Trotz Ausbildung und Begabung andere Tätigkeit wählen

vom 06.08.2021, 09:12 Uhr

Ich kenne zwei Menschen, die immer wieder scheitern, weil sie unbedingt etwas tun wollen, was weder ihrer für mich offensichtlichen Begabung noch ihrer Ausbildung entspricht. Einer davon, ein ehemaliger Freund, ist Diplom-Psychologe. Er ist empathisch, eloquent und hat das Studium gut gemeistert. Er hat aber nie als Psychologe arbeiten wollen, sondern hat immer wieder verschiedene andere Sachen probiert.

Einmal wollte er ein Antiquitätengeschäft eröffnen, ist deswegen auf Haushaltsauflösungen und Flohmärkte gegangen, obwohl er überhaupt keine Ahnung davon hat. Statt Praktika zu machen, hat er während seines Studiums versucht Geld zu verdienen, indem er alte Autos kauft, diese repariert und wieder teurer verkauft. Ich kann die vielen Sachen gar nicht alle aufzählen, die er versucht hat.

Er ist nun Mitte Fünfzig, hat nie als Psychologe gearbeitet und lebt von Hartz 4. Ich habe nur vom Hören-Sagen Kontakt und kann mir das nur aus psychischen Gründen erklären. Kennt ihr Leute, die trotz guter Ausbildung, bester Berufsaussichten und Begabung völlig andere Berufe wählen und damit scheitern? Was sind wohl die Beweggründe dafür, in den Augen anderer so unlogisch zu handeln?

Als Psychologe hat man doch so viele unterschiedliche Möglichkeiten, gerade als Selbstständiger, sich frei zu entfalten und dabei noch gut zu verdienen. Den anderen, den ich kenne und dessen Lebensweg ich so gar nicht verstehe, ist auch Psychologe und arbeitete eine Zeit lang als Lastwagenfahrer, wurde damit aber auch nicht glücklich. Was er jetzt macht, weiß ich nicht.

» blümchen » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Mod am 06.08.2021, 10:24, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen


Als Psychologe hat man so viele tolle Möglichkeiten? Ich habe jetzt zufällig auch mehrere Leute in meinem Umfeld, die Psychologie studiert haben, und die würden dir glaube ich etwas ganz anderes erzählen.

Der erste Fall hat sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten gehangelt, oft auch nur eine halbe Stelle gehabt. Eine feste, unbefristete Anstellung war weit und breit nicht in Sicht. Das war erst mal in Ordnung weil er dadurch mehr Zeit für die Kinder hatte und seine Frau ihre Forschung abschließen konnte.

Aber die Kinder sind nun in der Schule und da er keine Aussicht auf eine Verbesserung seiner Situation hatte, hat er schließlich in Fortbildungen investiert und ist inzwischen als Unternehmensberater tätig. Man kann noch so "begabt" sein, irgendwann möchte man doch auch einfach mal beruflich ankommen und für die nächsten Jahre eine gewisse Planungssicherheit haben für seine Familie.

Fall Nummer zwei hat nach dem Studium erst mal in einem anderen Job gearbeitet weil sie Geld gebraucht hat. Warum? Weil du mit einem abgeschlossenen Studium nämlich noch lange keine Therapeutenausbildung hast. Die meisten Stellen für Psychologen sind aber Stellen für Psychotherapeuten. Die Ausbildung kostet fünfstellig und da sind auch Praxissemester dabei, in denen man überhaupt keine Zeit hat nebenher zu arbeiten.

Und dann bist du endlich fertig mit der Ausbildung und dann fängt der Spaß erst richtig an, siehe Fall Nummer eins. Ist nämlich nicht so, dass die Welt nur darauf wartet, dass du als fertig ausgebildete Psychotherapeutin daher kommst. Kassenzulassungen sind ein rares Gut. Diese Freundin hat es inzwischen zumindest geschafft eine feste Stelle in einer Klinik zu ergattern, aber die erträumte Selbständigkeit ist in weiter Ferne. Den Krankenkassen scheint die "Begabung" reichlich egal zu sein.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


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