Die Religion als infantile Neurose?

vom 04.11.2010, 21:56 Uhr

Ich bin letztens an einen Text des weltbekannten Pathologen und Begründers der Psychoanalyse, Sigmund Freud gelangt. In dem Text bezeichnet Sigmund Freud den Gottesglauben als eine infantile Neurose. Seiner Ansicht nach, ist die Religion ein psychisches Problem, kein besonders schwerwiegendes, aber eben doch eine Art leichte seelische Erkrankung. Er vergleicht einen gläubigen Menschen mit einem hilflosen Kind. Ein hilfloses Kind ist auf den Schutz seiner Eltern angewiesen. Meistens erfahren die Kinder diesen Schutz besonders von Seiten ihres Vaters, der ihnen als mächtige, schützende und Geborgenheit bietende Instanz erscheint und für sie da ist. Als Erwachsener vermissen viele dieser Menschen diesen Schutz und finden ihn schließlich bei Gott. Der Glaube an Gott füllt für sie diese Lücke, Gott bietet ihnen Erleichterung für die Seele und eine Art Wohlbefinden und das Gefühl beschützt zu sein.

Ein Glaube ist in dieser Hinsicht nach Freud bloß eine Illusion. Die Menschen haben den Wunsch nach Geborgenheit und Sicherheit, eine höhere Instanz, die auf sie aufpasst, ihrem Leben einen Sinn gibt, ihre Züge überwacht und sie führt. Freud sagt schließlich, dass man sich von dieser Neurose nur auf eine einzige Art heilen kann. Ein Mensch muss die Illusion erkennen, der muss wahrhaben, dass die Religion nicht existiert und der Mensch an sich nur hilflos und unbedeutend ist. Das ist für die meisten ein schwerer Zug. Wenn ein Mensch das versteht, kann er endlich vernünftig leben, denn er versteht nun, dass er für seine Taten ganz allein verantwortlich ist und es keinen gibt, der über ihn wacht. Nur so kann sich ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln. Durch die Wissenschaft werden Menschen dieser Erkenntnis Näher gebracht und können sich schließlich von der Illusion befreien.

Als Atheist muss ich sagen, dass ich Freuds Religionskritik absolut überzeugend finde. Das ganze läuft selbstverständlich ganz und gar unbewusst ab und es wird vielleicht auch Menschen geben, die aus einem anderen Grund an Gott glauben. Aber ich bin überzeugt davon, dass Freuds Theorie auf die meisten Gläubigen zutrifft und wahrscheinlich auch der Grund dafür war, dass Gott ''erfunden'' wurde.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Eine Interessante Meinung. Und ich muss sagen, dass ich, wenn ich darüber nachdenke, wie meine Mutter gewesen ist, Freud auch zustimmen muss. Sie war wirklich schon fast besessen von der Kirche und ihrem angeblichen Glauben. Angeblich deswegen, weil sie (vielleicht unbewußt) nicht nach dem Glauben gelebt hat, sondern ihn nur nach Außen getragen hat. Aber jedem wollte sie ihren Glauben aufdrängen. Ich kannte sie nie anders als ein Kirchengänger, der vor Priestern und Nonnen gebuckelt hat und wehe man hat was gegen die Kirche und die katholische Religion gesagt.

Ich kann die Meinung nur teilen und ich muss sagen, dass ich froh bin, dass sie mich nicht mit in den Bann gezogen hat. Dass man an irgendwas glaubt oder auch glauben muss, verstehe ich ja, wenn man aber so fanatisch ist, dann würde ich auch sagen, dass es eine infantile Neurose ist, Bei dem einen fester geprägt als bei dem anderen.

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge


Was Du hier schön im Bezug auf Religion beschreibst, ist ja eigentlich einleuchtend und man kann sagen, dass es z.B. meiner Erfahrung nach den tatsächlichen Umständen sehr nahe kommt. Wenn Du als Atheist hier mit einstimmen kannst, dann ist schon ein großer Schritt getan.

Was jetzt oftmals vergessen wird oder aber zu wenig Beachtung findet: es verhält sich im Bezug auf Nation (und dem sog. Nationalstolz oder auch Patriotismus oder Vaterlandsliebe) genau gleich und ich wüsste jetzt nicht, wieso ein aufgeklärter Mensch, der den Religionsunsinn für sich durchschaut hat, auf die andere Geschichte mit der Nation reinfallen kann.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Also in diesem Bezug muss ich dir vollkommen recht geben. Die meisten Menschen kommen mit dem Gedanken einfach klar, dass sie keine größere Macht über sich stehen haben. Keiner der sie beschützt, keiner der sie leitet und keiner der für ihre Fehler gerade steht. So erfinden diese Menschen für sich einfach einen Gott, der alles regelt und extrem gütig ist.

Dieser Glaube ist meiner Meinung nach immer ausgenutzt worden und wird es auch heute noch. Früher machte man den Menschen Angst um sie um ihr schwer verdientes Geld zu erleichtern. Heute ist es fast genauso.

» blacky123 » Beiträge: 207 » Talkpoints: 4,09 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Crispin hat geschrieben:Ein Mensch muss die Illusion erkennen, der muss wahrhaben, dass die Religion nicht existiert


Das ist Blödsinn. Ich kenne den Originaltext von Freud nicht, aber ich glaube auch nicht, dass er das so ausgedrückt hat. Religion ist die Gesamtheit der Rituale, Bräuche und Instanzen, die eine Gruppe von Menschen aufgrund ihres Glaubens praktiziert und als signifikant ansieht. Und als solches existieren Religionen, sie sind ein Fakt. Man kann sie gut oder schlecht finden, aber man kann ihre Existenz nicht leugnen. Lediglich die Existenz einer göttlichen Instanz ist streitbar.

Was Freuds Argument angeht: Sicher, dem kann wohl jeder logisch denkende Mensch folgen. Ich verstehe aber nicht, was diese Erkenntnis nun ändern soll. Ich persönlich bezeichne mich selbst als gläubigen Menschen. Mir ist wohl bewusst, dass ich die Existenz Gottes nicht beweisen kann und dass überhaupt Gott in der Form, wie ich daran glaube, nur für mich relevant ist. Das ändert aber nichts daran, dass dieser Glauben in meinem Leben wichtig und real ist. Meiner Meinung nach trifft das gleiche auch auf andere Menschen zu.

Was ich damit sagen will ist: Warum ist es so verwerflich, dass Erwachsene Menschen sich vielleicht kindlich auf eine göttliche Elterninstanz konzentrieren? Jeder Mensch glaubt an irgendetwas, weil jeder eine Bezugspunkt braucht. Die, die nicht an Gott oder Götter glauben, glauben an Schicksal oder daran, dass ihre Freunde ihnen helfen werden oder dass alles immer gut oder schlecht ausgeht oder das Geld alles kaufen kann - oder eben irgendetwas anderes. Es ist doch egal, woran jemand glaubt, die Frage ist doch nur, wozu dieser Glauben den Menschen verleitet. Ob jemand gläubiger Christ ist oder sich selbst der Macht des Geldes verschreibt - wichtig ist im Endeffekt, ob er seinen Glauben darauf richtet, ein guter Mensch zu sein.

» channale » Beiträge: 1371 » Talkpoints: 37,37 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


channale hat geschrieben:Warum ist es so verwerflich, dass Erwachsene Menschen sich vielleicht kindlich auf eine göttliche Elterninstanz konzentrieren?

Verwerflich könnte es sein, sich so einem Selbstbetrug zu unterwerfen. Schließlich schreibst Du selbst, dass sich hier Erwachsene kindlich geben! Ist es erstrebenswert, mit der Entwicklung zum Kind hin abzuschließen?

channale hat geschrieben:Jeder Mensch glaubt an irgendetwas, weil jeder eine Bezugspunkt braucht.

Woher Du das hast, weiß ich nicht. Fakt ist aber, dass das so nicht stimmt. Es ist durchaus denkbar, sich mit der Tatsache abzufinden, dass vor und nach dem Leben auf Erden nichts (für einen Persönlich) ist. Es keine höhere Instanz gibt und die ewige, tiefer gehende Sinnsuche zu keinem Ziel bzw. Ergebnis führt. Wir leben, weil wir leben. Nicht weil es eine andere Kraft so will.

channale hat geschrieben:wichtig ist im Endeffekt, ob er seinen Glauben darauf richtet, ein guter Mensch zu sein.

Aber ist das nicht ein Widerspruch zu dem, was einem ins Zentrum gerückt wird, wenn man einen Gottesglauben hat? Hier steht eben nicht der Mensch im Mittelpunkt, sondern die göttliche Instanz, welche eben über allem steht. Dieser Instanz zu gefallen muss ja für den Gläubigen die Messlatte sein, ob man ein guter oder schlechter Mensch ist. Und für das Außenverhältnis zu den anderen Menschen (die eben nicht an einen Gott oder einen anderen Gott mit abweichenden Wertvorstellungen glauben) hat das fatale Folgen!

Oder vereinfacht: wann ist ein Mensch ein guter Mensch und wer bestimmt das? Wenn Du diese Frage mal aus der Sicht des Papstes, eines Hindus und aus der Sicht eines Atheisten beantwortest, solltest Du zu massiv abweichende Antworten kommen.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Ich habe mit Freud und seinen Lehren ja so meine Probleme und finde sie teilweise auch schlicht und einfach überholt. Wenn man sich zum Beispiel mit seiner Psychoanalyse, Traumdeutungen und so weiter beschäftigt erkennt man recht schnell, dass diesen eine verklemmte, sexualfeindliche Gesellschaft zu Grunde liegt. Zu Freuds Zeiten entsprach das sicher der Realität, aber in der heutigen Zeit kann man wohl eher von einer hypersexualisierung der Gesellschaft sprechen.

Was nun seine Religionskritik betrifft - unrecht hat er damit natürlich nicht und was er sagt deckt sich auch relativ gut mit meinen eigenen Beobachtungen. Mein Problem ist nur, dass man ja in seiner Zeit und in seinen Kreisen davon ausging, dass die Religion überwunden werden kann. Eben indem die Menschen durch wissenschaftliche Erkenntnisse aufgeklärt werden. Aber wenn man sich in der Welt umschaut ist das absolut nicht passiert. Es gibt zum Teil sogar Rückschritte.

Hier finde ich es dann sinnvoller, wenn man sich zum Beispiel beim Kollegen Marx umschaut und sich nicht fragt, was die Religion dem einzelnen Menschen bringt, sondern, was sie den Mächtigen bringt, wie sie als politisches Instrument genutzt werden kann und warum eine aufgeklärte, atheistische Gesellschaft von gewissen Kräften vielleicht überhaupt nicht gewünscht ist.

Es ist doch egal, woran jemand glaubt, die Frage ist doch nur, wozu dieser Glauben den Menschen verleitet.

Das ist richtig und mir persönlich ist es auch völlig egal ob jemand an Marsmännchen oder einen Gott im Himmel glaubt, solange ich dadurch nicht beeinträchtigt werde. Aber darum geht es Freud ja nun nicht. Er analysiert die Situation und sucht nach Gründen und Auswegen.

Wenn ein Arzt mit psychisch Kranken arbeitet, wird er wahrscheinlich auch auf dem Standpunkt stehen, dass es erst einmal wichtig ist, wie sich seine Patienten verhalten und wie sie sich trotz Krankheit in die Gesellschaft integrieren können. Das wird ihn aber trotzdem nicht davon abhalten eine Lösung für das eigentliche Problem, die psychische Erkrankung, zu suchen. Mit dem Ziel die Patienten irgendwann ganz davon zu heilen.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



channale hat geschrieben:Das ist Blödsinn. Ich kenne den Originaltext von Freud nicht, aber ich glaube auch nicht, dass er das so ausgedrückt hat. Religion ist die Gesamtheit der Rituale, Bräuche und Instanzen, die eine Gruppe von Menschen aufgrund ihres Glaubens praktiziert und als signifikant ansieht. Und als solches existieren Religionen, sie sind ein Fakt. Man kann sie gut oder schlecht finden, aber man kann ihre Existenz nicht leugnen. Lediglich die Existenz einer göttlichen Instanz ist streitbar.


Ob du das glaubst oder nicht ist ziemlich egal. Du kannst einige wichtige Abschnitte von Freunds Texten zur Religionskritik auf dieser Website nachlesen, vollständig habe ich den Text im Internet aber nicht finden können. Ich denke aber ohnehin, dass du da etwas falsch verstanden hast. Eine Illusion ist etwas, woran man glaubt, was aber nicht existiert. Eine Illusion ist nicht beweisbar und steht meistens im Widerspruch zur Realität. Wenn Freud sagt, der Gottesglaube sei eine Illusion, dann zweifelt er doch damit nicht die Existenz von von Religion an, sondern verdeutlicht lediglich, dass es seiner Meinung nach keinen Gott gibt. Das hast du etwas falsch verstanden.

channale hat geschrieben:Das ändert aber nichts daran, dass dieser Glauben in meinem Leben wichtig und real ist. Meiner Meinung nach trifft das gleiche auch auf andere Menschen zu.


Genau darum geht es Freud doch. Wenn Menschen den Glauben als wichtig und real ansehen, dann ist das für ihn krankhaft, gerade weil sich diese Menschen dieser Illusion hingegen und darum ihrer Psyche Erleichterung verschaffen, indem sie glauben, sie würden beschützt werden und wären für ihre Taten nicht allein verantwortlich. Das ist doch der springende Punkt des Ganzen.

channale hat geschrieben:Was ich damit sagen will ist: Warum ist es so verwerflich, dass Erwachsene Menschen sich vielleicht kindlich auf eine göttliche Elterninstanz konzentrieren? Jeder Mensch glaubt an irgendetwas, weil jeder eine Bezugspunkt braucht. Die, die nicht an Gott oder Götter glauben, glauben an Schicksal oder daran, dass ihre Freunde ihnen helfen werden oder dass alles immer gut oder schlecht ausgeht oder das Geld alles kaufen kann - oder eben irgendetwas anderes.


Wie kommst du denn darauf, dass der Glaube verwerflich ist? Freud sagt doch davon rein gar nichts in seinem Text. Er sagt lediglich, dass der Gottesglaube eine seelische Erkrankung ist. Außer Selbstbetrug, Märtyrertum und andere schlimme Taten im Namen der Religion ist daran nichts verwerflich. Das Glaube zu einem guten Verhalten führen kann, ist sicherlich ein positiver Aspekt, nur leider äußerst sich dieser nur bei einer minimal und verschwindend geringen Anzahl an Gläubigen. Der Großteil lebt den Glauben nur nach außen, oder nutzt ihn zum eigenen Vorteil. Das Menschen übrigens immer an irgendwas glauben, ist in meinen Augen völliger Blödsinn. Man kann sehr gut ohne glauben leben, nur ist das für gläubige Menschen nur schwer vorstellbar. Sie meinen es müsse da unbedingt etwas geben, woran Atheisten glauben, als Geld oder Schicksal, aber das ist eben nicht der Fall. Wie ich bereits sagte, nach Freud muss der Mensch erkennen, dass er auf sich allein gestellt und hilflos ist und genau das tun gläubige Menschen nicht, wie du gerade mit dieser Behauptung bewiesen hast.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


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