Tanzverbot an stillen Feiertagen noch zeitgemäß?

vom 07.04.2023, 21:15 Uhr

Karfreitag ist, wie u.a. auch der Aschermittwoch, Buß- und Bettag, Allerheiligen usw., einer der sogenannten "Stillen Feiertage" an denen es in den meisten Bundesländern ein öffentliches Tanzverbot gibt. Bis auf wenige Ausnahmegenehmigungen sind Partys an diesen Tagen also nur im privaten Bereich möglich.

Unter anderem der baden-württembergische Hotel- und Gaststättenverband fordert deswegen die Abschaffung dieser Regelung. Ein Clubbesuch z.B. wäre für den Großteil ohne Tanzmöglichkeit uninteressant und es lohne sich somit der Betrieb an solchen Tagen nicht. Die Giordano-Bruno-Stiftung, die sich für die Trennung von Staat und Kirche einsetzt, feiert heute auch eine genehmigte öffentliche Party.

Ich persönlich kann dieses Anliegen, das Tanzverbot und sonstige Regelungen zum "stillen Feiertag", nicht nachvollziehen. Bayern hat meiner Meinung nach mit neun Tagen die meisten "stillen Feiertage" und ich finde, dass sich selbst da dann die Anzahl der "umsatzschwachen Tage" wirklich in Grenzen hält. Man sollte hier den besinnlichen Anlass der Feiertage meiner Meinung nach akzeptieren und diese Feiertagsruhe so bestehen lassen. Wer wirklich an solchen Tagen eine Party braucht, der kann die ja im angemessenen, rücksichtsvollen Rahmen trotzdem feiern.

Findet ihr, dass so ein Tanzverbot an "stillen Feiertagen" noch zeitgemäß ist? Könnt ihr verstehen, dass der Gastronomieverband da eine Abschaffung des Tanzverbots fordert? Tun solche Ruhetage der Gesellschaft unabhängig vom kirchlichen Hintergrund nicht auch einfach mal gut?

» EngelmitHerz » Beiträge: 3943 » Talkpoints: 17,00 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Das Tanzverbot rangiert bei mir in einer Linie mit der Zeitverschiebung, der Kommerzialität des Weihnachtsfests und der Verwendung von Zwiebelschalen zum Färben von Ostereiern. Die entsprechende Sau wird Jahr für Jahr wieder durchs Dorf getrieben, die Medien schreiben ihr immer gleiches Ding, und letzten Endes interessiert sich niemand ernsthaft dafür. Außer im Falle des Tanzverbots Diskothekenbetreiber an den bayerischen Landesgrenzen, weil ihnen an den stillen Feiertagen das Geschäft durch die Lappen geht.

Und natürlich ist das "Tanzverbot" Schwachsinn. Wir leben in einem säkularen Staat, die Verbreitung der christlichen Lehre ist seit Jahrzehnten auf dem absteigenden Ast und auf die Befindlichkeiten, Feiertage und Traditionen anderer Religionen und Weltanschauungen nimmt auch keiner einen Funken Rücksicht. Siehe Ramadan und schweinefleischfreie Kitas. Aber so lange sich die entsprechende Wählerschaft damit wohler fühlt, dass sich die Leute an Karfreitag angemessen langweilen, wird die Politik eisern daran festhalten.

» Gerbera » Beiträge: 11292 » Talkpoints: 42,29 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


Und warum genau sollte ich den besinnlichen Anlass eines Feiertags respektieren, der mit mir überhaupt nichts zu tun hat? Es gibt wahrscheinlich genug besinnliche Anlässe von Feiertagen, die du ebenfalls nicht respektierst weil sie mit dir nichts zu tun haben. Warum haben die christlichen Kirchen immer noch so viel Macht in einem säkularen Staat und in einer aufgeklärten Zeit?

Die Mitglieder der christlichen Kirchen stellen seit 2022 nicht mal mehr die Mehrheit in diesem Land. Und das ist wahrscheinlich schon sehr großzügig berechnet, weil da ja auch all die mitgezählt werden, die mit der Kirche gar nichts mehr zu tun haben aber aus Bequemlichkeit oder beruflichen Gründen noch nicht ausgetreten sind.

Mich persönlich stört dieses Verbot genauso wenig wie die geschlossenen Geschäften an Sonntagen. Ich vermisse da nichts und verlege entsprechende Aktivitäten dann einfach auf andere Tage. Aber mich stört es schon irgendwo, dass eine Minderheit einer Mehrheit ihre Überzeugung aufdrängt. Zumal diese Minderheit ja überhaupt keine Nachteile dadurch hätte, wenn andere an ihren Feiertagen Party machen. Nur weil ein Club offen hat muss man da ja noch lange nicht hin gehen, oder? Und wenn man durch Gesetze zu "besinnlichen Anlässen" praktisch gezwungen werden muss kann es mit der Religion ja nicht weit her sein.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



Der Blick ist verengt besonders auf die gastronomische Verkommerzialisierung, die in den Feiertagen, also Tagen, an denen die meisten Leute nicht zur Arbeit gehen müssen, aber trotzdem Lohnfortzahlung bekommen, mit der so gewonnenen Freizeit nichts anderes anzufangen wissen, als zu entsprechenden Tanzveranstaltungen zu gehen, eine lukrative Verdienstquelle sehen. So gesehen, müssten sie für jeden sich bietenden Feiertag dankbar sein. Diese Verdienstmöglichkeiten sehen sie aber geschmälert durch die sogenannten "stillen Feiertage".

Das ist aber zu kurz gedacht. Nicht nur, dass in vielen unseren europäischen Nachbarstaaten am Karfreitag zum Beispiel gearbeitet werden muss, wie an jedem anderen Werktag, was als Resultat der Abschaffung der stillen Feiertage gewertet werden muss, nein die Tendenz zur Abschaffung auch aller anderen Feiertage setzt sich fort, wenn der eigentliche Sinn, der hinter den Feiertagen steckt, völlig aus dem Blick verloren wird.

Es sind ja nicht nur die durch die bisweilen gescholtene christlich abendländische Tradition zur Gliederung des Freizeitkalenders herangezogenen Tage, es gibt noch eine Reihe regionaler "Feiertage", die nichts mit Religion im engeren oder weiteren Sinn zu tun haben. Auch hier könnte jemand behaupten, es ginge ihn nichts an. Aber eigenartigerweise werden die so angebotenen Feiertage gerne als arbeitsfreie Tage in Anspruch genommen.

So sägen sich die Leute ihren eigenen Ast, auf dem sie sitzen, ab, wenn sie den Sinn der "stillen Feiertage" nicht verstehen wollen. Denn setzt sich die Tendenz zur Aufhebung der "Tanzverbote" und dergleichen Veranstaltungen fort, kann man diese Tage auch ganz abschaffen. Dann ist es mit dem verlängerten Wochenende um Ostern herum nämlich ganz vorbei, und die Leute müssen wieder mehr zur Steigerung des Bruttosozialproduktes beitragen.

» Gorgen_ » Beiträge: 1060 » Talkpoints: 374,40 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Dein Blick ist da doch ziemlich verengt. Denn stille Feiertage haben nicht zwangsläufig etwas mit arbeitsfreien Tagen zu tun. Bis auf wenige Ausnahmen wie beispielsweise den Karfreitag sind Feiertage Sache der Bundesländer.

Und da ist es wirklich ziemlich abstrus. Nimm beispielsweise den Freistaat Bayern. Aschermittwoch, Gründonnerstag, Karsamstag und noch so einige andere Tage sind dort als stiller Feiertag deklariert. Da darf ich arbeiten gehen, an Sportveranstaltungen teilnehmen, zum Essen gehen, mich besaufen, aber tanzen darf ich auf einer öffentlichen Unterhaltungsveranstaltung nicht. Denn merke: Stiller Feiertag bedeutet nicht, dass es auch ein arbeitsfreier Tag ist.

In Nordrhein-Westfalen ist es auch so hübsch geregelt, dass am Gründonnerstag, der mitnichten arbeitsfrei ist, ab 18 Uhr keine Tanzveranstaltungen erlaubt sind. Läden dürfen aber bis null Uhr geöffnet sein. Religionsfreiheit heißt eben auch, nicht zur Religionsausübung gezwungen zu werden. Und da darf man sich eben schon fragen, ob es zeitgemäß ist, wenige Stunden vor dem höchsten Fest der Christen nicht tanzen, aber einkaufen gehen zu dürfen. Warum müssen sich in einem minimalen Teilbereich alle einschränken, wenn das Leben ansonsten weitergeht? Und warum Tanz- und Filmverbote an Karfreitag, wenn der Carfreitag zelebriert werden darf? Und das in einem angeblich säkularen Staat?

» cooper75 » Beiträge: 13331 » Talkpoints: 498,86 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


cooper75 hat geschrieben:Und da ist es wirklich ziemlich abstrus.

Die Einzelverbote ab bestimmten Uhrzeiten zum Beispiel. Aber das ist nota bene das Ergebnis bereits vor Jahrzehnten mühsam ausgehandelter "Kompromisse". Reicht man den Leuten den kleinen Finger, wollen sie die ganze Hand, könnte man einwenden.

Die Tendenz geht dann schnurstracks in Richtung völliger Abschaffung. Und andersherum gedacht, wie sieht das mit dem Djümma, dem Freitag der Moslems, dem Schabbat, Sonnabend, der Juden aus? Dann müsste man in einer pluralistischen, kosmopolitischen Gesellschaft freitags, samstags und sonntags auch alles tariflich einer Sonderbehandlung unterziehen.

Wie sieht das dann mit den Zuschlägen aus? OK. Das Ganze will wohl keiner so recht. Ich sage gelegentlich augenzwinkernd, ich arbeite gerne am Wochenende, dafür aber montags bis freitags frei, bei vollem Lohnausgleich, versteht sich.

Und karfreitags kam ich in den Niederlanden immer zu spät zur Arbeit, weil zwar in Deutschland die Züge nach Sonntagsfahrplan einem vor der Nase wegfahren, in den Niederlanden aber kein Feiertag ist.

» Gorgen_ » Beiträge: 1060 » Talkpoints: 374,40 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Und was haben deine Ausführungen nun damit zu tun, dass es sich um einen stillen Feiertag handelt? Du redest jetzt über Feiertage im Allgemeinen. Aber das ist hier nicht das Thema. Es geht lediglich um stille Feiertage. Die sind weder automatisch arbeitsfrei, noch gibt es an diesen Tagen aufgrund der "Stille" in Tarifverträgen mehr Geld.

» cooper75 » Beiträge: 13331 » Talkpoints: 498,86 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



Gorgen_ hat geschrieben:
Die Tendenz geht dann schnurstracks in Richtung völliger Abschaffung.

Von so einer Tendenz habe ich ehrlich gesagt noch nichts mitbekommen. Wird wirklich die völlige Abschaffung aller Feiertage gefordert oder angestrebt? Das kann ich mir kaum vorstellen, und ich erlebe das auch nicht so.

Was das Tanzverbot betrifft, halte ich es allerdings tatsächlich für unwichtig. Meinetwegen können die Menschen auch zum Tanzen gehen am Karfreitag. Es wird wahrscheinlich trotzdem nur für manche Leute in Frage kommen, und diejenigen, die das gern wollen, sollen es meinetwegen auch dürfen.

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» lascar » Beiträge: 4414 » Talkpoints: 782,29 » Auszeichnung für 4000 Beiträge


Natürlich finde ich das Durcheinander bei den Feiertagsregelungen nicht gut. Was mir persönlich auffiel, war, als ich noch bei Kaufhof als Aushilfe gearbeitet hatte, dass der Ostersamstag der Tag war, an dem der mit Abstand höchste Umsatz im Kalenderjahr erzielt werden konnte. Und dann kommen die Leute in Scharen in die Innenstadt und wollen auch nach Geschäftsschluss in die Diskothek. Und die ist dann zu.

Die Frage, die sich einem förmlich aufdrängt, ist dann, ist nicht das Kaufen genauso gotteslästerlich wie der anschließende Abtanzer in der Diskothek, vor allem, weil ja schon direkt die Osternacht kommt, wo vom offiziell diktierten Trübsal blasen plötzlich ein Stimmungswechsel auf himmelhochjauchzend verordnet wird. Die paar Stunden machen den Kohl doch nicht fett.

Nun ja, das Thema war ja Karfreitagsfreizeitgestaltungsreglementierung. Karfreitag ist noch ein Sonderfall. Irgendwie stört mich das. Allein die Vorstellung, da wird eines blutrünstigen Abschlachtens eines Menschen gedacht, die "bösen" Juden als Mörder eines Propheten namens Jesus oder Issa, der sich Gottes Sohn nennen darf, verteufelt, und dann soll Stimmung in der Disko aufkommen. Irgendwie passt das nicht so recht zusammen. (Ähhm, ist jetzt der Passus mit der Judenhetze aus der Karfreitagsliturgie der Katholen gestrichen worden oder nicht?)

lascar hat geschrieben:Gorgen_ hat geschrieben: Die Tendenz geht dann schnurstracks in Richtung völliger Abschaffung.
Von so einer Tendenz habe ich ehrlich gesagt noch nichts mitbekommen. Wird wirklich die völlige Abschaffung aller Feiertage gefordert oder angestrebt?

Buß- und Bettag war ein Beispiel, dann wurde schon seit einiger Zeit über die Streichung des Pfingstmontages aus der Feiertagsliste diskutiert. Die Tendenz ist erkennbar.

» Gorgen_ » Beiträge: 1060 » Talkpoints: 374,40 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Gorgen_ hat geschrieben:Buß- und Bettag war ein Beispiel, dann wurde schon seit einiger Zeit über die Streichung des Pfingstmontages aus der Feiertagsliste diskutiert. Die Tendenz ist erkennbar.

Das war 1995 gewesen. Meines Wissens sind seither keine weiteren Feiertage abgeschafft worden. In Berlin und MV ist sogar einer dazu gekommen, der Internationale Frauentag am 8. März. Eine Tendenz zur Abschaffung weiterer Feiertage kann ich daraus eigentlich nicht ablesen. Ich kann mir ehrlich gesagt auch nicht so recht vorstellen, dass die Leute gern und bereitwillig freie Tage aufgeben wollen.

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» lascar » Beiträge: 4414 » Talkpoints: 782,29 » Auszeichnung für 4000 Beiträge


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