Buchrezension: Henning Mankell - Der Chinese

vom 18.08.2009, 11:41 Uhr

Soeben habe ich Henning Mankells "Der Chinese" abgeschlossen und muss sagen, dass ich tief enttäuscht war. Dabei fängt es recht viel versprechend an: In einem kleinen abgelegenen Dorf in Schweden wird ein Haufen alter Leute brutal ermordet. Nur drei Dorfbewohner bleiben unversehrt. Die ermittelnde Kommissarin findet heraus, dass sämtliche Opfer des Dorfes über Heirat oder sonst wie verwandt waren, nur die drei Überlebenden gehörten nicht zur Großfamilie. Warum aber schlachet jemand ein gutes Dutzend Rentner ab, wofür will er sich rächen? Eine Richterin aus Helsingborg, die mit den alten Leuten verwandt war, fragt sich dasselbe und stellt eigene Nachforschungen an. Dabei trifft sie auf einen Chinesen, der sich scheinbar nur während der Mordnacht in Schweden aufhielt. Ist er der Mörder und wenn ja, warum beging er die Greueltat?

Bis dahin gut gelungen, aber ab diesem Punkt ist es mit der Spannung leider vorbei. Es folgt nur noch Geschwafel über die Mentalität in China, seine Vergangenheit und seine Zukunft, den Kommunismus früher und heute, die Jugend der Richterin, ihre Ehe, ihre Freundschaften, das Älterwerden und so weiter. Ein einziges langes Blabla. Zwischendurch ist die Geschichte eines Chinesen aus dem 19. Jahrhundert eingeschoben, der auf Umwegen nach Amerika gelangt und dort einem Vorfahren der Richterin begegnet. Dieser misshandelt ihn schwer und demütigt ihn, wann immer möglich, weil er Asiaten verachtet. Gut hundert Jahre später sitzt der Nachfahre des Chinesen mit dessen Tagebuch da und sinnt auf Rache. Der Fall ist also im Prinzip gelöst, das Motiv klar, der Täter ermittelt. Nur die handelnden Personen kommen nicht dahinter, was meines Erachtens hauptsächlich daran liegt, dass sie die ganze Zeit sinnlos herumphilosophieren, über Mao und die Zukunft der Welt.

Bislang kannte ich von Mankell nur seine Wallander-Reihe, die mir sehr gut gefallen hat. Nach diesem Erlebnis werde ich mir aber wohl seine sonstigen Ergüsse ersparen. An Langeweile kaum zu übertreffen, ohne vernünftigen roten Faden in der Handlung. Eigentlich gibt es auch kaum Handlung, das Buch besteht im Wesentlichen aus Weltanschauungen und leerem Gerede darüber, wie die Gesellschaft sein sollte und warum. Dieses Buch als einen Krimi zu bezeichnen, ist einfach lachhaft, es handelt sich hier allenfalls um eine philosophische Schrift mit kriminalistischer Rahmenhandlung. Diese bleibt völlig im Hintergrund und ist unwichtig, wird im Grunde nur bemüht, um einen Aufhänger für das ellenange Geschwafel zu schaffen. Wie gesagt, eine bodenlose Enttäuschung, nach Mankells sonstigem Standard und für Krimifans absolut nicht zu empfehlen. Müsste ich Punkte vergeben, läge dieses Buch definitiv im negativen Bereich der Skala.

» Sorcya » Beiträge: 2904 » Talkpoints: 0,01 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Das Buch habe ich nicht gelesen, aber ich habe mir das Hörbuch im Auto "reingezogen".

Das Hörbuch fand ich ganz gut. Hörbücher sind ja im Normalfall gekürzte Versionen des Buches. Vielleicht war das diesmal ein Glücksfall.

Das Buch ist sicherlich kein typischer Mankell. Aber gerade die Beschreibung der Geschichte des Chinesen, der im 19. Jahrhundert in die USA geht und dort beim Eisenbahnbau "mitwirkt" fand ich absolut faszinierend. Wenn man sich die aktuelle Presse zu den "Importköchen" aus China durchliest, scheint sich das Geschäftsmodell so gut wie nicht verändert zu haben.

Die Brücke zur "Neuzeit" mit dem Chinesen, der seinen Ahnen rächen will, fand ich aber auch ziemlich konstruiert. Auch die "Kolonialisierung" von Afrika durch die Chinesen wirkte etwas an den Haaren herbeigezogen.

» ronald65 » Beiträge: 712 » Talkpoints: 3,45 » Auszeichnung für 500 Beiträge


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