Pflicht zum Insolvenzantrag aussetzen sinnvoll?

vom 09.08.2020, 19:07 Uhr

Die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht ist mit dem Vorschlag vorgeprescht, dass überschuldete Unternehmen von einer Pflicht zum Insolvenzantrag bis möglicherweise zum 31.03.2021 entbunden werden könnten. Befürworter dieser Regelung argumentieren, dass verschuldete und klamme Unternehmen so noch eine längere Möglichkeit hätten sich ohne Insolvenz aus der Krise herauszuziehen und die Kritiker sagen, dadurch würde die anstehende Pleitewelle nur künstlich gestreckt, ohne einen gesundenden Effekt für die von der Insolvenz bedrohten Unternehmen zu zeigen. Was haltet ihr denn ganz allgemein von diesem Vorschlag die Insolvenzantragspflicht auszusetzen? Wo seht ihr die Vorteile und Nachteile?

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» mikado* » Beiträge: 3037 » Talkpoints: 1.002,67 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Es sind besondere Zeiten für Unternehmen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass auch Unternehmen pleite gehen, die vorher gute Chancen hatten, insbesondere im Veranstaltungsbereich. Daher finde ich es grundsätzlich gut, dass man dies berücksichtigt.

Natürlich gibt es auch Firmen, für die ein hartes, schnelles Ende besser wäre als ein Dahinsiechen über lange Zeit. Aber das zu unterscheiden ist schwierig. Also ja, ich finde es fair, die Pflicht zum Insolvenzantrag beantragen zu müssen auszusetzen, richtig. Und zwar zeitlich großzügig bemessen.

» blümchen » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Ich denke man möchte hier einfach Menschen eine Möglichkeit geben, die Geld verdienen wollen und sonst keine Möglichkeit mehr dazu haben. Corona kam für alle ungeplant und für jeden überraschend, daher kann ich mir auch vorstellen, dass gerade Anfänger dann nicht genügend Rücklagen hatten und jede Rücklage auch mal aufgebraucht ist, was nicht heißt, dass man das nicht wieder hinbekommen kann. Ich finde es sehr sinnvoll, dass man diese Möglichkeit gibt.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Ich finde diese Situation ausgesprochen schwierig zu beurteilen, da wir auch in einer nicht normalen Situation im Alltag leben müssen. Das hier im Augenblick nichts mehr „so normal“ ist wie vor einem Jahr, dürfte einleuchten und was soll man jetzt tun. Ich gehe davon aus, dass die Aussetzung ein Segen und Fluch gleichzeitig sein kann. Ich versuche mal zu erklären, was mir da so durch den Kopf geht.

Da haben wir die Firmen, die auch ohne Corona an der Grenze zur Insolvenz geschlittert sind und jetzt damit eine Verlängerung ihrer Lage mitmachen, weil sie sich vielleicht auch einreden, dass nach der schweren Zeit alles wieder besser wird. Hoffen kann man ja, aber nicht immer darf man mit so etwas rechnen.

Dann gibt es all jene, denen Corona wirklich alles kaputt gemacht hat und ihnen den Boden unter den Füßen der Existenz weggerissen hat. Diese könnten hoffen und darauf bauen, dass nach einer Öffnung auch ihre finanzielle Situation sich wieder legt und eine Insolvenz gar nicht notwendig erscheint.

Doch was jetzt richtig und falsch ist, möchte ich in einer solch schweren Situation wirklich nicht beurteilen. Das ist ein absolut schwieriges Thema und es hängt einfach so viel daran. Dennoch muss man das Angebot der Regierung auch als großzügig werten, das ist schon wirklich ein großes Entgegenkommen.

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Nehmen wir doch mal ein ganz einfaches Szenario. Firma XY hat bis dato Teile für die Autoindustrie gefertigt. Diese Firmen sind manchmal auch am finanziellen Limit, da sie ja von den großen Herstellern am langen Arm gehalten werden. Sie bekommen ihre gelieferten Waren erst sehr viel später bezahlt.

Nun kam der erste Lockdown im Frühjahr, die Hersteller haben nichts mehr abgenommen, Gelder von den letzten Lieferungen sind noch ausstehend und es droht die Insolvenz, weil die Firma halt nicht mehr zahlungsfähig ist. Zwischenzeitlich stellt genau diese Firma XY auf Alltagsmasken um. Nutzt teilweise dafür Material, was schon vorhanden ist im Lager und muss noch Material dazukaufen. Macht also Firma XY erst mal Schulden, um weiterhin produzieren zu können. Da der Absatz nicht gleich von heute auf morgen reibungslos klappt, bleibt die Zahlungsunfähigkeit bestehen und dazu kommen eben auch noch die bewusst gemachten Verbindlichkeiten.

Firma XY müsste also Insolvenz anmelden, obwohl die Auftragsbücher voll sind. Dazu ist bekannt, dass größere Geldeingänge kommen werden, weil ja die nun hergestellten Alltagsmasken auch verkauft worden sind. Man würde also eine funktionierende Firma abwickeln, obwohl sie nur einen Zeitraum x überstehen muss.

Nun wird die Pflicht zum Insolvenzantrag ausgesetzt und Firmen wie die beschriebene XY kann aufatmen, weil sie sich wieder auf finanziell sicheren Boden zu bewegen kann. Die Arbeitsplätze bleiben erhalten, man hat neue Produkte im Sortiment und ist damit wesentlich flexibler geworden, als man vor Corona war. Man rettet am Ende nicht nur solche Firmen, sondern auch dem Staat wird damit geholfen. Weniger Leute, die aus den Sozialtöpfen schöpfen müssen, Steuereinnahmen nicht zu vergessen.

Sicherlich mag es auch Firmen gehen, welche die Kurve nicht kriegen. Aber ich sehe es auch als eine Bereinigung am Markt an. Wie viele davon waren in den letzten Jahren nur schwach in der Gewinnzone? Da sehe ich hier viel Gastronomie, die sich mit den Mitbewerbern einen Preiskampf geliefert haben, aber gleich im Frühjahr ohne Rücklagen da standen. Und auch andere Unternehmer, welche einfach zu unwirtschaftlich agiert haben und dadurch eine Krise nicht überstehen. Ob das nun durch einen Virus verursacht ist oder andere Ursachen dabei eine Rolle spielen, ist dann am Ende egal.

Sicherlich verzögert man damit Pleiten, aber man gibt eben auch innovativen Unternehmern eine Chance, dass sie ihre Firma auf andere Dinge umstellen, um weiterhin bestehen zu können.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


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