Von einer Überflussgesellschaft in eine Mangelwirtschaft?

vom 03.07.2022, 18:32 Uhr

Klehmchen hat geschrieben:Puh, die Klinik würde ich gerne sehen, wo die Ärzte nicht wissen, was sie tun sollen. Mag es vielleicht irgendwo geben, aber mein Erleben nach, haben die eigentlich alle genug zu tun. Auch der Rest stimmt ja nur teilweise. Es gibt ja Facharztweiterbildungen, die nur 5 Jahre gehen. Auf der anderen Seite gibt es eben Fachärzte, gerade in den chirurgischen Fächern, die brauchen keine Jahre an Ausbildungen, die brauchen einfach viele Operationen, um darin routiniert zu werden und um auch seltene Operationen selbstständig durchführen zu können.

Eine Freundin von mir macht eine Ausbildung zum Psychotherapeuten. Sie ist schon mit dem Studium fertig und muss nun Klinikstunden machen und eine Art Facharztausbildung mit Theorie-Seminaren an manchen Wochenenden. Sie Klinikstunden muss sie in einer Psychiatrie hinter sich bringen und ist dort drei Tage pro Woche. Sie hat den Großteil der Stunden schon geschafft.

Mir hat sie erzählt, dass sie da wenig zu tun hat und auch relativ wenig mit Patienten arbeitet. Sie muss in der Psychiatrie ab und an mal eine Gruppentherapie leiten und manchmal macht sie Entspannungstraining mit den Patienten, aber da sie dort als Springer ist, hat sie keine richtig festen Aufgaben und hat ganz oft Lücken, also Leerlauf. Neulich seien zwei junge Assistenzärztinnen da gewesen, für die es auch keine Aufgabe gab und die sollte sie dann ein wenig beschäftigen. Ansonsten macht sie irgendwas, um die Zeit tot zu schlagen. Heute früh schrieb sie mir beispielsweise, dass sie gerade wieder in der Klinik ist, nichts los ist und sie die freie Zeit nutzt, um ihre Steuererklärung zu tippen.

Sie sei sogar mal zwischendurch einkaufen gefahren, weil es eben gar keinen interessiert, was sie macht, so lange am Ende die Aufzeichnung der Stunden am Zeiterfassungs-Terminal passt. Es bekommt gar keiner mit, ob sie da ist oder nicht, so lange sie sich früh einloggt. Das klingt sehr für mich danach, dass dieses Ableisten von Stunden dort irgendwie sinnlos ist und man da die praktischen Stunden doch kürzen könnte. Wenn es nicht so viele praktischen Stunden wäre, die abgeleistet werden müssten, dann wäre die Ausbildung vielleicht auch verlockender für andere.

Anfangs habe sie die Zeit durchaus sinnhaft genutzt und Therapiebücher gelesen oder die ganzen Testverfahren die es da gibt ausprobiert. Aber inzwischen guckt sie nur noch, wie sie die Zeit herumbekommt, bis sie genug Stunden zusammen hat, damit die Zeiterfassung ihr keine Minusstunden attestiert.

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Punktedieb hat geschrieben:Eine Umverteilung wie du sie beschreibst, sehe ich da erst mal nicht. Denn es macht doch einen Unterschied, ob ich den Allgemeinmediziner nach fünf Jahren Studium in Budapest habe oder erst nach zehn Jahren in Deutschland, weil er hier so lange auf einen Studienplatz warten musste. Ich habe als Landesregierung also ein Problem schneller entspannt damit und kann mich dann entsprechend schneller dem nächsten Problem widmen. Wobei ja nicht jeder junge Arzt dann auf dem Land hängen bleibt.

Du hast glaube ich die Medizinerausbildung gar nicht verstanden oder? Das Studium dauert zunächst überall nahezu gleich, teilweise gibt es einige Privatunis, da dauert es sogar ein bis zwei Semester länger. Erst recht in Ungarn, wo man wenn man nur dort ausgebildet wird 7 Jahre braucht. Nichts desto trotz ist das kein zusätzlicher Studienplatz. Du nimmst den Platz dann einem Ungarn weg, der nicht studieren kann. Wieviel Plätze dort überhaupt an deutsche Studierende gehen, weiß ich nicht. Bei Preisen von 7.000 Euro pro Semester werden es aber nicht viele sein. Wie gesagt ich persönlich habe in meinem Unileben einen Kommilitonen kennengelernt, der dann aus Ungarn nach Deutschland gewechselt ist.

Und selbst wenn es viele wären, sind die nach dem Studium dort ja genauso wenig fertig wie hier. Den Facharzt für Allgemeinmedizin kriegen auch die ja frühestens 5 Jahre nach dem Studium. Wir reden also von Ausbildungszeiten von 11-13 Jahren je nach Facharztrichtung bevor die alleine eine Praxis aufmachen können. Und Förderprogramme wie ich sie bei im Land kenne, sind oft auf eine einzelne Klasse eines Studienjahrganges beschränkt, wir reden dann also pro Uni über 20-30 Studierende, die aber eben nicht wirklich zusätzlich studieren, sondern nur anderen Bewerbern vorgezogen werden, weil sie sich für bestimmte Gegenden verpflichtet haben.

Summa summarum reden wir hier also inklusive der deutschen Privatunis pro Jahr über vielleicht ein paar hundert zusätzliche Plätze für deutsche Bewerber bei insgesamt mehr als 11.000 regulären Studienplätzen in Deutschland. Das ist also mehr ein Tropfen auf den heißen Stein als eine tatsächlich schnelle Lösung eines Problems.

Was diesen Physician Assistant angeht, so sind mir da bisher nur wenige Berichte bekannt. Aber ich finde das durchaus in der Unfallambulanz interessant, wenn diese Mediziner die kleineren Verletzungen versorgen können ohne dass man die diensthabenden Ärzte benötigt. Das würde vor allem da eine enorme Entlastung bringen, wenn sie erst flächendeckend im Einsatz sind.

Das ist ja das was ich meine. Die Idee ist gut und so wie du es verstanden hast und so wie es eigentlich auch mal gedacht war, wäre das tatsächlich eine Entlastung. Das Problem wird aber sein, dass unsere privaten Krankenhäuser diese Berufsgruppe nicht zusätzlich einstellen, sondern schlichtweg auf die Idee kommen stattdessen einfach den diensthabenden Arzt einzusparen. Das geht natürlich nur in gewissen Grenzen. Es muss ja immer ein richtiger Arzt da sein, gerade nach Feierabend und an Wochenende.

Aber wenn du bisher ein Dienstsystem gefahren hast mit zwei Assistenzärzten die von heute früh bis morgen früh Dienst machen, fährst du das System dann halt in Zukunft mit einem Assistenzarzt und einem Physician Assistant. Der kann ja den "richtigen" Arzt jederzeit rufen, wenn er alleine nicht mehr weiter kommt. Und genau hierfür habe ich von der Regierung noch keinen Lösungsvorschlag wie man genau das vermeiden kann.

Man lässt sich da halt von den privaten Betreibern einfach übers Ohr hauen, weil man bis heute scheinbar nicht verstanden hat oder nicht verstehen will, dass diese keine kranken Menschen heilen wollen, sondern in erster Linie Geld verdienen wollen. Ist ja auch irgendwie normal bei Aktienkonzernen. Und das geht eben zum einen über die Einnahmen und zum anderen über die Ausgaben. Die Ausgaben für Pflege kriegt man mittlerweile eins zu eins ersetzt als Krankenhaus. Sparst du da also ein, kriegst du halt auch einfach weniger Geld. Da bringt sparen also nichts mehr.

Aber die Arztkosten sind halt noch immer in der DRG für die Krankheit/Verletzung drin. Du kriegst also da immer die gleiche Kohle für die Operation, egal ob du sie mit einem oder mit drei Ärzten durchgeführt hast. Hier kann man also Lohnkosten sparen und da setzen die privaten Betreiber seit letztem Jahr immer stärker an. Das also Leute unter diesen Umständen zusätzlich eingestellt werden, wird wohl nur an kommunalen Krankenhäusern stattfinden, wenn überhaupt.

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