. Schließlich ist es nicht mein Job, meinen Eltern hinterher zu räumen oder ihnen angemessenes Sozialverhalten beizubringen und ich bringe mit bald 40 auch keine neuen Freunde mit nach Hause zu Mama und Papa.

» Gerbera » Beiträge: 11292 » Talkpoints: 42,29 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


Grundsätzlich kann ich das schon sehr gut verstehen. Wenn wie hier im ersten Posting geschildert, vielleicht sogar Welten aufeinander treffen bei der Gestaltung und Pflege von Haus, Wohnung und Grundstück kann man sich ja ausmalen, wie das Gerede der Schwiegereltern hinterher sein wird. Und man braucht nicht zu glauben, dass gerade Menschen, die aus ländlichen Gebieten kommen, sich nicht stundenlang und für immer an so etwas zur eigenen narzisstischen Aufwertung hochziehen könnten.

In meiner Familie gibt es eine ganze Reihe solcher Leute, die nur darauf warten, dass jemand etwas nicht richtig bzw. schön falsch macht und die ganz schnell abfällig die Nase rümpfen, wenn der Garten nicht vom asiatisch inspirierten Landschaftsgärtner gestaltet wurde. Ein profaner Balkon, wo ein kaputter Wäscheständer und zwei verdorrte Blumen stehen, wären da ein gefundenes Fressen. Wenn zweite Sorte Mensch dann die eigenen Eltern sind und man den neuen Partner oder die Schwiegereltern vorstellt, ist einem das als Kind sicher hochgradig unangenehm, unabhängig vom Alter.

Beim eigenen Partner sollte man aber irgendwann schon soviel Vertrauen haben, dass man seine Eltern auch diesem zumuten kann. Ich glaube, man ist nie zu alt, um in manchen Situationen Scham über das Verhalten der Eltern empfinden zu können.

» Verbena » Beiträge: 4789 » Talkpoints: 3,77 » Auszeichnung für 4000 Beiträge



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