Fremdschämen: Wer tut es regelmäßig?

vom 10.01.2012, 16:29 Uhr

Wir beschäftigen uns gerade im Deutschunterricht mit der Literatur und haben uns dazu das Gedicht "Der Zauberlehrling" von Johann Wolfgang von Goethe zur Hand genommen. Wir sollten das Gedicht nicht auswendig lernen, sondern einfach üben, Gedichte richtig interpretieren zu können. Unserem Lehrer kommt es darauf an, dass wir uns in das Gedicht hinein versetzen können.

Wer etwas mit dem Titel anfangen kann und das Gedicht kennt, der weiß, dass der Zauberlehrling erst ganz begeistert davon ist, dass der alte Hexenmeister nun endlich auf Reisen ist. Er möchte sich selbst beweisen, dass er genauso viel kann und zaubert dann den Besen zum Leben. Er soll ihm Wasser holen und in eine Badewanne kippen. Daraufhin formuliert er den Zauberspruch und ist auf sich selbst extrem stolz, dass alles klappt und sich der Besen wirklich aufmacht und das Wasser vom Fluss holt.

Irgendwann reicht das Wasser dann jedoch aus und der Zauberlehrling möchte den Zauber aufheben. Jedoch vergisst er das letzte Wort des Gegenzaubers und so holt der Besen eifrig weiter Wasser, bis schließlich das ganze Haus überschwemmt ist. Der Zauberlehrling verzweifelt, versucht mehrmals dem Geschehen ein Ende zu nehmen, bricht den Besen sogar entzwei, worauf jedoch zwei Besen Wasser holten. Am Ende fleht er nach dem Hexenmeister, der dann wirklich kommt und die Besen wieder zu leblosen Objekten zurück verwandelt.

Wir sollten uns in die Lage des Zauberlehrlings versetzen und dann bekamen verschiedene Schüler eine Strophe des Gedichtes zugeteilt und jeder sollte sie seiner Meinung nach interpretieren. So sprach eine Mitschülerin, die es besonders perfekt machen wollte, beim Zauberspruch wie eine alte Hexe. Sie sagte jedes Wort einzeln und sprach alles ziemlich langsam: "Walle, walle, manche Strecke, dass zum Zwecke Wasser fließe..." Die Klasse musste sich schon das Lachen verkneifen.

Doch dann war ein anderer Klassenkamerad an der Reihe und er übertrieb maßlos. Ihm ging es vorrangig darum, einfach laut zu sein und so knallte er mit seiner Faust auf den Tisch und schrie "O, du Ausgeburt der Hölle" an der Stelle, wo der Zauberlehrling wütend ist und versucht den Besen zu erwischen und ihn zu zerteilen. Das Schlagen auf den Tisch und sein lautes Organ lösten die Lachmuskel der ganzen Klasse und so wurde erst einmal ein paar Minuten einfach nur gelacht.

Jeder hoffte, dass er nicht dran kommen würde. Jeder wollte sich die Blamage ersparen, eine Strophe betont vor der Klasse vortragen zu müssen. Ein Klassenkamerad meinte am Ende der Stunde, diese Schulstunde würde wohl als die peinlichste im ganzen Schuljahr eingehen. Er hätte sich noch nie so fremd geschämt wie in dieser Unterrichtsstunde. Er guckt sich auch im Fernsehen diese gespielten Doku-Soaps an, einfach aufgrund des Fremdschämens.

Wie ist das bei euch? Schämt ihr euch oft fremd? Schämt ihr euch jeden Tag fremd? Zu welchen Situationen schämt ihr euch fremd? Welche Personen in eurem Leben sind es, über die ihr euch am meisten fremd schämt? Was passiert beim Fremdschämen bei euch im Körper? Welche Gefühle habt ihr währenddessen? Ist es genauso schlimm, wie wenn man sich über sich selbst schämt oder sogar schlimmer oder weniger schlimm?

» iCandy » Beiträge: 1584 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Also so eine Aufgabe wäre bei uns in der Klasse damals eine willkommene Abwechslung gewesen und wir hätten alle sehr viel Spaß gehabt. Vermutlich wäre auch die Beteiligung einmal ein wenig angestiegen. Geschämt hätte sich ganz bestimmt niemand, wenn er oder sie eine Strophe dieses Gedichts betont hätte vorlesen müssen. Ganz im Gegenteil, es wäre ein großer Spaß gewesen. Und fremd geschämt hätten wir uns wohl erst recht nicht.

Ich habe mich bisher nur ein Paar wenige Male fremd geschämt, nämlich immer dann, wenn eine Person, mit der ich gerade unterwegs gewesen bin, sich in meiner unmittelbaren Nähe in der Interaktion mit anderen Personen in meinen Augen unpassend benommen hat. Zum Beispiel, wenn ein Freund von mir meiner Tante unanständige Details aus seinem Privatleben erzählt und ich direkt daneben stehe. Er hielt sie für meine Schwester. Aber auch in dem Falle hätte ich mich für ihn geschämt. Oder wenn sich die heutige Jugend oder besser gesagt ein Teil davon nahezu bis richtiggehend asozial (im Sinne von unsozial) benimmt. Da gab es letztens eine Situation, als ein Paar Jungen ein kleineres Mädchen, welches ein Kopftuch trug, beleidigt haben und sich über sie lustig machten. Zwar hat jemand in diese Situation eingegriffen, ich habe mich aber dennoch für diese Jungen geschämt.

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» olisykes91 » Beiträge: 5367 » Talkpoints: 24,16 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


Ich schäme mich eigentlich eher selten fremd, aber bei mir kommt so etwas ohnehin nur bei Personen vor, zu denen ich eine engere Bindung habe. Und in den letzten Monaten war ich relativ selten mit Leuten unterwegs, die mir besonders nah standen.

Zu Zeiten, wo ich noch etwas häufiger mit engen Verwandten unterwegs war, habe ich mich schon häufiger fremd geschämt. Beispielsweise so zu Beginn meiner Pubertät. Weil ich Eltern hatte, die immer wieder Kommentare machen mussten, die ich doof fand. Mir war das immer so arg peinlich, wenn andere Leute das mitbekommen haben. Besonders schlimm war es natürlich, wenn es Leute hörten, auf die ich einen guten Eindruck machen wollte, zum Beispiel eben Mitschüler oder auch andere gleichaltrige Jungen und Mädchen. Gerade gegenüber denen, die ich toll fand, war es natürlich besonders schlimm. Der vorwiegende Gedanke war sinngemäß: "Hilfe, was denken die bloß über mich, wenn die sehen, dass ich solche Eltern habe." Ich habe es also direkt auf mich bezogen, so quasi, als wenn durch diese peinlichen Situation auch mein eigener Ruf zerstört würde, weil ich ja mit zu den peinlichen Personen gehöre, indem ich mit ihnen eng verwandt bin, da es ja meine Eltern sind. Das war damals echt schlimm.

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Oh ich schäme mich recht häufig fremd - glücklicherweise hauptsächlich bei Leuten die ich nicht kenne. Und das dann meistens bei Fernsehsendungen. Ein paar Beispiele: Deutschland sucht den Superstar, Traumfrau gesucht, Mitten im Leben, Frauentausch... Ich verstehe einfach nicht wie sich diese Menschen in der Öffentlichkeit zum Affen machen können, aber das ist wohl ein anderes Thema.

Aber eigentlich ist es schon ein komisches Gefühl, Fremdscham bei Menschen die man nicht kennt. Warum eigentlich fühle ich mich komisch, wenn jemand anderes etwas tut dass ich peinlich finde? Eigentlich könnte es mir doch egal sein, oder? Schäme ich mich etwa am Ende dafür, dass ich so eine Sendung schaue? Das kann ich mir kaum vorstellen, schließlich würde ich von mir behaupten, dass ich das differenzieren kann und solche Sendungen zur puren Unterhaltung schaue. Weiterhin schaue ich die Nachrichten, Dokumentationen etc.

Wahrscheinlich liegt es eher daran, dass ich ein so empathischer Mensch bin. Ich kann mich sehr leicht und sehr gut in andere Menschen reinversetzen. So ist es wahrscheinlich bei der Fremdscham. Ich sehe jemanden im Fernsehen der etwas peinliches tut (wobei das natürlich auch Ansichtssache ist, darüber möchte ich nicht urteilen), versetze mich in diese Person hinein und schäme mich "für mich selbst".

Fremdscham für Menschen aus meiner Umgebung hatte ich eher selten. Wie ist das bei euch? Wenn es jetzt enge Freunde oder sogar der Partner sind, fühlt ihr euch dann vielleicht sogar ein bisschen schlecht? Habt ein schlechtes Gewissen?

» Napolde » Beiträge: 21 » Talkpoints: 12,64 »



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